SEMPER FIDELIS ǁ ᵀᴬᴱᴶᴵᴺ

By gologel

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❝Für immer treu.❞ Jin lebt für seine Berufung als Amor. Als er bemerkt, dass einige seiner Ewigkeits-Pärchen... More

𝐀𝐌𝐎𝐑 𝐔𝐍𝐃 𝐏𝐄𝐑𝐒𝐄𝐏𝐇𝐎𝐍𝐄
1 - 𝐀𝐆𝐀𝐏𝐄
3 - 𝐋𝐔𝐃𝐔𝐒
4 - 𝐄𝐑𝐎𝐒
5 - 𝐏𝐇𝐈𝐋𝐈𝐀
6 - 𝐒𝐓𝐎𝐑𝐆𝐄
Epilog - 𝐏𝐑𝐀𝐆𝐌𝐀

2 - 𝐏𝐇𝐈𝐋𝐀𝐔𝐓𝐈𝐀

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By gologel

Vermutlich war es der energische Hüftschwung mit dem Seokjin auf den Tisch in ihrem Stamm-Café zusteuerte, die zusammengeballten Fäuste oder die Blitze speienden Augen, vielleicht auch die in alle Winde verstreuten Haare oder all das zusammen – Yoongi und Jimin sahen ihn bereits aufmerksam an, als er, noch nicht einmal ganz auf seinem Stuhl sitzend, zu einer Schimpf-Tirade ausholte.

„Meine Pärchen, meine Ewigkeitspärchen, meine Pärchen, die für immer und ewig füreinander bestimmt sind", Seokjin machte eine dramatische Pause, widmete seinen beiden Freunden jeweils einen eindrücklichen Blick, „sie trennen sich! Alle!"

Ihre Reaktion entsprach nicht seinen Wünschen.

„Okay?", sagte Jimin, eine unausgesprochene Frage auf den Lippen.

„Bestimmt nicht alle", erwiderte Yoongi.

Entsetzt sah Seokjin diesen an, für einen Moment blieben ihm die Worte weg bei der offensichtlichen Unbekümmertheit seiner Freunde. „Doch!"

„Und woher weißt du das?", hakte Jimin nach und setzte vorsichtig damit fort, sein Croissant mit Nutella zu bestreichen.

„Weil ich es gehört habe – und gesehen! Meine Top drei Lieblingspärchen haben sich getrennt oder sind kurz davor!"

Yoongi hob seine Augenbraue. „Oh Gott, hast du schon wieder deine Paare gestalkt?"

Empört drehte Seokjin sich zu seiner Linken und Yoongi musste sich bei dessen empörten Blick ein Prusten unterdrücken. „Entschuldige mal, das tut hier nichts zu Sache. Meine Ewigkeits-Pärchen trennen sich, hast du mir nicht zugehört?"

Jimin, der oftmals ein bisschen einfühlsamer auf Seokjins Ausbrüche reagierte, griff vorsichtig nach der Hand seines Freundes und zuckte gleich darauf zurück, als dessen Kopf sich ruckartig wieder ihm zuwandte. „Das ist... blöd", versuchte er sich an einem Tröstversuch, „und mies, wenn es das erste Mal passiert, aber nichts, was einem im Laufe seiner Karriere nicht einmal passieren wird."

„Ja", Seokjins Aussage schrie nur so vor fehlender Zustimmung, „aber nicht dreimal zum selben Zeitpunkt."

Jimin zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Manchmal ist das Timing einfach scheiße. Das hat bestimmt nichts zu bedeuten."

Neben Seokjin wurde eine Tasse frischen Caramel-Cappuccinos auf den Tisch gestellt. Die Bedienung wollte gerade fragen, ob es das Übliche sein sollte, aber mit einem Blick in das Gesicht des Amors zog sie sich schnell wieder zurück.

„Jetzt verscheuchst du sogar schon die Bedienung", witzelte Yoongi.

„Manchmal würde ich dich am liebsten umbringen, Min Yoongi", erwiderte Seokjin stürmisch, bevor er einmal all die angestaute Luft aus seinen Lungen schnaubte und nach der Tasse griff. Der süß-herbe Geschmack benetzte seine Zunge, besänftigte kurzzeitig sein aufgeregtes Gemüt und gab ihm einen Moment zum Durchatmen.

