OS3 - Eine Frage

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Link zur Vertonung: https://www.youtube.com/watch?v=9HEIM4lPMXY




OS 3 - Eine Frage




Er sah den Schneeflocken dabei zu, wie sie sachte vom Himmel herab rieselten und dabei die Gasse noch mehr mit Schnee bedeckten. Es wirkte friedlich. Fast so friedlich wie die Gasse selbst. Normalerweise konnte Draco um diese Zeit vom Fenster aus schon das bunte Treiben beobachten, das sich durch die Winkelgasse zog. Heute schien alles noch zu schlafen. Zwar waren einige der Läden schon offen, aber nur wenige Leute unterwegs. Nun, vermutlich würde es noch einige Hexen und Zauberer geben, die auf die Schnelle noch ein Weihnachtsgeschenk holen würden oder etwas für die Feiertage besorgten. Doch im Grunde war es gemächlich und er genoss diesen Moment.

Er wandte sich von dem Fenster ab, ging vorbei an dem schmalen Esstisch und betrat die kleine Küche, als der Teekessel pfiff. Er machte Tee, bevor er sich der Pfanne zuwandte. Er bereitete das Frühstück zu und er wollte damit fertig sein, bevor sie aufwachte. Er wollte sie überraschen. Normalerweise, wenn sie beide während der Woche arbeiteten, tat das Astoria. Viel zu oft. Sie meinte dann immer, dass sie ohnehin in die Arbeit als erstes rausmusste. Er genoss es, weil sie eindeutig mehr auf den Kasten hatte, was das Kochen betraf. Sie hatte ihm schon einiges beigebracht und diese Künste nutze er jetzt.

Sie hatten beide Urlaub und Draco wollte die Chance nutzen, dass Astoria länger schlief als sonst. Er hatte sich regelrecht aus dem Schlafzimmer geschlichen. Ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Das Schlafzimmer, das in ihrer gemeinsamen Wohnung im zweiten Stock war in einem Haus in der Winkelgasse. Eine Wohnung, die sie seit Juli bezogen hatten. Er eine Woche vor ihr. Sie war zwei Wochen nach ihrem Uniabschluss hier eingezogen und es war ein regelrechtes Drama gewesen. Nicht, dass es plötzlich oder ungeplant passiert war. Aber ihre Mutter hatte wohl gehofft, dass dieser Plan sich auflösen würde. Was nicht passiert war.

Elisabeth Greengrass mochte Draco nicht und das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie war schon nicht begeistert gewesen, als Astoria bei einem gemeinsamen Abendessen bei ihren Eltern verkündete hatte, dass sie zusammen waren. Doch Mrs. Greengrass hatte es hingenommen. Draco wusste, dass sie gehofft hatte, dass diese „Fernbeziehung", wie sie diese betitelt hatte, sich auflösen wurde. Schon aus dem Grund, dass sie sich nicht regelmäßig sahen. Nur ab und zu am Wochenende und dann auch nur, wenn sie Zeit aufbringen konnte. Sie war immerhin mitten im Studium gewesen. Aber die Beziehung hatte sich nicht zerschlagen. Draco hatte das Gefühl, dass gerade diese Zeit sie beide fest zusammengeschweißt hatte.

Sie hatte schon viele Habseligkeiten vor ihrer Abschlussprüfung gepackt und als Draco dann vierzehn Tage später bei den Greengrass' aufgetaucht war, um Astoria eigentlich einfach abzuholen, hatte er Elisabeth Greengrass nur herumschreien gehört im oberen Stock, was nicht nur ihm peinlich war, sondern auch Hyperion.
„Das kann einfach nicht dein Ernst sein!"
„Oh Mutter, ich bitte dich. Es steht seit Monaten fest.", hatte Astoria erwidert.
„Du wirst deine Zukunft wegwerfen für diesen Kerl."
„Ich liebe ihn, Mama."
Nun, dass Elisabeth keine gute Meinung von ihm hatte, war ihm klar gewesen.
„Ich verbiete es, Astoria."
Astoria lachte falsch auf.
„Ich bin erwachsen. Ich lass mir nichts verbieten."

Sie war die Treppe heruntergekommen mit ihrem Koffer und ihre Mutter ihr auf den Fersen.
„Astoria.", hatte sie entschieden gesagt und Astoria hatte ihre Mutter ignoriert. Draco hatte ihr den Koffer abgenommen und sie wollte sich von ihrem Vater verabschieden, als Elisabeth Greengrass laut gefordert hatte: „Hyperion, jetzt sag doch auch etwas!"
Draco hatte regelrecht die Luft angehalten und Hyperion hatte ruhig zu Astoria gesagt: „Gib Bescheid, wenn du angekommen bist und melde dich, wenn du etwas brauchst."
Mrs. Greengrass hatte empört nach Luft geschnappt. Astoria hatte ihren Vater zum Abschied umarmt und ihn auf die Wange geküsst, bevor sie Draco die Hand gegeben hatte und sie beide das Anwesen verlassen hatten.

