16. Dezember

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Nervös laufe ich in meiner Wohnung hin und her

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Nervös laufe ich in meiner Wohnung hin und her. Schlüssel, Handy, habe ich. Brauche ich noch etwas? Nein, ich habe alles. Glaube ich.
Mein Blick richtet sich auf die Uhr.

13.57 Uhr. Gleich müsste er kommen. Ich ziehe meine Jacke an, obwohl es hier drinnen mit dem dicken Mantel viel zu warm ist.

13.58 Uhr. Ich binde mir meinen Schal um und setze die Mütze auf. Dann kommen die Handschuhe.

13.59 Uhr. Langsam werde ich unruhig. Überprüfe, ob alle Fenster geschlossen sind, natürlich sind sie das. Aber irgendetwas muss ich tun.

14.00 Uhr. Er müsste doch schon da sein. Verdammt, wo bleibt er? Ist etwas passiert? Er ist doch sonst immer überpünktlich. Der Schnee fällt ungeachtet dessen sanft zu Boden. Alles ist ruhig. Ich auch. Irgendwie. Ruhig bleiben, Ella.

14.01 Uhr. Ich starte auf mein Handydisplay, ob vielleicht eine Nachricht kommt, aber ich sehe nur die Uhrzeit. Kein Ton, nichts. Habe ich mich im Termin geirrt? Irgendetwas übersehen?

14.02. Uhr. Kein Grund zur Unruhe. Es gibt sicher einen Grund. Es klingelt, endlich. Sofort stehe ich ich an der Tür und mache auf.

„Hallo", begrüßt Matthew mich etwas atemlos. Ich bin so froh, ihn endlich wiederzusehen, nachdem wir seit seinem Umzug und meinem neuen Job kaum noch Zeit für ein Treffen gefunden haben. „Sorry, es gab ein bisschen Stau."

„Kein Problem. Dann bin ich wenigstens einmal schon fertig, wenn du kommst." Ich lache, und wenig später steigt auch Matt mit ein. Er ist ähnlich dick angezogen wie ich, aber trotzdem schauen die Spitze seiner Haare unter der aquamarinfarbenen Mütze heraus. Und obwohl wir uns so lange nicht mehr gesehen haben, ist doch alles wie früher, daran ändern auch seine inzwischen kurzen Haare nichts, egal wie sehr ich die langen vermisse. Es ist ja nicht so, als ob ich mich nicht verändert hätte.
„Dann lass uns besser mal losgehen, bevor es noch dunkel wird," fordert er mich auf. Und er hat recht, wir wollen die wenige Zeit , die wir haben, schließlich nicht verschwenden, also nehme ich meine Schlittschuhe, die unbenutzt herumlagen, sieht wir das letzte Mal gemeinsam Eislaufen waren, was traurigerweise schon drei Jahre her ist, und gehe los. Wie von selbst verschränken sich unsere Hände auf dem Weg zum See, was trotz der Handschuhe ein Kribbeln durch meinen Körper jagt. Einige Schneeflocken bleiben in meinen Haaren hängen, wo sie anders als auf meiner Haut nicht schmelzen. „Pink steht dir übrigens," bemerkt Matt so beiläufig, dass die Gefühle wie tausend Blitzschläge durch meinen Körper schießen. „Im Gesicht ist es aber noch einmal schöner als bei deinen Haaren." Mir wird heiß und kalt zugleich. So meint er das nicht, Ella. Warum kannst du nicht aufhören, daran zu denken? Du wolltest doch einfach Spaß haben. Also schiebe ich die Gedanken weg und konzentriere mich auf die Welt hier außen. Die Umgebung um uns herum glitzert weiß, alleine auf dem Weg selbst sind schon Fußspuren zu sehen. Kein Wunder, denn wer könnte an diesem wunderbaren Tag schon der Versuchung widerstehen, wenn alle Leute hierher kommen? Nicht nur zum Eislaufen wie wir beide, manche bauen hier auch Schneemänner, machen Schneeballschlachten oder gehen einfach nur spazieren. Schon von hier aus hört man die vielen Stimmen.

Bald sind wir auch schon angekommen und ich wische den Schnee von einer Bank, bevor ich mich setze, um meine Schlittschuhe anzuziehen. Ich bin zuerst fertig, warte aber auf Matthew und lasse mich von ihm auf die Eisfläche führen. Immer lächelnd, denn ich bin fest entschlossen, mir diese wertvollem Stunden nicht von meinen Gefühlen für ihn ruinieren zu lassen. Zuerst bin ich noch zögerlich und teste, ob das Eis hält, aber schon bald sind meine Schritte fester und wir gleiten Hand in Hand über den See.

„Fang mich!", rufe ich und werde schneller, während er lachend die Verfolgung aufnimmt, mich aber erst einholen kann, als ich eine Kurve nehme und er mich abfängt. So jagen wir uns noch eine Weile über das Eis, bis wir beide außer Atem sind und es ruhiger angehen lassen und schließlich zurück zum Ufer fahren. Dort erwarte ich eigentlich, ein paar Minuten ruhig auf der Bank zu sitzen, aber da habe ich die Rechnung wohl ohne meinen besten Freund – denn genau das ist er, nicht mehr und nicht weniger, erinnere ich mich – gemacht, wie ich feststelle, als der Schneeball dieses Mal noch neben mir auf dem Boden landet.
„Ups", kommentiert er den Wurf, während ich jetzt selbst ein bisschen Schnee aufhebe und zu einer Kugel forme.
„Das gibt Rache." Nur leider verfehlt ihn diese Rache nicht gerade knapp. Werfen ist nicht gerade meine Stärke.

„Sicher?", fragt er, eine Augenbraue hebend. Typisch, aber trotzdem flattern die Schmetterlinge in mit wieder auf. Es sollte doch einfach ein normaler Nachmittag werden. Aber wie es scheint ist das unser normal.
Ich verdrehe belustigt die Augen. „Man kann nicht alles können."
„Stimmt, dafür kannst du ja immerhin Backen, nein Moment." Nicht, dass er nicht Recht hätte, aber trotzdem.
„Hey!" Wenigstens trifft der nächste Schneeball, während ich mich wieder wegducken kann. Nur leider nicht Matthew. „Entschuldigung!", rufe ich der Frau zu, die mich aber ignoriert.
„Ich habe Plätzchen mitgebracht." Sofort drehe ich mich zu ihm um. Ein Friedensangebot also? Die Antwort bekomme ich, als ein Schneeball in meinem Gesicht landet.

Im Spiel merken wir gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht und als wir beide erschöpft eine Pause wollen, unsere Finger trotz der Handschuhe steif gefroren, dämmert es schon und viele Leute sind gegangen. Dafür können wir jetzt von hier aus den Sonnenuntergang betrachten, bevor wir uns schließlich auf den Rückweg machen.
Bei mir angekommen holt er die Plätzchendose aus seinem Auto, die er also doch wirklich dabei hat, bevor er mir nach drinnen folgt. Eine heiße Schokolade später sitzen wir beide dicht aneinandergekuschelt auf der Couch, während langsam das Gefühl in meine Finger zurückkehrt und meine Füße noch kribbeln. Auf dem Tisch stehen zwei Tassen, eine Kanne Kakao und der Teller mit seinen Plätzchen, die wirklich lecker und im Gegensatz zu denen, die ich letzte Woche zu backen versucht habe, nicht verbrannt sind und obwohl wir einfach nur miteinander schweigen und die tausend Fragen, was das zwischen uns nun eigentlich ist, ignorieren, habe ich nicht das Gefühl, irgendetwas zu vermissen.

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© | traumkoenigin-

24 Lichter | 2023Where stories live. Discover now