OS 5 - Hoffnung

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   OS 5 - Hoffnung


Link zur Vertonung: https://www.youtube.com/watch?v=XjdOM3zRZzk




Er sah den Schneeflocken dabei zu, wie sie gegen die Scheibe flogen und die in weißen Schnee gesunkene Gegend noch mehr begruben. Dieses Jahr schien der Winter besonders kalt zu sein. Nicht, dass der Winter Draco jemals gestört hätte. Im Gegenteil, er mochte den Schnee, der die Welt so friedlich wirken ließ. Und er hatte viele schöne Erinnerungen an viele wunderbare Weihnachten. Wunderbare Weihnachten, die er in diesem Haus verbracht hatte. Das erste Weihnachten, das sie hier gefeiert hatten, war... katastrophal, aber trotzdem großartig gewesen. Das ganze Haus war noch eine reine Baustelle gewesen. Die Renovierungsarbeiten waren nicht rechtzeitig fertig geworden, die Wohnung aber schon gekündigt. Der Einzugstermin konnte nicht mehr verschoben werden.

Und mittendrin, im Wohnzimmer, wo sie ihr Lager aufgebaut hatten, weil es der einzige Raum gewesen war, wo wenigstens der Kamin funktionierte, mit Umzugskisten und einem kleinen Bäumchen, Astoria, sein Erstgeborener und er. Scorpius, der erst wenige Monate alt gewesen war und das größte Geschenk war, was Astoria ihm machen konnte. Es war verrückt gewesen. Aber wunderschön. Und es hatte seine Eltern in den Wahnsinn getrieben. Nun, im Grunde seinen Vater. Der gefragt hatte, ob er den Verstand verlor, dass er mit einem Säugling auf einer Baustelle lebte. Nun Lucius war auch nicht begeistert gewesen, dass Draco dieses Haus erworben hatte. Aber es war nicht mehr nur irgendein Haus. Es war sein Zuhause. Das Zuhause seiner Familie.

Hier hatten sie alles erlebt, was es zu erleben gab. Die schönen Seiten des Lebens und die Schlechten. Freude, Feste aber auch Dramen und Streits. So war das Leben. Höhen und Tiefen. Er atmete schwer aus und nahm den Teekessel vom Herd, um den Tee aufzugießen. Wobei das fast ganze letzte Jahr eher ein sehr großes Tief war. Ein Loch, das sie alle verschlingen wollte. Etwas, was ihn fast zerbrechen ließ. Der einzige Grund, warum er sich diesem Abgrund nicht beugen wollte und konnte, war seine Familie. Eigentlich war es Astoria, die immer dafür sorgte, dass sie zusammenhielten. Eine Familie waren. Sie war der Pol. Der Mittelpunkt, der sie alle verband und stärkte.

Doch diese Rolle konnte sie nicht mehr einnehmen, nachdem sie krank geworden war. Er richtete die Kanne auf ein Tablett und stellte dazu eine Tasse und den Zucker. Es war kurz nach Silvester gewesen, als Astoria den Knoten in ihrer Brust entdeckt hatte. Sie hatte es noch abgetan. Witze darüber gemacht, dass sie vermutlich jetzt alle verrückt machte und es nichts sein würde. Aber er hatte sofort gemerkt, dass sie Angst hatte. Er hatte alles stehen und liegen gelassen und war mit ihr zu einem Termin zu dem Heiler gegangen. Aber es war nicht einfach "nichts". Es war Krebs. Er war sich sicher gewesen, dass selbst so eine Krankheit mit den Fähigkeiten, die die Heiler hatten, schnell besiegt werden würde. Er hatte keinerlei Erfahrung mit Krebserkrankungen. Niemand in seiner Familie war jemals an Krebs gestorben. Seine Eltern lebten noch und waren bei bester Gesundheit.

Er hatte sich geirrt. Es war nicht schnell vorbei und ja, es gab mehr, als die Muggel vermutlich hatten. Aber, das was half, war wie pures Gift, schwächte und zerstörte den Körper. Zerstörte Astoria. Es war zum Verzweifeln gewesen und hätte er nicht für Astoria da sein müssen, wäre er am liebsten einfach gestorben. Er hasste es, sie so leiden zu sehen, ohne ihr wirklich helfen zu können. Aber er war bei ihr geblieben. Bei jeder Untersuchung. Jeder Behandlungsphase. Den guten und schlechten Tagen, die sie hatte. Selbst vor drei Monaten, als er geglaubt hatte, nein, sie alle geglaubt hatten, dass sie es nicht schaffen würde. Er wusste immer noch nicht, wie er das alles überstehen würde, ohne seine Familie und seine Freunde die ihn, Astoria und seine Kinder unterstützten.

