Verhandlungen

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Eine Kinderstimme weckte mich. „Marie. Steh auf. Ich soll dich holen kommen."
Ich schlug nach den Händen, die an meinen Schultern rüttelten, doch sie hörten nicht auf. Genervt öffnete ich die Augen und sah Chucks Lockenkopf vor mir.
„Oh hi.", krächzte ich. Meine Stimmbänder waren anscheinend noch im Tiefschlaf.
„Die anderen haben gesagt, dass ich dich rufen kommen soll. Die Verhandlung beginnt."
„Verhandlung?" Ich gähnte und setzte mich auf. Lange konnte ich nicht geschlafen haben. Vielleicht ein oder zwei Stunden.
„Weil Thomas ins Labyrinth gelaufen ist.", erklärte Chuck und klang ein wenig genervt davon das ich so schwer von Begriff war.
Um ehrlich zu sein war ich so beschäftigt mit meinen Erlebnissen gewesen, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, dass Thomas eine der drei Grundregeln gebrochen hatte. Ich sah zu Alby, der auf dem Feldbett gegenüber lag und versuchte sich trotz der Fesseln zu bewegen. Jeff saß neben dem Bett, wie eine Leibwache. Er sah zu Alby und schien in Gedanken versunken zu sein. Wenn Thomas nicht die Regeln ignoriert hätte, wären weder Alby noch Minho jetzt hier. Aber wenn wir ihm das durchgehen lassen würden, dann bekamen die anderen vielleicht das Gefühl das sie nun tun und lassen konnten, was sie wollten. Ich rieb mir die Schläfen und war froh nicht die Verantwortung zu tragen. Dann dachte ich an Newt, der nun da Alby außer Gefecht war, der Anführer war. Er hasste diese Bürde und er hasste es solche Entscheidungen treffen zu müssen.
„Gehts dir gut?", fragte Chuck, der gemerkt hatte das ich Löcher in die Luft starrte.
„Ja. Tut mir leid, ich war in Gedanken. Lauf voraus und sag ihnen das ich sofort komme."
Chuck nickte und lief zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal zu mir um. „Marie?"
Ich sah zu ihm. „Ja?"
„Ich bin froh das du nicht tot bist." Mit diesen Worten verschwand er.
Lächelnd sah ich ihm nach. Ich auch Chuck, ich auch.

Als ich das Gehöft betrat saßen alle schon beieinander. Für Verhandlungen wurden die Tische im Speisesaal beiseite geräumt. Manche der Lichter saßen auf den Tischen, die an der Wand standen. Der Rest hatte sich auf dem Boden verteilt. Am Ende des Raumes standen die Hüter zusammen. Gally, Minho, Winston, Zart, Bratpfanne, Clint, Billy. Sie bildeten einen Halbkreis zu den Jungen gerichtet. Newt stand an die Wand gelehnt. Eigentlich gehörte er in die Mitte zwischen die Hüter, weil er der Anführer war, aber vermutlich war ihm das zu unangenehm. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich setzte mich neben Chuck auf den Boden und ignorierte die Blicke der anderen Jungen. Stattdessen sah ich zu den Hütern. Bratpfanne zwinkerte und ich formte lautlos die Worte: „Danke für das Essen." Bratpfanne lächelte mir zu, doch als Gally begann zu sprechen wurde er sofort wieder ernst.
„Ihr wisst alle wieso wir hier sind. Die Dinge verändern sich. Ben und Alby sind bei Tag von Griewern gestochen worden." Er trat zur Seite und zeigte auf Thomas, der an der hinteren Wand auf einem Stuhl saß. Er sah traurig aus, irgendwie schuldig. So sollte niemand aussehen, der gerade zwei Menschen das Leben gerettet hatte. „Dazu denkt dieser Frischling hier, es sei nicht nötig die Regeln zu befolgen. An seinem ersten Tag hier wäre er schon beinahe ins Labyrinth gegangen und dann hat er es gestern wirklich getan. Damit hat er unsere Grundregeln gebrochen."