„Findet ihr das wirklich nicht komisch?", fragte er seine Freunde dann.

Vage ließ Yoongi den Kopf schweifen. „Drei auf einmal ist vielleicht etwas ungewöhnlich, aber viel hineinzuinterpretieren gibt's da nicht. Nicht jedes Ewigkeits-Pärchen ist wirklich für die Ewigkeit bestimmt, manche bekommen halt einen Trennungspfeil ab."

„Ja", unterstützte Jimin ihn mit vollem Mund, das Croissant kauend, dem nun ein Stück fehlte, „jeder von uns schießt mal ein Ewigkeits-Paar, das dann von den Persephonern wieder aufgelöst wird. So ist die Liebe; manchmal ist sie zeitlich begrenzt, auch wenn wir etwas anderes denken."

Seokjin verschränkte seine Arme, blickte vom einen Freund zum anderen. „Euch fehlt definitiv die Leidenschaft für diesen Job", stellte er dann entrüstet fest. Der Caramel-Cappuccino wirkte also nur für ein paar Sekunden.

Yoongi verdrehte die Augen. „Seokjinnie, du als penibelster Perfektionist müsstest ganz genau wissen, dass nicht alle Ewigkeits-Pärchen für die Ewigkeit sind, vollkommen unabhängig des Amors."

„Eure vielleicht. Meine nicht!"

Zu Seokjins rechter Seite ertönte ein Seufzen, seine linke Seite lächelte schwach. Bei der zur Schau gestellten Verzweiflung seiner Freunde, revidierte der Amor seine Aussage.

„Gut, okay, vielleicht eins – beim ersten getrennten Paar war es noch okay für mich. Gut, ein kleiner Rückschlag, ein kleiner Schock, aber okay, passiert. Beim zweiten Paar war ich schon ein bisschen erregter, aber okay, passiert. Aber beim dritten Paar? Die, die alles miteinander aufgebaut haben, die immer füreinander da waren? Das ist einmal zu viel, das ist eigentlich auch zweimal zu viel. Und vor allem, das Beste kommt ja noch: dieser Wichser hat ihn mit 'nem Betrügungspfeil versehen! Er betrügt sie! Er betrügt sie!"

„Oh, fuck", gestand Jimin, seinem Freund endlich die Reaktion gebend, die er erwartet hatte, „da wäre ich auch sauer."

„Danke!", Seokjins Stimme überschlug sich beinahe und erwartungsvoll blickte er Yoongi an.

Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Sorry, ich trenne Berufliches und Privates im Gegensatz zu dir."

„Eines Tages schieß ich dir noch einen Pfeil in den Arsch", drohte Seokjin seinem Freund halb ernst, halb scherzend, doch dieser wackelte nur anzüglich mit den Augenbrauen.

„Okay, also rekapitulieren wir das alles nochmal", versuchte Jimin sich an einem Schlichtungsversuch, „du bist – verständlicherweise – wütend, dass deine Ewigkeits-Paare so kurz aufeinander getrennt wurden. Es sind aber nicht alle?"

„Die anderen konnte ich noch nicht checken. Aber wer weiß?! Vielleicht steht ja kein einziges Paar mehr!"

„Okay, also mindestens drei deiner Pärchen wurden getrennt, auf teilweise unschönste Art. Du bist wütend, siehst dich und deine Fähigkeiten angegriffen", vorsichtig sah Jimin auf, „weißt aber theoretisch, dass das vorkommt. Richtig?"

Seokjin seufzte. Etwas in der Theorie zu wissen und es zu verinnerlichen waren zwei verschiedene Geschichten. „Ihr wisst, warum mir das Schießen glücklicher Ewigkeits-Paare so wichtig ist."

„Ja, das tun wir", erwiderte Yoongi und rührte seinen schwarzen Kaffee um, „und wir haben dir schon oft geraten, dir deine Selbstbestätigung aus anderen Quellen zu ziehen."

Daraufhin schwieg Seokjin. Er hatte wirklich keine Lust, wieder ein Gespräch darüber zu führen, dass seine Arbeit als Kompensation diente. „Vollkommen unabhängig davon ist es trotzdem ungewöhnlich, dass so viele meiner Paare in so kurzer Zeit getrennt wurden."

