Drei - Die dümmsten Verbrecher der Welt

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(CherriMorrison gewidmet, die auch eine Superhelden-Story schreibt. Ich bin gespannt, wie es bei "Definiere Superhelden" weitergeht …)

Drei – Die dümmsten Verbrecher der Welt

Der Range Rover fährt gerade vor, jetzt geht es endlich los. Meine Anwesenheit ist eigentlich nicht von Beginn an erforderlich – normalerweise husche ich nur mal schnell vorbei und tue, was getan werden muss. Alles Weitere bekomme ich dann von anderen Schauplätzen aus mit. Ihr nennt das Multitasking. Aber ihr sollt die ganze Szene mitbekommen, weil es so viel lustiger ist. Ich weiß, dass ihr sowieso zu den Guten gehört, größtenteils zumindest, aber hier seht ihr mal wieder zur Abschreckung, dass sich schlechte Taten nicht lohnen. (Der eine Leser unter euch … du, ja, genau du, du weißt, dass ich dich meine, oder?)

Um euch kurz auf den Stand zu bringen: Die drei Männer im Auto wollen heute Nacht ihr großes Ding drehen. Der Kleine, der nervös mit der Taschenlampe hantiert, ist erst sechzehn und wollte eigentlich nicht mit. Aber seine Kumpels haben ihn überzeugt. Wie das bei euch Menschen so ist, wenn man sich die falschen Freunde sucht. Eigentlich seid ihr herzensgut, und zack, zieht euch jemand in eine Angelegenheit mit hinein, weil ihr euch nicht traut, nein zu sagen.

Falls ihr euch fragt, was die drei da gerade in dem Geländewagen mit den getönten Scheiben machen: Sie maskieren sich noch schnell, werfen sich dunkle Kleidung über und ziehen Handschuhe an. Das wollten sie noch nicht beim Losfahren machen, falls sie in eine Straßenkontrolle geraten wären. Da hätten die Polizisten ja gleich gewusst, was sie vorhaben. Ganz schön ausgefuchst, was?

Ihr wollt Namen? Na gut. Der Junge heißt Kevin. Kevins vorbestrafter Kumpel ist Artur und der hat seinen netten Nachbarn eingespannt, Sergei. Das ist der Kopf der Bande. Denn er hat einen „total ausgeklügelten“ Plan entworfen, dessen Zeuge ihr gleich werdet.

Sie haben das Auto bereits perfekt vor dem Fenster zur Bank platziert. Kevin muss nur noch auf die Fahrerseite wechseln und mit voller Kraft zurücksetzen. Die beiden kräftigen Männer wollen mit ihren Brechstangen herausspringen und der Junge soll den Kofferraum öffnen. Dann brauchen sie nur noch mit Brachialgewalt den Geldautomaten in ihr Gefährt wuchten und sich von dannen machen. So der überaus geniale Plan. (Verzeiht meinen Sarkasmus.)

Da, sie tauschen gerade die Plätze. Kevin klettert nach vorne auf den Fahrersitz, die anderen steigen aus. Artur setzt sich nach hinten, während Sergei noch die Nummernschilder mit wasserlöslicher Sprühfarbe schwärzt.

Ich könnte dafür sorgen, dass Kevin die Wand gleich in so einem ungünstigen Winkel trifft, dass sie gar nicht erst durchbrochen wird. Aber tote Einbrecher lernen nichts.

Mein Ansatz ist ein anderer (und witzigerer, wie ich finde): Ich lasse sie bis zu ihrem Domizil in dem Glauben, dass sie einen perfekten Coup gelandet haben – damit dann die Enttäuschung umso größer ist, wenn sie feststellen, dass sie den Kontoauszugsdrucker erwischt haben. He he, nein. Das ist doch ein alter Hut! In Wirklichkeit werde ich dafür sorgen, dass sie den einen Geldautomaten erwischen, der gerade heute durch ein neueres Modell ausgetauscht und noch gar nicht befüllt wurde. Der Geldtransporter ist nämlich just in diesem Moment unterwegs, um in den frühen Morgenstunden den Automaten betriebsbereit zu machen. Sie werden heute Nacht noch Zeit und Anstrengung darauf verwenden, überhaupt an die leeren Schächte zu gelangen. Was meint ihr – ist das Gesicht, was sie machen werden, wenn sie ihren Fehler bemerken, sehenswert? Ich kann mir das immer wieder ansehen. Der Schock, das Entsetzen, die Blamage. Wie ich Kevin kenne – und wie gesagt, ich kenne euch Menschen sehr gut – wird er die Aktion für die dümmste seines Lebens halten und wieder auf die richtige Bahn kommen. Artur und Sergei werde ich später noch einmal eine passende Quittung zukommen lassen.