„Das stimmt, aber er hat Albys Leben gerettet.", warf Bratpfanne ein.
„Ist das dann jedes Mal ein Freifahrtsschein, um eine Regel zu brechen?", fragte Gally. „Er hat einen Griewer getötet. Wir wissen nicht was das auslöst. Was ist, wenn sie sich rächen wollen? Die Tore sind tagsüber offen. Sie könnten einfach hier hereinspazieren."
Nachdenkliche Stille herrschte im Raum. Wieso sagte Newt denn nichts? Eigentlich müsste er die Verhandlung leiten. Ich sah zu ihm, doch er schien in seine eigenen Gedanken versunken zu sein.
„Für drei Jahre haben wir mit diesen Dingern koexistiert. Wer weiß, was sich jetzt ändern wird?"
Ich unterdrückte das Verlangen die Augen zu verdrehen. Koexistenz würde ich das jetzt nicht nennen. Eher „Geht ihr nicht ins Labyrinth und wir töten euch nicht."
„Was schlägst du vor?", fragte Winston an Gally gerichtet.
„Er muss bestraft werden."
Aufgeregtes Geflüster bereitete sich im Raum aus. Bevor ich mich versah, war ich aufgesprungen. Eigentlich war es nur den Hütern erlaubt zu sprechen, doch was Gally vorschlug war nicht fair.
„Das ist bescheuert.", rief ich über das Geflüster der anderen hinweg. Stille trat ein. Gally warf mir einen herausfordernden Blick zu.
„Darf ich dich dran erinnern, dass du technisch gesehen auch eine der Regeln gebrochen hast?", fragte er spöttisch.
Mehrere Hüter begannen gleichzeitig zu protestieren.
„Das steht nicht zur Debatte!", stellte Newt klar, laut genug um alle zu übertönen.
„Das sollte es aber.", sagte ich und bahnte mir meinen Weg zwischen den Jungen hindurch nach vorne. Newt warf mir einen warnenden Blick zu, den ich ignorierte.
„So wie ich das gesehen habe, hat er dich mitgezogen.", warf Zart ein.
„Ich hätte loslassen können.", gab ich zu bedenken. „Ich war genauso im Labyrinth wie Thomas. Nur das ich keinen gerettet habe. Thomas war der, der sein Leben riskiert hat um erst Alby, dann mich und schließlich Minho zu retten. Dafür soll er jetzt bestraft werden? Minho?" Ich sah hilfesuchend zum Hüter der Läufer.
Dieser sah zuerst mich und dann Newt an. „Sie hat Recht. Ohne Thomas wären Alby und ich vermutlich nicht mehr da. Er kam auf die Idee, wie man den Griewer töten könnte und hat es durchgezogen. Er hat zwar ne Schraube locker, aber ich glaube er sollte belohnt werden." Minho sah zu Thomas, der mittlerweile aussah wie ein begossener Pudel. Dann wandte er sich wieder Newt zu: „Mach ihn zum Läufer, Newt."
Der Raum explodierte. Jungen sprangen auf, gestikulierten und warfen Einwände durch den Raum. Gally war die Kinnlade nach unten geklappt und offensichtlich fehlten im die richtigen Worte. Bratpfanne sah betreten zu Boden. Man sah ihm an das er es für keine gute Idee hielt und sich deswegen schlecht fühlte. Minho grinste mir zu, so als hätte er vorher gewusst was er damit auslösen würde.
„Das reicht!", schrie Newt. Selbst als Thomas ihn mit all den Fragen bombardiert hatte, hatte Newt nicht so genervt ausgesehen. Ich hatte ehrlich Mitleid mit ihm. Beinahe tat es mir leid, dass ich aufgestanden war und die Verhandlung durcheinander gebracht hatte, doch es war einfach zu unfair gewesen, als das ich hätte nichts machen können.
Langsam kehrte wieder Ruhe im Raum ein.
„Entweder ihr seid jetzt still oder ihr fliegt alle raus.", drohte Newt.
Die Jungen beruhigten sich wieder und setzten sich einer nach dem anderen wieder hin.