Und seitdem lebten sie hier. Sicher, er hatte sich zu Beginn der Beziehung auch Gedanken gemacht. Gedanken darüber, was er Astoria aussetzte. Sein Ruf war... keinen Knut wert. Seine Vergangenheit nur belastend und diese Vergangenheit würde seine Zukunft, egal wie lange sein Leben dauern würde, immer anlasten. Und jeder, der sich mit ihm abgab, wurde damit mitbelastet. Und so auch Astoria. Kaum war bekannt geworden, dass die beiden miteinander sich trafen, erschienen immer wieder Fotos von ihnen. Gerüchte tauchten auf. Böse Geschichten und Gute. Für Astoria spielte es keine Rolle. Das sagte sie ihm oft. Sie liebte ihn und solange er sie liebte, war alles gut.

Gut. Das war es. Diese Beziehung war gut. Sie war ausgezeichnet. Sie gab seinem Leben Farbe und Licht. Sie nahm ihn so wie er wahr. Mit all seinen Fehlern, Macken und seiner Vergangenheit. Und sie half ihm, dass er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzte, akzeptierte und sie endlich hinter sich ließ. Sie war sein Leben. Sein Anker. Seine Zukunft. Das wusste er. Und er liebte alles an ihr. Ihre positive Art und ihre gute Laune, die immer ansteckend war. Er schmunzelte bei den Gedanken, während er das Omelett raus briet. Er kannte so viele Gesten von ihr. Wie sie das Gemüse schnitt beim Kochen. Oder wie sie ihre Stirn runzelte, wenn sie nachdachte.

Er liebte es, ihr beim Schlafen zuzusehen. Oder seine Finger in ihrem weichen Haar zu vergraben. Er mochte es, wenn sie rot wurde oder wenn sie beim Lesen oder Fernsehen einer spannenden Stelle sich auf die Unterlippe biss. Diese wunderbaren vollen Lippen. Oder wenn sie bei der Radiomusik mitsang oder wild in der Wohnung rumtanzte. Sie war einfach wunderbar. Ein Wirbelwind. Sein Wirbelwind. Sie war sein Leben und es war ihm egal, was alle anderen von dieser Beziehung dachten. Er war glücklich und das war das Wichtigste. Denn auch er hatte ein Anrecht darauf, auch wenn er sich das viele Jahre selbst verboten hatte. Sich selbst damit bestrafen wollte.

Sie hatte ihm dabei geholfen. Geholfen, dass er wieder relativ normal leben konnte. Er konnte die Vergangenheit nicht ändern und er wusste, dass er sie nie ganz hinter sich lassen würde. Er hatte Fehler gemacht. Viele Fehler und das rechtfertigte zwar gar nichts, aber er hatte trotz allem ein Anrecht auf ein Leben. Ein Leben, das Astoria ihm wiedergegeben hatte. Mit ihr konnte er lachen, Spaß haben, ohne ständig daran zu denken, dass andere durch ihn vielleicht kein Leben mehr hatten. Er wollte sie nicht mehr gehen lassen. Er liebte sie und er wünschte sich nichts sehnlicher, dass sie für immer ein Teil in seinem Leben war.

Nun, Mrs. Greengrass würde damit sicher nicht einverstanden sein. Sie zeigte deutlich bei den gemeinsamen Abendessen bei Astorias Eltern, was sie von ihm hielt. Anders als Hyperion. Er wirkte zwar zu Beginn ein wenig damit überfordert, als er praktisch damit konfrontiert wurde, dass seine Tochter etwas mit einem seiner Mitarbeiter hatte. Mittlerweile war das Verhältnis recht gut. Immerhin sah er Hyperion fast jeden Tag. Er fragte dann oft nach Astoria und fragte nach seinem Wohlbefinden. Und er hatte Draco auch schon gesagt, dass er wusste, wie sehr seine Tochter und er sich liebten und er froh war, dass sie sich gefunden hatten.

Nun, das sah Dracos Mutter genauso. Sie mochte Astoria. Die beiden verstanden sich gut. Sehr gut sogar. Sein Vater... Draco hatte keine Ahnung, was er wirklich von Astoria hielt. Lucius wirkte immer unterkühlt und distanziert. Aber das war er nicht nur bei Astoria, sondern schon immer bei ihm auch so gewesen. Er redete nie viel darüber. Lucius hatte eigentlich nur einmal nach Astoria gefragt, und zwar einige Wochen nachdem Draco seinen Eltern gesagt hatte, dass Astoria und er ein Paar waren.
„Ist die Sache ernst, Draco?"
Er hatte es schlicht bejaht. Was sollte er sonst sagen und sein Vater hatte es stumm nickend hingenommen. Nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich fand er Astoria zu modern und zu weltgewandt. Nun, sie war anders aufgewachsen als sein Vater. Selbst anders als Draco selbst.

