Milan - Dichte Dichter 1

By ReginaMars_upilami

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Mit allem hat Milan gerechnet, nur nicht damit, Jules wiederzusehen. Seinen Ex-Stiefbruder, der dem Thrillera... More

Dichte Dichter
Jules
Brüder?
Auf der Jagd
Wiedersehen
Weiter
Damals
Anruf
Signierstunde
Verbrannt
Überraschend
Verarbeitung, Teil 1: Denken
Verarbeitung, Teil 2: Saufen
Glücklich
Epilog

Ein Gespräch

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By ReginaMars_upilami

Es war eiskalt und windig. Frostige Luft schnitt in Milans Gesicht und selbst seine dicke Lederjacke konnte die Kälte nicht abhalten. Gut. Er wollte leiden. Und die Minus-Temperaturen halfen seiner Konzentration. Er brauchte jedes bisschen davon, wenn er Jules gleich unter die Augen treten wollte.

Seine schockgefrosteten Finger vertippten sich zweimal, während er die Nummer wählte. Er beobachtete, wie die letzten Sonnenstrahlen vom Kopfsteinpflaster verschwanden und den Schatten Platz machten. Noch erstrahlte die rote Ziegelmauer vor ihm in hellem Licht, aber in einer Viertelstunde würde auch sie sich verdunkeln.

»Jules Wosniak.« Allein die Stimme sandte heiße Schauer durch Milans Körper.

»Ich bin's, Jules.« Er zögerte. »Milan.«

»Oh. Oh!« Ein Scheppern, dann war Jules zurück. »Sorry, hab mein Handy fallen gelassen, ich meine ... Hi.«

»Hi.« Milan lächelte, trotz allem. Es tat gut, Jules' Stimme zu hören. »Wie lange arbeitest du noch? Hast du danach Zeit?«

»Danach ... Ja.« Er hörte das Lächeln. »Ja, habe ich. In einer halben Stunde bin ich hier fertig, schätze ich.«

»Dann warte ich hier.«

»Hier?«

»Im Hof.« Milan sah an der lichtgebadeten Ziegelmauer empor. Das grüne Logo darauf war gigantisch. »Vor deiner Firma. Schicker Laden.«

Fünf Minuten später schwang die Tür auf und Jules schoss heraus. Seine schlanken Beine steckten in dunklen Jeans und seine Haare waren ein wildes Nest. Er sah unwiderlehlich aus. Als er Milan erblickte, grinste er.

»Hey.« Seine Bartstoppeln glänzten und Milan musste einen Kloß herunterschlucken. »Ich dachte nicht, dass du ... Schön, dich zu sehen.«

»Dich auch.« Milan löste sich von der Wand, an der er gelehnt hatte. Die kleine Rauchergruppe, die in einer windstillen Ecke des Hofs stand, sah sie neugierig an. Jules winkte ihnen zu.

»Gehen wir«, sagte er.

Milan schlug den Kragen seiner Jacke hoch. »Wohin?«

»Wohin du willst. Du wolltest mir etwas erzählen, oder?«

»Ja. Will ich. Vielleicht trinken wir erst mal einen Kaffee?« Und schauen, ob du mir gleich sagst, dass ich ein Arschloch bin und du mich nie wieder sehen willst.

»Kaffee klingt gut. Um die Ecke ist ein kleines Café, sollen wir da hin?«

»Ja. Gut.« Der Kloß in Milans Hals schwoll zu Tennisballgröße an. Verdammt. Er wollte das nicht tun. Und Jules hatte die Unverschämtheit, bei Tageslicht noch besser auszusehen. Er hatte ganz vergessen, dass die dunklen Augen mit winzigen Goldsprenkeln durchzogen waren. Und die leichten Fältchen, die sich bildeten, wenn er lächelte ... Unter Jules' Augen lagen tiefe Schatten, die Milan ebenfalls nicht aufgefallen waren.

»Schläfst du schlecht?«, fragte er.

»Hm? Oh, sieht man es mir an?« Jules' Blick zuckte über das Kopfsteinpflaster vor ihnen. »Nichts weiter, nur ... Ich zocke wohl zuviel. Kommt mit dem Job. Wenn ich da weiter mitreden will, muss ich wenigstens die neuesten Spiele probieren.«

»Ein hartes Los.« Milan war überzeugt, dass Jules ihm nicht die ganze Wahrheit sagte. Er dachte daran, dass er sich anscheinend erst vor kurzem geoutet hatte ... Wenn er es überhaupt getan hatte. Vielleicht war er einfach kurzentschlossen in die Manobar marschiert und hatte beschlossen, ein neues Leben anzufangen.

»Mja, ich mag die großen Games, aber noch lieber mag ich die kleinen, seltsamen. Ich wünschte, dafür hätte ich mehr Zeit. Aber du kennst das ja bestimmt.« Jules überlegte. »Scheiße, sind wir echt so erwachsen geworden?«

»Sieht so aus.« Milans Mund lächelte, aber sein Magen krampfte sich zusammen.