„Vielleicht haben die Kontrollebenen der Amoren und Persephoner bei ihrem Austausch gemerkt, dass es mehrere Fehlentscheidungen bei der Pärchenwahl gab", schlug Jimin vor.

„Dann wäre mein neuer Teamleiter schon längst geflogen. Der ist gerade erst raus aus der Probezeit."

Darauf wusste keiner seiner Freunde etwas zu erwidern. So waren die internen Regeln: Wer die hochverehrte Liebe nicht sorgsam verbreitete, der war schnellstmöglich wieder seine Position los. Liebe war nichts, womit man sich viele Fehltritte leisten konnte.

„Und was möchtest du jetzt tun? Wolltest du dich einfach nur abregen? Sollen wir ein paar Margarithas bestellen und uns die Kante geben?"

Seokjin schwieg für einen Moment. In solchen Situationen fiel ihm auf, wie anders seine Freunde manchmal waren – manchmal war das auch gut. „Na, ich suche den Persephoner, der dafür verantwortlich ist."

„Um ihm dann eine reinzuhauen und gegen den Kodex unserer zwei Gesellschaften zu verstoßen?", hakte Yoongi belustigt nach.

„Nein, natürlich nicht!" Trotz all der Empörung und Wut in seinem Innersten hatte Seokjin noch allen Verstand beisammen. „Aber um mit ihm zu reden. Zu fragen, warum. Zu fragen, wieso. Das darf ich ja wohl wissen, oder?"

„Ich schätze", antwortete sein Freund und führte einen Teil seines Omeletts in den Mund.

„Woher willst du wissen, dass es ein und derselbe Persephoner war?", begab Jimin zu Bedenken.

„Das werde ich herausfinden."

„Und wie?"

„Na, indem ich den Chef bezirze. Meinem Charme kann niemand widerstehen", erwiderte Seokjin selbstverständlich. „Aber jetzt brauche ich erstmal was zu essen", er seufzte, „wütend zu sein ist ja so anstrengend."


⥴❤⥳


Die Halle der Amoren empfing ihn – wie immer – mit strahlendem Sonnenschein. Ob die schwersten Wolken den Himmel verhingen, Nebel die nächsten Meter undurchschaubar zeichnete oder dicke Schneeflocken ein undurchdringbares Gestöber verursachten – Seokjins Arbeitsstätte war immerzu hell durchleuchtet. Deswegen machte es ihm auch nichts aus, an manchen Tagen lediglich die Akten seiner Paare zu durchforsten, sie und ihre Liebesgeschichte, die sich entfalten sollte, kennenzulernen und seine Herangehensweise an die Mission zu planen. Es war wie Tagträumen für ihn.

Seokjin wusste genau, dass kaum einer seiner – vollkommen nachvollziehbaren – Bitte nachkommen würde. Er bräuchte jemanden, der in den oberen Hierarchien der Kette arbeitete, und diese waren sehr auf ihre Kodexe beschworen. Und einer davon war, dass die Liebe Sache der Amoren war und Trennungen Sache der Persephoner.

Per se fand Seokjin diese Kodexe nicht falsch – aber er fand, dass man in besonderen Fällen seine Kodexe flexibel handhaben sollte; darauf achten, dass diese einen nicht blind machte.

Weder Yoongi noch Jimin waren von seiner Idee sonderlich angetan gewesen. Das hatten sie mehr oder weniger deutlich mit Worten oder Gesichtsausdrücken von sich gegeben. Keiner von beiden hatte ihm jedoch widersprochen, dass kein Schaden darin bestand, sich mit dem Persephoner zu unterhalten, herauszufinden, warum die höheren Riegen entschieden hatten, diese Ewigkeits-Paare doch zu trennen. Es gab keinen Kodex, der gegen Aufklärung sprach – und hätte es diesen gegeben, hätte Seokjin sich definitiv nicht an ihn gehalten.

Die Absätze seiner Boots hallten mit jedem Schritt auf den weißen Marmorfliesen durch die hohe Halle, bis das Echo sich in den zahlreichen Beinpaaren der anderen Amoren, die um diese Uhrzeit ihr Briefing antraten, verlor. Seokjin nickte ein paar bekannten Gesichtern freundlich zu, hielt sich aber nicht mit Smalltalk auf und steuerte an seinem Tisch vorbei hin zu Lee Felix Schalter.

„Hi", er lehnte sich auf die Marmorplatte, die Felix Tisch schmückte, und schenkte ihm sein bezauberndstes Lächeln, das noch unauffällig wirkte.

„Hallo Seokjin", begrüßte Felix ihn freundlich und sah von seinem PC hoch, ohne jedoch mit dem Tippen aufzuhören, „solltest du nicht eigentlich im Bett liegen?"

„Ach", erwiderte Seokjin, zuckte einmal kurz mit den Schultern, als wäre nichts Besonderes vorgefallen, „ich habe auf meiner gestrigen Tour etwas bemerkt, dass ich gerne mit der oberen Ebene abklären würde. Nichts Schlimmes", versicherte er, als Felix Augenbrauen interessiert nach oben schossen, „aber etwas, über das ich gerne Input von weiter oben hätte."

„Wie viel weiter oben sprechen wir denn?", fragte der Rezeptionist nach und schloss mit einem lauten Tastendruck seine Tipp-Tirade ab.

Seokjins Teamleiter, der mit ihnen immer die Paare der Woche durchsprach, weitere Informationen verteilte und die finale Entscheidung bei der Pfeilwahl hatte, war der Auffassung des Amors nach ein schlechter Kandidat. Er beeindruckte ihn definitiv mit seiner Souveränität, aber er hatte auch immer das letzte Wort. Jemand, bei dem man schwer einen Gefallen erbitten konnte.

Mit der Kontrollebene hatte er nie mehr als ein paar flüchtige Worte gewechselt. Amoren, die das alles sehr technisch sahen, einen sehr... emotionslosen Umgang mit der Liebe fanden. Das war Seokjin nicht geheuer, denn wenn eines doch einen emotionalen Umgang benötigte, dann Themen der Liebe? Blieb nur noch einer – und der mochte Seokjin.

„Wir sprechen von ganz oben. Dem obersten Amor ganz persönlich", erwiderte der Amor grinsend und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein.

Felix brummte verstehend – er wusste, wie gut sich sein Chef und Seokjin verstanden – und klickte ein paar Mal auf seinem Bildschirm, bevor er sich wieder an seinen Gegenüber wendete. „Er scheint gerade keine Besprechung zu haben. Ich rufe ihn mal an, ob er dich empfangen kann."

Während Felix auf dem rosaroten Scheibentelefon die Nummer des obersten Amors wählte – Seokjin vermutete, dass sie diese uralten Teile nur noch aus Stilgründen besaßen –, durchdachte er noch einmal seine Strategie, die strenggenommen keine wirkliche war und sich auf gegenseitigen Sympathien ausruhte. Und wenn jemand Seokjin mochte, dann wurde ihm normalerweise nie ein Wunsch abgeschlagen. Außerdem befolgte der oberste Amor die Prinzipien und Kodexe nicht ganz so scharf wie andere – was in seiner Position sicherlich bedenklich war, aber darüber würde Seokjin sich ein anderes Mal Gedanken machen.

Das laute Klicken des Telefons, das wieder in seiner Halterung einrastete, riss Seokjin aus seinen Überlegungen. „Er hat Zeit für dich", teilte Felix im freundlich lächelnd mit – irgendetwas Unanständiges dachte sich dieser kleine Rotzlöffel doch, das konnte ihm der Ältere förmlich von der Nasenspitze ablesen – und er verabschiedete sich mit einer kleinen Verbeugung in Richtung des gläsernen Fahrstuhls.

In früheren Zeiten, so hatte ihm seine Mutter erzählt, war an dessen Stelle noch ein Luftkanal gewesen, der die Amoren innerhalb weniger Sekunden nach oben befördert hatte. Da es aber immer wieder zu Zusammenprallen gekommen war und einige Amoren den Windstrom zu freizeitvergnüglichen Aktivitäten genutzt hatten (und manchmal einen Teil ihres Mittagessens infolgedessen verloren hatte), war der Luftkanal inzwischen versiegt und das Fliegen innerhalb der Hallen verboten worden. Bei der ein oder anderen Feierlichkeit wurde jedoch ein Auge zugedrückt und alle möglichen flatternden Flügelpaare gesichtet.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und bot Seokjin den Eintritt in das rosa Paradies seines Chefs. Zumindest der Vorraum zu seinem Büro war in den verschiedensten, frisch blühenden, betörend duftenden Blumen geschmückt und ein kleiner Brunnen plätscherte leise und idyllisch vor sich hin. Der Amor umrundete diesen und klopfte zweimal kurz gegen die hölzerne Tür.

„Herein, mein Liebster", ertönte eine freudige Tenorstimme von innen. Zeit, den obersten Amor zu bezirzen.

Seokjin schlug der Geruch von Lavendel entgegen, gemischt mit einer Brise salziger Meeresluft – und lag da ein Hauch von frisch gebackenem Kuchen in der Luft? Die wenigen Male, die der Amor das Büro des Obersten der Hierarchie betreten hatte, hatte es nach einer neuen, sonderbaren, in keiner Weise aufeinander abgestimmten Duftkombination gerochen. Langsam beschlich ihn das Gefühl, dass sein Chef dies absichtlich machte, um besonders exzentrisch zu erscheinen – es wirkte, irgendwie zumindest, denn Seokjin musste sich kurz bemühen, um nicht das Gesicht zu verziehen.

Das Büro war wie die Halle der Amoren selbst lichtdurchflutet. Weiße, beige, pastellrosa Töne mischten sich sanft untereinander, ließen den Raum elegant, rein, aber auch steril wirken. Ein kuscheliges Sofa in Wolkenform stand an der Fensterfront in den Raum gerichtet, dessen Wände mit hohen Regalen geschmückt waren, in denen fein säuberlich nach Größe, Dicke und Farbe sortiert verschiedenste Bücher standen. Seokjin konnte sich bei allem Respekt nicht vorstellen, dass der Mann überhaupt eine dieser Regalreihen durchgelesen hatte.

Der oberste Amor – ein dicklicher, kleiner Mann mit inzwischen weißem Haar, durch das sich noch vereinzelte rosa Strähnen durchzogen – sah von Blättern auf seinem riesigen, weißen Schreibtisch auf und schenkte Seokjin ein liebenswürdiges Lächeln.

„Warum sucht mich denn einer meiner Besten, nach seiner Nachtschicht noch, auf?" Er deutete mit seiner Hand auf einen der flauschigen Sessel, die vor dem Tisch standen, doch Seokjin lehnte sich lieber nur an diesen. Man saß auf ihnen deutlich unter dem obersten Amor, sodass dieser auf einen hinabschauen konnte – Seokjin war davon kein Fan. Er hatte einmal mit Yoongi darüber geredet und sie waren sich einig gewesen, dass dies eine mindestens merkwürdige stilistische Entscheidung war.

„Mir ist heute Nacht etwas aufgefallen, das ich komisch fand und wodurch mir Fragen aufgekommen sind", begann Seokjin seine Erzählung, darauf bedacht, was er alles erzählen konnte. „Nach meiner Schicht hatte ich noch etwas Zeit zu überbrücken und entschloss mich dazu, nach einem meiner Ewigkeits-Pärchen zu schauen. Ihre blühende Liebe zu bewundern", sagte er mit einem berührten Lächeln an den obersten Amor gewandt.

Dieser nickte verzückt und verständnisvoll – es war in der ganzen Halle bekannt, dass er ein absoluter Romantiker war, der die Liebe verehrte. So sehr, dass er selbst schon beinahe liebesblind wurde, so munkelte der eine oder die andere.

„Dabei habe ich mitbekommen, dass eines dieser Paare getrennt wurde. Was an und für sich nichts Ungewöhnliches ist. Es war schade für mich, da es mein erstes getrenntes Ewigkeits-Paar war, aber das kommt in der Karriere schon einmal vor."

„Vor allem, wenn man schon einige Jährchen dabei ist, so wie du", fügte der andere hinzu.

„Genau", bestätigte Seokjin. „Als ich diese Erkenntnis getroffen hatte, machte ich mich zu einem anderen Ewigkeits-Pärchen auf, da ich noch immer optimistisch – und nun erst recht in der Laune – war, eines meiner Paare zu sehen. Dort traf mich dann dieselbe Realisation: sie wurden getrennt. Nun, um mich kurz zu fassen: ich habe noch nach einem weiteren Paar gesehen – nur einem – und dieses hatte dasselbe Schicksal getroffen; sie wurden allesamt mit einem Trennungspfeil versehen."

