FAT

By Ochrasy

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Innerhalb von 6 Wochen kann viel passieren. In Linas 6 Wochen änderte sich alles. In den Sommerferien verlor... More

FAT als Buch
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog

Kapitel 3

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By Ochrasy

„Lina!", hörte ich eine vertraute Stimme rufen.

Ich erblickte Jona, der wild mit seinem Arm in der Luft herumfuchtelte. Es sah fast schon ein bisschen lächerlich aus, doch sein Aussehen machte es wieder wett. Er konnte sich alles erlauben und es hinterließ trotzdem keinen Kratzer auf seiner coolen Fassade.

Seine Lederjacke saß wie angegossen und jedes einzelne Haar schien genau zu wissen, wie es sich am besten in Szene zu setzen hatte, um eine perfekte Frisur zu ergeben.

Ich hingegen hatte mich heute mal in ein Kleid gezwungen. Meine Beine, die früher eher Baumstämmen geglichen hatten, hatten es nie zugelassen Kleider zu tragen. Doch nun konnte ich endlich in den Genuss kommen etwas Luftiges zu tragen und musste prompt feststellen, dass es einer logistischen Meisterleistung glich, stets so zu sitzen, dass man die Farbe meiner Unterwäsche nicht erkennen konnte. Früher hatte ich meine Beine nicht einmal überschlagen können und nun war ich sogar darauf angewiesen.

Zögerlich näherte ich mich Jona, der in einer Gruppe von Mitschülern stand. Sie alle hatten mich immer aufgezogen und behandelt, als wäre ich ein wertloses Stück Dreck. Und nun grinsten sie mich an, als wäre ich eine Bereicherung für ihre Clique. Ich hätte kotzen können, doch ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Wenn ich sie bloßstellen wollte, dann musste ich sie besser kennenlernen.

„Hey, Lina!", sagte Jona noch einmal als ich bei ihm ankam. Er zog mich in eine lockere Umarmung. So viel Körperkontakt ließ die Hitze in meinen Kopf steigen. Ich war hin- und hergerissen, ob ich ihm eine klatschen sollte oder doch lieber heimlich ein Foto von dem Moment schießen sollte, um zu beweisen, dass mich ein so verdammt attraktiver Junge tatsächlich freiwillig umarmt hatte. Auf Klassenfahrt war es mal eine Mutprobe gewesen mich zu umarmen. Niemand hatte sich getraut. Aus Angst erdrückt zu werden, wie sie mich wissen ließen.

Ich spürte die Blicke der anderen auf mir, doch keiner sah die dicke Pauline, die ich gewesen war. Ich konnte fast so etwas wie Bewunderung erkennen, aber vielleicht täuschte ich mich auch.

„Geiler Nagellack", hörte ich Jenny sagen.

Sie war die schlimmste Zicke des Jahrgangs und hatte den Ruf, dass sie gerne die Beine breit machte und das definitiv nicht, um einen Spagat zu üben.

„Danke", sagte ich höflich.

Sie lächelte mich an und schaffte es gleichzeitig mit ihrem Lippenpiercing herumzuspielen.

„Ich bin Jenny", kam es erstaunlich freundlich zwischen der Masse von Lipgloss hervor. Dann reichte sie mir ihre zarte Hand, die die Krallen eines Tigers hatten.

„Lina", nuschelte ich vor mir hin.

„Ich weiß. Jona hat schon von dir erzählt."

Jona sprach mit denen über mich? Was verschaffte mir denn diese Ehre?

„Ich bin Mirko", wollte nun auch ein Muskelprotz mit mir Bekanntschaft machen.

„Henry."

„Lexy."

Und schon hatten sie mir alle ihre Patschehändchen gereicht. Ich hätte nicht vermutet gehabt, dass sie mit solchen Umgangsformen vertraut waren.

„Kippe?", erkundigte sich Mirko bei mir und reichte eine Schachtel herüber.

„Ich rauche nicht", sagte ich entschieden.

Er zuckte mit den Schultern und zog die Schachtel zurück.

