Elf - Olaf

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Elf – Olaf

Amor: „Alles okay?“

Ich denke an die friedlichen Momente auf dem Meeresschildkrötenrücken zurück. Es ist alles okay. Sue ist nur ein Mensch. Sie kennt die Wahrheit nicht und handelt nur nach ihrem besten Wissen und Gewissen. Und das tut sie gut, das muss ich ihr lassen. Ich versuche, ihr mit Verständnis zu begegnen, obwohl sie mich zutiefst beleidigt hat und mich zu ihrem Feind erklärt. Sie meint es nicht persönlich, das weiß ich doch.

„Alles in Ordnung“, antworte ich deshalb.

„Na ja, also wenn wir ehrlich sind, in letzter Zeit hast du ja wirklich keinen guten Job gemacht und deine Aufgaben vernachlässigt, während du auf deiner Meeresschildkröte geschmollt hast“, wirft Amor vorsichtig ein.

Ich schweige.

„Ihr könntet zusammenarbeiten. Zeig ihr, was du kannst. Bring dich etwas deutlicher ein, so dass sie weiß – oder zumindest vermutet, dass es dich wirklich gibt, und dass ihr beide auf derselben Seite steht.“

„Ich soll mich ihr anbiedern?“

„Quatsch, doch nicht anbiedern. Aber du sitzt doch am längeren Hebel. Der Klügere gibt nach. Sei umsichtig mit ihr, sie ist nur ein Mensch – selbst wenn sie anderen Menschen überlegen zu sein scheint, sind ihre Fähigkeiten dennoch begrenzt. Vergiss das nicht.“

„Ja, gut. Ich hab dich schon verstanden.“

„Also machst du es?“

Ich erinnere mich zurück an die Geschichte mit Sues Vater. Das Kinderzimmer, der kleine Junge, das blonde Mädchen … Heinz Perlmann war sein Name, verheiratet mit Janine. Jetzt, wo ich einen Anhaltspunkt habe, ist alles wieder da. Das Bild, was Sue in der US-Talk-Show von ihm gezeichnet hat, weicht allerdings stark von dem ab, was wirklich passiert ist an diesem Abend. Aber woher soll sie es wissen?

Es war einer dieser Momente … Ich hatte Heinz schon länger im Auge. Als seine Frau das zweite Kind zur Welt gebracht und der kleine Ben sich als Autist herausgestellt hatte, spielte er den starken Mann. Aber nach und nach fiel seine Welt in sich zusammen. Statt sich Hilfe zu suchen oder zumindest mit Janine darüber zu sprechen, die ja das Schicksal mit ihm teilte, zog er sich immer mehr zurück. Er arbeitete länger und fuhr über Umwege nach Hause, um Zeit zu schinden. Als sein Chef ihn wegen der Überstunden ansprach und anfing, ihn pünktlich nach Hause zu schicken, machte Heinz zu seinen Umwegen noch Zwischenstopps. In einer Kneipe, in Spielhallen, bei anderen Frauen. Seine Familie wusste von alldem nichts. Dann kam der weitere Knall in seinem Leben – mit dem steigenden Alkoholkonsum häuften sich die Situationen, in denen er auffällig wurde. Zu Hause sprach ihn Janine darauf an, ob er wirklich so oft mit den Kollegen noch abends was trinken gehen müsste, sie bräuchte seine Unterstützung. Auf der Arbeit bemerkten es die Kollegen und sie nahmen ihn zur Seite. Dann fiel es über kurz oder lang auch dem Chef auf. Er machte ihm ein Angebot, dass er sich Hilfe suchen könnte, dann würde er alles tun, um ihn zu unterstützen. Doch Heinz stritt ab, dass er ein Problem – oder mehrere – hatte.

Solche Situationen sind unglaublich schwierig einzuschätzen. Es kommen so viele Faktoren zusammen: Was geht in dem Menschen vor, was tut er, was hat er erlebt, was denkt er darüber und was tut er nur deswegen nicht, weil ihm die Kraft dazu fehlt.

Allein dass er anderen Menschen wehtut, ist Grund genug für mich, Konsequenzen zu ziehen. Niemand würde es mir verübeln, wenn ein Ehebrecher, der seiner Frau gegenüber handgreiflich wird und seinen autistischen Sohn im Stich lässt, eine Abfuhr bekommt, oder? Aber vielleicht ist er ja schon genug bestraft, vielleicht hilft ja ein Schuss vor den Bug, um ihn zurück auf den rechten Weg zu führen. Ein Zeichen, dass er sein Leben von selbst wieder herumdreht. Genau das versuche ich in solchen Momenten herauszufinden. Und bei Heinz war meine Entscheidung eindeutig. Er hatte es so gut in seinem Leben. Eine tolle Frau, eine gesunde Tochter, einen liebenswerten Sohn. Alles lief für ihn, wie er sich das immer gewünscht hatte. Und dann kommt einmal etwas in die Quere – etwas, bei dem andere auf seine Unterstützung bauen. Wo andere ihm Hilfe anbieten. Und alles, was er tut, ist, sich selbst zu bemitleiden, gedanklich anderen die Schuld geben und sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Ich habe in sein Inneres geblickt, und was ich dort vorfand, war sehr dunkel, aggressiv und bitter. Sue mag das anders in Erinnerung haben, aber es war besser für sie, ohne ihren Vater aufzuwachsen und ihn dabei noch in guter Erinnerung zu haben.

Karma und SueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt