Kapitel 4

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„Ich bitte euch, die Würfel von meinem Pult abzuholen und euch anschließend mit eurem Partner zusammen zu setzen. Abgabetermin wird in drei Wochen sei, jedoch werde ich in dieser Zeit nicht in der Schule sein. Demnach müsst ihr die Arbeit in der Nachmittagszeit eigenständig organisieren und aufteilen."

Alisha stand auf und holte sich vom Pult den Glaswürfel, der erstaunlich schwer war. Als sie sich wieder zurück zur Klasse drehte, hatte sich Louis noch nicht einmal von seinem Stuhl erhoben, sondern schaute nur starr grade aus. Es wäre schlauer gewesen, wenn er sich an Alishas Tisch gesetzt hätte, da der Stuhl neben ihr sowieso frei war, doch sie wollte möglichem Streit ausweichen, weswegen sie sich ihren Mitmenschen anpasste. Auch jetzt schnappte sie sich ihre Sachen und ließ sich auf Marcs Stuhl sinken, der sich schon zu seinem Partner gesetzt hatte.

„ Wie wäre es, wenn wir erstmal einen ungefähren Plan erstellen, wie wir in den nächsten Wochen vorgehen?", fragt das Braunhaarige Mädchen freundlich, doch erntete von Louis nur ein Schnauben, was entweder 'Mir doch egal'' oder 'Nein' heißen könnte. Alisha entschied sich für das erste und griff nach einem Stift und einem Zettel.

„Weißt du wie man mit Glas arbeitet?", probierte Alisha noch einmal einen Anfang und hoffte, dass er diesmal eine etwas verständlichere Antwort geben würde, doch wieder erwiderte er nur ein Schnauben. Auch wenn Alisha merkte, wie es in ihr anfing zu toben und sie den Wunsch hatte ihren Gegenüber anzumeckern, zwang sie den Wirbelsturm in sich leiser zu werden und blieb still. Stattdessen antwortete mit freundlichen Ton: „Das deute ich als Nein."

„ Louis?", fragte das Mädchen, Daisy, die in der Reihe vor ihnen saß, „Hättest du Lust nachher mit mir zusammen ein Eis essen zu gehen?" Ihre Stimme war höher als sonst und sie richtete ihr Oberteil, so dass man weiter in ihren Ausschnitt blicken konnte.

Die Mädchen um Daisy herum fingen an zu kichern, doch Louis Blick war weiterhin starr grade ausgerichtet und er ging nicht einmal auf Daisy an. Diese drehte sich peinlich berührt um. Sicherlich hatte sie nicht mit damit gerechnet, dass Louis ihr wiederstehen konnte und sie einen Korb erhalten würde. Ihre Freundinnen steckten sofort ihre Köpfe zusammen und warfen sich irritierte Blicke zu.

Anscheinend war Alisha nicht die einzige, gegen die Louis etwas hatte und bei der er nicht sprach.

Alisha versuchte sich, wie schon den Tag zuvor, in ihn hinein zu versetzen. Gestern wirkte er alles andere verschlossen, stattdessen hatte er ausgelassen mit Marc im Park Fußball gespielt, welcher im irgendwelche Witze erzählte, woraufhin Louis lachend den Kopf nach hinten geworfen hatte.

Die Mimik des braunhaarigen Jungen neben ihr, verändert sich innerhalb weniger Sekunden, als sein neuer bester Freund durch den Klassenraum rief, er sollte ihm die Federmappe zuwerfen. Grinsend warf Louis die Federmappe über vier Tische hinweg zu Marc, wobei er so tat, als würde sich um einen Rugby Ball halten und beide jubelten mit in die Luft gestreckten Fäusten, als Marc die Mappe fing und sich dabei dramatisch auf den Boden warf.

Ein Gong beendete das Spektakel.

Alisha glaubte, Louis würde einfach aufspringen und hinaus rennen, doch er drehte sich noch einmal um und sagte: „Wir können uns morgen um vier Uhr am Fußballplatz treffen."

Verwirrt runzelte die Angesprochene die Stirn.

„ Na, wegen dem da.", er zeigte auf den Würfel, „Keine Ahnung, wie man dieses Projekt nennen soll."

Das Nicken, von Alisha hatte er wahrscheinlich nicht mehr mitbekommen, da er hinter Marc in die Pausenhalle rannte und dabei etwas unverständliches brüllte. Doch was Alisha auf jeden Fall mitbekam, waren die neidischen Blicke der anderen Mädchen, die auf sie gerichtet waren. Mal wieder wünschte sie sich nichts sehnlicher, als im Erdboden zu versinken. Jeder einzelne Blick brannte auf ihrem Rücken, als sie mit ihren Büchern unter dem Arm aus dem Raum verschwand.


Nach den Hausaufgaben, entschied sich Alisha in ihr Lieblingsmusikgeschäft zu gehen.

