1 - Nur tote Narren schweigen still

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Atlantis, 9600 vor Christi

Die Erde bebte erneut an diesem schwarzen Tag in der Geschichte von Atlantis. Straßen und Gassen versanken in Schlamm, Blut und Wasser, welches vollkommen unerwartet aus den Meeren über die hilflosen Bürger der Stadt hereingebrochen war.

Linus Papadakis, ein Mann in den Siebzigern, erkannte genau in diesem Moment, dass all seine Gebete ohne Antwort bleiben würden. Es war zu spät, um irgendetwas zu retten oder selbst gerettet zu werden. Niemand würde sich freiwillig durch einen Sturm, so ungezähmt und gefährlich, wagen, um eine Insel voller intellektueller Narren vor dem Zorn der Götter zu retten. Linus war in Atlantis geboren worden. Sein ganzes Leben hatte er hier, innerhalb dieser hohen Mauern aus Stein, gelebt, geliebt, um den Tod seiner Frau getrauert und gearbeitet. Jetzt neigte sich nicht nur das Leben des Alten dem Ende zu. Er würde seine komplette Heimat mit sich in den Tod nehmen.

Draußen, außerhalb der dicken Mauern der Bibliothek, schrien Menschen verzweifelt um ihr Leben. Einige stießen Gebete zum Himmel hinauf, flehten die Götter an, zumindest die Kinder zu verschonen.Jeder neue Aufschrei ging dem alten Mann durch Mark und Bein, brachte den Vater einer erwachsenen Tochter, der niemals nur eine Träne geweint hatte, dazu, mit ebendiesen zu kämpfen. Zuhauf flohen die Anwohner der Stadt zur Akropolis, dem Burgberg, auf welchem sich der Poseidontempel befand. Sie trampelten sich auf dem Weg dahin gegenseitig tot, weil sie verzweifelt glaubten, in der Nähe ihrer Gottheiten den besten Schutz zu finden.

Nur wenige, darunter Nachbarn und Freunde des alten Bibliothekars sowie einige Frauen mit ihren Kindern, deren Angst vor den einstürzenden Gebäuden zu groß war, suchten Zuflucht in seinen heiligen Hallen des Wissens, die mittlerweile einem Kriegsschauplatz glichen. Doch hier konnte man die Angst vor dem Bevorstehenden ebenfalls fühlen.Linus war ein alter Mann. Diese Tatsache gestand er sich gern ein, aber dieses Unheil versetzte selbst ihn in Schrecken und stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten.Dann verschwand der Lärm, als hätte es ihn niemals gegeben. Eine kurze Atempause, bevor die Beben erneut losbrachen. Mittlerweile wussten die Menschen, wie gefährlich diese Stille war. Denn mit jeder Ruhepause brauten sich neue Wellen des Verderbens unterhalb der Oberfläche zusammen, listig darauf wartend, erneut zuzuschlagen.

Dabei war gestern noch alles in Ordnung gewesen. Ein normaler, sonniger Tag im Leben eines jeden Menschen, doch dann, ohne Vorwarnung, brach das Unglück über die komplette Insel herein. Als die Erde zum ersten Mal leicht zu beben begann, schliefen die meisten Inselbewohner. Nur die Fischer waren wach und bereiteten ihre Boote im Licht der frühen Morgendämmerung vor, um rechtzeitig in See zu stechen. Niemand witterte die Gefahr, da man die kleineren Erdstöße bereits kannte. Wer hätte wissen können, dass daraus eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes werden würde? Spätestens als das erste starke Erdbeben die Insel ins Wanken brachte, spürten die Bewohner von Atlantis, dass irgendetwas Bedrohliches auf sie zukam. Wolken türmten sich so hoch wie niemals zuvor, unbändiger Wind setzte ein, kein einziger Sonnenstrahl fand seinen Weg zur Erde. Meterhohe Wellen trafen aufs Festland. Fischer, deren Häuser nah am Meer lagen, flüchteten panisch in die höher gelegenen Stadtviertel. All diese zornigen Stöße, verursacht metertief unter den Füßen der Inselbewohner und die tosenden Wellen des unzähmbaren Meeres, welches Atlantis zu allen Seiten umgab, waren Dinge, die den Menschen Angst einjagten. Doch Linus Papadakis brachte eine andere Sache ins Wanken. Die Pausen, in denen die Stadt in Totenstille lag, flößten ihm Furcht ein wie nichts zuvor in seinem Leben.

Eine solche ruhige Phase herrschte in diesem Moment und wieder breitete sich trügerischer Optimismus unter denen aus, die Schutz zwischen den deckenhohen Bücherregalen suchten. Es war, als würde der komplette Saal tief ausatmen. Die stickige Luft wurde drückender und der scheußliche Geruch von Schweiß und Urin beißender. Doch Hoffnung hielt Einzug in den Köpfen der Flüchtigen. Auch der Alte ließ ebendiese Zuversicht in sich aufflammen. In jeder Atempause begann er, sein Gewand aus weißen Leinen- und Wollstoffen von Schmutz und Staub zu befreien. Manchmal bemerkte er, wie seine Finger reflexartig durch seinen langen grauen Bart fuhren, um ihn in die ursprüngliche Form zu bringen – fast so, als würde sein normaler Alltag gleich wieder beginnen. Natürlich geschah das nie, denn nach jeder ruhigen Phase wurde alles schlimmer. Zum Erstaunen des alten Bibliothekars hielten die Regale aus dunklem Holz, auf deren Seitenwänden das prunkvolle Wappen von Atlantis prangte, der Katastrophe stand. Nur einige seiner Lieblinge waren aus den Fächern gefallen und lagen wie Müll auf dem dreckigen Boden.

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⏰ Last updated: Jan 22, 2021 ⏰

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The Searchers: Awakening [DE]Where stories live. Discover now