Stuttgart, 22. Oktober 2013
Viel zu früh wurde ich am nächsten Morgen wieder von Lukas geweckt. Er lag hinter mir, hatte sich dicht an mich heran gepresst und streichelte mich unter meinem Shirt, während er sich meinen Hals entlang küsste. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er das nun schon tat. Ich öffnete die Augen und blinzelte auf den Wecker, der gerade einmal kurz nach sieben zeigte.
„Lukas", murmelte ich in mein Kissen hinein und stöhnte gequält auf. „Es ist viel zu früh."
Das, was er da tat, fühlte sich zwar schon ziemlich gut an, aber um diese Uhrzeit und nach nur vier Stunden Schlaf waren ich und mein Körper noch zu nichts zu gebrauchen.
Ich befreite mich unter größter Anstrengung aus Lukas Griff und drehte mich auf den Bauch.
Ich hatte vielleicht fünfzehn Sekunden Ruhe, bis er sich auf meinen Rücken legte und damit begann, an meinem Hals herum zu knabbern.
„Lukas, lass mich schlafen", meckerte ich, griff nach hinten und zog seitlich an seinen Shorts.
„Weißt du, andere Leute freuen sich darüber, wenn sie so geweckt werden", flüsterte er mir ins Ohr und rollte sich dann wieder von mir herunter.
Ich seufzte und drehte mich dann auf die Seite, um ihn anzusehen. „Aber es ist..."
Weiter kam ich mit meiner Ansprache auch schon nicht, denn Lukas hatte direkt die Gelegenheit beim Schopf gepackt und seine Lippen auf meine gepresst. Ich ließ mich kurz von ihm küssen und drückte ihn dann sanft, aber bestimmt von mir weg.
„Gott, was ist denn los mit dir?", fragte ich gähnend.
„Was soll schon los sein...", antwortete er grinsend. „Ich bin geil."
Ich gähnte nochmal und grinste ihn müde an. „Du bist irgendwie immer geil, kann das sein, du kleine Giftspritze?"
Lukas prustete laut los und gab mir einen kräftigen Schubs. „Ey, spielst du auf heute Nacht an oder wie?"
„Vielleicht", murmelte ich und kuschelte mich tiefer in die Decke hinein.
Lukas rutschte näher zu mir heran und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Ohhh, bist du etwa noch böse deswegen? Versteckst du dich jetzt vor mir, weil du Angst hast, dein Augenlicht zu verlieren?"
„Nee", gähnte ich ins Kissen. „Ich will einfach nur schlafen."
„Aber Timi... wer weiß, wo wir heute Abend wieder schlafen. Wir haben doch nicht so viel Zeit."
Ich drückte ihn auf den Rücken und legte meinen Kopf auf seine Brust. „Wir fahren erst heute Abend weiter und über Tag ist nichts geplant. Theoretisch könnten wir also einfach den ganzen Tag hier im Zimmer vergammeln. Also gib mir nur noch zwei Stunden Schlaf. Bitte."
„Als ob das so reibungslos klappen würde", sagte Lukas amüsiert und begann, meinen Kopf zu kraulen. Da hatte er zwar schon recht, wie die letzten Tage gezeigt hatten, aber ich war so unendlich müde und wünschte mir gerade nur, dass es irgendwo an seinem Körper einen Knopf gäbe, mit dem ich ihn ausschalten könnte.
„Vielleicht schlafen wir ja wieder zusammen im Zimmer. Wenn nicht in Nürnberg, dann eben in einer anderen Stadt. Jetzt mach die Augen zu und sei ruhig. Wie lange bist du überhaupt schon wach?"
Lukas kraulte meinen Kopf immer weiter, was mir ein zufriedenes Seufzen entlockte. „Och, so zehn Minuten vielleicht."
„Du machst die Augen auf und stürzt dich sofort auf mich? Hast du wieder schlimm Druck?"
Lukas lachte und gab mir einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf. „Dafür, dass du so unglaublich müde bist, bist du aber ganz schön frech!"
„Und du bist ganz schön notgeil."
