Kapitel 5

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Kapitel 5

Olaf ging wie immer vom Jugendheim durch den Park nach Hause, obwohl es bereits dämmerte. Seine Laptop-Tasche hatte er umgehängt und sie baumelte mit jedem Schritt an seiner Hüfte. Unter seinen ausgelatschten Sneakern knartschten die Kiesel. Seine Gedanken waren völlig leer, geschafft von dem Tag, als er plötzlich am Ende der Wegbiegung eine Bewegung wahrnahm. Da saß auf der Wiese ein kleiner Hund, der mit einer roten Leine an einen der Bäume gebunden war und ihn anblickte.

Interessiert schaute er sich im Park um, während er weiter dem geschwungenen Weg folgte, der an dem Hund vorbeiführte. Weit und breit war kein Besitzer zu sehen. Er ließ seine Augen wieder zu dem Tier wandern. Was war das für eine Rasse? Ein Beagle? Vielleicht eher ein Mischling.

Der Hund sah aus, als würde er ungeduldig auf Olaf warten. Als sie nur noch wenige Meter trennten, sprang er auf und wedelte freudig mit seiner Rute.

Olaf lächelte. Er hatte schon oft daran gedacht, sich einen Hund anzuschaffen. Jemand, der sich freut, wenn er von der Arbeit kommt. Eine treue Seele, die keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt. Noch einmal schaute er durch den Park. Wer konnte ein Lebewesen einfach so aussetzen? Unbegreiflich.

Er verlangsamte seinen Schritt, als er kurz mit der Entscheidung haderte, ob er an dem Kleinen vorbeimarschieren sollte. Da drang ein leises Winseln aus der Kehle des Hundes, aber das war eigentlich gar nicht nötig gewesen. Olaf verließ den Weg und ging nun direkt auf den Hund zu. Er hockte sich hin, stützte ein Knie auf der Wiese ab und ließ seine Hand von der kalten Schnauze beschnüffeln. Dabei untersuchte er das Halsband nach einer Hundemarke, konnte aber keine entdecken.

„Na, mein Kleiner. Was mache ich jetzt mit dir?“, fragte er den Hund. „Da gibt es eigentlich nur eine Lösung, was?“ Dann hievte er sich wieder hoch und knotete die Leine von dem Stamm.

Olaf betrat das Gelände durch ein offenes Tor. Zu seiner Linken war eine weitere Absperrung, aber diese war verschlossen. Dem Geräuschpegel nach zu urteilen, lagen dort ganz klar die Zwinger. Kein so schöner Ort, schoss es Olaf durch den Kopf. Doch er war sich sicher, dass sich die Pfleger sehr bemühten und dies für einen Hund immer noch besser war, als einfach in einem dunklen Park sich selbst überlassen zu sein. Der Beagle-Mischling auf seinem Arm machte einen entspannten Eindruck. Zumindest jetzt noch, dachte Olaf. Trotzdem war er sicher, das Richtige zu tun. Er konnte ja nicht einfach einen fremden Hund mit zu sich nach Hause nehmen und ihn behalten. Vor allem nicht, wenn irgendwo da draußen der rechtmäßige Besitzer war, der seinen Hund vielleicht bereits vermisste. Weil ihm sein Hund entführt worden war. Oder weil er ihn vielleicht tatsächlich ausgesetzt hatte, aber nun einsah, dass das ein Fehler war. Man durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Und vor allen Dingen keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Er drückte gegen die schwere Tür, die mit „Tierheim – Büro“ beschriftet war. Ein Glöckchen klingelte zaghaft und er quetschte sich durch den Spalt. Dabei blieb er mit seiner Tasche am Rahmen hängen und brauchte einen Moment, um sich, ohne den Hund aus seiner Umarmung zu lassen, zu befreien.

In dem weißen Raum befanden sich ein paar Blumenbilder an den Wänden und ein einzelner Schreibtisch aus massivem Holz, der mit Zetteln, Stiften und einem Computer beladen war. Dahinter verdeckten noch Regale mit Aktenordnern die Wand, sonst war der Empfangsbereich leer.

„Hallo?“, rief Olaf vorsichtig, um den Hund nicht zu erschrecken.