Der oberste Amor runzelte die Stirn und strich sich mit überlegender Miene über das Kinn, doch erwiderte zuerst nichts. Nervosität stieg in Seokjin auf. Vielleicht hätte er doch einen besseren Schlachtplan entwickeln sollen, als einfach nur die Wahrheit zu sagen, etwas Anklang an die Gefühlswelt des obersten Amors zu finden und darauf zu hoffen, dass dieser die Situation genauso erforschenswert fand wie er.

„Es ist nur seltsam, da diese Paare allesamt augenscheinlich kurz aufeinander getrennt wurden und das doch eine sehr hohe Scheiterrate ist", – für einen Amor, fügte Seokjin in Gedanken dazu. „Ich zweifle die Entscheidung der Persephoner definitiv nicht an", doch das tat er, „ich möchte nur herausfinden, welche Begründung hinter den Trennungen liegt."

Wenn der Oberste ihn nun fragte, wofür er diese Antwort bräuchte, hätte Seokjin ihm keinen Grund liefern können, der nicht mit seinem eigenen Ego zusammenhing. Die Amoren hatten die Entscheidungsmacht über die Liebe, die Persephoner hielten die Entscheidungsmacht über Trennungen. Es gab keine Diskussionen zwischen den beiden Gruppen – jede unternahm das, was sie für richtig erörtert hatte.

„Weißt du, Seokjin", unterbrach der Amor endlich seine Gedankenströme, „du erinnerst mich an mein jüngeres Ich. Voller Leidenschaft und Tatendrang für seine Berufung, bis zur Haarspitze dabei, um die beste Arbeit abzuliefern. Bei dem ein oder anderen Amoren vermisse ich das heutzutage..." Er schweifte mit seinem Blick zum Fenster ab, das außer die Aussicht auf Wolken nichts bot.

„Ich kann dir natürlich nicht den Namen desjenigen geben, ich verfüge nicht mal über diesen oder eine Begründung zu der Trennungsentscheidung. Als oberster Amor habe ich jedoch Zugriff auf die Akten der Persephoner und kann nachsehen, ob eines deiner nächsten Ewigkeits-Pärchen getrennt wird. Je nachdem, wie gut du sie kennst – und ich nehme an, dass du deine Paare gut kennst –, kann dir das also Ausschlag dafür geben, wo du den Persephoner treffen könntest."

Ein ehrliches Lächeln erstrahlte über Seokjins gesamtes Gesicht. „Das wäre wirklich, wirklich wundervoll. Sie würden mir damit eine riesige Ehre tun!" Ein nicht allzu kleiner Teil in ihm krümmte sich jedoch bei dem Gedanken, dass es noch ein weiteres Ewigkeits-Paar von ihm treffen könnte.

Der oberste Amor erwiderte Seokjins Lächeln daraufhin nur und widmete sich seinem PC, flink tippend und klickend. Kurzzeitig war der Raum nur von diesen Geräuschen erfüllt, Seokjin zu angespannt dafür, Konversation aufzubauen oder den obersten Amor gar abzulenken. Dann grinste dieser zufrieden.

„Choi San und Jung Wooyoung", verkündete er daraufhin.

Unglaublich. Ein weiteres seiner Ewigkeits-Paare, noch dazu erst vor wenigen Wochen geschossen. Seokjin schluckte die Wut fürs Erste herunter.

„Vielen Dank", sagte er inbrünstig, verbeugte sich kurz und verließ dann, nach einem Schmunzeln des obersten Amors, den Raum. Er war viel zu aufgeregt, um sich Gedanken darüber zu machen, warum die zwei Branchen nur das Allernötigste kommunizierten oder inwiefern es für seinen Chef sprach, sensible Daten an einen einfachen Amor auszugeben. In Seokjin juckte derselbe Reiz, den er in der gestrigen Nacht gespürt hatte – und dieses Kratzen bahnte sich zu einem Ausschlag aus.


⥴❤⥳


Zugegeben: Seokjin wusste nicht so viel über Choi San und Jung Wooyoung wie über andere seiner Pärchen. Sie arbeiteten zusammen in einem Ferienlager für Kinder, in dem der Amor eines Abends am Lagerfeuer einen verführerischen Pfeil in jeweils beide geschossen hatte. Danach war er gleich wieder aufgebrochen, da er zum einen noch andere Paare an diesem Abend gehabt hatte und zum anderen eben kein Spanner war, der Menschen beim Sex beobachtete. Zumindest war er sich ziemlich sicher, dass die beiden zeitig übereinander hergefallen waren.

Da dies jedoch erst drei Wochen her war, sollte das Ferienlager noch aufgeschlagen sein und die beiden dort noch aufzufinden sein. In Seokjin brodelte es. Seine anderen Paare waren wenigstens schon einige Monate zusammen gewesen, aber eine Trennung nach wenigen Wochen? Da hätte er ja nicht einmal den Pfeil abschießen müssen – oder höchstens einen einfachen Liaison-Pfeil!

Er konnte sich das nicht auf rechtem Wege erklären. Minimum vier Ewigkeits-Paare innerhalb weniger Wochen? Was machte er falsch, dass von hunderten Amoren ausgerechnet er eine solche Quote abbekam? Warum ausgerechnet er? In der Karriere eines Amors kamen vielleicht vier Trennungen vor, aber das über einen Zeitraum von Jahren!

Seokjin war so in seinen Gedankenspiralen vertieft, dass er beinahe über die Stelle im Wald geflogen wäre, in der das Camp lag. Nur durch einen zufälligen Blick nach unten bemerkte er im Augenwinkel die roten Zeltspitzen und setzte zum Landeanflug an. Aus der Ferne konnte er Kinder schnattern, kreischen und kichern hören und genervt verdrehte er die Augen – es reichte ihm ja schon aus, wenn er unsicheren Teenies zu ihrer unbeholfenen ersten Liebe verhalf.

Er wollte sich schon auf dem Weg zu dem Leiterzelt machen, als ihn eine Schwingung erfasste, welche Menschen in dieser Form niemals erspüren konnten. Seokjin spürte es bis in die Haarwurzeln und Fingerspitzen: ein Persephoner war hier. Es war für gewöhnlich kein unangenehmes Gefühl, man nahm die Aura des anderen nur unterschwellig wahr, so wie man leise Hintergrundgeräusche bemerkte. Doch diesmal löste diese Präsenz einen Knoten in Seokjins Bauch aus, einen Knoten, von dem er nicht wusste, ob dieser aus Unbehagen, Stress, Wut oder allem dreien bestand.

Schnell versteckt er sich im Gebüsch, die Äste unangenehm an seiner freiliegenden Haut kratzend, und bahnte sich seinen Weg in Richtung Aura. Er musste nicht unbedingt vorsichtig sein, da dem Persephoner seine Schwingungen nicht verdächtig vorkommen sollten. Außer natürlich, dass dieser etwas im Schilde führte. Sein Fluchen unterdrückend schlich Seokjin in die Richtung – und da sah er ihn.

Etwa 30 Meter von ihm entfernt, ebenfalls im hohen Gebüsch versteckt, saß er. Schwarzes Haar, schwarze Flügel, sogar sein – Anzug? – war schwarz. Seokjin bückte sich, schnipste das Insekt, das auf seinem Arm gelandet war, weg und fokussierte seinen Gegenspieler mit wachsamen Augen.

Dieser hatte seine Augen wiederum nur auf das Zelt der Leiter gerichtet. Langsam fasst er zu dem Köcher, der an seinen Rücken geschnallt war, und holte einen schwarzen Pfeil mit hellgrüner Spitze hervor. Der Amor kramte in seinem Gedächtnis nach dem Wissen über Trennungspfeile, das ihm auf der Universität eingetrichtert worden war. Wenn er sich nicht irrte, dann stand eine hellgrüne Pfeilspitze für ängstlich.

Fies. Da verschlangen sich die beiden abends vermutlich in ihrem Zelt und dann würde einer der beiden ihre erblühende Beziehung beenden, weil er Schiss hatte.

Er hielt instinktiv den Atem an, als Choi aus dem Zelt trat und der Persephoner seinen Bogen spannte. Noch bevor Seokjin sich darauf vorbereiten konnte, war der Pfeil schon in Chois Oberschenkel gewandert. Der Persephoner legte den Bogen über die Schulter, drehte sich in die entgegensetzte Richtung und spazierte durch das Unterholz hinfort.

Seokjin spürte den Schock dem altbekannten Brodeln weichen. Er hatte den Bastard auf frischer Tat ertappt.


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