Gleich, dachte er. Verdammt.

Das Café war ganz nett. Eins von vielen in Berlin, mit wild zusammengewürfelten Möbeln, einem überreichen Angebot an Backwaren und Gästen, die alle wie Zebulon aussahen. Vor allem die Frauen. Jules und er quetschten sich an einen kleinen, türkisfarbenen Nierentisch. Direkt neben der Bank, auf der zwei Mütter in rotbraun gestreiften Leinenkleidern saßen, ihre Kinder stillten und Matcha schlürften. Der würzige Duft von Espresso und frischer Hefe hing in der Luft und das Mahlen der Kaffeemaschine hallte von den seegrünen Wänden wider.

»Passt das?«, fragte Jules, sobald ein Kellner mit beeindruckendem Backenbart ihre Bestellung aufgenommen hatte. »Ich schätze, hier können wir ungestört reden.«

Das schätzte Milan auch. Die beiden Mütter quatschten so laut, dass jedes andere Geräusch ausgeblendet wurde.

»Also, als der Oscar-Wilhelm im achten Monat keine Mumi mehr nehmen wollte, da war ich ja ganz verzweifelt«, dröhnte die eine. »Zum Glück hab ich's dann mit asymmetrischem Anlegen probiert und dann ging er wieder ab wie ein Staubsauger.«

»Was zur Hölle ist Mumi?«, fragte Milan Jules.

»Muttermilch«, antwortete der.

»Sowas weißt du?«

»Hey, bei uns arbeiten auch Frauen. Und Väter.« Jules räusperte sich. »Hör mal, ich weiß nicht, ob es dir darum geht, aber ... du bist für mich nicht nur ...« Er sah auf die abblätternde Tischplatte. »Also ich würde gern hören, was du in den letzten dreizehn Jahren alles gemacht hast. Was du erlebt hast. Wie du jetzt ... bist. Du bist für mich nicht nur eine schnelle Nummer oder so.«

Milan starrte ihn ungläubig an. »Was?«

»Na ja, am Samstag, da bin ich so über dich hergefallen, aber ich will ... Ich meine, wenn du dir das vorstellen kannst, dann will ich durchaus ... mehr.« Jules' Ohren flammten auf.

»Oh.« In Milans Brust schmolz das Herz zu einem heißen Klumpen. »Ach so.«

Falsch. Dein Text ist: Ich auch, dachte er, wurde aber von dem Kellner unterbrochen, der Jules' Karamell-Meersalz-Lattoccino (oder so) und seinen schwarzen Kaffee vor ihnen abstellte. Und dann war seine Kehle wie zugeschnürt, obwohl das Herz eindeutig versuchte, aus seinem Hals zu springen.

Jules brach das Schweigen. »Was wolltest du denn besprechen?«

»Ach, das.« Milan atmete tief ein. Dann nahm er einen Schluck des viel zu heißen Kaffees, verbrühte sich die Zunge und kämpfte verbissen darum, sich nichts anmerken zu lassen. »Es ist ... Scheiße. Ich hab dich angelogen.«

»Inwiefern?« Sorge schimmerte in Jules' Augen. Was dachte er?

»Damals, also ... Das lief nicht, wie du denkst.« Er wollte das nicht. Aber es musste raus. Er musste sich entschuldigen und dann musste er hoffen, dass Jules ihn nicht vollkommen verachten würde und ...

»Warst du gar nicht in mich verliebt?«, fragte Jules. Seine Augen waren tellergroß. »Hast du das nur so gesagt?«

»Doch!« Milan schreckte hoch. »Doch, war ich. Total ... verliebt. Es geht darum, dass ... Es geht um den Einbruch.«

»Oh. Das.« Ein Schatten huschte über Jules' kantiges Gesicht. »Das tut mir leid.«

»Was tut dir leid?« Dieses Gespräch entglitt ihm ständig, wie eine glitschige Forelle.

»Ich hab's verbockt. Ich hätte ... Weil du dich um mich gekümmert hast, konnte dein Kumpel mit dem ganzen Geld abhauen. Ich hab nicht schnell genug reagiert. Ich hätte ausweichen müssen oder irgendwas. Du hättest das geschafft, das weiß ich.«

War er in einem Paralleluniversum gelandet? Milans Blick wurde magisch von Jules' breitem Handrücken angezogen. Die Knöchel darauf waren weiß, so fest ballte er die Faust. Sie lag auf der Tischplatte wie eine Einladung, die Milan sich nicht anzunehmen traute.