Sicher, Scorpius und Aurora waren gut versorgt in Hogwarts übers Jahr. Scorpius war schon fünfzehn. Seine Tochter dreizehn. Aber sie hatten genauso Angst, wie ihr kleiner Bruder Corvin, ihre Mutter zu verlieren. Corvin, der erst neun war und momentan sehr viel Zeit entweder bei Potters verbrachte oder bei seinem Patenonkel Blaise und dessen Frau Tracey. Blaise, der jeden Tag hier war, so wie Tracey. Generell war Draco überrascht gewesen, wie viele Freunde ihnen halfen. Wie viel Anteilnahme sie erfuhren. Es war fast schon erschreckend. Er stieg die Treppe nach oben und hielt an der geöffneten Tür zum Schlafzimmer inne. Sie wirkte furchtbar blass. Nur eine Gestalt ihres früheren Ichs. Die Krankheit hatte an ihren Kräften gezehrt. Sie wirkte manchmal wie tot und Draco war immer erleichtert, wenn er sie dann atmen sah.

Oder wie jetzt als sie ihn anlächelte. Ein ehrliches Lächeln, das ihre Augen wieder erreichte. Anders, als vor ein paar Monaten noch.
„Draco. Schau, es schneit wieder.", sprach sie und er trat näher an das große Bett. Sie war über den Berg, laut dem Heiler. Aber sie brauchte jetzt Erholung. Sehr viel Erholung, damit ihr Körper sich regenerieren konnte. „Wie spät ist es?", fragte sie. Er setzte sich auf das Bett und goss ihr Tee ein, während sie aufrecht in den Kissen lehnte.
„Drei Uhr. Konntest du etwas schlafen?"
Sie nickte sanft.
„Ja. Ich bin froh, wieder Zuhause zu sein."
Und er erst. Er war die letzten Wochen kaum Zuhause gewesen. Ständig bei ihr im Hospital, aus Angst sie könne doch weitergehen, ohne, dass er es mitbekam. Gehen, wo er ihr nicht hin folgen konnte. Er hätte es nicht ertragen. Sie war und würde es immer bleiben, sein Leben. Sein Glück. Seine Liebe.

Sie bedankte sich, als er ihr den Tee reichte und sie seufzte wohlig nach dem ersten Schluck. Er lächelte.
„Dein Lieblingstee."
Sie nippte wieder daran und ihre Finger griffen fester um die Tasse.
„Wieso hast du mich nicht geweckt? Wir müssen doch den Baum schmücken und..."
Er schüttelte den Kopf.
„Unsinn. Du musst dich ausruhen."
„Aber..."
„Nichts aber. Denkst du, der Weihnachtsbaum ist wichtig für Scorpius, Aurora oder Corvin? Die drei sind froh, dass du wieder hier bist und du gesund wirst. Alles andere ist unwichtig."
Besonders, nachdem sie alle geglaubt hatten, sie zu verlieren.
„Es ist Weihnachten.", beharrte sie.
Er nickte.
„Ich weiß und deshalb werden wir später runtergehen und zusammen mit unseren Kindern feiern. Aber glaub mir, das Wichtigste ist, dass du hier bei uns bist."
Er beuge sich vor und küsste ihre Stirn.

Als er seine Stirn an ihre legte, spürte er, wie sie die Tasse senkte und eine Hand in seinen Nacken legte.
„Ich habe dir doch gesagt,", wisperte sie. „dass ich gesund und dich nicht allein lassen werde." Er nickte kaum merklich und spürte die Tränen. „Ich habe es dir doch versprochen, Draco." Das hatte sie und doch hatten sie beinahe eine Begegnung mit dem Tod gehabt. Und ihm war die Frage auf den Lippen gebrannt, was er tun sollte, wenn sie es nicht schaffte. Aber er hatte es nicht getan. Vermutlich hätte sie ihm dann nur zur Antwort gegeben, was er ohnehin wusste. Weiterleben, für seine Kinder. Doch diese Frage musste er sich nicht stellen. Sie war noch hier. Ein weiteres großes Geschenk von ihr. Sie hatte ihn nicht allein auf dieser Welt zurückgelassen. Sie würden noch zusammen Zeit haben. Genügend Zeit. Zumindest hoffte er das. „Ich liebe dich, Draco."
Er küsste sie zur Antwort sanft auf ihren Mund. Und er liebte sie. Nichts würde das jemals ändern.