„Woher kommst du?", erkundigte sich Jenny und blies Rauch aus ihrer Nase, wodurch sie auf mich wie ein wilder Stier wirkte.

„Kleines Dorf im Norden", log ich so gut ich es konnte. Jetzt aufzufliegen, wäre wohl der absolute Super-Gau. „Meine Eltern haben sich scheiden lassen und meine Mutter ist mit mir hierher gezogen." Immerhin das mit der Scheidung war nicht gelogen.

„Hat dein Vater eine andere gefickt?", kam es plump aus dem Mund von Henry.

Entgeistert starrte ich ihn an. So etwas fragte man doch nicht und wenn man es fragte, doch nicht auf diese Art und Weise. Ich schien jedoch die einzige zu sein, die so eine Frage als unangebracht empfand. Alle sahen mich neugierig an.

Das hier war wirklich eine andere Welt und bis vor zwei Tagen hätte ich es noch nicht für möglich gehalten bei ihnen zu stehen, ohne mir dumme Sprüche anhören zu müssen.

„Keine Ahnung", sprach ich ehrlich. „Sie haben mir gesagt, dass es zwischen ihnen nicht mehr funkt, aber kann schon sein, dass da 'ne Neue im Spiel ist."

Ich wollte daran ehrlich gesagt nicht denken. Für mich hatten meine Eltern immer zusammengehört. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es zwischen ihnen gekriselt hatte. Ihre Scheidung war für mich wie aus heiterem Himmel gekommen.

„Falls deine Mutter nur halb so heiß ist wie du, ist dein Vater ein ziemlicher Idiot", hörte ich Jona sagen.

Stopp! Zurückspulen und Replay drücken bitte!

Hatte Jona Fitz mich gerade tatsächlich als heiß bezeichnet? Könnte da bitte jemand einen Wikipedia-Artikel zu schreiben! Das gehörte in die Geschichtsbücher und in das Gedächtnis des World Wide Webs!

Im nächsten Augenblick ärgerte ich mich über mich selbst. Wieso schmeichelte es mir, wenn das größte Arschloch der Welt mir ein Kompliment machte? Es sollte mir egal sein.

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, weshalb ich einfach schwieg. Stattdessen genoss ich die Bestätigung, dass ich mich nicht geirrt hatte. Jona stand auf mich und das war mein Trumpf im Ärmel.

„Mirko gibt am Wochenende eine Party. Seine Eltern sind nicht da. Willst du auch kommen?", wechselte Jona das Thema, als er spürte, dass ich auf seine Worte nicht so reagiert hatte, wie er es sich wohl gewünscht hätte.

„Ähm", zögerte ich.

„Komm schon! Es wird witzig. Wir sind alle da", motivierte mich Jenny, die in mir schon ihre neue Busenfreundin zu sehen schien. „Für Alkohol ist auch gesorgt."

Davon sollte ich lieber die Finger lassen. Seitdem mir diverse Kilos fehlten, vertrug ich nicht einmal mehr halb so viel Alkohol wie früher. Ein Glas genügte, um mich zu einem Plappermaul zu machen, dass seinesgleichen suchte.

„Okay", stimmte ich zu und hatte keine Ahnung, worauf ich mich damit eigentlich einließ.

Partys. Ich hatte keine Ahnung von richtigen Partys. Ich kannte Familienfeiern und die Geburtstagspartys von Gloria, doch die bestanden hauptsächlich aus Kuchenessen, Geschenke auspacken und Abendbrotessen. Manchmal wurde auch noch Activity gespielt. Coole Partys waren das nicht gerade gewesen, eher gemütlich. So wie mein komplettes, bisheriges Leben gewesen war.

Ich war nie auf einer richtigen Party gewesen, wo die Bässe laut dröhnten und am Abend die Leute ineinander verschlungen auf den Sofas saßen und gegenseitig ihren Speichel schmeckten. Wo man aus roten Plastikbechern billigen Alkohol trank und am nächsten Tag peinliche Fotos auftauchten.