„Hm... ich gehe halt noch nicht rasant auf die vierzig zu, so wie gewisse andere Personen hier in diesem Raum. Liegt vielleicht schon am Alter, dass du so schlapp hier herum hängst."
„Alter, ich bin erst dreißig, du Zecke. Aber ja, hast Recht. Ich bin nicht mehr so jung und... spritzig wie du."
„Du bist so ein Idiot", sagte er und kriegte sich dann nicht mehr ein vor Lachen.
„Ich bin ein ziemlich müder Idiot. Bitte, bitte, bitte lass mich noch eine Runde pennen."
„Dann schlaf eben", sagte er und streichelte meinen Kopf wieder, als er sich wieder beruhigt hatte. „Stört es dich, wenn ich in der Zeit wichse?"
„Lukas! Äh... tu dir keinen Zwang an, aber pass auf meine Augen auf", sagte ich und zwickte ihm leicht in die Seite.
„Das war ein Witz!", antwortete er und lachte wieder, was meinen Kopf, der immer noch auf seiner Brust lag, ganz schön durchschüttelte.
„Wer soll dir das denn glauben?"
„Du."
Lukas seufzte tief und fuhr mir immer wieder sanft und mit regelmäßigen Bewegungen durch die Haare, während seine andere Hand locker auf meinem Arm lag, den ich über ihn gelegt hatte. Endlich gab er Ruhe und schlief sogar noch vor mir wieder ein.
Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es schon kurz vor zehn und wir hatten unsere Position kaum verändert. Ich blieb noch ein paar Minuten bewegungslos liegen, dann tat mir jedoch von der immer gleichen Lage meine Schulter zu sehr weh und ich drehte mich ein wenig. So, wie ich jetzt lag, konnte ich ganz deutlich seinen regelmäßigen Herzschlag hören. Von dem beruhigenden Pochen in Verbindung mit der leichten Spur Parfum, die noch von gestern an ihm hing, wurde ich total schläfrig und war wieder kurz vorm wegdämmern. Doch nun wurde auch Lukas ein bisschen unruhiger und veränderte seine Position ein wenig. Dabei achtete er jedoch darauf, dass ich es weiterhin so bequem wie möglich auf ihm hatte.
Mir fiel auf, dass sein Herzschlag sich etwas beschleunigte. Als er dann meine Hand ganz vorsichtig ein wenig weiter nach oben zog und meine Finger mit seinen verschränkte, fing sein Herz regelrecht an, zu rasen.
Ich fand das unglaublich süß, aber gleichzeitig breitete sich auch ein Gefühl aus, das sich aus Unbehagen und Verwirrung zusammensetzte. Warum war sein Herz kurz davor, aus seiner Brust zu springen? War er einfach nur wieder erregt oder...
Nein, Lukas war doch ganz bestimmt nicht in mich verliebt, oder so etwas. Wir wollten einfach nur ein paar Sachen zusammen ausprobieren. Weiter war da doch nichts...
Nach ein paar Minuten verrichtete Lukas Herz seine Arbeit dann wieder regelmäßiger und kurz darauf schnarchte er leise.
Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, wieder jedes einzelne Wort und jede Regung von ihm zu Tode analysieren zu wollen und konzentrierte mich nur auf seinen Atem, seinen Geruch und sein nun wieder langsam pochendes Herz, bis ich selbst wieder einschlief.
So verbrachten wir die nächsten Stunden, bis in den Nachmittag hinein. Von den Anderen war noch nichts zu sehen oder zu hören, deswegen nahm ich an, dass die selbst noch alle im Koma lagen. Immer wieder wachten wir zwischendurch auf und streichelten und küssten uns ganz vorsichtig, bis einer von uns oder wir beide wieder eingeschlafen waren.
Irgendwann war ich aber endgültig ausgeschlafen und hellwach. Das seltsame Gefühl von vorhin bahnte sich langsam wieder seinen Weg an die Oberfläche und ich bekam ein immer stärkeres Bedürfnis danach, aufzustehen und das Zimmer zu verlassen.