„Gilt das auch für sie?", fragte Gally und zeigte auf mich. Ich stand immer noch vorne, vor den Hütern.
„Nein.", antwortete Newt und als Gally den Mund aufmachte, um zu protestieren sagte Newt warnend: „Gally, fordere es nicht heraus. Marie ist genauso involviert, wie Minho. Ich hätte sie ihre Meinung dazu so oder so sagen lassen."
Gally knirschte mit den Zähnen, sagte aber nichts weiter.
Newt stieß sich von der Wand ab und stellte sich bei die Hüter. „Thomas und von mir aus auch Marie, wenn sie das unbedingt will, haben die Regeln gebrochen. Die Regeln sind das was unsere Gemeinschaft zusammen hält. Also sollten sie bestraft werden." Man sah ihm an, wie unwohl Newt sich fühlte. Ob es nun war, weil er die Entscheidung treffen musste oder weil er vor der ganzen Gruppe reden musste. Es spielte keine Rolle, er wollte es nicht tun. Trotzdem fuhr er fort: „Eine Nacht im Bau, ohne Essen."
„Newt, das ist nicht dein Ernst.", sprang Gally dazwischen. „Das wird den Strunk doch nicht davon abhalten nochmal ins Lanyrinth zu gehen."
„Du hast Recht. Und natürlich können Nicht-Läufer nicht einfach ins Labyrinth laufen, wann immer sie Lust haben." Kurz sah Gally zufrieden aus, doch dann sprach Newt weiter. „Deswegen machen wir es offiziell. Ab morgen bist du ein Läufer." Er sah zu Thomas.
Von allen, war Thomas wohl derjenige, der am wenigsten damit gerechnet hatte. Chuck jubelte, aber es ging in dem Geschrei der Jungs unter, die sich beschwerten. Thomas schien nichts zu registrieren. Er starrte einfach nur Newt an.
„So und jetzt alle außer den Hütern raus hier.", schrie dieser.
Langsam machten die Jungen ich auf den Weg, die meisten sahen verärgert aus. Ich wollte ihnen hinterher, doch Newt hielt mich am Arm fest. „Bleib du auch noch.", bat er und ich nickte.
Sobald der Raum leer war, verteilten die Hüter sich. Keiner sah zufrieden aus. Bis auf Minho. Er lächelte Thomas zu und schien zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs gewesen zu sein. Gally hingegen zeigte das genaue Gegenteil. Noch nie hatte ich ihn so wütend gesehen. Sein Gesicht war so rot angelaufen, dass es mit seinem Pulli verschmelzen könnte. „Newt, was denkst du dir dabei? Weißt du welche Zeichen das den anderen Jungs gibt? Brich die Regeln, aber solange du was gutes vorhattest wirst du sogar zum Läufer gemacht." Gally ging auf und ab, vermutlich um seine Wut loszuwerden, doch es schien nicht wirklich zu helfen. „Alby würde das was du hier machst niemals gut heißen.", polterte er.
Newt warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Alby ist aber nicht hier." Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton, den sogar Gally trotz seiner Rage zu bemerken schien. Er klappte den Mund zu und verschränkte, beinahe trotzig, die Arme vor der Brust.
Thomas stand langsam von dem Stuhl auf, auf dem er die ganze Zeit still gesessen hatte. „Danke Newt.", sagte er, beinahe schüchtern. Newt nickte nur.
„Ich wollte mit euch noch über die Notiz reden, die das Mädchen bei sich hatte."
Erst jetzt fiel mir das Mädchen wieder ein, dass schlafend bei den Sanis gelegen hatte. Ich war vorher so müde gewesen, dass ich vergessen hatte zu fragen, wieso sie hier war.
„Was ist überhaupt passiert?", fragte ich in die Runde.
Zart begann zu erklären. „Thomas, Minho und Alby waren ungefähr eine Stunde wieder da, als der Signalton der Box ertönte. Wir sind alle hingelaufen und da lag nur dieses Mädchen drin."
„Keine Vorräte?", hakte ich nach.
