FAT

By Ochrasy

1.9M 130K 45K

Innerhalb von 6 Wochen kann viel passieren. In Linas 6 Wochen änderte sich alles. In den Sommerferien verlor... More

FAT als Buch
Vorwort
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog

Kapitel 1

120K 5.6K 3.1K
By Ochrasy

Meine Mutter hat immer gesagt, dass ich ein schönes Gesicht habe, es aber leider unter einer Fettschicht und hinter einem Doppelkinn versteckt ist. Diese Aussage war hart, aber leider auch wahr.

Wahr gewesen.

Denn ich hatte die Sommerferien ausnahmsweise mal sinnvoll genutzt.

Zwar hatte ich schon seit Monaten an meiner Figur gearbeitet, aber in den letzten Wochen hatte ich noch einmal einen Turbo eingelegt. Und so freute ich mich heute Morgen in eine Skinny Jeans in Größe 36 zu passen. Wäre sie nicht so verdammt eng gewesen, hätte ich glatt Freudensprüngen gemacht. Leider schränkte sie meine Bewegungsfreiheit jedoch so sehr ein, sodass ein triumphierendes Lächeln reichen musste. Immerhin war dieses Lächeln das erste Mal seit Jahren wieder komplett drahtfrei. Meiner Zahnspange würde ich nicht ein Sekunde nachtrauern, doch auf der anderen Seite war ich ihr auch zu Dank verpflichtet. Denn von meinen kindlichen Hasenzähnen war nichts mehr übrig geblieben.

Es war ungewohnt so eng anliegende Kleidung zu tragen, denn bis vor Kurzem glichen meine Klamotten eher dem Sortiment eines Zeltverkäufers. Immer wieder zupfte ich mein Shirt zurecht und fragte mich, ob ich nicht doch lieber etwas Lockeres wählen sollte. Ich hatte so unglaublich schnell abgenommen, dass mein Kopf noch gar nicht begriffen hatte, dass ich nun zu den glücklichen Menschen der Normalgewichtigen gehörte. Innerlich war ich immer noch dick.

Doch nun stand ich auf dem Schulhof mit meinen langen kastanienbraunen Haaren, die bei meinem letzten Schulbesuch noch straßenköterblond und kraus wie Stahlwolle gewesen waren. Mum hatte mir als Belohnung für meine Körperreduzierung einen Friseurbesuch geschenkt und war dabei nicht geizig gewesen. Meine Haare fielen seidig über meine Schultern und glänzten wie bei den Models aus einer Shampoo-Werbung. Dafür hatte Mum aber 200 Euro hingeblättert. Doch erstaunlicherweise hatte sie dabei sogar ein Lächeln auf den Lippen gehabt. Schließlich war es immer der größte Traum meiner Mutter gewesen, eine schlanke und schöne Tochter zu haben.

Sie hatte mich sogar in eine Boutique gezehrt, in der mein Kleidungstil komplett überarbeitet wurde. Lediglich meine geliebten Chucks durfte ich behalten. Das Damen-Trio aus dem Bekleidungsladen hatte aus mir eine kleine Hipster-Tussi gemacht - aber eine mit Stil, wie ich mir versuchte einzureden. Meine Mama war sogar der festen Überzeugung, dass ich jetzt sexy war. Ich hatte da meine Zweifel dran. Ich hatte mich noch nie im Leben sexy gefühlt und ich fürchtete, dass es erst einmal auch so bleiben würde. Ich fühlte mich leider immer noch wie das dicke Kind mit dem schokoladen-verschmierten Mund.

Die gesamten Sommerferien über hatte ich vor dem Tag Angst gehabt, an dem ich wieder in die Schule musste, um mein neues Ich zu präsentieren. Nun war dieser Tag da. Ich sah zwar besser aus, als zuvor, hatte aber auch neue Angriffsflächen für Mobbing-Attacken zu bieten.

Mit einem mulmigen Gefühl in meinem flachen Bauch, der durch jede Menge Sit-ups geschrumpft war, ging ich in den vierten Stock, wo ich auf meinen Leistungskurs Bio treffen würde. Ich hatte es immer gehasst, dass unser Klassenraum ganz oben war. Jedes Mal war ich mit Schweißrändern unter den Armen und dem Hecheln eines Mopses dort angekommen und hatte mich zum Gespött des Kurses gemacht. Doch nun freute ich mich sogar über die Treppenstufen, denn sie hielten mich fit und verbrannten die hinterhältigen Kalorien, die sich in Allem versteckten, was gut schmeckte. Ich war im stetigen Kampf gegen meinen Todfeind dem „Jojo-Effekt". Nichts wäre schlimmer, als wieder die fette Paulina zu sein, die alle nur Klopskind nannten.

