SEMPER FIDELIS ǁ ᵀᴬᴱᴶᴵᴺ

By gologel

623 98 360

❝Für immer treu.❞ Jin lebt für seine Berufung als Amor. Als er bemerkt, dass einige seiner Ewigkeits-Pärchen... More

𝐀𝐌𝐎𝐑 𝐔𝐍𝐃 𝐏𝐄𝐑𝐒𝐄𝐏𝐇𝐎𝐍𝐄
2 - 𝐏𝐇𝐈𝐋𝐀𝐔𝐓𝐈𝐀
3 - 𝐋𝐔𝐃𝐔𝐒
4 - 𝐄𝐑𝐎𝐒
5 - 𝐏𝐇𝐈𝐋𝐈𝐀
6 - 𝐒𝐓𝐎𝐑𝐆𝐄
Epilog - 𝐏𝐑𝐀𝐆𝐌𝐀

1 - 𝐀𝐆𝐀𝐏𝐄

92 15 62
By gologel

Ein praller Hintern bahnte sich in Seokjins Blickfeld, wohlgeformt, passgenau in die lederne Hose eingegossen und einen wahren Blickfang darstellend. Das perfekte Ziel, um einen Pfeil darin zu versenken.

Seokjin atmete tief durch, konzentrierte sich und fokussierte das gut dargestellte Hinterteil, spannte die Saite des Bogens und - ein Paar Beine im Weg. Genervt stöhnte der Amor auf.

„Komm schon", murmelte er mehr zu sich selbst und hoffte, dass sich der Störenfried aufgrund seiner nicht hörbaren Gebete zur Seite bewegen würde. Es war nicht so, als könnte Seokjin seine Pfeile nur in pralle Gesäße abschießen. Es hatte seiner Meinung nach nur eine ganze Menge an Stil, einen Pfeil der Kategorie „leidenschaftlich" in einem Hintern zu versenken.

Den unwissentlich Störende schienen seine Bitten jedoch nicht zu erreichen. Er zündete sich seelenruhig eine Zigarette an und tippte irgendetwas auf seinem Handy ein.

Deutlich lauter nun stöhnte der Amor auf und verließ seine hockende Position, um wieder Augen auf sein auserkorenes Opfer der Liebe werfen zu können. Dieses stand immer noch neben der an der Wand lehnenden Person, die augenscheinlich deutlich zu viel getrunken hatte.

Seokjin trat ein paar Schritte nach links und in diesem Moment wanderte der Störenfried ein paar Schritte nach links. „Ja klar", seufzte der Amor und ging wieder in die Knie, den Hintern abermals auf perfekter Schusshöhe. Gerade, als er aufs Neue den Bogen spannen wollte, streifte ihn ein Mann im Vorbeigehen.

„Hey!", rief Seokjin erbost auf und flatterte mit seinen kleinen, rosa Flügeln, doch der Mann konnte ihn eh nicht hören; wenigstens wurde er von seinen Freunden dafür ausgelacht, dass er ohne jeglichen ersichtlichen Grund über seine eigenen Füße gestolpert war.

Eigentlich war es ja gut, dass kein Mensch einen Amor sehen konnte, wenn sie ihre Flügel auffalteten und ihrer Arbeit nachgingen; hier hätten ihn die Partygänger vermutlich einfach passend zum Etablissement gefunden. Seokjin hatte bemerkt, dass in diesem Gay-Club oftmals eher auffällige Outfits angesagt waren. Vielleicht hätten sie sich aber auch über ihn lustig gemacht, da er - laut seiner Freunde - keine allzu imposant wütende Erscheinung war. Aber Seokjin wusste, dass keine Rosafärbung seines Haars oder seiner Flügel seiner wirklichen Wut ihren Platz rauben konnte.

Nun ja, das war alles nur in der Theorie und lenkte ihn von seinem Auftrag ab, der weiterhin unverdeckt neben der nun sitzenden Person kniete. Gut, das machte den Hintern nur zum noch besseren Ziel.

Seokjin atmete also einmal tief ein, richtete den Pfeil, sicherte sich noch einmal kurz ab, ob dieser auch aus der richtigen Kategorie war, spannte den Bogen und schoss den Pfeil mit einem Ausatmen zielgenau in den lederhosenbedeckten Hintern des Mannes.

Dieser jaulte nicht, er schrie nicht auf, er kratzte sich nicht einmal an der Stelle, sondern redete nur weiter mit der Person. Für einen Moment verweilte der Amor noch, sah dem Pärchen zu - obwohl er wusste, dass der Pfeil seine Wirkung nicht sofort ausfalten würde - und spielte mit dem Gedanken, ob er sich zu ihnen gesellen sollte.

Schließlich war es nicht per se verboten, mit seinen Zielen zu interagieren. Man sollte keine Beziehung mit ihnen aufbauen und sie ihre durch den Pfeil ausgelösten Gedanken und Gefühle selbst entdecken und ergründen lassen, aber ein Gespräch mit ihnen war nicht verboten. Außerdem sah die zweite Person wirklich unglaublich miserabel aus.

Seokjin richtete sich also auf, sah sich zu seinen Seiten um - nicht, dass er wie aus dem Nichts plötzlich vor einem Menschen auftauchen würde -, hing sich seinen Bogen um die Schulter und faltete die Flügel wieder ein. Er strich sich kurz über seine weiße Seidenbluse, richtete sein Haar und ging dann auf die beiden zu.

„Alles in Ordnung", fragte er scheinheilig nach.

Überrascht sah der Mann, in dessen Hintern er gerade noch den Pfeil geschossen hatte, auf. „Ähm, ja, so naja. Wollte eine rauchen und habe ihn hier draußen stehen sehen", das wusste Seokjin, er hatte sie ja knapp zwei Stunden beobachtet, „und er scheint ziemlich betrunken zu sein. Weiß nicht, wie viel Promille er intus hat, aber gut sieht's nicht aus."

„Hat er denn irgendwas von sich gegeben?" Seokjin beugte sich zu dem jungen Mann herunter und eine Alkoholfahne im Ausmaß einer Atombombe kam ihm entgegen. Angewidert rümpfte der Amor die Nase.

„Nichts brauchbares. Ich sollte 'nen Krankenwagen rufen, oder?"

„Ja, definitiv."

So kramte der Retter in Not, Christopher Chan Bahng, wie er laut der Akte hieß, sein Handy hervor und telefonierte für gut eine Minute, bis er auflegte. Der andere Teil des Pärchens hatte sich derweil kaum gerührt und nur schwache, quälende Geräusche von sich gegeben. Sicherheitshalber nahm Seokjin etwas Abstand zu ihm.

„Er soll nicht allein gelassen werden, bis die Rettungskräfte eintreffen. Sind anscheinend in der Nähe, also soll es sich nur um 'ne Viertelstunde handeln", informierte Christopher den Amor.

„Mhm", signalisierte dieser ihm, dass er ihn gehört hatte, „vielleicht hat er in der Garderobe noch Sachen von sich."

„Das kann sein, bringt uns nur nicht viel, wenn wir nicht mal seinen Namen wissen oder seine Marke haben."

Seokjin seufzte - für gewöhnlich hielt er sich so gut es ging von Betrunkenen fern - und beugte sich mit möglichst viel Entfernung zu dem Betrunkenen hinunter. Er öffnete dessen kleine Geldbörse, die an seiner Hose befestigt war, und zog eine Marke heraus. Er hielt sie Christopher hin, der zögerte.

„Hier", Seokjin kramte in seiner Hosentasche und förderte seinen Ausweis zu Tage, „als Pfand. Dann kannst du mich verfolgen, falls ich irgendetwas tue." Eine Prise Sarkasmus wehte in seiner Stimme mit, aber der andere nahm seinen Ausweis an, prüfte ihn mit einem kurzen Blick auf den Älteren, und nahm dann auch die Garderoben-Marke an sich.

Als er im Inneren des Clubs verschwunden war, verdrehte Seokjin grinsend die Augen. „Ist er nicht süß?", meinte er zu Lee Minho, der auf dem Boden hockte, und endlich seinen Kopf aufrichtete. „Gerade einmal fünf Minuten und er passt schon auf dich auf", säuselte der Amor, wohlwissend, dass der betrunkene Minho eh kein Wort von dem wahrnahm, was er sagte.

Dieser starrte ihn nur an; das unglaublich schöne Wesen mit den feinen Gesichtszügen, den vollen Lippen, den ernsten Augen und dem hellen, pinken Haar, das beinahe so strahlte wie seine Seidenbluse.

„Wow", hauchte er nur.

„Danke, Schatz, ich weiß", freute sich Seokjin und sah sich dann in der Gasse um. Wahrlich kein glorreicher Ort, um seinen nächsten Partner kennenzulernen, geschweige denn sich zu verlieben, aber wo die Liebe nun mal hinfiel - oder hineinschoss.

Ein Jammern holte ihn aus seinen Gedanken heraus.

„Ja, dir wird's morgen scheiße gehen", tröstete Seokjin ihn, „aber hat sich gelohnt." Daraufhin ertönte nur ein weiteres Jammern.

In diesem Moment trat Christopher wieder nach draußen, im Arm die weiße Fake-Pelzjacke, die Seokjin am Anfang des Abends an Minho bewundert hatte. Er musste unbedingt herausfinden, wo er diese kaufen konnten - sie würde wundervoll zu ihm passen.

„Lee Minho", unterrichtete er den Ankommenden, „tanzt an der hiesigen Tanzschule." Grob deutete er mit seinem Kopf in die Richtung hinter sich. Es gab ja kein Verbot, ein paar helfende Informationen zu streuen.

„Ah", erwiderte Christopher darauf nur unintelligent und spielte an seinem Lippenpiercing herum, während er den Betrunkenen betrachtete.

„Naja", mit einem Blick auf sein Handgelenk, das keine Armbanduhr schmückte, kündigte Seokjin seinen Abschied an, „ich muss wieder rein, bevor sich meine Freunde schon Sorgen machen. Pass gut auf ihn auf." Er zwinkerte dem Jüngeren zu, der einen Dank und ein Auf Wiedersehen murmelte, und trat am Hauptausgang des Clubs wieder in die frische Nachtluft.

Laut der Frau, die neben ihm ihrer Freundin die Zeit verkündete, waren es noch einige Stunden hin, bis Seokjin und seine Freunde sich, wie nach jeder Nachtschicht, zum Brunchen treffen würden. Genug Zeit, um noch bei ein paar seiner Ewigkeits-Pärchen vorbeizuschauen.

Seokjin machte dies gerne. Nicht regelmäßig, aber hin und wieder schlürfte er neben einem seiner Pärchen einen Kaffee, ging in dieselbe Ausstellung oder beobachtete auf der Parkbank neben ihnen die Enten. Yoongi fand das komisch, „Wie ein Spanner", so drückte er das aus. Das traf Seokjins Meinung aber nur dann zu, wenn er mit ausgebreiteten Flügeln - also für das menschliche Auge unsichtbar - in ihre Fenster lugen würde. Und das hatte er auch nur einmal getan, nachdem sogar Jimin Yoongi zugestimmt und dies als „sehr fragwürdig" befunden hatte.

Seokjin war nun mal neugierig, hatte auf seinen Missionen schon mehrere... interessante Szenen vor sich gesehen, dass nichts sein Auge schocken konnte, und während für viele Amoren ihre Pärchen nur ein Produkt ihrer Arbeit waren, so war das für Seokjin anders. Er war stolz auf sie, bewunderte ihre aufblühende Liebe und welches Reich sie sich gemeinsam aufbauten. Er wollte ihre Entwicklung beobachten, wie sie Probleme überstanden, ihre Liebe pflegten und vertraut miteinander wurden, durcheinander aufblühten. Wie sie durch seinen sorgfältig ausgesuchten Pfeil sich bis in alle Ewigkeit liebten.

Also machte er sich auf zu einem Pärchen, von dem er wusste - aus ihrer Akte, nicht durchs Spannen -, dass sie um diese Zeit noch wach waren. Er schlug die Route in eine Seitengasse ein, in der ihn niemand sehen konnte, um seine Flügel auszufalten und in den Himmel zu gleiten.

Die abgekühlte Luft zerrte an seiner Bluse, spielte mit seinen Haaren und Seokjin nahm sich vor, vor dem Schlafengehen noch nach dieser Pelzjacke zu recherchieren. Er hätte Minho nach dieser fragen sollen; vielleicht hätte dieser ja mehr über seine Lippen gebracht als das schmeichelnde „Wow".

Er kreuzte sich auf seinem Flugweg mit Moonbyul, die auch in der Gegend unterwegs war. Sie wechselte ein paar Worte über ihre heutigen Aufträge und Erlebnisse aus, bevor sich ihre Wege wieder trennten und Seokjin das Kabarett anflog, in dem jeden Samstagabend eine Drag-King-Show stattfand.

Nicht weit davon entfernt landete er und lief die letzten paar Meter zu Fuß, kehrte zwischen Rauchschwaden in die Bar ein. Es roch nach Alkohol und Schweiß, die Luft war stickig, die Musik laut, die Stimmung gut und die Show noch besser. Der Amor bestellte sich einen Hugo Spritz und platzierte sich dann nah genug an der Frau, die heute komischerweise nicht mit ihrer Partnerin dort saß, sondern mit ihren Freund:innen. Aufmerksam spitzte Seokjin die Ohren.

„Ich bin froh, dass ich eurer Einladung gefolgt bin", sagte die Frau, der der Amor vor acht Monaten einen Pfeil in den Rücken geschossen hatte, gerade, „ansonsten wäre ich heute Abend nur wieder auf meiner Couch vergammelt."

„Und hättest dich zum wiederholten Male mit Rom-Coms künstlich gequält", ergänzte eine Freundin und schob ihr den Snackteller zu, als sie die Hand ausstreckte.

„Ich bin wirklich stolz, dass du wieder rauskommst, Spaß hast und die Dinge für dich wiederbehauptest, die schon vor Leyla deine Dinge waren", ergänzte ein:e Freund:in und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

Diese seufzte. „Es ist komisch, nicht mehr mit ihr hier zu sitzen. Aber Drag war nie nur wegen ihr großartig." Sie lächelte traurig. „Man sollte nicht ewig Aspekte des Lebens vermeiden, bloß weil sie an vergangene Beziehungen erinnern."

Ein Ruck ging durch Seokjins Körper und es verlangte ihm alle Selbstbeherrschung ab, sich nicht zu dem Dreiergespann umzudrehen. Trennung?! Er musste sich verhört haben!

„So schwer es auch ist: man hatte ein Leben vor der Beziehung und man hat auch ein Leben nach dieser. Und am besten hat man auch noch was daraus gelernt", stimmte ihr ihre Freundin zu.

„Darauf Prost", erwiderte diese und die drei Menschen ließen ihre Gläser zusammenklirren.

Seokjin war jedoch überhaupt nicht nach Prosten zumute. Dieses Paar hatte sich getrennt?! Seine Paare waren bisher nur getrennt worden, wenn von Anfang an feststand, dass ihre Liebe zeitlich begrenzt war. In dieser Paarakte war wiederum gestanden, dass sie fürs Leben bestimmt waren. Hatte etwa...?

Aufgeregt stieß der Amor sich von der Wand ab, ließ den Hugo Spritz unbeachtet stehen und bahnte sich seinen Weg ins Freie. Na toll, so viel dazu, die Entwicklungen seiner Pärchen anzuschmachten. Aber gut, das konnte einmal passieren. Einmal war keinmal - also irgendwie. Dann musste er eben eines seiner anderen zahlreichen Traum-Paare aufsuchen, um deren keimende Liebe aufblühen zu sehen.

Während er durch die Straßen eilte, überlegte Seokjin fieberhaft, welches Paar noch wach sein würde. Es war halb drei Uhr in einer Samstagnacht und wer gerade nicht feierte, der schlief - oder arbeitete! Wie einen Blitz durchfuhr den Amor der Gedanke an die nächsten seiner Angetrauten, die für die Endlosigkeit bestimmt waren. Diane und Abby, die er damals beide mit einem Pfeil, der einen in den Arm, der anderen in den Oberschenkel, bedacht hatte.

Während Diane sich langsam verliebt hatte, zögerlich, so hatte Abby sich verzehrend verliebt, dem hinderlichen Umstand, dass sie auf derselben Krankenhausstation arbeiteten, schmerzlich bewusst. Sie waren so herzzerreißend gewesen, als sie sich gegenseitig ihre Liebe gestanden, die möglichen beruflichen Komplikationen in Kauf genommen, gemeinsam eine Wohnung und eine Katze gekauft hatten. Die beiden waren eines seiner Lieblingspärchen.

Mit ein paar eiligen Flügelschlägen über die Dächer und Köpfe der Menschen hinweg, landete Seokjin vor dem Eingang des Krankenhauses und sah davon ab, seine Flügel einzufalten. In einem Krankenhaus konnte man sich doch deutlich besser umsehen, wenn man nur als Luftzug oder plötzlicher Gleichgewichtsfehler wahrgenommen wurde.

Er eilte durch die stille Lobby, vorbei an einer Putzkraft, huschte in den sich gerade schließenden Aufzug und veranlasste die Tür dazu, den Schließvorgang zu stoppen und sich nochmals zu öffnen, sehr zur Verwirrung des älteren Herrn neben Seokjin. Dieser hatte Blumen und eine Pralinenschachtel dabei und der Amor kam nicht daran vorbei sich zu wundern, warum dieser alte Mann denn ausgerechnet um diese Uhrzeit der auserwählten Person einen Besuch abstattete. Vielleicht war er einfach noch so verliebt wie am ersten Tag? Bestimmt - so wie Diane und Abby. Das musste es sein.

Mit einem zufriedenen Blick erkannte Seokjin, dass der Mann dasselbe Stockwerk ansteuerte, und sobald sich die Türen mit einem hellen Ding! öffneten, strebte der Amor aus dem Fahrstuhl und schritt den Flur entlang zum Büro und Aufenthaltsraum der Pflegekräfte. Er warf aus der Entfernung bereits einen Blick durch die Glasscheiben - und konnte Abby mit dem Rücken zu ihm gedreht erkennen. Sie schien irgendwelche Schubladen zu durchsuchen und Seokjin passte einen konzentrierten Moment von ihr ab, um möglichst leise in das Zimmer zu schleichen. Dennoch drehte sie sich zur Tür um und runzelte die Stirn, blinzelte, als alles wie gewöhnlich aussah.

Leise seufzte sie. „Irgendwann machen mich diese Nachtschichten noch verrückt", murmelte sie zu sich selbst und kramte weiter in den geöffneten Schubladen herum. Sie schien deren Inhalte zu sortieren.

Seokjin sah sich derweil in dem Raum um. Ein Dienstplan hing dort - mit Freuden sah er, dass Dianes Name ebenfalls für die heutige Nacht eingetragen war -, verschiedenste medizinische Informationsplakate und Teamfotos hingen dort, Karten, Schreiben, ein wirrer Misch aus Persönlichem und Dienstlichem. Ein Versuch, der sterilen Umgebung ein wenig Farbe einzuhauchen.

Der Amor schauderte. Krankenhäuser waren wahrlich nicht sein liebster Ort. Auch wenn er dieses wundervolle Paar dort geschossen hatte, so waren diese Einrichtung doch deutlich mit dem Schmerz der Trennung belastet - etwas, das auf Seokjins sensible Nerven schlug.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Zimmer ein zweites, richtiges Mal. Es war Diane und Seokjin richtete sich freudig auf - ganz im Gegensatz zu Abby. Sie sah nur kurz auf und beschäftigte sich dann betont konzentriert auf ihre Sortierarbeit. Seokjin hielt den Atem an, so eisig war es auf einmal in dem kleinen Raum geworden.

Diane streifte Abby mit einem langen Blick, bevor sie sich an den PC setzte und sinnlose Buchstabenreihen in die Suchfunktion des Systems eingab. Sie tippte und hackte, stoppte, löschte, wandte ihren Kopf um einige Zentimeter in Abbys Richtung, starrte ihr Löcher in den Rücken, bevor sie wieder anfing, stillschweigend in die Tasten zu hauen.

„Ich bringe Maunzer morgen Abend wieder zu dir", unterbrach Abby irgendwann das Schweigen, den Rücken immer noch zu ihrer - Freundin? - gekehrt.

„Bringst du auch sein Bettchen mit?", fragte Diane, die sich hoffnungsvoll zu ihrer - Freundin?? - umdrehte.

„Ja." Abby knallte eines der Objekte auf dem Regal ab und Seokjin zuckte bei dem lauten Aufprall auf. „Im Gegensatz zu dir halte ich mich an unsere Absprachen."

Diane schnaubte spöttisch. „Wie zum Beispiel die Absprache, dass wir uns auf der Arbeit zivilisiert begegnen?"

Nun drehte Abby sich um, doch statt etwas zu erwidern, warf sie ihrer - Freundin??? - nur einen bitterbösen Blick zu. „Mach diese Trennung nicht noch schwieriger, als sie eh schon ist", zischte sie und stürmte durch die Tür nach draußen.

Fassungslos blieb Seokjin in dem Raum zurück. Nein, das konnte nicht wahr sein, das dürfte nicht wahr sein! Ein zweites seiner Ewigkeits-Paare? Getrennt? Und noch dazu verstritten? Das ging nicht, das passierte doch sonst keinem Amoren, das war doch ein seltener Fall und sicherlich niemals bei den Paaren, die er, Kim Seokjin, geschossen hatte!

Sein Atem ging schneller, sein Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Ohren wurden ganz warm und seine Flügel fingen an zu zucken. Bevor er sich versehen hatte, war er aus dem Krankenhaus gestürmt, in die kalten Nachtwinden, die inzwischen stärker an ihm zerrten.

Zum Glück kannte er den Weg zu seinem absoluten Lieblingspaar wie im Schlaf, seine Flügel flogen ihn wie von selbst zu deren Wohnung. Hätte Seokjin sich auf den Weg konzentrieren müssen, hätte er sich vermutlich mehrere Male verflogen und wäre nur noch wütender geworden.

Den ganzen Weg über überschlugen sich seine Gedanken. Es kam vor, dass sich Paare, die für die Ewigkeit bestimmt waren, trennten; das kam in so gut wie jeder Amor-Karriere einmal vor. Aber eben nur einmal! Und ausgerechnet heute, wo er sich doch in ihrer Liebe wärmen wollte, entdeckte er, dass sich zwei seiner liebsten Ewigkeits-Paare getrennt hatten - getrennt wurden! Das war zu viel - vor allem für einen erstklassigen Amor wie Kim Seokjin! Ausgezeichnetes Lob bekam er zum Ende eines jeden Jahres. Er gehörte zu den Besten, seine Paare waren perfekt in jeglicher Hinsicht! Das konnte einfach nicht sein.

Er musste sich beruhigen, abschalten, sich vergewissern, dass nicht alle seiner Lieblingspaare getrennt wurden. Als er auf dem Fensterbrett des Pärchens, das sich im Obdachlosenheim kennen- und lieben gelernt hatte, die eine Perspektive, eine Zukunft, ein Leben miteinander aufgebaut hatten, landete, erinnerte er sich an Yoongis Worte zum Thema Spanner. Aber der sollte ruhig reden - seine Ewigkeits-Paare waren bestimmt noch nicht getrennt worden. Und als ob Min Yoongi noch nie Menschen beim Sex entdeckt hätte.

Als Seokjin durch das Fenster lugte, bot sich ihm ein friedliches Bild. Steven und Katrin lagen nebeneinander im Bett, ruhig und rhythmisch hoben sich ihre Brustkörper. Sie sahen aus wie zwei Engel. Der Amor atmete all die angestaute Luft in sich aus. Sie waren noch zusammen - ein Glück. Erleichtert löste er die angespannten Schultern und betrachtete sie mit einem kleinen Lächeln. Wie süß sie doch waren, so harmonisch und wie füreinander gemacht -

In diesem Moment flog ein Kieselstein durch Seokjin hindurch und prallte gegen das geschlossene Fenster. Verwirrt drehte der Amor sich um. Eine Frau stand unten am Straßenrand und warf ein weiteres Steinchen durch den Unsichtbaren hindurch an die Scheibe. Ein leises Prasseln ertönte. Seokjin warf wieder einen Blick in das Schlafzimmer. Unverändert lagen die beiden schlafend nebeneinander.

Im nächsten Moment regnete eine ganze Schar an Kieselsteinen durch Seokjin hindurch, hinterließ einen kleinen Regenschauer an der Glasfront. Verärgert schnaubte der Amor auf - und Sorge durchfloss seine Venen erneut. Das war nicht gut. Gar nicht gut.

Plötzlich öffnete sich das Fenster einen Spalt und Seokjin zuckte zusammen, ruderte einen Moment in der Luft, um nicht in der Tiefe auf dem Asphalt zu landen. Steven stand dort und schaute entsetzt nach unten.

„Was machst du hier?", zischte er, bemüht darum, möglichst leise zu sprechen.

„Ich kann nicht mehr. Ich habe genug Nächte damit verbracht zu hinterfragen, welche Rolle ich in deinem Leben spiele. Beweis endlich, dass du die Eier hast! Entweder du sagst es ihr oder ich werde es tun!"

Seokjin schnappte dramatisch auf, sah den Kerl, dem er einst einen Pfeil in den Kopf geschossen hatte, entsetzt an. Mit einem Ruck befreite er sich von der Fensterbank, brachte genug Abstand zwischen ihn und Steven und hielt sich die Hand an die Brust, darum bemüht sein Herz im Oberkörper zu behalten, dass es nicht bis auf die Zähne bewaffnet den Betrüger niedermetzelte.

„Du Bastard!", spie Seokjin aus und wusste dabei nicht, wen er meinte.

Irgendein gottverdammter Persephoner trennte seine Paare!


Continue Reading

You'll Also Like

211K 18.7K 194
Willkommen zu dem zweiten Teil von I fucking hate you, der wie ihr sehen könnt 'I fucking love you' heißt. In dieser Story wird es mehr um Yuna, Jaem...
114K 4.7K 124
Der zweite Teil meiner Oneshot-Bücher:) Wünsche könnt ihr jeder Zeit per Privatnachricht an mich äußern und ich werde dann versuchen, sie umzusetzen...
114K 3.9K 106
Angelique Bianchi. Die Schwester des tödlich verunglückten F1-Fahrers Jules Bianchi. Sie ist die beste Freundin von Charles Leclerc und Pierre Gasly...
292K 17K 36
Jungkook macht täglich Livestreams auf seinem nicht sehr bekannten Instagram Account. Auch wenn sich niemand seine Livestreams anschaut redet er trot...