Als sie die Tür des alten Ladens öffnete, ertönte das bekannte leise Klimpern der Glocken über ihr. Der ältere Mann an der Kasse hob seinen Kopf und lächelte Alisha freundlich an.

„ Guten Tag. Du warst lange nicht mehr hier. Suchst du nach etwas Bestimmten?"

Alisha verbrachte viel Zeit in diesem Laden, der auf den ersten Blick sehr schäbig aussah, da das Schild, welches über der Tür hing, an der rechten Seite abgebrochen war und die Fenster von Staub bedeckt war. Die Regale stammten noch aus der Zeit, als der Laden gerade eröffnet wurde und die an der Kasse fehlten einige Tasten, weswegen mittlerweile mit Kopf gerechnet wurde, weswegen das Bezahlen etwas länger als gewöhnlich dauerte und es vorkommen konnte, dass man den falschen Betrag bezahlte.

Vor einigen Monaten hat der Verkäufer und gleichzeitig Geschäftsführer ihr das Du angeboten und seitdem fühlte sie sich in dem Laden wie zuhause.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Ich möchte mich nur umschauen."

Sie verschwand wie immer im hinteren Teil des Ladens, den man von der Ladentür aus nicht sehen konnte. Im vorderen Teil des Geschäfts standen in langen Regalen halb eingestaubte CD's , doch Alisha zog es viel lieber zu den Schalplatten.

Sie blätterte durch die großen Hüllen ohne zu wissen, nach was sie genau suchte.

Vor einigen Jahren hatte sie von ihrer Oma einen Plattenspieler zum Geburtstag bekommen. Auf einer Karte schrieb sie dazu Die Musik wird dir helfen aus dem langweiligen Alltag zu entfliehen.

Ihre erste Platte war von den Beatles A hard day's night. Seitdem hatte sie sich immer neue Platten gekauft und mittlerweile hatte sie ein beachtliches Sortiment in ihrem Regal stehen.

Ihre Oma hatte recht gehabt, als sie meinte Musik hilft aus dem Alltag zu fliehen. Ihre Oma und sie hatten schon immer ein sehr gutes Verhältnis. Sie ist ebenfalls der Grund, weshalb Alisha ihre Liebe zu Büchern entdeckt hatte. Früher hat ihre Oma Geschichten vorgelesen und Alisha hatte gespannt zugehört, wenn sie ihre Stimme für jeden Charakter im Buch veränderte. Niemand konnte so gut vorlesen, wie ihre Oma. Manchmal hat sie ein Buch auch nur zur Hälfte vorgelesen und dann ein viel schöneres Ende gefunden, als eigentlich für die Geschichte vorgesehen war.

Lächelnd auf Grund dieser Erinnerung durchsuchte sie weiter die Schalplatten, bis sie auf Come as you are von Nirvana stieß. Sie kannte nicht viele Lieder dieser Band, doch entschied sich trotzdem spontan dazu, die Platte zu kaufen. Das hellblaue Muster auf dem Cover hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Mit der Platte in der rechten Hand ging sie zurück zur Kasse.

„ Eine sehr gute Wahl.", lächelte der Verkäufer. Sein Lächeln war ansteckend, denn seine Augen fingen ebenfalls zu strahlen, als sich seine Augen verkleinerten und kleine Falten neben ihnen an der Schläfe entstanden.

„ Dankeschön."

Nach dem Bezahlen macht sie sich auf den Weg nach Hause. In ihrem Zimmer machte sie es sich auf ihrem Bett bequem, legte die neue Platte auf den Spieler rechts neben ihrem Bett und platzierte die Nadel auf die Scheibe. Der Song begann zu spielen und ein kurzes Intro war zu hören. Sobald Kurt Cobain mit seiner kratzigen Stimme anfing zu singen, verliebte Alisha sich in den Song.

Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schaute aus dem Fenster, während sie den Songtext in sich aufnahm.

Come as you are, as you were, as I want you to be...

Die Worte ließen Alisha nachdenken.

Sie war der Meinung, dass sie sich für niemanden verstellen würde  und immer sie selbst war, doch als Kurt weiter sang und die Worte Take your time, hurry up, the choice is yours, don't be late erklungen, war sie sich auf einmal nicht mehr sicher, ob mit dem Lied nicht viel mehr gemeint war, als nur zu sein, wer man ist.

Nachdem der letzte Ton verklungen war, blieb Alisha unbewegt auf ihrem Bett sitzen. Wieso sollte man sich beeilen? Wozu sollte man zu spät sein?

„Essen ist fertig!", rief ihre Mutter, wodurch Alisha aus den Gedanken gerissen wurde.

„ Ich komme!", antwortete sie, bevor sie gedankenverloren die Treppe hinunter ging.


Who's that shadow?Where stories live. Discover now