Die Tür stand offen. Vorsichtig lugte ich in die Löwenhöhle hinein. Jedoch nicht, ohne vorher noch einmal mein Shirt glattzustreichen und sicherzugehen, dass da wirklich keine Speckröllchen mehr waren. Ich wuschelte mir noch einmal durch die Haare und betrat dann mit falschem Selbstbewusstsein den Klassenraum. Eigentlich sollte ich stolz auf meine Leistung sein, doch irgendwie war es mir unangenehm. Ich begann mit jedem Schritt unsicherer zu werden. Vielleicht war das auch total lächerlich mich so umzustylen und zu glauben, dass ich jetzt ein anderer Mensch sein könnte. Vielleicht hätte ich mit dem Make-up doch nicht so übertreiben sollen. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein Clown auf einem Kindergeburtstag, der weiße Kaninchen aus dem Hut zog. Warum hatte ich überhaupt auf Mum gehört und diesen knallroten Lippenstift genommen? Das war doch nicht ich! Das war lächerlich.

Ich schluckte, als sich nach und nach die Köpfe in meine Richtung bewegten. Man musterte mich von oben bis unten. Ich wünschte mir fast, meinen Fettpanzer wieder um mich zu haben. Ich fühlte mich ungeschützt und wartete auf die ersten dummen Sprüche.

Doch sie kamen nicht.

Zumindest für den ersten Moment schien es ihnen die Sprache verschlagen zu haben.

Noch immer verunsichert ging ich zu meinem Platz, der direkt neben Jona Fitz war. Am Ende des zweiten Semesters wurde er neben mich gesetzt, weil ich nie ein Wort sagte und seine Klappe umso größer war. Für jeden Lehrer war das stets die ideale Kombination an Sitznachbarn, für mich war es ein Alptraum, der seinesgleichen suchte. Jona war ein Fiesling, wie es ihn in jedem Teenie-Film gab. Er war von Grund auf böse und schien es sich zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht zu haben, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen. Einmal, hatte er mir einen in Kirschsaft getränkten Tampon in den Rucksack geschmuggelt und ein anderes Mal, hatte er mir einen Spicker untergejubelt und meine Lehrerin darauf hingewiesen, dass ich betrüge. Das Resultat war ein knallrotes Gesicht meinerseits und eine Sechs hinter meinem Namen im Klassenbuch.

Doch wie es mit Fieslingen so war, hatten sie auch immer irgendwie etwas Anziehendes. Ich gab es nicht gern zu, aber wenn ich manchmal abends im Bett lag und meinen Fantasien freien Lauf ließ, stellte ich mir vor, wie er zu mir kam und mir gestand, dass all seine Gemeinheiten nur Tarnung waren und er sich eigentlich in mich verliebt hatte. Dann küsste er mich und er stellte sich als supernetter Typ heraus. Irgendwie glaubte wahrscheinlich jedes Mädchen daran, dass hinter jedem Fiesling auch eine sensible Seite steckte.

Ich liebte meine Traumwelten, auch wenn mir bewusst war, wie lächerlich meine Fantasien waren.

Ohne Jona anzusehen, setzte ich mich neben ihn.

„Wie wäre es mit einer Begrüßung?", sprach er mich an.

Irritiert wanderte mein Blick zu ihm. Er sprach mich nie an und schon gar nicht begrüßten wir uns.

War das gerade ein Lächeln auf seinem Gesicht? Was für ein falsches Spiel war das denn schon wieder? Mir entging nicht, dass der Rest der Klasse uns beobachtete. Ich erwartete einen miesen Streich, der mir den Start ins dritte Semester verderben sollte. Kaum hatte der erste Schultag begonnen, da hatte ich auch schon wieder keinen Bock auf Schule.

„Habe ich irgendwie einen fetten Pickel im Gesicht oder warum starrst du mich so an?", hakte er nach, ohne jedoch Feindseligkeit mitklingen zu lassen.

Ich sah ihn erstaunt an und konnte nicht widerstehen, mich kurz an seiner Schönheit zu ergötzen. Seine Haut war so rein, sodass er jede Beauty-Kampagne übernehmen könnte. Ich war mir nicht mal sicher, ob er überhaupt Poren hatte. Jede Strähne seiner braunen Haare saß perfekt und man wurde das Gefühl nicht los, dass er das Meisterstück von Gottes menschlicher Schaffung war. „Verrätst du mir deinen Namen?"

Ich verstand die Welt nicht mehr und glotzte ihn an.

Er wollte meinen Namen wissen?

„Lina", antwortete ich und ärgerte mich, dass ich überhaupt auf ihn reagierte.

„Schöner Name. Ich bin Jona." Das Lächeln war nicht mehr aus seinem Gesicht zu bekommen. Hatte er heute Morgen ein Joint zu viel geraucht? „Wir werden eine gute Zeit haben. Eigentlich sitzt hier so ein Klopskind, aber offensichtlich taucht sie heute nicht mehr auf. Und wenn doch, soll sie ihren fetten Arsch woanders hinschwingen."

Erst jetzt fiel bei mir der Groschen. Er erkannte mich nicht. Keiner hier tat das. Ich hatte mich so sehr verändert, dass ich für sie das neue Mädchen war. Ich konnte es nicht fassen.

Frau Beyer betrat den Klassenraum und alle verstummten. Sie war eine Hexe mit knochigen Fingern und Beinchen wie Streichhölzern, die so dünn waren, dass sogar die schwarze Strumpfhose schlabberte. Der Charakter von Frau Beyer war böse und ich bezweifelte, dass sie überhaupt so etwas wie eine Seele hatte. Ihr Blick blieb an mir haften.

„Warum hat mir keiner gesagt, dass ich eine neue Schülerin im Kurs hab?", brabbelte sie genervt vor sich hin. „Wie heißt du?"

Selbst sie erkannte mich nicht? Das war doch unglaublich! Hatte ich mich wirklich so sehr verändert? Ich saß schließlich noch auf dem gleichen Platz wie letztes Jahr. Da war es doch auch nicht so abwegig, dass ich das Pummelchen war, das sie alle gemobbt hatten. Nur eben mit ein paar Kilos weniger auf den Rippen und einem kleinen Makeover.

Ich hätte sie alle in diesem Augenblick aufklären können. Ich hätte ihnen erzählen können, wie ich in den letzten Monaten jede einzelne Kalorie gezählt hatte, mich ins Fitnessstudio gequält und gegen meinen Schweinehund mit allen ABC-Waffen gekämpft hatte.

Aber warum sollte ich das tun?

„Lina Peterson", sagte ich entschieden. Dank der Scheidung meiner Eltern hatte ich Kaufmann als Nachnamen in den Ferien ablegen können.

Auf Frau Beyers Liste stand aber mit Sicherheit Pauline Petersen eingetragen, doch sie fragte nicht weiter nach und machte einfach nur einen Haken. Offensichtlich akzeptierte sie es, dass ich bei meinem Spitznamen genannt werden wollte. Ich war ihr dafür unglaublich dankbar.

„Willkommen im Kurs", sagte sie knapp und fing dann mit einer Rede über organisatorisches Zeug an.

Ich spürte einen leichten Stoß in meine Rippen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals von einem Mitschüler berührt worden zu sein. Für gewöhnlich wollte man mich nicht mal im Sport-Team haben und wie sie mir sagten auch nicht in der gleichen Umkleidekabine, da mein Anblick bei ihnen Übelkeit auslöste.

„Hey.", sagte Jona grinsend.

Was sollte das denn jetzt werden? Seine blauen Augen sahen mich an. Er war hübsch und das Schlimmste war, dass er das wusste. Typen, die sich ihrer Attraktivität bewusst waren, waren mit Abstand die Schlimmsten. Und Jona wusste genau, was für tolle Lippen er hatte und wie perfekt sich seine Wangenknochen abzeichneten.

„Soll ich dir in der Pause die Schule zeigen?", bot er mir an und schien das sogar ernst zu meinen.

Ich hatte noch nie geflirtet und mit Sicherheit hatte auch noch nie jemand mit mir geflirtet, aber in diesem Moment bekam ich das Gefühl, dass ich gerade eine Premiere erlebte.

Jona flirtete mit mir.

Er stand auf mich. 

Continue Reading

You'll Also Like

315K 15.2K 36
▶ ▶ 𝐃𝐢𝐞𝐬𝐞𝐬 𝐁𝐮𝐜𝐡 𝐢𝐬𝐭 𝐚𝐦 𝟐𝟕.𝟏𝟎.𝟐𝟎𝟐𝟐 𝐮𝐧𝐭𝐞𝐫 𝐝𝐞𝐦 𝐓𝐢𝐭𝐞𝐥 "𝐈𝐧𝐯𝐢𝐬𝐢𝐛𝐥𝐞 𝐌𝐞 - 𝐇𝐨𝐰 𝐓𝐨 𝐒𝐮𝐫𝐯𝐢𝐯𝐞 𝐇𝐢𝐠𝐡�...
928K 28.4K 147
»Eine gefährliche Leidenschaft.« Als Devin, Cécilia das erste Mal sah, wollte er sie um jeden Preis in seinem Folterkeller sehen. Es war Devins Leid...
360K 20.6K 77
Ein großer Teil der Menschheit wurde von einem Virus ausgelöscht. Die wenigen die übrig sind leben meist in Armut und können sich die Medizin nicht l...
477K 26.8K 30
Eigentlich wollte sie ihn nur um einen Gefallen bitten. Was sie dabei nicht bedacht hat? Die Möglichkeit, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verlieb...