24 Lichter | 2023

By JSM1294

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Alle Jahre wieder - ist es so weit und Weihnachten steht vor der Tür... Alle Jahre wieder - suchen sich alle... More

Menschen-Liebe, Wärme und ganz viel Herzlichkeit
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Das Weihnachtswunder

Jedes gute Märchen beginnt mit den Worten »Es war einmal«. Es war einmal eine Prinzessin, es war einmal ein Prinz, es war einmal ein junges Mädchen und so weiter und so weiter.
Dieses Märchen beginnt so: Es war einmal eine junge Frau, die alles hatte, was sie sich in ihrem Leben wünschen könnte. Sie hatte Eltern, die sie von Herzen liebte, Freunde, die mit ihr durch dick und dünn gingen, einen Job, an dem ihr Herzblut hing und einen liebevollen Freund, der gleichzeitig auch ihr bester Freund war. Ihr Leben war durch und durch perfekt und jeder Tag war ein neues Abenteuer gefüllt mit Liebe, Wärme und Zuneigung.
Leider war das jedoch erst der Anfang der Geschichte. Ihre Eltern lebten mittlerweile einen fünfstündigen Flug entfernt und ihr Job forderte beinahe jede freie Minute ihres Lebens. Zeit für Freunde und Familie blieb da kaum. Oh und ihr Freund hatte sie erst vor einer Woche verlassen. Kurz vor der Zeit, die ihr die liebste Zeit des Jahres war. Die Weihnachtszeit.
Nun, diese Frau war ich. Und ich saß ziemlich in der Klemme.
»Nein, nein, nein! Bitte nicht! Das darf doch alles nicht wahr sein! So ein verdammter Bockmist!« Wütend schlug ich mit der Faust auf das Armaturenbrett. »Komm schon!«
Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mir keine Vorwürfe zu machen, weil ich Annas spontanem Angebot gefolgt war, keimte da ein Gefühl in mir auf, dass sich schwer nach Selbstmitleid anfühlte. Zunächst sei zu meiner Verteidigung gesagt, dass sich die Idee, die Weihnachtstage fern meiner eigenen vier Wände zu verbringen, wie ein Geschenk des Himmels angehört hatte. Wenn man die letzten sechs Weihnachten ausschließlich in einer Großstadt wie New York verbracht hatte, konnte man die heimelige Kleinstadtidylle ziemlich schnell vermissen.
»Komm schon, Heather. Das wird lustig werden. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen und vielleicht kannst du ihn für ein paar Tage vergessen. Wir werden so viel Spaß zusammen haben«, hallte Annas Stimme in meinem Kopf wider.
Ja, super. Ich hatte gerade den Spaß meines Lebens.
Da mir die Millionenmetropole dieses Jahr keinen Anlass gab, um zu bleiben – vielmehr war das Gegenteil der Fall – hatte ich mit ungeahnter Geschwindigkeit ein paar Klamotten in eine muffige Sporttasche geworfen und war ins Auto gesprungen. In den letzten Jahren hatte ich schon oft Schneestürme miterlebt, die nicht nur den Flugverkehr, sondern auch halb New York lahmgelegt hatten. Es waren die Art von Schneestürmen, bei denen man die Wohnung drei Tage – wenn es einigermaßen gut läuft – bis eine Woche – das war der ungünstige Fall - nicht verlassen konnte, weil man von allen Seiten zugeschneit war. Man könnte also durchaus behaupten, ich hätte es besser wissen müssen.
Mein altes Ich, entweder entsetzlich dumm oder furchtbar naiv – die Entscheidung, was von beidem nun zutrifft, überlasse ich euch – war felsenfest davon ausgegangen, das Wetter würde sich schon wieder beruhigen. Dass ein Sturm dieser Größenordnung sich verschlimmern und mich überdies entlang der Ostküste verfolgen würde, daran hatte ich natürlich keinen Gedanken verschwendet. Und war damit geradewegs in mein Verderben gebrettert.
Mein betagter und treuer Weggefährte hatte endgültig den Geist aufgegeben. Und als wäre das mitten auf einer wenig befahrenen Landstraße nicht schon schlimm genug, ließ sich mein Smartphone nicht dazu herab, mir aus meiner Misere zu helfen. Nicht einmal ein Balken. Draußen herrschten winterliche Grade, ich würde mich also davor hüten, jetzt die Tür aufzumachen und die Wärme entweichen zu lassen. Meine einzige Chance bestand also darin, darauf zu hoffen, dass jemand anderes bescheuert genug war, bei diesem Wetter ins Auto zu steigen oder dass der Sturm doch nicht so schlimm war, wie ich befürchtete.
»Verdammter Mist.«
Meine Zähne klapperten schon aus Prinzip aufeinander, obgleich ich es in meiner Winterjacke eigentlich recht gemütlich hatte. Außerdem war die Heizung bis eben – kurz vor dem frühzeitigen Ableben meiner heißgeliebten Schrottkarre – auf Hochtouren gelaufen, weshalb manch einer das Innere des Wagens wohl auch als Sauna zweckentfremdet hätte. Fragte sich nur wie lange es noch so blieb.
Kleine Schneeflocken wirbelten durch die Luft und der Beginn eines Schneesturms, wie ich ihm nur knapp entronnen war, kündigte sich an. Nicht lange und ich würde eingeschneit sein, dabei trennten mich nicht einmal zehn Minuten von meinem Ziel. Mir war zum Heulen zumute.
Der Motor röhrte angestrengt, als ich erneut versuchte, den Wagen zum Starten zu bringen. Es knatterte und ächzte, doch letztendlich halfen meine motivierenden Worte - »Komm schon, Kleiner, du schaffst das!« - reichlich wenig. Ein letzter Klagelaut war zu hören, dann erstarb auch dieser und das Licht ging aus.
»Doppel-Mist.«

Bis dahin hatte ich immerhin das Scheinwerferlicht gehabt. Nun hockte ich im Dunkeln da. Der dunkle Himmel spannte sich über meinen Kopf und schwarze Tannen ragten bedrohlich von der Seite auf die Straße. Wie Klauen griffen ihre langfingrigen Äste nach meinem Auto, als wollten sie mich in die Tiefen des Waldes ziehen. Nun zitterte ich doch. Na super, meine eigenen Gedanken machten mir Angst.
Der überstürzte Aufbruch hatte mich alles vergessen lassen. Taschenlampe, Decke, Ersatzreifen samt Schneeketten. Das alles lagerte gut verstaut in einem dunklen Kellerraum, den ich im Jahr vielleicht einmal betreten hatte und nie mehr betreten würde. Soll er seine Taschenlampen, Ersatzreifen und Schneeketten doch für sich behalten, dieser aufgeblasene, neunmalkluge ...
Wie auf Kommando begann mein Herz mit rasender Geschwindigkeit zu schlagen. Die Luft um mich herum wurde stetig kühler und an den Rändern der Fensterscheiben bildeten sich kleine Frostblumen. Als ich sie mit den Fingern berührte, zuckte ich vor der Kälte zurück. Prüfend hielt ich mein Smartphone in die Höhe, doch am Empfang hatte sich leider nichts geändert, so sehr ich mich auch streckte ... Halt, Stopp! Da war ein Balken! Und noch einer! Der Empfang schien hinten im Wagen tatsächlich besser zu sein als vorne.
Kurzerhand kletterte ich über die Mittelkonsole. Angestrengt atmend stützte ich mich mit der linken Hand auf dem Sitzpolster ab, während die andere Hand verzweifelt nach weiteren Balken suchte.
Mein Fuß blieb irgendwo am Sitz hängen und ich hockte in einer ziemlich unbequemen Position halb in der Luft, halb auf der durchgesessenen Rückbank. Mit einem Arm klammerte ich mich an die Kopfstütze, während ich eine Nachricht tippte.
Anna, ich brauche Hilfe. Sitze fest und komme nicht weiter. Kannst du jemanden vorbeischicken? Sende dir meinen Standort.
Meine Finger zitterten vor Anstrengung, nachdem ich die Nachricht endlich gesendet hatte, und eine feine Schweißschicht zeichnete sich auf meiner Stirn ab.
»Uff.«
Oh Gott, im nächsten Jahr werde ich wirklich wieder mit Sport anfangen, ich schwöre es. Wie unsportlich kann ein Mensch nur sein?
»Brauchen Sie vielleicht Hilfe?«

Das energische Klopfen dröhnte in meinem Kopf wie ein Presslufthammer auf Asphalt und vor Schreck ließ ich mein Handy fallen. Es landete im Fußraum vom Beifahrersitz. Zusätzlich stieß ich mir den Kopf an der Decke an.
»Autsch ... ja! Was?«
Eine verschwommene Silhouette formte sich vor dem beschlagenen Fenster. Kurz darauf fuhr ein Ärmel über die Scheibe. Das Licht einer Taschenlampe traf mich und ich blinzelte im grellen Schein unbeholfen. Erst nachdem sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, konnte ich den äußerst hübschen Kopf mit dunklen Locken und ebenso dunklen Augen ausmachen, der da durch das freigewischte Fenster schaute. Er runzelte die Stirn.
»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte der Mann erneut. Ich konnte gar nicht schnell genug nicken. Erst jetzt bemerkte ich den Wagen, der mit Warnblinker hinter mir stand.
»Ja!«, rief ich durch die geschlossene Scheibe und immer noch in einer Haltung, über die sich mein Rücken in wenigen Stunden lauthals beschweren würde.
»Moment, ich klettere nur schnell nach vorne.«
Mit so viel Grazie wie möglich, rutschte ich wieder auf den Fahrersitz und stieß die Autotür auf. Eine eisige Kälte fuhr mir durch mein Haar und bis in die Knochen. Von den saunaähnlichen Temperaturen war nichts zurückgeblieben. Stattdessen bekam ich den Winter mit voller Macht zu spüren. Dicke Schneeflocken wirbelten umher.
»Sommerreifen, was? Kein Wunder, dass Sie stecken geblieben sind. Das hätte übel enden können.« Ich kam nicht umhin, den stichelnden Unterton zu registrieren.
»Kein Grund, mir einen Moralpredigt zu halten. Die Reifen sind weniger das Problem. Der Motor spinnt. Er ist einfach ausgegangen und jetzt bekomme ich ihn nicht mehr zum Starten.« Ich reagierte mit einer für mich ungewohnt bissigen Manier, was mich selbst ein wenig nervte. Was war denn los mit mir? Immerhin versuchte er mir gerade zu helfen.
Die hochgezogenen Brauen machten mich noch rasender. Um meine Finger vor der Kälte zu schützen, verschränkte ich die Arme und vergrub meine Hände unter den Achseln.
»Sie haben nicht zufällig ein Abschleppseil dabei, oder?«, versuchte ich es in einem versöhnlicherem Tonfall.

»Nein, aber das haben wir gleich«, meinte er locker und entfernte sich ein paar Schritte, um zu telefonieren. Dadurch hatte ich Zeit, meinen namenlosen Retter genauer zu betrachten. Er war vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich. Er hatte breite Schultern und schien auch sonst eher von der trainierten Sorte zu sein. Im Gegensatz zu mir traute ich es ihm zu, fünf Meilen zu laufen, ohne dabei auch nur verschwitzt auszusehen. Ich wäre schon nach einer halben Meile platt.
Notiz an mich: Unbedingt Sport machen!
Auf den Wintereinbruch war er definitiv besser vorbereitet. Die Daunenjacke sah verdammt flauschig aus und die Stiefel mussten gefüttert sein, sonst würde er schon längst von einem Fuß auf den anderen tänzeln – so wie ich, deren Füße in bequemen, aber leider vollkommen wetteruntauglichen Converse steckten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass meine Zehen bereits der Kälte zum Opfer gefallen waren.
»Der Abschleppdienst ist unterwegs. Er sollte in zehn Minuten da sein. Franks Werkstatt ist eigentlich gleich um die Ecke, aber wegen des Schnees kommt er vielleicht nicht so gut durch. Die ganze Stadt dreht durch, sobald die ersten Flocken fliegen«, zweifelte er mit Blick in den Himmel. »Wir kommen noch zu spät«, murmelte er mehr zu sich, als zu mir und ich hakte nicht weiter nach.
Apropos Schnee. Der hatte bereits ganze Arbeit geleistet. Eine etwa fünf Zentimeter dicke Schicht hatte sich auf mein Auto gelegt und meine Haare waren durchnässt bis an die Spitzen. Trotzdem – und vielleicht mal abgesehen von der Kälte – fühlte ich vor allem eines: Dankbarkeit.
»Danke! Vielen, vielen Dank ...?« Fragend hob ich die Augenbrauen.
»Adam«, beantwortete er meine lautlose Frage mit einem Nicken. Wir schüttelten die Hände. Seine Haut fühlte sich angenehm rau und warm an.
»Adam.« Meine Zunge prickelte, als ich seinen Namen aussprach und ich schluckte schwer. »Vielen Dank. Wenn Sie nicht gekommen wären, dann ...«
»Keine Ursache, wirklich.« Jetzt war es an ihm die Brauen zu heben. »Heather. Ich heiße Heather.«
»Heather«, wiederholte er und mir lief ein Schauer über den Rücken. Verflixt nochmal. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Dieses Magenkribbeln konnte doch nur eines bedeuten. Eindeutiger Fall von Samariter-Syndrom. Im Ernst, im Fernsehen passierte sowas doch ständig, dass sich der Patient in die Krankenschwester verliebte. Das war gar nicht so abwegig, musste ich mir eingestehen.

Adam schlug vor, in seinem Wagen auf den Abschleppdienst zu warten und weil meine Heizung inzwischen lahmgelegt und die Sauna nun eine Gefriertruhe war, stimmte ich zu.
»Wohin waren Sie denn noch unterwegs? Haben Sie nicht die Wettervorhersage gehört? Alle Bewohner wurden gebeten, ihre Häuser nicht zu verlassen wegen des Sturms.«
»Was tun Sie denn dann hier draußen?«, entgegnete ich und irgendwie kam es mir so vor, als fühlte er sich ertappt. Um seine Mundwinkel herum zuckte es.
»Von den Warnungen habe ich jedenfalls nichts mitbekommen. Ich komme gerade aus New York und war auf dem Weg zu einer Freundin. Sie hat mich zu sich ins Hotel eingeladen. Eigentlich hatte ich es auch nicht mehr weit. Aber dann hat mein Auto gestreikt und na ja.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Wie heißt das Hotel denn?«, fragte Adam sofort. »Himmelsschloss.«
Das Hotel war kein wirkliches Schloss, doch Anna hatte mir vorab ein paar Bilder geschickt und wir waren uns einig, dass es diesen Namen eindeutig verdient hatte. Allein der goldene Lüster im Empfangsbereich, der durch sein Lichtspiel kleine Sterne an die Decke und die Wände zauberte, war Beweis genug.
»Warte, du bist die Freundin von Anna?« Mit tellergroßen Augen sah ich auf. »Du kennst Anna?« Adams Grinsen wurde breiter.
»Man merkt, dass du aus New York kommst. In einer Kleinstadt wie dieser kennt man praktisch jeden. Anna und ich waren im gleichen Jahrgang. Ich bin froh, dass sie das Hotel übernommen hat. Sie hat richtig was draus gemacht.« Dem konnte ich nur zustimmen. Obwohl ich noch nie dort gewesen war.
Ich kannte Anna noch aus Studienzeiten. Wir hatten zwei Semester zusammen Architektur studiert. Die kleinen – und manchmal auch großen – Krisen während des Studiums hatten uns zusammengeschweißt. Während ich das Studium jedoch abgeschlossen hatte, hatte sie sich den Traum eines eigenen Hotels in ihrer Heimatstadt erfüllt.
Ich erzählte Adam von der unerschütterlichen und optimistischen Anna, die ich in der Universität kennengelernt hatte und wir kamen überein, dass sich ihr Uni- Ich von ihrem High-School-Ich kaum unterschied.
»An so viel positive Energie musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es hat mich gewundert, dass sie nachher abgebrochen hat. Aber die Idee mit dem Hotel hatte sie anscheinend schon immer. Ich hab Fotos gesehen und so wie ich sie kenne, gibt sie sich mit etwas Halbem ohnehin nicht zufrieden. Ganz oder gar nicht war, glaube ich, ihr Motto.«
»Du wirst es ja nachher sehen. Das Himmelsschloss lässt dich alle Sorgen vergessen.«
Ich stockte und betrachtete Adam argwöhnisch. Wusste er etwa von meiner Trennung? Hatte Anna ihm etwas erzählt? Offenbar hatte sie ihm ja von ihrer Freundin berichtet, die sie besuchen wollte. Warum sonst hatte sich dieser letzte Satz so beschwichtigend angehört? Das brachte mich gleich zu meiner nächsten Frage, ob da etwas zwischen Anna und Adam lief. Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um und beinahe wäre ich aus dem Wagen gestolpert, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Welche Gefühle rief dieser Kerl in mir hervor?
Wir mussten glücklicherweise nicht mehr sehr lange warten. Adams Jeep war zwar gemütlich – meine Finger und Zehen tauten wieder auf – und man konnte sich trotz meines ersten Eindrucks unglaublich gut mit ihm unterhalten, allerdings fühlte sich diese vertraute Zweisamkeit mehr und mehr beengend an. Außerdem roch es ziemlich stark nach Vanille und Bratapfel. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich diesen Geruch in Zukunft nur noch mit ihm in Verbindung bringen würde. Unauffällig holte ich tief Luft.
»Da kommt er schon.«
Zwei helle Scheinwerfer mit einem rotierenden orangefarbenem Licht auf dem Dach kamen langsam durch den leise rieselnden Schnee auf uns zu. Ein Ungetüm von Wagen fuhr an uns vorbei, drehte und platzierte sich dann vor meiner Rostlaube. Aus dem Abschleppwagen stieg ein älterer Mann, mit dickem Bauch und weißem Bart. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich angenommen dem Weihnachtsmann gegenüberzustehen.
Adam trat in die Kälte zurück und ich folgte ihm eilig. Die beiden Männer begrüßten sich und ich kam verlegen näher. Der Mann vom Abschleppdienst aka der Weihnachtsmann stellte sich als Frank vor.
»So und Sie hatten eine kleine Panne? Ah, ich sehe schon. Sommerreifen. Da hatten Sie aber Glück, dass unser Adam zur Stelle war.«
Adam lachte fies und am liebsten hätte ich ihm das breite Grinsen aus dem Gesicht gewischt.

»Ich weiß«, knirschte ich mit den Zähnen. »Und es sind nicht die Reifen. Der Motor macht Probleme«, warf ich schnell hinterher, weil Adams Grinsen merkwürdige Dinge in meinem Inneren veranstaltete.
»Sie brauchen unbedingt neue Reifen«, überlegte Frank laut.
»Was ich brauche, ist ein Weihnachtswunder«, murmelte ich, eigentlich so leise, dass es keiner der beiden Männer gehört haben konnte.
Doch Adam überraschte mich. »Wer nicht.«
In den braunen Locken hatten sich Schneeflocken verfangen und es kitzelte in meinen Fingern, sie zu berühren. Ich konnte nicht leugnen, was ich schon längst wusste: Adam war der attraktivste und sympathischste Mann, der mir seit langem begegnet war. Ich betrachtete die gerade Nase und den leichten Bartschatten an seinem Kinn vielleicht ein paar Sekunden zu lange.
»... das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Frank in diesem Moment und sah mich fragend an. Ich erwachte aus meinem Tagtraum.
»W-wie bitte?«, stotterte ich.
Frank ließ seine Zähne spitzbübisch aufblitzen. Wissend zwinkerte er mir zu. »Ob es für Sie in Ordnung ist, mit Adam mitzufahren. Er wollte sowieso ins Himmelsschloss und ich muss mich beeilen. Ich würde Ihren Wagen in der Werkstatt abstellen und mich dann morgen um ihn kümmern.«
»Ja, klar. Wenn es keine Umstände macht«, sagte ich mit vorsichtigem Blick zu Adam. Der winkte meine Bedenken lässig ab.
»Alright. Dann mal los. Wir wollen doch nicht zu spät kommen«, klatschte Frank in die Hände und machte sich an die Arbeit. Ich wollte gerade fragen, wofür wir zu spät kamen, als Adam bereits die Tür seines Jeeps zustieß. Ich schnappte mir meine Sporttasche aus meinem Auto und eilte an seine Seite.
Zu sehen, wie nah ich meinem Ziel gekommen war, war frustrierend. Die Autofahrt dauerte nicht länger als fünf Minuten. Als Adam auf den mit Bäumen gesäumten Parkplatz zusteuerte und ich die beleuchteten Lichter in den Fenstern sah, wurde mir warm. Anna hatte wirklich ein Händchen für Atmosphäre. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl und geborgen.
»Home Sweet Home«, trällerte Adam. »Jedenfalls für die nächsten Tage. Du bleibst bis Neujahr?«
»Stimmt. Scheint ja, als hat Anna ganz schön aus dem Nähkästchen geplaudert.«

»Vielleicht ein wenig.« Ich schmunzelte und Adam schulterte meine Tasche. Sein Blick erlaubte keine Widerrede.
»Und nur damit du es weißt, Anna wird vermutlich versuchen Schicksal zu spielen. Das nur zur Vorwarnung.«
»Ja, das macht sie gerne«, grummelte ich und erinnerte mich an die unzähligen Studentenpartys, auf denen sie mich manchmal erfolgreich und meistens weniger erfolgreich verkuppelt hatte.
»Ich will nur nicht, dass du auf falsche Gedanken kommst, ich hätte ... ähh ... sie dazu angestiftet oder so. Hab ich nämlich nicht!« Amüsiert betrachtete ich den Mann, der plötzlich gar nicht mehr so selbstbewusst wirkte, wie noch vor wenigen Sekunden. Die wachsende Panik in seinen Augen, als er hilflos vor sich hin stotterte, war überraschend erfrischend.
»Keine Sorge. Ich bin mit Annas Verkupplungsversuchen bereits bestens vertraut und bin mittlerweile immun.« Hoffe ich jedenfalls.
Adam nickte kurz, er konnte das skeptische Aufflackern in seinen Augen nicht verbergen, doch er erwiderte nichts. Die breiten Eingangstüren öffneten sich und ein Schwall warmer Luft blies mir die Haare aus der Stirn. Noch ehe ich mich in dem mit Sternen übersätem Foyer umsehen konnte, riss es mich fast von den Beinen.
»Mensch, Heather, wo bist du denn so lange gewesen? «, begrüßte mich der Wirbelwind auf zwei Beinen und umarmte mich fest. An ihrer Schürze klebte noch Mehl vom Plätzchenbacken und ihre Wangen strahlten in einem zarten Rosa.
»Anna! Wie schön dich zu sehen!«, jubelte ich.
»Wir haben uns schon Sorgen gemacht und wollten 'nen Suchtrupp losschicken!«, schimpfte Anna ungerührt weiter.
»Hättet ihr besser mal machen sollen«, kommentierte ich. »Hast du denn meine Nachricht nicht bekommen?« Der fragende Gesichtsausdruck wurde von Adam beantwortet.
»Ich hab sie am Ende der Durchgangsstraße aufgegabelt. Ihr Auto ist steckengeblieben. Sie hatte noch die Sommerreifen drauf.« Er konnte es einfach nicht lassen! Der provozierende Unterton sollte endlich mal die Fliege machen. Ich zog eine Grimasse und wollte gerade zum wiederholten Male ansetzen, dass die Reifen nicht das Problem waren, als eine aufgeregte Horde Kinder Anna umringte.

»Wann kommt er denn endlich?«
»Ist er schon da? Hast du ihn gesehen?«
»Ich habe Glocken gehört, war er das etwa? Haben wir ihn verpasst?«
Anna tat ganz überrascht und legte die Hand nachdenklich ans Kinn. Dabei schmierte sie sich unwissend Mehl ins Gesicht.
»Wer soll denn heute noch kommen? Ich dachte wir wären vollzählig?«
Ein Mädchen mit blonden Zöpfen lachte zuckersüß und offenbarte eine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen.
»Aber Anna, der Nikolaus kommt doch heute!«, rief sie.
»Ach, echt? Ich habe gehört, er kommt nur zu den Kindern, die auch artig waren. Wart ihr denn alle artig?« Gespielt streng schaute sie in die Runde, in der plötzlich ein betretenes Schweigen herrschte.
»Ich hab nur einmal meine Hausaufgaben nicht gemacht. Wirklich nur einmal!«, platzte es aus einem Jungen mit braunen Locken. Er könnte Adams Sohn sein, wenn ich ihn genauer betrachtete.
»Onkel Adam, du glaubst mir doch, oder?« Oder sein Neffe.
»Na klar, Kumpel.« Er gab dem Kleinen ein High five. »Hör mal, Zac. Ich wollte gerade das Gepäck hier aufs Gästezimmer bringen. Wenn du mir hilfst, vergisst der Nikolaus vielleicht die Hausaufgaben. Was hältst du davon?«
Eifrig hielt sich Zac am Tragegurt fest, der über den Boden schliff. Die anderen Kinder schlossen sich ihm an.
»Ich kann auch helfen, ich bin schon fünf!«
»Ich kann das viel besser!«
»Kommt der Nikolaus denn bald?«
Anna verschränkte die Arme und ich konnte sie nur bewundern, wie souverän sie mit der Bande schnatternder Kinder umging.
»Der Nikolaus kommt nur zu Kindern, die geduldig sind.«
»Ich dachte, er kommt nur zu den Kindern, die artig sind?«, konterte Zac. Anna funkelte ihn böse an.
»Das ist das Gleiche. Wolltet ihr nicht Heathers Sachen nach oben bringen?« Bevor ihn die Kinder mit sich wegzogen, ergriff Anna beherzt Adams Arm.

»Danke, dass du Heather geholfen hast. Dafür schulde ich dir was. Wie wär's mit einer Woche Essen aufs Haus? Merle macht bestimmt auch deinen Lieblingskuchen, wenn du sie lieb drum bittest.«
Er überlegte nicht lange.
»Mach zwei Wochen draus, dann sind wir quitt.« »Einverstanden.«
Mit einem letzten Augenzwinkern in meine Richtung, machte er sich auf den Weg meine Sporttasche nach oben zu tragen. Die Kinder folgten ihm auf Schritt und Tritt. Am Treppenabsatz meinte ich ihn so etwas wie »Ich hätte einen Monat nehmen sollen.« sagen zu hören und kicherte leise.
»So, so.« Anna grinste von einem Ohr zum anderen. »Was ist?«
»Ach, nichts.« Das Grinsen wurde breiter.
»Anna ...«
Sie hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt nach hinten. Ich musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.
»Ich weiß, was du vorhast. Lass es einfach«, zischte ich und sprach gegen eine Wand.
Anna verfrachtete mich kurzerhand – und nachdem ich mir meine Haare trockengerubbelt hatte – in einen weiträumigen mit Holz vertäfelten Speisesaal, in dem sich bereits alle Hotelgäste und wie es aussah, auch die meisten Familien aus der kleinen Stadt eingefunden hatten. Normalerweise standen die Tische wohl verteilt ihm Raum, heute waren sie in U-Form um einen gigantischen Weihnachtsbaum aufgestellt. Die Menschen redeten wild durcheinander, lachten und die Kinder spielten vor Freude kreischend Fangen und versteckten sich unter den Tischen. Obwohl ich als ortsfremder Eindringling hinzukam, wurde ich aufgenommen, wie eine Familienmitglied, das man seit Jahren nicht gesehen hatte. Langsam, aber sicher verstand ich, was Anna an dem Leben in der Kleinstadt so toll fand.
Zur Feier des Tages hatte sie sich richtig herausgeputzt und ihr schönstes dunkelgrünes Kleid übergeworfen. Nur in den Haaren hing noch etwas Mehl, aber das machte niemandem hier etwas aus. Staunend glitten meine Augen über die Tanne. Ein betörender Duft drang in meine Nase. Tannenzweige, Wald und Bratapfel und ... Vanille? Ich schüttelte den Kopf.

»Den haben die Kinder heute Morgen geschmückt, deswegen hängen die meisten Kugeln auch unten. An die oberen Äste ist nur Adam gekommen.«
»Was macht er eigentlich hier? Arbeitet er im Hotel?«, konnte ich die Frage nicht mehr aufhalten und biss mir auf die Zunge. Anna tat immerhin so, als würde sie meine offene Neugier nicht bemerken.
»Adam? Oh nein, der macht mal dies, mal das. Letzte Woche hat er Albert beim Holzhacken geholfen. Davor war er in der Bäckerei, weil Ines das Kind zu früh bekommen hat. Im Sommer arbeitet er, glaube ich, oft im Schwimmbad.«
»Also ist er der Mann für alle Fälle?«
»So in etwa.« Schon wieder war da dieser wissende Gesichtsausdruck und das konnte nur eines bedeuten.
»Anna, nein.«
»Ach, komm schon. Er mag dich!«
»Ich kenne ihn nicht einmal«, fuhr ich aufgebracht dazwischen. »Und du magst ihn auch!«, bemerkte sie honigsüß.
Zu ihrem – oder meinem – Glück klopfte es in genau diesem Moment lautstark an der Tür. Abrupt hörten die Gespräche auf und die Kinder erstarrten mit vor Schreck geweiteten Augen mitten in der Bewegung. In der gespannten Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Da kam der Nikolaus mit weißem Rauschebart mit seinem roten Umhang und dem goldenen Buch – und was wohl am wichtigsten war, einem großen Geschenkesack – herein. Die Kinderaugen begannen zu leuchten.
»Hallo, ihr lieben Kinder! Groß und Klein«, rief er mit tiefer Stimme und die Kinder jauchzten vor Freude.
Argwöhnisch beugte ich mich zu Anna.
»Ist das ... das ist doch nicht etwa Frank?«
Anna grinste. »Du hattest echt Glück, dass er noch rausgefahren ist, er war schon ziemlich spät dran. Was glaubst du wie enttäuscht die Kinder gewesen wären, wenn der Nikolaus nicht gekommen wäre? Sonst hätte ich Adam dazu verdonnern müssen.« Das hätte ich gerne gesehen.
»... dann wollen wir doch mal sehen, ob ihr auch alle artig gewesen seid und in meinem goldenen Buch steht.«

Mit anzusehen, wie sehr sich die Kinder freuten vom Nikolaus gelobt zu werden, und Schokolade und kleine Geschenke zu bekommen, war fast das Beste an diesem Abend.
Zac freute sich über ein kleines Spielzeugflugzeug und rangelte mit seinem Onkel um den Flieger. Unsere Blicke kreuzten sich kurz und Adam lächelte. Ich erwiderte sein Lächeln und fühlte mich plötzlich merkwürdig leicht.
Anna hatte mich zu zwei äußerst geschwätzigen Damen gesetzt. Heidi aus Deutschland konnte nur gebrochen englisch, aber redete wie ein Wasserfall. Agatha aus New Hampshire übersetzte freudig. Die beiden waren besser als jede Talkshow.
Während sanfte Weihnachtsmusik spielte und sich ein paar Gäste sogar auf die Tanzfläche wagten, schaute ich verträumt durch die Gegend. Dabei blieb mein Blick öfter an einer bestimmten Person hängen.
»Meine Güte, wenn ihr nicht bald miteinander tanzt, muss ich das noch für euch übernehmen.« Mein Stuhl wurde ruckartig nach hinten gezogen, Anna griff mir unter die Arme und zog mich auf die Beine.
»Huch? Was -« »So!«
Ich stand Adam gegenüber, der ungefähr genauso verdattert wirkte, wie ich mich fühlte. Die Spannung zwischen uns war unverkennbar. Hinter ihm erkannte ich Frank, der seine Nikolausverkleidung abgelegt hatte.
»Einen kleines Weihnachtswunder hat jeder verdient, oder nicht?«, meinte er und meine Wangen fingen Feuer.
»Ihr tanzt jetzt miteinander«, beschloss Anna energisch und weil es vor ihr kein Entkommen gab, legte ich meine zitternde Hand zögernd in Adams. Die Musik wechselte zu einem langsamen Walzer. Ernsthaft?
Doch jegliche Proteste blieben mir mitten im Hals stecken. Adam legte eine warme Hand an meinen Rücken und führte mich sicher über das Parkett. Ich schluckte. Hatte sich Cinderella auch so gefühlt, als sie mit ihrem Prinz getanzt hatte? Dort, wo er mich berührte, war es, als würden tausende kleine Feuerwerke auf meiner Haut tanzen.
»Danke, dass du mir heute geholfen hast«, bedankte ich mich holprig.

»Klar«, krächzte er und es bereitete mir ein gutes Gefühl, zu wissen, dass er genauso aufgeregt war wie ich. Lange währte der Moment des Triumphes jedoch nicht. Er räusperte sich und zurück war das lässige Grinsen.
»Immun gegen jegliche Verkupplungsversuche, was?«
»Gleichfalls. Bestimmt hast du sie doch dazu angestiftet«, neckte ich ihn. »Und wenn es so gewesen wäre?«
Ein Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln und das Flattern in meinem Magen wurde zu einem Sturm, wie er gerade vor den verschneiten Fenstern tobte. Ein glockenhelles Kinderlachen holte uns zurück in den Speisesaal. Zac wies triumphierend auf etwas an der Decke. Wir folgten seinem Fingerzeig. Ein Mistelzweig baumelte sanft schwingend über uns. Adam kaute auf der Lippe und ich lächelte verlegen.
»Dann hätte ich nichts dagegen einzuwenden«, sagte ich leise.
Also am Ende doch noch ein Märchen mit Happy End. Oder ... vielleicht doch kein Märchen?

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© Christina Schmitz
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