Zart schüttelte den Kopf. „Sie hat sich nicht bewegt. Zuerst dachten wir sie wäre tot. Newt ist hineingesprungen und hat einen Zettel in ihrer Hand gefunden."
Newt reichte mir einen zerknüllten weißen Zettel.
Sie ist die letzte, für immer.
„Was soll das bedeuten?", fragte ich.
„Keine Ahnung.", antwortete Newt und es schien ihn zu ärgern, dass er keine richtige Antwort auf meine Frage hatte.
„Es könnte bedeuten, dass sie der letzte Frischling ist. Allerdings könnte es auch sein, dass sie die Box nicht mehr hochschicken.", murmelte Winston, mehr zu sich selbst als zu uns.
„Seitdem dieses Mädchen da ist, ist die Box nicht mehr heruntergefahren.", ergänzte Clint und rieb sich den Nacken.
„Warte...also bedeutet das das wir uns ab dem nächsten Monat selbst durchschlagen müssen? Ohne die Lieferungen? Wo sollen wir denn das Holz für die Hütten herbekommen oder das ganze Essen?", fragte ich, doch niemand antwortete mir.
„Außerdem...", begann Zart erneut. „Hat sie Thomas erkannt. Oder sie hat zumindest seinen Namen gesagt, als sie kurz wach war."
Alle, inklusive mir, sahen zu Thomas. Dieser schien sich sichtlich unwohl zu fühlen.
„Erkennst du sie? Kommt sie dir auf irgendeine Weise bekannt vor?", fragte Newt.
Thomas schüttelte den Kopf. „Ich habe sie noch nie gesehen. Selbst wenn, kann ich mich nicht daran erinnern."
Newt kratzte sich am Kopf und sah zu Boden. Er überlegte. Alle im Raum blieben still. Keiner wusste so recht, was gesagt werden sollte. Es war so viel auf einmal. Mein Kopf kam gar nicht schnell genug hinterher, um alles zu verarbeiten. Ich ließ mich gegen eine Wand sinken und atmete schwer aus.
„Was machen wir jetzt?", fragte ich. „Wo fangen wir überhaupt an? Alby wurde gestochen. Dieses Mädchen ist da. Die Griewer scheinen tagsüber aktiv zu sein.", zählte ich auf.
„Danke Marie fürs erinnern, aber ich denke alle hier wissen, welche Probleme wir haben.", erwiderte Gally trocken. Er sah immer noch rasend vor Wut aus.
„Gally, halt dich zurück.", sagte Bratpfanne, in dem Versuch Gally zu beruhigen.
Doch dieser schnaubte nur unbeeindruckt und rief dann: „Was macht sie überhaupt noch hier? Sie ist keine Hüterin. Sie hat hier eigentlich nichts mehr verloren. Newt hat selber gesagt, alle außer den Hütern sollen verschwinden."
Minho und Newt setzten beide an etwas zu sagen, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen: „Gally hat recht." Die Hüter sahen mich überrascht an, doch Gally war derjenige, der am verwirrtesten aussah. Er hatte vermutlich mit Gegenwind von meiner Seite aus gerechnet. Ich konnte jedoch nicht anders, als einzusehen das er Recht hatte. Ich war keine Hüterin und hatte somit mit der Entscheidungsfindung nichts zu tun. Ich würde einfach das umsetzten, was auch immer bei der Verhandlung rauskam.
„Ich werde gehen.", sagte ich an Gally gewandt, in der Hoffnung das er sich dann wieder einkriegen würde. Ich drehte mich zu Thomas: „Kommst du mit?"
„Tut mir leid Marie. Ich brauche ihn gleich noch.", antwortete Minho an Thomas Stelle.
Ich nickte und ging zur Tür. Bevor ich den Raum verließ fing ich Newts Blick auf. Er flehte mich förmlich an ihn mitzunehmen. Ich zwinkerte ihm einmal zu und verließ das Gehöft.

Lauf, solange du noch kannst [Maze Runner Fanfiction]Where stories live. Discover now