Hinter ihm ertönte wieder das Glöckchen und eine junge Frau stand in der Tür.

„Hallo“, antwortete sie außer Atem. Ihre Wangen waren gerötet und aus ihren Gummistiefeln und der dreckigen Hose schloss Olaf, dass sie gerade aus den Zwingern hergelaufen sein musste. Der Hund wedelte mit seiner Rute freudig vor sich hin.

„Ähm, ich hab einen Hund gefunden“, sagte Olaf und hielt ihr mit ausgestreckten Armen sein Fundstück entgegen.

Die junge Frau lächelte ihn verlegen an, ging dann aber mit gesenktem Blick an ihm vorbei, hinter den Schreibtisch. „Gefunden, klar. Wo war er denn?“, fragte sie, während sie in den verstreuten Papieren nach etwas zu suchen schien. Ihr rutschte eine Strähne ihres blonden Haars aus dem Zopf und Olaf konnte seinen Blick kaum abwenden.

„Im Park“, gab er bereitwillig Auskunft. Den Hund drückte er wieder an sich. Er kam sich so groß vor in diesem kleinen Raum und er begann zu schwitzen.

Die Frau gab abrupt die Suche auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. Sie schaute ihn einen Moment mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dann ruhte ihr Blick auf dem Tier. „Ich glaub, er mag dich. Kennt ihr euch schon länger?“

Olaf schaute herunter und streichelte den felligen Nacken. „N-nein! Ich habe ihn doch gerade erst …“, begann er, als ihm plötzlich klar wurde, worauf sie anspielte. „Moment – das ist doch nicht meiner, den ich hier loswerden will! Wer macht denn so was?!“

„Mehr Menschen als du denkst“, seufzte sie. Ihre grünen Augen blitzen auf und Olaf spürte ein unerklärliches Ziehen in seiner Brust. „Willst du ihn nicht mitnehmen?“ In ihrer Stimme schwang ein leichtes Flehen mit.

Olaf wusste, dass Tierheime notorisch überbelegt und unterfinanziert waren. Aber verstieß das nicht gegen irgendwelche Regeln?

Sein Herz schlug auf einmal rasend schnell, als er sich räusperte und sagte: „Ich, ähm, hab noch nie auf einen Hund aufgepasst. Ich will nichts falsch machen.“

„Es ist ganz einfach: Du fütterst ihn, streichelst ihn, gehst mit ihm Gassi. Zumindest bis Anfang nächster Woche? Vielleicht melden sich die Besitzer bis dahin bei uns.“

Drei Nächte Hundesitter. Das klang gar nicht so übel, dachte Olaf. Und wie könnte er ihr einen Wunsch abschlagen?

„Na gut“, antwortete er betont gelassen, obwohl sein Herz Adrenalin durch seine Adern pumpte. Er grub seine Hand in das Fell. „Aber kommt jemand zwischendurch vorbei, um nach uns zu schauen?“ Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Verdammt.

Schüchtern strich sich die Frau die einzelne Strähne hinter das Ohr. Auch ihre Wangen waren gerötet, als sie sagte: „Klar, ich komme morgen Mittag, wenn du magst. Ich bin übrigens Anita.“

Er hatte seine Adresse und Handynummer aufgeschrieben und war mit Beau nach Hause gegangen. Sie hatte ihm den Namen gegeben, denn sie vergaben an jedes Tier einen vorläufigen Namen. Das machte es für die Mitarbeiter einfacher, sie auseinanderzuhalten.

Beau. Der Name passte zu dem Hund. Im Gegensatz zu seinem temporären Herrchen, fügte Olaf in Gedanken hinzu.

Er roch an seinem Shirt und beschloss, es in die Wäsche zu tun. Dann musste er ein Hundekorb-Provisorium finden und die Wohnung aufräumen.

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Der gute Olaf ist nicht nur dem Karma, sondern auch mir ans Herz gewachsen … Er wird im Laufe der Geschichte noch einiges durchmachen müssen, hihi.

Aber das nächste Kapitel ist erst mal wieder aus Karmas Perspektive: Sechs – Ich und Sue

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Karma und SueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt