Kapitel 2: Der unbekannte Name

7.7K 568 117
                                    

„Ich lebte in Finsternis und Nacht,

kannte weder mich noch meine Macht.

Voller Furcht, Zweifel und Sorgen

hielt ich mich vor der Welt verborgen.

Doch dann flüsterte er

- Magie und Zauber! -

und ich sah das strahlende Licht,

das sich in seinen Augen bricht,

und wusste, das bin ich.

Denn nun kenne ich mich.

Mein Name ist Terbo Kurian.“

(Erinnerungen des großen Dichters Terbo Kurian an seine Namensgebung)

Die Schule von Tummersberg war wie ein riesiger Bienenstock. Das große Gebäude mit den vielen Anbauten lag auf einem Hügel etwas außerhalb des Stadtkerns und sah auf die anderen Gebäude hinab. Seine Lage unterstrich, was alle insgeheim wussten: Nummern waren anders als Namen.

Nummern durften nicht ohne Begleitung oder ohne vorherige Ankündigung der Schule runter nach Tummersberg und der Direktor bewilligte nur einen Besuch für jeden Schüler pro Jahreszeit. Da der Besuch als Privileg galt, war er eines der ersten Dinge, die einem ungehorsamen Schüler weggenommen wurden. Ich hatte seit meinem sechsten Lebensjahr nur ungefähr zehnmal die Stadt gesehen. Leider hatten meine Wortgefechte mit Nummer 2 immer nur mich in Schwierigkeiten gebracht.

Auf dem Weg zu meinem Zimmer hielt ich kurz auf dem Gang inne und sah durch das Fenster den Hügel hinab. Es war ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich ab heute kommen und gehen konnte, wie und wann ich wollte. Ich war keine bloße Nummer mehr, auch wenn ich mich noch wie eine fühlte.

Ich sah an meiner braunen Schuluniform hinab. Nach der Namensgebung waren ich, Rustan und Nelia die einzigen, die noch ihre alte Kleidung trugen. Bei allen anderen hatte die Namensmagie dafür gesorgt, dass sich die Kleidung mit ihnen verwandelte.

Nun waren die beiden auf dem Gang ein paar Meter vor mir ebenfalls auf dem Weg zu ihren Zimmern, um sich umzuziehen. Allerdings wusste ich nicht, ob die alten Kleidungsstücke von Nummer 1 Rustans um einiges breiterer Statur passen würden.

„Nicht mein Problem“, sagte ich mir.

Rustan und Nelia gingen an einer geschlossenen Tür am Ende des langen Ganges vorbei und näherten sich der Treppe, als sich die Tür wenige Meter vor mir öffnete und ein mit einem großen Messer bewaffneter Mann auf den Gang stürmte und sich mit wildem Blick umsah.

Ein Attentäter! Der Gedanke lähmte mich für einen kurzen Herzschlag, während der Blick des Attentäters auf den jungen Krieger fiel, der die drohende Gefahr in seinem Rücken noch nicht bemerkt hatte.

„Rustan! Vorsicht, hinter dir!“, schrie ich.

Im selben Moment wirbelte Rustan auch schon herum, erkannte die Gefahr und stellte sich ihr. Er war unbewaffnet, aber das hielt den jungen Elitekämpfer nicht auf. Während ich noch erschrocken blinzelte, packte er den Waffenarm des Attentäters, wirbelte herum und verdrehte ihn. Es knackte, als ein Knochen brach, und mit einem Fluch und einem Schmerzensschrei ließ der Attentäter das Messer fallen.

„Wer bist du? Wer hat dich geschickt?“, wollte Rustan wütend wissen. „Bist du immer so feige, einen Unbewaffneten von hinten anzugreifen?“

Das Letzte schien ihn am meisten zu ärgern. Die Polliander lebten nach einem Ehrenkodex. Sie kämpften niemals feige. Das Verhalten des Attentäters, der ihn nun anspuckte, brachte ihn daher ziemlich schnell an den Rand des Kontrollverlusts.

Die Magie der NamenWhere stories live. Discover now