Aber das würde keine Rolle spielen bei seinem Plan. Er hatte sich entschieden und er würde davor nicht zurückschrecken. Zumindest dachte er fest daran, während er das Frühstück auf einem Tablett anrichtete. Er atmete tief ein und aus, bevor er das Tablett nahm und durch die Wohnung damit Schritt Richtung Schlafzimmer. Er blieb im Rahmen stehen, als er sie im Bett sitzend sah. Sie lächelte breit.
„Guten Morgen."
„Morgen.", sprach er verwundert. „Du bist schon wach."
Sie lächelte weiterhin und ging darauf gar nicht ein.
„Es schneit wieder." Ja, tat es. Er trug das Tablett ins Zimmer und sie seufzte ergeben. „Frühstück am Bett."

„Ich dachte, ein guter Start für die Weihnachtsferien.", erwiderte er und stellte das Tablett auf eines der Nachtkästchen.
Sie schlang die Arme von hinten um ihn, als er sich dabei auf den Rand des Bettes setzte. Küsste ihn in den Nacken.
„Wir haben schon lange nicht mehr zusammen gefrühstückt."
Was an ihren unterschiedlichen Arbeitszeiten lag. Sie brach schon sehr früh auf. Sie arbeitete im Ministerium als Übersetzerin und Dolmetscherin. Sie reiste sehr viel. Und am Wochenende war er samstagsmorgens meistens mit Blaise und ein paar anderen Freunden verabredet zum Quiddtichspielen. Wobei das wohl Tracey nicht mehr lange zulassen würde, sobald Blaise kleiner Sohn auf der Welt war. Zumindest sagte Blaise das in letzter Zeit immer häufiger und Draco wusste nie, ob er das als Spaß sagte oder eher mit Wehmut.

Sonntags ... frühstückten sie nie wirklich. Meistens verbrachten sie den gesamten Morgen im Bett und waren mit anderen Dingen beschäftigt. Er wandte sich zu ihr und küsste sie. Teilte ihre Lippen und hatte Mühe, sich von ihr zu lösen. Klar zu denken. Vielleicht... sollte er sie später fragen. Vielleicht beim Abendessen? Mit beiden Elternpaaren? Nein. Nein, definitiv nicht. Vermutlich würde Astorias Mutter ihn noch vor dem Dessert am Esstisch töten.
„Was ist los?", fragte sie und er schluckte hart. Er hatte tatsächlich Angst. „Draco?", hakte sie nach und legte ihre Hände an sein Gesicht. „Ist etwas geschehen?"
Sie sah ihn so besorgt an, dass er fast schon wieder ein schlechtes Gewissen bekam. Warum war das nur so schwer? Sie sagten sich doch sonst immer alles.

Er nahm ihre Hände in seine. Küsste kurz ihre Fingerspitzen. Was, wenn es zu früh war? Was, wenn sie nicht wollte? Ihn nicht wollte? Nicht so wollte?
„Du weißt, dass ich dich liebe, oder? Dass du... dass du alles für mich bist?"
„Natürlich.", antwortete sie und entzog ihm ihre Hände und berührte ihn wieder am Gesicht. „Was ist denn los, Draco? Warum fragst du mich so etwas?"
Warum? Weil sie sein Leben war.
„Du bist mein Leben.", sprach er den Gedanken aus und sie sah ihn verwirrt an, als er aufstand und ihre Hände wieder in seine zog.
Er war tatsächlich nervös. Sie blinzelte irritiert zu ihm hoch.

„Astoria, du bist mein Ein und Alles." Sie lächelte sanft. „Durch dich bin ich zu einem besseren Menschen geworden. Durch dich habe ich wieder gelernt richtig zu leben."
„Draco...", wisperte sie und er schluckte erneut.
„Ich möchte für immer mein Leben mit dir teilen."
Sie keuchte auf, als er auf die Knie ging, während sie auf dem Bett kniete und er griff nach dem kleinen Kästchen in seiner Schlafanzughose. Das kleine Kästchen mit dem Ring, den er bereits seit zwei Monaten bei sich trug.

„Möchtest du den Rest unseres Lebens gemeinsam mit mir verbringen?", fragte er und ihre Augen wurden feucht.
Er keuchte auf und verlor das Gleichgewicht, als sie ihm praktisch um den Hals fiel. Sie landeten auf den Boden, während sie ihn küsste.
„Natürlich will ich das.", erwiderte sie und er liebkoste sie gierig zurück. Er verspürte Erleichterung und pures Glück in sich aufsteigen. Als sie voneinander abließen, sahen sich an. „Natürlich.", wiederholte sie sich.
„Du machst mich damit zum glücklichsten Mann auf der Welt."
Sie strahlte.
„Ich liebe dich, Tori.", wisperte er schwer und sie küsste ihn vertraut.
„Ich dich auch, Draco."
Eine Frage, die ihrer beider Leben für immer verbinden würde.

BegegnungWhere stories live. Discover now