Dieser Morgen hier war so anders, als alles, was wir in den vergangenen Tagen miteinander gemacht hatten. Es war nicht nur neugieriges Herumprobieren in dunklen Ecken. Es war viel intimer, als mir eben mal hektisch auf der Raststätte einen runterholen zu lassen, auch, wenn wir uns jetzt die ganze Zeit über nur an ungefährlichen Stellen berührt hatten. Da lag noch etwas anderes in der Luft, was ich nicht beschreiben konnte und von dem ich auch nicht sagen konnte, ob ich mich damit wohl fühlte.
Ich konnte aber nicht mit ihm darüber reden. Was, wenn ich mir das alles nur einbildete? Ich konnte Lukas nicht nach seinen Gefühlen fragen, solange ich mir selbst nicht klar über meine war.
Ganz langsam löste ich mich von ihm und schlich mich ins Bad um zu duschen, in der Hoffnung, dass das meinen Kopf ein wenig klären würde. Doch leider war dem nicht so. Je länger ich unter der Dusche stand, umso intensiver wurden meine Gedanken. In meiner Fantasie wurden meine Hände zu den Händen von Lukas, der da hinter mir stand und mich jetzt einseifte. Die Geschehnisse der letzten Tage und all die gleichermaßen verwirrenden wie erotischen Momente liefen wie ein Film in meinem Kopf ab. Ich versuchte, an etwas anderes zu denken, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich wollte es eigentlich gar nicht, aber ich konnte nichts anderes tun, als Hand an mich zu legen, bis ich unter ebenso lustvollem wie verzweifeltem Stöhnen kam. Obwohl ich danach noch eine viertel Stunde lang unter der Dusche stand, hatte ich mich noch nie so dreckig gefühlt, wie in diesem Moment.
Was war denn bloß los mit mir?
Ich trocknete mich ab und vermied es, in den Spiegel gegenüber von mir zu sehen. Dann verließ ich langsam wieder das Bad und mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich sah, dass Lukas noch schlief. Er hatte statt mir jetzt mein Kissen im Arm und dieser Anblick killte mich total.
Was wollte er nur von mir? Was wollte ich von ihm? Würde das jetzt einfach immer so weiter gehen, dass wir übereinander herfielen, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab? Was hatte das alles zu bedeuten? War es mir denn wichtig, dass es irgendetwas bedeutete?
Als ich schon fast vollständig angezogen war und in Gedanken schon im Garten saß, um zu rauchen, sah ich, dass Lukas sich langsam hinsetzte. Seine Haare standen ihm in alle Richtungen ab und er wischte sich ein wenig Spucke von der Wange, was ich unglaublich putzig fand.
„Timi, wo willst du denn hin?", fragte er mich heiser und verschlafen, während er sich aus dem Bett quälte.
„Rauchen und mal gucken, was die Anderen so machen", sagte ich und beobachtete ihn mit rasendem Herzen, wie er langsam auf mich zukam.
„Okay", antwortete er und legte mir seine Hände auf die Schultern. Sein Blick ging mehrmals zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her, aber er küsste mich nicht, wie ich zunächst gedacht hatte. In diesem Moment war nichts mehr von dem ungestümen Draufgänger, den ich in den letzten Tagen immer mal wieder erleben durfte, zu erkennen. Auch ihm waren pure Verwirrung und Unsicherheit riesengroß ins Gesicht geschrieben.
„Ähm... also.. ich...", stotterte er und schluckte. Ich konnte richtig beobachten, wie sich seine Wangen langsam etwas röteten. Außerdem spürte ich durch seine Hände, die auf meinen Schultern lagen, dass er ein wenig zitterte.
„Ja?", fragte ich vorsichtig.
„T..Timi, also... ich...", sagte er und ließ seine Hände zu meinen hinunterrutschen. Dort angekommen, drückte er sie kurz, dann ließ er los. „Ich geh mal duschen!"
Verwirrt beobachtete ich ihn dabei, wie er auf dem eiligen Weg durchs Zimmer über einen Schuh stolperte und sich fast ablegte. Als er sich wieder gefangen hatte, warf er mir noch einen nicht deutbaren Blick zu und ging langsam ins Bad.
„Fuck!", schrie er und knallte mit großer Wucht die Tür hinter sich zu.
Was war das denn bitte?