Kapitel 3

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Lucas schaufelt Smacks in sich und schaut sich ein Video auf Youtube an. Sein Bruder kommt in sein Zimmer, mal wieder ohne anzuklopfen. «He Kleiner. Und wie war dein Date gestern?» Woher weiss er das schon wieder? Verdammt, wer hat gepetzt? «Steve hat dich gesehen als du mit einer Rose aus dem Blumenladen kamst,» erklärt sein Bruder als könnte er Gedanken lesen. Wahrscheinlich war sein Gesicht mal wieder ein offenes Buch. «Prima,» kommentiert Lucas und schaut weiter auf den Bildschirm. Sein Bruder steht nun neben ihm und geht in die Hocke, um auf Augenhöhe mit seinem sitzenden Bruder zu sein. «Klar. Und wie sah sie aus?» Lucas mampft einen weiteren Löffel, von dem etwas Milch runtertropft. «Heiss natürlich,» imitiert Lucas die Wortwahl seines grossen Bruders. Toms Augen schlossen sich zu Schlitzen. «Und warum sitzt du dann heute alleine in deinem Zimmer rum?» Weiter geht das Verhör, denkt sich Lucas genervt. «Weil sie heute schon was vorhatte.» Das ist auch gelogen, muss sein Bruder aber ja nicht wissen. Er betet innerlich, dass ihn gestern niemand in der Eisdiele gesehen hat und sein Bruder das wusste. «Ach was,» meint der bloss, aber beide Brüder massen sich in Gedanken weiter. Gedankliches Armdrücken nennt ihr Mutter das. «Darf ich sie dann mal sehen?» will er weiter wissen. Lucas schnauft. «Sie ist kein Ausstellungstier und ich hab kein Foto.» Er ist jetzt schon genervt und wollte nur, dass sein Bruder sich wieder verzieht. Dieser nickt und steht langsam wieder zu seiner vollen Grösse auf. «Glaub ich dir irgendwie nicht, Kleiner,» meint er, haut seine Pranke auf Lucas Schultern und verlässt das Zimmer. Lucas schaut sauer auf den Bildschirm vor sich. Das Video hatte er pausiert. Die Schüssel in seiner Hand war leer, nur eine kleine Pfütze Milch sammelte sich noch am Schüsselboden.

***

«Könntest du auf dem Weg zum Metzger noch Servietten kaufen?»

«Wieso? Warst du nicht gerade einkaufen?»

«Ja. Könntest du einfach ein paar Packungen mitbringen? Sagen wir 3.» Katja muss ihre Stimme erheben, weil Simon im Wohnzimmer den Ferseher nicht leiser schaltet.

«Vergessen? Ok, kein Problem.» Sie kann die Schadenfreude in seiner Stimme hören. Sie vergisst nie etwas, das weiss Simon. Trotzdem versucht er sie manchmal mit kleinen Fehlern aufzuziehen.

«Nein, aber Milo hat den Stapel schöner Servietten erwischt und zu Konfetti bearbeitet. Die anderen, die ich hab, sind für Geburtstage,» erklärt sie.

«Seit wann fressen Hunde denn Servietten?» Simon ist noch immer zu Scherzen aufgelegt, anstatt ihr echtes Gehör zu schenken. Katja fühlt sich mehr und mehr gestresst. Sie muss noch die Kartoffeln kochen, die verschiedenen Salatsaucen anrühren, diverses Gemüse klein häckseln und die Spiesse vorbereiten. Ausserdem das Fleisch marinieren, aber das muss Simon ja erst mal holen.

«Er hat sie ja nicht gefressen! Hörst du nicht zu? Er hat nur Kleinpapier daraus gemacht.»

«Ok. 3 Pack Servietten. Geht klar,» bestätigt Simon, sein Blick immer noch auf der Mattscheibe.

«Danke. Und bitte keine Tiermotive. Irgendein neutrales Motiv, das zu unserer Tischdecke passt, ja?»

Das letzte Ja ist keine Frage, soviel weiss Simon. Sie sind nun 9 Jahre verheiratet und Katja kommandiert gerne, besonders wenn sie in der Küche steht und Besuch für später erwartet. Die heutige Grillparty ist jedoch sein Geburtstagsfest und Katja hat sich einen echten Berg an Arbeiten aufgetragen. Also hilft Simon gern, zum einen um ihr dabei aus dem Weg zu kommen und zum anderen, weil es ja sein eigenes Fest ist.

«Hast du die Liste für den Metzger?» ruft sie aus der Küche.

«Hab ich.»

«Sicher? Auf was wartest du dann noch? Der Metzger schliesst heute früher, weisst du. Es ist Samstag.» Simon versteht den Wink mit dem Zaunpfahl, beugt sich vor, um an die Fernbedienung auf dem peinlich glänzend geputzten Wohnzimmertisch aus Glas zu kommen und die Wiederholung des Fussballspiels auszuschalten, das er eigentlich noch zu Ende schauen wollte. Simon holt geräuschvoll Luft und steht auf. Die Küche ist ein Chaos im Vergleich zu sonst. An normalen Tagen sieht die Küche organsiert und aufgeräumt aus, als wäre sie gerade aus einem Katalog entsprungen. Nur eine Zeichnung von Jayden am Kühlschrank, den Kochlöffelhalter aus Prozellan, der auch Jayden mit Farbe bearbeitet hat und ein Windspiel am kleinen Fenster über der Spüle weisen darauf hin, dass hier tatsächlich eine Familie wohnt und die Küche benutzt. Simon sieht wie Katja Schüsseln mit Klarsichtfolie abdeckt und zur Seite oder in den Kühlschrank stellt. Die ganze Ausrüstung an Tupperware steht am Start, im Backofen wachsen Brötchen fast zu ihrer doppelten Grösse heran und verströmen dabei den besten Zuhauseduft auf Erden. Er schätzt ab, ob Katja Wirbelwind gerade zwei Sekunden still steht oder gleich wieder um sich dreht. Dann überbrückt er die zwei Meter zwischen ihnen, legt eine Hand auf ihrer unteren Rücken als sie an der Spüle steht und ihre Hände wäscht und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. «Bin dann mal Servietten beim Metzger holen. Vielleicht haben sie Schweinchenmotiv.» Katja trocknet sich die Hände ab und seufzt. «Keine Schweinchen.» Doch Simon ist schon fast aus der Küche verschwunden. Wahrscheinlich soll es ein Witz sein, denkt sich Katja und verschwendet keinen weiteren Gedanken mehr daran.

Lost Boy - kleiner Junge auf grossem AbenteuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt