Moonchild {VKOOK}

By solnoctem

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[ABGESCHLOSSEN] Die Menschen seien in der Regel Meister darin, zwei grundlegende Dinge zu unterschätzen: Wie... More

Vorwort
Intro
Prolog
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Epilog
Nachwort

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By solnoctem

Jungkook

Es war ein warmer Nachmittag und die Vögel begannen bereits ihr Abendlied zu singen. Der Frühsommer war ins Land gezogen und ließ die stämmigen Bäume in einem umso saftigeren Grün leuchten. Nicht alle Wälder in Omelas waren so dicht bewachsen wie dieser hier und trotzdem schaffte die Sonne es, sich ihren Weg mit den wenigen Strahlen durch die Baumkronen zu erkämpfen. Ich liebte diesen Ort. Er war friedlich und hatte wenig gemeinsam mit der Stadt, in der ich lebte. All der Leistungsdruck hatte hier kaum Bedeutung. Der Wald gab mir jedes Mal das Gefühl, als existiere hier eine andere Zeit, ein anderes Sein. Als befände ich mich in einer ganz anderen Welt.

„Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir tatsächlich durch sind mit dem Semester", hörte ich plötzlich die Stimme meines besten Freundes Jisung, welcher gemütlich neben mir über den Waldweg spazierte und mich so aus meinen Gedanken riss.
„Mhm", war alles, was ich summend von mir gab. Ich hatte beinahe vergessen, dass er bei mir war und warum wir überhaupt hier waren. Wir hatten heute unsere Prüfungsergebnisse bekommen und waren nun auf dem Weg zu einer kleinen Lichtung, bei der wir uns mit anderen Jahrgangsmitgliedern treffen wollten, um zu feiern.

„Man Jungkook, warum bist du denn schon wieder so abwesend?", hörte ich Jisung nun wieder leicht genervt neben mir. „Freu dich doch mal! Immerhin warst du bei den Ergebnissen einer der Besten!"
Seufzend sah ich auf und setzte mir ein Lächeln auf die Lippen: „Ich freu' mich doch."
Augenblicklich wanderte die Augenbraue meines Freundes ungläubig nach oben.
„Also wenn das Freude sein soll, dann sollte ich mich am besten direkt vergraben gehen. Immerhin hab' ich längst nicht so eine gute Note wie du erreicht."

Ein amüsiertes Schnauben verließ mich, während ich dem Schwarzhaarigen leicht gegen die Schulter boxte.
„Niemand geht sich hier vergraben, hörst du", schimpfte ich gespielt, „sei stolz auf dich. Du hast das Semester geschafft und somit ebenfalls fast deinen Abschluss."
Bei meinen Worten warf der Jüngere seinen Kopf in den Nacken und sah gen Himmel. Eine leichte Windbrise kam uns entgegen und ich konnte beobachten, wie mein Freund die Augen schloss und erleichtert ausatmete.
„Ein Jahr...", murmelte er schließlich leise und öffnete wieder die Augen, „ein Jahr und dann haben wir endlich unseren Abschluss, Jungkook."
Seine Iriden funkelten vor Freude und ich bemühte mich wirklich, diese auch nur ansatzweise nachzuempfinden.

In einem Jahr hätte ich meine Schulausbildung beendet. Das war etwas Gutes. Etwas wirklich Gutes. Jeder strebte danach, die Schule zu beenden und endlich in die Wirtschaft einsteigen zu können. Mit der Berufskarriere fing unser Leben doch erst richtig an und wenn man dort die besten Chancen haben wollte, dann strengte man sich lieber an und das tat ich. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich immer mein Bestes gegeben, das hatten wir alle. Und genauso freuten sich alle in meinem Jahrgang nun bald soweit zu sein und ich sollte mich auch freuen. Doch so sehr ich auch versuchte mir diese Freude einzutrichtern, ließ mich der Gedanke nicht los, dass das noch nicht alles sein konnte.

Sollten wir denn wirklich all die Jahre nur so viel lernen, lernen, lernen, um schließlich zu arbeiten, zu arbeiten und noch mehr zu arbeiten? Und das bis wir starben? Wollten wir denn wirklich alle einfach immer nur rennen? Rennen, auf der Jagd nach der nächsten Innovation, der nächsten fortschrittlichen Idee? Fortschritt war gut. Natürlich war er das. Er hielt unsere Welt am Leben. Er hielt uns alle am Leben. Doch trotzdem ließ mich der Gedanke nicht los, dass es mehr im Leben geben musste, als nur das Streben nach Fortschritt... aber warum war ich dann der Einzige, der das dachte?

Seufzend sah ich auf mein Smartskin, welches mir Uhrzeit, Temperatur und Datum anzeigte. Im Grunde funktionierte es genau wie ein Smartphone, nur dass sich dieses wie ein Chip unter der Haut befand und so direkt auf der Innenseite des Unterarms zu bedienen war. Über das Smartskin konnten wir Nachrichten empfangen, Anrufe tätigen und unsere Vitalwerte checken. Jeder in unserer Gesellschaft besaß eines. Das Smartskin war wie ein Personalausweis, welcher einem die Erlaubnis gab, in der Stadt zu existieren. Über dieses wusste die Regierung stets Bescheid, wo man sich aufhielt und in welchem Beschäftigungsverhältnis man sich zur Zeit befand. „Arbeitslos" gab es in der heutigen Gesellschaft nicht. Jeden Tag flogen Hovercrafts über unsere Köpfe hinweg und studierten die Daten, auf welche sie von unseren Smartskins direkt zugreifen konnten. Es war demnach nahezu unmöglich, sich dem System zu widersetzen. Aber wer wollte das denn auch, wenn dieses so perfekt schien... stimmt's?

Ein plötzliches Funkeln in meinem Augenwinkel, ließ mich zusammenzucken und herumfahren. Nur wenige Meter von mir entfernt, flatterte etwas Schimmerndes durch die Luft. Blinzelnd blieb ich stehen und versuchte angestrengt, dieses Etwas zu fokussieren. Was verdammt nochmal war das? Es sah aus wie ein Schmetterling, aber ich hatte noch nie einen Schmetterling gesehen, der derartig funkelte. Generell hatte ich noch nie etwas in der Natur gesehen, das ohne technische Hilfe so leuchten konnte... nicht einmal die Sonne konnte da mit ihren wenigen, schwachen Strahlen mithalten.

„JUNGKOOK!"
Die laute Stimme Jisungs ließ mich zusammenzucken und wieder zu ihm herumfahren. Verständnislose Augen musterten mich, während er seine Hände in die Hosentasche seiner Schuluniform gesteckt hatte und ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte.
„Wieso bleibst du stehen? Hast du mir überhaupt zugehört?"
„Sorry...", murmelte ich verwirrt, „aber ich hab' was gesehen."
„Und was?", seufzte er leicht gereizt.
Schnell drehte ich mich wieder in die Richtung, in der ich eben noch das funkelnde Etwas entdeckt hatte.
„Da siehst du?"
Mit dem Zeigefinger zeigte ich ins Leere und musste mit Verwunderung feststellen, dass da wo es eben noch gefunkelt hatte, nun nicht mehr als schattige Sträucher vorzufinden waren.

„Das sind Büsche", bemerkte der Jüngere trocken und sah mich wieder mit diesem verständnislosen Blick an, den er so gut beherrschte, „Jungkook hast du noch nie Büsche gesehen?!"
Suchend hin und her schauend kratzte ich mich am Kopf und ignorierte seine Frage. Wo war dieses Tier nur hin? Hatte ich es mir vielleicht doch eingebildet?