Gegen Abend zog sie ein schlichtes Etuikleid mit langen Ärmeln an. Das ließ sie sich, trotz seiner Einwände, nicht nehmen.
„Es ist Weihnachten. Da darf es ruhig ein wenig festlich sein."
„Du siehst immer gut aus.", meinte er und sie beide hielten inne bei der großen Treppe.
„Soll ich dich nicht lieber runtertragen?", warf er ein. Sie schüttelte den Kopf und hakte sich bei ihm ein.
„Nein. Ich habe zwei gesunde Beine, Mr. Malfoy."
„Wie sie meinen, Mrs. Malfoy."
Er wich nicht vor ihrer Seite, während sie nach unten gingen, aus Angst, dass es doch zu anstrengend sein könnte.
„Sind die Kinder schon da? Ich habe sie heute den ganzen Tag nicht gesehen."
„Oh, sie kommen sicher gleich.", wehrte Draco ab.

„Du hast mit ihnen aber nicht geschimpft, oder? Nur, weil sie wieder bei ihren Freunden waren."
Er rollte mit den Augen.
„Nein, habe ich nicht."
Was nicht wirklich nötig war. Die letzten beiden Tage war es eher so gewesen, dass sie alle eine Verschwiegenheitsklausel in Gedanken unterschrieben hatten, damit Astoria nichts mitbekam und Draco hatte sogar James Potter in seinem Haus geduldet. James Potter, der scheinbar ein Auge auf Dracos Tochter geworfen hatte, was Draco überhaupt nicht gefiel. Sein kleines Mädchen war zu jung für solche Dinge. Außerdem hoffte er, dass Aurora noch sehr lange sich nicht für Jungs interessieren würde. War es nicht schon schlimm genug, dass sein Sohn für Rose Weasley schwärmte? Vielleicht würde Corvin sich irgendwann für Delaila interessieren, Blaise und Traceys jüngste Tochter.

Er sollte nicht mehr in solchen Schubladen denken. Er kannte die Potters, immerhin waren Albus und Scorpius schon in der Vorschule beste Freunde geworden. Und Hugo und Corvin kannten sich auch. Mal ganz nebenbei, dass die Familie Potter und die Familie Weasley genauso wie Blaise' Familie ihm die letzten Monate unter die Arme gegriffen hatten. Und im Grunde wollte er nur, dass seine Kinder eines Tages so glücklich wurden, wie er es mit Astoria war. Den Menschen fanden, mit dem sie ihr ganzes Leben lang glücklich sein konnten. Aber Aurora war einfach noch ein Kind und James Potter ein pubertierender Teenager. Er schob die doppelseitige Tür zum Wohnzimmer auf und Astoria zuckte zusammen, als ihre gemeinsamen drei Kinder „Überraschung!", riefen.
„Merlin.", presste Astoria überrascht hervor und sah dann Draco an. „Ihr habt ja doch einen Baum."

Natürlich hatten sie einen Baum. Astoria liebte Weihnachten. Liebte das Dekorieren und seine Kinder hatten sich selbst übertroffen.
„Wir haben alle geholfen.", verkündete ihr Jüngster. Astoria schloss ihn fest in die Arme und küsste ihn dabei auf den Kopf.
„Die Überraschung ist euch wirklich gelungen."
Sie hatte nichts bemerkt und das war gut so. Gestern hatte hier unten noch ein regelrechtes Chaos gewütet.
„Schau, ich habe Plätzchen gemacht. Aus deinem Rezeptbuch.", meinte Aurora und Astoria küsste sie auf die Wange, bevor sie ihr die blonden Locken hinters Ohr strich.
„Meine Kleine.", sprach Astoria und Scorpius trat an sie ran und umarmte sie. „Himmel, du bist ja beinahe schon größer als dein Vater."
„Frohe Weihnachten, Mum.", antwortete er und Astoria sah auf das geschmückte Wohnzimmer.
„Einfach wunderschön."