„Alter!", zischte Henry plötzlich Jona zu und stieß ihm in die Rippen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann wies er mit seinem Blick auf ein Mädchen, das gerade an uns vorbeiging. Wenn ich mich nicht irrte, hieß sie Swetlana und war ein oder zwei Jahre unter uns. Auch Jona sah es nun und er setzte einen Blick auf, den ich zu gut kannte.

Der Blick, der jegliches Mitgefühl fehlen ließ. Sein Angriffsblick. Wenn er den aufsetzte, konnte man sich innerlich schon mal auf eine verbale Attacke vorbereiten.

„Ey, Streuselschnecke!", brüllte er laut.

Ich sah, dass das Mädchen wusste, dass sie angesprochen war, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und reagierte nicht. Ich kannte diese Reaktion nur zu gut. Man wollte nicht, dass die anderen den Schmerz sahen, doch innerlich zerbrach man bei diesen Kommentaren.

Das Mädchen war von einer fiesen Akne befallen.

„Streuselschnecke, ich rede mit dir!", rief er erneut und freute sich darüber. Noch zeigte Swetlana keine Regung. „Wenn ich so aussehen würde wie du, würde ich mich freiwillig vom IS köpfen lassen, um so ein Gesicht loszuwerden."

Meine Kinnlade klappte nach unten.

Es gab schwarzen Humor, es gab richtig schwarzen Humor, es gab fiesen Humor und es gab Dinge, die man nicht sagen sollte. Seine Aussage hatte definitiv zum Letzteren gehört. Das war unterhalb jeder Gürtellinie und an Geschmacklosigkeit nicht zu übertrumpfen. Während die anderen lachten, steckte mir ein riesiger Kloß im Hals. Mir wurde richtig schlecht.

Swetlana lief zügig weiter, doch ich war zu einer Statue erstarrt.

„War das wirklich nötig?", kratzte ich meinen Mut zusammen und stellte ihm diese Frage. Ich konnte das nicht schweigend ertragen.

Er legte seinen Kopf schief. „Ach komm schon. Ist doch nur Spaß. Sie wird daran schon nicht sterben. Ihr Gesicht sieht doch wirklich unappetitlich aus. Würde sie mir in der Kantine gegenübersitzen, würde ich mich wegsetzen. Da muss man ja Angst haben, dass Eiter auf mein Essen spritzt."

Wieder erntete er Lacher. Er schien aber zu merken, dass ich es nicht lustig fand und dämpfte sein eigenes Lachen.

„Ihr Gesicht sieht aus, als wäre darauf Harry Potter in Blindenschrift gedruckt worden", steckte Jenny auch noch den Finger in die Wunde.

Wie konnte man so gemein sein? Was ging in solchen Menschen vor?

Am liebsten wäre ich zu Swetlana gegangen und hätte ihr gesagt, dass sie hübsch sei. Auf alle Fälle hübscher, als die Leute, von denen ich gerade umgeben war. Denn ihre Charaktere zerstörten ihre modernen Looks und gebräunten Gesichter. Das waren hässliche Menschen und genau aus diesem Grund blieb ich stehen. Ich wollte mich rächen. Nicht nur für das, was sie mir angetan hatten, sondern im Namen aller, die in den letzten Jahren genauso gelitten hatten, wie ich.

Ich fühlte mich als ein Robin Hood derjenigen, die nicht mit dem Schönheitsideal geboren worden waren. Es war Zeit, dass jemand durchgriff und ihnen klarmachte, dass jeder Kommentar sich ins Selbstbewusstsein bohrte wie ein Schwert.

„Entspann dich!", sprach Jona mich an und legte einen Arm um meine Schulter. „Zu dir würde ich so etwas nie sagen."

Ich unterdrückte ein höhnisches Lachen. Wenn er nur wüsste, dass er solche Sachen schon längst zu mir gesagt hatte. Er würde wahrscheinlich angewidert von mir wegspringen, wenn er die Wahrheit wüsste. 

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