„Kommst du jetzt? Die anderen warten bestimmt schon!"
Mit einem letzten suchenden Blick in die Richtung der Büsche, schlenderte ich schließlich zu meinem Freund herüber und wurde gleich darauf von diesem in den Schwitzkasten genommen.
„Manchmal frage ich mich echt, ob du bei deiner Geburt auf den Kopf gefallen bist, Kookie", lachte er und wuschelte mir durchs Haar, was ich nicht lange auf mir sitzen ließ. Mit ein paar schnellen Bewegungen befreite ich mich aus seinem Griff und schubste ihn in das weiche Gras am Wegesrand.

„Du vergisst immer wieder, dass ich stärker bin als du, Jisung... und älter", grinste ich siegessicher und reichte ihm schließlich meine Hand, um ihm wieder aufzuhelfen. Der verdatterte Blick des Jüngeren verwandelte sich schnell in ein aufgebrachtes, dennoch amüsiertes Schnauben.
„Nur drei Monate, klar?!"
Trotzig klopfte er sich den Dreck von seiner elegant geschnittenen Uniformhose und sah dann wieder zu mir auf bevor er sich schließlich daran machte, weiterzulaufen und ich ihm folgte.

„Man Jungkook, versprich mir einfach, dass du dich konzentrierst und dich nicht ablenken lässt...", fing Jisung nach einer Weile wieder an, doch seine Stimme hatte inzwischen einen leicht niedergeschlagenen Ton angenommen, „du freust dich doch auch darauf, endlich in die Firma zu gehen. Wir beide werden den Laden übernehmen, das war doch schon immer unser Plan."
Betrübt sah ich zu Boden und beobachtete, wie sich meine Füße in einem stetigen Wechsel voreinander setzten und dafür sorgten, dass ich weiterlief.

Die Firma. Energy-Lodge. Das größte Unternehmen unserer heutigen Gesellschaft. In der Schule lernten wir nicht nur einmal, wie es zu Energy-Lodge kam. In der Vergangenheit gab es viele Naturkatastrophen und Kriege. Eine Welt mit sieben Kontinenten und mehreren Milliarden Menschen gab es nicht mehr. Alles was noch existierte, war unsere Stadt, unser Land - Omelas. Und alles was Omelas am Leben hielt, war Energy-Lodge. Jisungs und mein Vater hatten damals durch viele wissenschaftliche Experimente eine Möglichkeit gefunden, die Stadt mit Energie zu versorgen, nachdem auch die letzte Elektrizität, wie man sie früher kannte, für die Menschen nicht mehr zugänglich gewesen war. Acritudo - das war die Energie, wie wir sie heute kannten. Acritudo floss durch Omelas und sorgte für Freude, für Fruchtbarkeit und für Fortschritt.

Es war eine Ehre bei Energy-Lodge arbeiten zu dürfen und ohnehin die beste Karriereaussicht, die Omelas zu bieten hatte. Jisung und ich wurden, seit wir klein waren, nur darauf vorbereitet, eines Tages unseren Platz bei Energy-Lodge einzunehmen und in einem Jahr wäre dies soweit. Ich hatte es also fast geschafft... das worauf alle hinarbeiteten. Ich würde in dem wichtigsten Unternehmen unserer Zeit arbeiten und dafür sollte ich dankbar sein. Das war jedenfalls das, was mein Vater mir jedes Mal wieder eintrichterte, wenn ich ihm von dieser Stimme in mir erzählte, die mir das Gefühl gab, dass da mehr sein musste als nur die Jagd nach Innovation.

Die Menschen mussten hart kämpfen, um am Leben zu bleiben. Sei froh, dass du in einer so gesegneten Zeit unter so wohlhabenden Umständen leben darfst. Denk erstmal darüber nach, was du alles besitzt, bevor du unsere Welt kritisierst, Jungkook" ‚ hatte er mir immer wieder gesagt. Also hatte ich aufgehört, mit ihm darüber zu sprechen und angefangen mich anzupassen.

„Der Plan steht doch noch, oder?", hörte ich plötzlich wieder die unsichere Stimme Jisungs neben mir, der mich nun eindringlich musterte. Unentschlossen kaute ich auf meiner Unterlippe herum und versuchte mich auf den Weg vor mir zu konzentrieren, um seinem Blick auszuweichen.
„Du hast doch noch vor, in die Firma zu gehen, oder?", hakte er nun nach und ich konnte die Beunruhigung in seiner Stimme deutlich heraushören.
„Natürlich Jisung, mach dir keine Sorgen", seufzte ich schließlich und legte dem Jüngeren beruhigend meinen Arm um die Schultern. Natürlich würde ich mit ihm in der Firma arbeiten... was blieb mir denn auch anderes übrig?

„Okay gut!", stöhnte der Schwarzhaarige erleichtert auf und grinste leicht. „Ich dachte schon, du lässt mich hängen. Das hätte ich dir nie verziehen, klar?! Und mein Vater bestimmt auch nicht."
Bei der Vorstellung an Jisungs Vater lief mir kurz ein Schauer über den Rücken, welchen ich mir vor seinem Sohn jedoch nicht anmerken ließ. Mr. Park war kein böser Mensch oder ähnliches. Ganz im Gegenteil. Er war der Schöpfer unserer Energie Acritudo und gleichzeitig der Chef von Energy-Lodge. Doch er war auch eine sehr autoritäre und Respekt einflößende Person, die große Erwartungen an mich und vor allem seinen Sohn stellte. Am liebsten würde ich jedes Mal etwas einwenden, wenn er wieder damit anfing, dass Jisung sich mal eine Scheibe von mir abschneiden sollte, weil ich stets bessere Noten als er nach Hause brachte und dabei waren seine nichtmal schlecht. Doch niemand würde sich auch nur im Traum erlauben, etwas gegen Mr. Park zu sagen.

„Was hat dein Vater zu deinen Prüfungsergebnissen gesagt?", fragte ich vorsichtig, woraufhin ich von Jisung ein Schulterzucken bekam.
„Er weiß es noch nicht."
Mit besorgter Miene sah ich meinen Freund an, doch dieser schnalzte nur auffordernd mit der Zunge.
„Jungkook, hör auf so viel zu grübeln. Mit meinem Vater spreche ich später und jetzt lass uns bitte einfach feiern, dass wir bestanden haben, okay?"
„Bist du sicher?", hakte ich mit prüfendem Blick nach, was Jisung mit einem Boxen gegen meine Schulter belohnte.

„Ja bin ich!", versicherte er mir und fuhr sich durch sein rabenschwarzes Haar. „Dank deiner ganzen Fragerei und Verträumtheit brauchen wir gerade einfach viel zu lange. Die Sonne geht bald unter und wir sind nichtmal ansatzweise in der Nähe der Lichtung. Die anderen warten bestimmt schon völlig genervt."
„Sorry", war alles, was ich zu seinem Vortrag sagte, doch das störte meinen Freund auch gar nicht. In sein Gesicht trat bereits ein verschmitzter Ausdruck, während sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen öffneten.

„Wettrennen?", fragte er herausfordernd und lehnte seinen Oberkörper bereits vor, als wolle er auf der Stelle lossprinten.
„Du weißt, dass ich schneller bin als du?", nahm ich seine Herausforderung schließlich amüsiert an und im nächsten Moment erkannte ich schon, wie Jisung loshechtete.
„Das werden wir ja sehen!", brüllte er mir über die Schulter zu und entfernte sich immer weiter, woraufhin ich ebenfalls anfing loszurennen. Die Schuluniform war zwar nicht die bequemste Kleidung für derartige Aktivitäten, aber das hatte Jisung und mich noch nie von so etwas abgehalten. Keuchend versuchte ich ihn einzuholen, während mich sein dumpfes Lachen aus der Entfernung erreichte. Ich kam ihm immer näher und näher, als ich plötzlich wieder dieses Funkeln aus dem Augenwinkel erkennen konnte.

Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte in die Richtung, aus der ich dieses Etwas wahrgenommen hatte. Das plötzliche Abbrechen meines Sprints, ließ mir die Hitze in den Kopf steigen und mein Herz wie wild gegen meine Brust donnern. Doch das war mir egal. Die Tatsache, dass ich mir dieses Wesen vorhin nicht nur eingebildet hatte, sondern es in genau diesem Moment wieder vor meiner Nase herumtanzte, ließ mich all das vergessen. Mit vorsichtigen Schritten näherte ich mich dem Geflatter, doch als ich gerade nah genug war, um etwas erkennen zu können, flog es plötzlich in den Wald, weg vom Weg.

Neugierig folgte ich dem Funkeln und zwängte mich zwischen Sträuchern und Ästen weiter in die Tiefe des Gewirrs aus Bäumen. Immer wenn ich gerade näher an das Tier herangekommen war, flatterte es weiter, als würde es mich genau sehen und eine Art Fangspiel mit mir spielen wollen. Fasziniert folgte ich dem kleinen Leuchten, welches zwischen all den schattigen Bäumen nicht zu übersehen war, als es sich plötzlich auf einem gefallenen Baumstamm niederließ und dort verweilte.

Vorsichtig schlich ich mich an diesen heran und hoffte inständig, dass es nicht wieder wegfliegen würde und zu meiner Erleichterung tat es das auch nicht. Vor mir erkannte ich tatsächlich die Flügel eines Schmetterlings. Er hatte eine bläuliche Farbe, welche von weißen Schnörkeln verziert wurde.
Doch anders als bei anderen Schmetterlingen, leuchteten diese Schnörkel und hüllten seinen gesamten Körper in ein gräuliches Licht. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Wie konnte es sein, dass noch niemand diese Spezies entdeckt hatte? In der Schule hatten wir alle Wesen unserer Erde kennengelernt, obwohl es durch das große Artensterben der letzten Jahrhunderte kaum noch andere Spezies gab als den Menschen. Gehörte dieser Schmetterling vielleicht zu einer Spezies, von der wir geglaubt hatten, dass sie bereits ausgestorben war?

Mit leuchtenden Augen bewunderte ich diese Schönheit vor mir. Genau das war es, weswegen ich nicht nur Rennen wollte im Leben. Rennen und niemals stehen bleiben - das war es, was meine Gesellschaft tat. Doch nur wenn man stehenblieb und sich umsah, konnte man erst solch wertvolle Momente wie ich gerade erleben. Solche Schönheit ließ sich nicht beim Rennen betrachten.

Vorsichtig streckte ich meinen Finger nach den leuchtenden Flügeln aus, doch ehe ich diese berühren konnte, flatterte das kleine Wesen hektisch davon. Seufzend stand ich auf, um dem Schmetterling zu folgen. So scheu wie dieser war, sah er bestimmt äußerst selten Menschen. Ich wollte gerade um einen Busch herumgehen, als ich plötzlich eine tiefe Stimme hören konnte. Überrascht hielt ich inne und lauschte. Irgendwer stand dort im Wald und unterhielt sich mit Jemandem. Aber wer würde so tief in den Wald laufen? Normalerweise verließ niemand den Weg, geschweige denn betrat überhaupt die Wälder um die Stadt herum. Vorsichtig hockte ich mich auf den Boden und kroch ein wenig vor, um etwas erkennen zu können.

Zwischen ein paar Baumstämmen hockte eine männliche Person am Boden und murmelte etwas, doch ich konnte nicht erkennen wo die andere Person war, mit der er sprach. Wer in Omelas' Namen war das und noch viel wichtiger... wo kam er her? Ich hatte in ganz Omelas noch nie jemanden gesehen, der solch eine Kleidung trug. Die Menschen liefen mit Uniformen durchs Leben, um mit Stolz zeigen zu können, dass sie angestellt waren und fleißig arbeiteten, aber diese Uniform hatte ich noch nie gesehen.

Sein helles Hemd hing locker herunter und steckte an manchen Stellen lässig in seinem Hosenbund der genauso hellen, seidenartigen Hose. Seine blonden, nein fast weißen Haare hingen ihm wellig ins Gesicht und versteckten seine blasse Haut. Niemand in Omelas hatte eine solch helle Haut und dazu diese Haarfarbe. Auch wenn unsere Sonne nicht die heißeste war, bräunte sie unsere Haut, während unser dunkles Haar vor ihren Strahlen schützte. Dieser Kerl sah nicht aus wie einer von uns... was machte er also hier in Omelas? Und woher kam er, wenn wir doch die einzigen Menschen waren, die auf dieser Erde noch existierten?

Plötzlich stand der Junge auf und hielt etwas in die Luft. Erst verstand ich nicht, was er vorhatte, doch dann erkannte ich wieder das Funkeln. Der Schmetterling hatte sich tatsächlich auf seine Hand gesetzt und das nachdem er so scheu vor mir geflohen war.

„Bist du mir hierher gefolgt?", verstand ich plötzlich die Worte des Fremden, der mit seiner tiefen, aber weichen Stimme die Stille des Waldes durchbrach. Für einen kurzen Moment hörte mein Herz auf zu schlagen. Meinte er mich? Hatte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete? Die Anspannung in meinen Schultern ließ jedoch nach als ich verstand, dass er mit dem Schmetterling sprach. Ein ungläubiger Ausdruck wanderte auf mein Gesicht. Ich hatte noch nie jemanden mit Tieren sprechen sehen. Wie absurd war das denn? Wusste er nicht, dass sich Tiere und Menschen nicht verstehen konnten?

Eine plötzliche Anspannung in dem Körper des Hellhäutigen, riss mich aus meinen Gedanken, während ich beobachtete, wie sich der Junge suchend und geduckt umsah. Was war los? Hatte er nun doch bemerkt, dass ich ihn beobachtete? Plötzlich richtete sich sein Blick direkt in meine Richtung und bestätigte meine Vermutung. Seine eisblauen Augen funkelten mich geradewegs an, obwohl er mich hinter dem Busch gar nicht sehen konnte und ließen mich die Luft anhalten als ich plötzlich eine kalte Hand auf meiner Schulter spürte und erschrak.

„Was machst du denn hier?", hörte ich die mir bekannte Stimme meines Freundes hinter mir und fuhr herum. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er auf mich herunter und verlangte eine Antwort. Blitzschnell drehte ich mich zurück, doch diese seltsame hellhaarige Gestalt war verschwunden und mit ihr auch das Funkeln des Schmetterlings.
„Jungkook!", rief Jisung ungeduldig, woraufhin ich mich schließlich aufraffte und die Äste von den Ärmeln meiner dunkelblauen Uniform abklopfte.
„Nichts", murmelte ich bloß als schwache Antwort. Was sollte ich ihm auch erzählen? Dass ich einen weißhaarigen, mysteriösen Jungen gesehen hatte, der mit einem leuchtenden Schmetterling gesprochen hatte? Wohl kaum.

„Nichts also?", wiederholte der Schwarzhaarige meine Antwort sarkastisch. „Und wegen ‚Nichts' läufst du einfach in den Wald und lässt mich eine Ewigkeit alleine weitersprinten, bis ich bemerken musste, dass mein ach so toller bester Freund schon längst nicht mehr hinter mir ist?!"
Entschuldigend sah ich ihn an.
„Tut mir leid Jisung... aber immerhin hast du gewonnen, oder nicht?", versuchte ich ihn aufzumuntern, doch der Jüngere klatschte nur unbeeindruckt in die Hände.
„Ganz toll. So macht Gewinnen doch Spaß."

„Jetzt hör schon auf zu schmollen und lass uns zu den anderen gehen", verkündete ich entschlossen, wuschelte ihm noch einmal grinsend durchs Haar und lief dann zurück zum Waldweg, während ich hörte, wie er mir meckernd folgte. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch diese überraschende Begegnung mit diesem Hellhaarigen ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Wer in Omelas' Namen war bloß dieser Junge im Wald gewesen?

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