Draco legte ihr den Arm um und küsste sie sanft auf die Wange.
„Frohe Weihnachten, Liebling."
Sie strahlte. Strahlte das erste Mal seit Wochen. Sie wirkte plötzlich viel fitter und gesünder und das von einer Sekunde auf die Nächste. Als sie weiter in den Raum gehen wollte, war es nicht nur Draco, der sie zurückhielt, sondern auch seine Rasselbande.
„Warte. Wir haben noch eine Überraschung.", trällerte sein Jüngster und Scorpius legte ihm die Hand auf den Mund.
„Noch eine Überraschung? Was könnte noch schöner sein, als dass wir hier gemeinsam sind und Weihnachten feiern können?"
„Nun, gemeinsam ist schon ein gutes Stichwort.", meinte Draco und führte sie einen Raum weiter. „Deshalb habe ich mir gedacht, ich lade ein paar Freunde ein.", grinste er und als er die Tür zum Esszimmer öffnete, riefen die geladenen Gäste: „Frohe Weihnachten!"
Tracey war die Erste, die Astoria um den Hals fiel, bevor sie von den Anderen begrüßt wurde. Harry Potter mit Frau und Kindern, so wie seine Eltern und Astorias Vater. Hermine hatte es sogar geschafft Ronald mitzunehmen. Die beiden, Ron und er, konnten sich nicht leiden. Wobei vor allem Weasley versucht hatte, seine Kinder gegen Dracos aufzuhetzen. Aber Kinder ließen sich nicht immer alles einreden. Das letzte Mal war es vermutlich so voll gewesen an Corvins Geburtstag, den Tracey für ihn organisiert hatte, weil es Astoria zu dem Zeitpunkt zu schlecht gegangen war.

Aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Astoria würde wieder gesund werden. Das hatten die Heiler gesagt und sie hatte es offenbar die ganze Zeit gewusst. Darüber dachte er auch nach, während alle aßen, tranken, erzählten und lachten, als hätte es nie etwas gegeben. Er hörte oben die jüngeren Kinder lachen und offenbar Fangen spielen.
„Draco.", sprach Astoria neben ihm und er wandte den Kopf. Sie lächelte ihn sanft an, wie damals in dem Café. „Danke." Sie griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Für alles."
Er schüttelte den Kopf.
„Das war doch selbstverständlich. Wir sind ein Team."
Er küsste ihre Fingerspitzen.
„Du weißt, wie ich das meine. Auch für das hier."
„Die meisten kommen ohnehin nur deinetwegen."
Sie rollte leicht mit den Augen.
„Wann wirst du aufhören, dich immer so ins schlechte Licht zu stellen? Du bist ein wunderbarer Ehemann. Ein großartiger Vater und ein guter Mensch. Das wissen die Leute."

Er beugte sich vor und küsste sie auf den Mund, bevor er seine Stirn an ihre lehnte.
„Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde, Astoria." Sie wisperte seinen Namen und er schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich würde es nicht ertragen, dich zu verlieren."
Sie lächelte schwach.
„Du verlierst mich nie, Draco. Nie." Doch. Doch, er hätte sie fast verloren. „Und selbst wenn ich irgendwann vorgehe, dann verspreche ich dir, dass ich auf dich warten werde."
„Sag so was nicht.", murmelte er und sie löste sich von ihm.
Küsste ihn sanft auf den Mund und lächelte ihn dann wieder an.
„Es wird weitergehen. Du wirst sehen. Es ist nur einfach ein Weitergehen. Davor muss man keine Angst haben."

Sie kicherte plötzlich und er runzelte die Stirn.
„Wobei ich den Gedanken jetzt schon schön finde, mit dir alt und grau zu werden."
Seine Mundwinkel hoben sich und er küsste sie wieder sanft auf den Mund.
„Das hört sich nach einem Plan an.", meinte er schelmisch und sie kniff ihn leicht in die Seite, bevor sie sich etwas an ihn lehnte.
Er küsste sie auf ihr Haupt. Atmete ihren vertrauen bekannten Duft ein und merkte, wie er ruhiger wurde, während er seiner Familie, seinen Freunden und Bekannten zusah. Es war ein wenig tröstlich zu wissen, dass sie auf der anderen Seite auf ihn warten würde. Aber es gab ihm mehr Hoffnung zu wissen, dass er noch eine Zukunft mit ihr hatte und zwar im Hier und Jetzt.

BegegnungWhere stories live. Discover now