»Spinnst du?«, krächzte er. Jules sah auf. »Da war überhaupt nichts deine Schuld. Ich hab dich zu dem Scheiß überredet und dich diesem Psycho ausgeliefert und ... Scheiße, es gibt nichts, was ich mehr bereue. Mir tut es leid. Verdammt, Jules, du kannst dir doch nicht ernsthaft die Schuld daran geben, dass Piet dich abgestochen hat.«

»Aber das Geld ... Wir hätten es echt gebrauchen können. Unsere Eltern hätten es gebrauchen können.« Jules schien in der Vergangenheit zu versinken. »Du bist so ein großes Risiko eingegangen, für nichts.«

»Pech. Wir haben auch so überlebt. Meine Mutter hatte zwei Monate später wieder einen Job. Das war die dämlichste Idee, die ich je hatte. Und ich bin der Meister der dummen Ideen.«

»Meinst du?« Ein schwaches Lächeln erschien. Es machte den sanft geschwungenen Mund noch küssenswerter. Milan überwand sich endlich und legte seine raue Hand auf Jules'. Der zuckte zusammen. Das Lächeln wurde breiter. Sein Blick dagegen huschte im Raum hin und her, aber niemand beachtete sie. Hier war jeder mit sich selbst beschäftigt.

»Wie ging es bei euch weiter?«, fragte Milan. »Hat dein Vater die Wohnung behalten?«

Jules schüttelte den Kopf. »Das Jahr danach war hart, aber dann ging's aufwärts. Ich hab ihm geholfen, wo ich konnte. Hab das letzte Schuljahr an einer Tankstelle gejobbt und am Wochenende auf dem Markt.«

»Hat er meiner Mom lange hinterhergetrauert? Oder war er nur sauer, dass sie die Notreserve mitgenommen hat?«

»Ach, das hat ihn nicht groß gestört.« Jules schaute, als könnte selbst er es nicht glauben. »Aber er war stinksauer, dass sie einfach so gegangen ist. Na, er ist inzwischen drüber hinweggekommen. Vor drei Jahren hat er geheiratet.«

»Oh. Schön. Dann hast du jetzt eine Stiefmutter?«

»Ja, und einen Halbbruder.« Jules nippte an seinem Kaffee. »Niklas. Ich kann dir Fotos zeigen. Also, falls du Babys magst.«

»Lass mal.« Milan winkte ab. »Ich muss mit dir über den Einbruch reden.«

Jules schien verunsichert, aber er nickte. »Was ist damit?«

»Also.« Unter der Handfläche spürte er Jules' Haut. In seinem Nacken sammelte sich kalter Schweiß. »Weißt du noch, wie das in der Küche lief? Piet hat dir erzählt, dass da eine Überwachungskamera war.«

»Schwer zu vergessen«, brummte Jules. »Ich hab in seine Spüle gekotzt vor Angst. Der ist deshalb fast ausgerastet.«

»Ja.« Milan holte tief Luft. Er musste es schaffen. Jules verdiente die Wahrheit. »Er hat dir eh nicht getraut, weil du so ein Milchgesicht warst.«

»Schönen Dank auch.« Jules' Gesicht, das inzwischen vollkommen milchfrei war, verzog sich.

»Seine Worte, nicht meine. Der hat dich von Anfang an verdächtigt, dass du Scheiße baust. Als das nicht passiert ist, als du den Bruch durchgezogen hast, da ... Das hat ihn irgendwie noch misstrauischer gemacht. Vielleicht waren es auch die Pillen oder was weiß ich.« Hör auf zu schwafeln, Milan. »Und als der Stapel Scheine nicht so hoch war wie gedacht, hat er geglaubt, du hättest was unterschlagen.«

»Ja, ich erinnere mich.« Jules' andere Hand glitt zu seinem flachen Bauch, als würde er den Messerstich noch spüren. »Der Arsch. Als ob ich ... als ob wir sowas tun würden.«

»Du nicht.« Warme Luft kroch über Milans vernarbte Lippe. »Ich schon.« Seine Hände zitterten. Jules musste es spüren. Egal. Dessen Augen weiteten sich.

»Du? Hast du etwa ...«

»Ich hab das Geld eingesteckt. Einen ganzen Stapel 2500 Euro.« Es kostete Milan alle Kraft, die er hatte, um Jules in die Augen zu sehen. »Es tut mir leid.«

»Du ...« Jules riss seine Hand zurück. Die Leere unter Milans Fingern fühlte sich grauenhaft an. Ein totenblasses Gesicht starrte auf ihn nieder. »Piet hat mich abgestochen, weil du ...« Er sprang auf. »Du Vollarsch!«

Ein schwaches Wort für das, was Milan getan hatte.

»Es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich wollte ... Ich hab an Mom gedacht, aber ich war wirklich ein Vollarsch. Ein erbärmlicher Verräter.«

Jules starrte ihn an. »Und das sagst du mir jetzt? Nachdem ...« Er wich weiter zurück, bis er an die Wand stieß. »Nachdem wir ... Fuck!«

Milan stützte den Kopf in die Hände.

Du verdienst es, dachte er. Jetzt heul nicht rum. Entschuldige dich lieber nochmal. Und nochmal und vielleicht verzeiht Jules dir irgendwann, selbst wenn er dich nie wieder sehen will.

Aber Jules murmelte irgendeinen unverständlichen Fluch und ließ Milan mit zwei halb leeren Kaffeetassen und einem zerschmetterten Herzen zurück.


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