Ihr denkt jetzt vielleicht: Klar, Sergei – das ist so ein Stereotyp, der mit russischem Namen der Böse in einer Geschichte sein muss. Weit gefehlt. Sergei ist so deutsch, wie ein Mensch dem Stammbaum nach nur sein kann. Aber sein Vater ist großer Fan des Regisseurs Sergei Bondartschuk. Den kennt ihr in eurem Alter und Kulturkreis vielleicht nicht, aber er hat mal einen Oscar gewonnen.

Die Rückleuchten gehen an. Der Rückwärtsgang ist eingelegt. Jetzt geht alles ganz schnell. Der Motor heult auf und als Nächstes kracht der Wagen durch die Wand. Es ist staubiger, als die Männer vermutet hatten. Als sie die Türen aufreißen und herausspringen, wedeln Artur und Sergei kurz durch die Luft, um sehen zu können. Sergei orientiert sich als Erster und dirigiert die Taschenlampe durch die Staubschwaden. Da, er leuchtet genau auf den richtigen Automaten und ich halte seinen Gedanken fest, bevor er sich weiter umschaut. Das ist er. Ich spüre, wie das Adrenalin durch seine Adern pumpt. Und ich geb’s zu – ich bin auch ganz aufgeregt.

Sergei montiert kurzerhand eine Klappe ab und setzt die Brechstange am Metallgehäuse an, Artur kommt hinzu. Jetzt volle Kraft. Strengt euch an, Jungs!

ROMMS! Die drei zucken bei dem lauten Krachen zusammen. Was war das?

Kevins Angst überflutet mich und ich spüre noch jemanden … da ist noch ein Mensch, der aus dem Nichts aufgetaucht ist und die Scheibe der Beifahrerseite eingeschlagen hat. Eine junge Frau, um genauer zu sein. Mit einer geschmeidigen Bewegung ist sie bereits, die Füße voran, durch das Fenster auf den Beifahrersitz geschlüpft und fesselt Kevin mit Handschellen an das Lenkrad. Seine Gegenwehr ist vor Schreck gleich null; er schaut sie nur mit großen Augen an.

Während Sergei noch ein „Wassislos?“ brüllt, läuft Artur mit seinem Werkzeug zum Auto, um nach der Ursache des Lärms zu sehen. Kaum an der Fahrertür, trifft ihn ein Fuß am Kopf und er stolpert zurück. Flink gleitet die Frau durch das offene Fenster. Artur ist völlig perplex – genau wie ich, ehrlich gesagt. Das habe ich nicht kommen sehen.

Diese Frau trägt ein schwarzes, enges … na ja, wie soll ich sagen … Superhelden-Kostüm. Die blonden Haare trägt sie kinnlang mit einem Seitenscheitel und ihr Gesicht wird durch eine lilafarbene Maske verdeckt. Auch wenn ich sonst alle möglichen Gedanken aus den Köpfen der Menschen ziehen kann – über sie weiß ich nur eins. Ihr Name ist Sue.

Sie springt förmlich auf Artur zu, macht eine Drehung und bringt ihn zu Boden. Seinen Arm schiebt sie in eine so ungünstige Position, dass er sofort die Brechstange fallen lässt. Sie holt ein weiteres Paar Handschellen aus ihrem Anzug und legt sie ihm unsanft an, aber hat dabei bereits ihr nächstes Opfer im Blick.

Sergei läuft mit erhobener Eisenstange auf den Störenfried zu. Was soll ich tun? Ihr helfen? Ihn aufhalten? Ich weiß nichts über sie und spüre weder Gut noch Böse in ihr. Verrückt!

Die Stange saust herab, aber Sue ist schneller. Sie weicht aus und rammt Sergei das Knie in den Magen. Dann stößt sie mit dem Handballen von unten gegen seine Nase und der Koloss fällt um wie ein Sack Kartoffeln.

„Schlechte Nacht für euch, Jungs.“ Ihre Stimme klingt selbstbewusst und ruhig. Ich frage mich, was als Nächstes passiert. Fliegt sie davon? Lässt sie die Männer mit einem Eisstrahl aus ihren Augen verschwinden? All die Sachen, die ihr euch in Filmen ausdenkt, scheinen mir gar nicht abwegig, wenn ich nicht mal ein kleines bisschen in ihren Kopf sehen kann.

Doch nichts dergleichen passiert.

Zwei Streifenwagen fahren mit Sirene vor. Sue nimmt ihre Maske ab und verhält sich plötzlich wie ein normaler Mensch. Ein Mensch, der gerade drei Panzerknacker überwältigt hat. Sie macht ihre Aussage, hinterlässt ihre Kontaktdaten und am nächsten Tag steht ein Dreizeiler in der Regionalzeitung, mit der Überschrift: „Frau vereitelte Bankraub“.

Alle drei festgenommenen Personen werden angeklagt und verurteilt. Kein Nachsehen für den sechzehnjährigen Kevin.

Kein Wort davon, dass die Einbrecher einen leeren Automaten bearbeitet hatten. Kein Wort von mir. Natürlich nicht.

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Im vierten Kapitel findet das Karma mehr über Sue heraus: Wer ist Sue?

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Karma und SueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt