Bad Beat - Verspielt

By OlyverPan

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Kyras Leben wird auf den Kopf gestellt, als ihr Verlobter Liam bei einer illegalen Pokerpartie alles auf eine... More

Trigger Warnung
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By OlyverPan


Das Klingeln meines Handys reißt mich aus einem traumreichen Schlaf, weshalb ich einen Moment brauche, um mich zu orientieren. Die Sonne steht noch tief und scheint mir durch die trüben Fenster des Wintergartens direkt ins Gesicht. Blinzelnd suche ich die Sitzecke nach meinem Handy ab, finde es schließlich unter der Wolldecke, die neben mir auf dem Boden liegt. Ächzend richte ich mich auf. Die Couch ist definitiv kein guter Schlafplatz, aber ich musste ja so dumm sein, dir mein Bett zu überlassen.

Mit zusammengekniffenen Augen blicke ich aufs Display, weil ich erwartet habe, Liams Namen darin zu lesen, oder den von Kerzmann, der mir endlich einen Erfolg bei seinen Nachforschungen vermelden will, ohne mich damit zu nerven, dass er noch mehr Geld braucht. Aber da steht ein anderer Name, der mich überrascht. „Was willst du denn so früh?"

Kurz darauf trotte ich barfüßig die Wendeltreppe nach unten. Mangels Zeit habe ich nur meine schwarze Anzughose angezogen. Ich werfe einen flüchtigen Blick zu meinem Bett. Du scheinst noch selig zu schlafen. Ich schlurfe zum Lastenaufzug und schicke ihn per Knopfdruck nach unten. Ohne meine Hilfe kommt hier niemand rauf, weder mit dem Aufzug noch über die Feuerleiter oder das Treppenhaus. Letzteres ist oben und unten mit Stahltüren gesichert ist, denen außen die Türklinken fehlen. Man kann zwar im Notfall nach unten flüchten – oder jemanden verfolgen, der über die Feuerleiter türmt. Aber sind die Türen erstmal ins Schlossgefallen, kommt man nur noch mit meinem Schlüssel wieder rein.

Als der Aufzug drei Minuten später wieder zurück ist, schiebt Simon mit einem beißenden Quietschen das Gittertor auf und flötet mit unerträglicher Fröhlichkeit: „Ich hab Croissants zum Frühstück mitgebracht."

Sein Aufmachung ist mal wieder typisch für ihn. Unter einer polangen, braunen Wildlederjacke wölbt sich sein Wohlstandsbauch hervor. Das Hemd darunter sitzt viel zu eng und das grellbunte Paisley-Muster schmerzt in meinen verschlafenen Augen. Dazu trägt er Bundfalten-Jeans, rote Socken und braune Budapester.

Und ich stehe barfüßig und oberkörperfrei und nur mit Anzughose bekleidet im Kücheneck und nehme meinen Kaffeeautomaten in Betrieb. „Du weißt, dass ich nicht frühstücke."

„Aber sicher doch dein Damenbesuch! Wo ist das Täubchen denn?" Ehe ich darauf eingehen kann, hat er deinen schlafenden Körper in meinem Bett bemerkt und steuert darauf zu. Er lächelt verzückt, als würde er ein Neugeborenes zum ersten Mal betrachten. Dann flüstert er in meine Richtung: „Habt ihr beiden etwa...?"

Ich mache eine angewiderte Grimasse, während ich in der Küchenzeile den Siebträger mit Kaffeepulver befülle und in die Maschine einsetze.

„Du willst mir weismachen, ihr habt die Nacht in einem Bett verbracht – und da ist nichts passiert zwischen euch?" Er beäugt mich spöttisch. Anders als meine Augen wirken seine hellwach und bewegen sich unaufhörlich. Die Pupillen sind so weit geöffnet, dass es schwerfällt, die Farbe seiner Iris zu bestimmen.

Ich verspüre keine Lust, ihm zu erklären, wie der gestrige Abend endete und wo ich heute Nacht deshalb geschlafen habe. Simon und ich sind gute Geschäftspartner. Als solche kriegt man so einiges voneinander mit, aber das macht ihn noch lange nicht zu meinem engsten Vertrauten.

Die Kaffeemaschine nimmt brummend ihren Betrieb auf. Ich nehme ihm die Papiertüte ab, die sich warm anfühlt, als wären die Croissants noch vor einer Viertelstunde im Backofen gewesen. Und im nächsten Moment steigt mir auch schon ein verführerischer Duft in die Nase. Trotzdem lege ich die Tüte achtlos auf die Anrichte. „Warum bist du wirklich hier?"

Er hebt die Hände, als wolle er zeigen, dass er unbewaffnet vor mir steht. „Geschäfte! Ich weiß doch, dass du immer für ein gutes Geschäft zu haben bist. Nicht wahr, mein Bester?"

Ich verkneife mir, ihn darauf hinzuweisen, dass wir alles andere als beste Freunde sind. Die zwei Espressi sind durchgelaufen. Ich schiebe einen zu ihm und nippe an dem anderen. „Was für ein Geschäft?"

Er blickt zum Bett, dann wieder zu mir und reibt sich über den flachen Schädel. Mit Anfang zwanzig begann seine Stirn zu wachsen. Seit Mitte zwanzig rasiert er sich den Schädel kahl. Daran hält er auch mit Anfang vierzig noch fest. 

„Hast du Zucker?"

Natürlich weiß ich, dass er seinen Kaffee nur mit Zucker runterbekommt. Wir sind zwar keine Freunde, haben aber oft genug miteinander zu tun, um einige Gewohnheiten des anderen zu kennen. Und natürlich habe ich Zucker im Haus. Trotzdem schüttle ich den Kopf und zucke entschuldigend mit den Schultern. „Was für ein Geschäft willst du mir anbieten?"

Wieder blickt er zum Bett, dann nippt er vorsichtig an der Espressotasse, wie ein königlicher Vorkoster, der fest damit rechnet, dass dies sein letzter Schluck sein wird. Er verzieht sein Gesicht. „Hat sich Liam bei dir schon gemeldet wegen seiner Schulden?"

„Er ist dran."

Simon nickt. „Also wirst du die Kleine noch ein wenig länger bei dir behalten müssen. Wie läuft es denn zwischen euch?"

Dieser Dreckskerl hat zielsicher meinen wunden Punkt gefunden und lässt nicht locker. „Das muss nicht deine Sorge sein!"

„Deine aber auch nicht!" Und schon wieder dreht er sich nach Kyra um, als habe er Angst davor, sie könnte uns belauschen.

Ich habe genauso wenig Interesse daran, meine Geschäfte von ihr belauschen zu lassen und schlage deshalb vor, nach oben zu gehen. Doch er lehnt mit einem süffisanten Grinsen ab: „Wir können das ruhig hier besprechen. Ich möchte Liams Schulden übernehmen!"

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Warum das?"

Erneut dreht er sich zum Bett. Mein Blick folgt ihm. Auf einem großen Daunenkissen versinkt dein Kopf, deine Lider immer noch geschlossen.

Er sieht wieder zu mir. „Ich weiß doch, dass du es gerade nicht so dicke hast. Wie lang kannst du noch auf Liams Geld warten? Du brauchst doch die Kohle! Stimmt doch, oder?"

Ich presse meine Lippen zusammen.

„Ich mach dir ein großzügiges Angebot, mein Bester! Ein Angebot, über das du nicht lange nachdenken musst. Ich lege auf Liams Schulden nochmal 20 Prozent drauf! Na, was sagst du?"

Ich beäuge ihn misstrauisch. „Und der Haken?"

„Kein Haken!", sagt er und macht erneut diese entwaffnende Geste, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun.

Ich nehme mir Zeit zum Nachdenken und leere erstmal den letzten Rest meines Espressos. Dann nicke ich in Richtung Bett und frage: „Und was passiert mit ihr?"

Diesmal verdreht er nicht sofort seinen Hals nach dir. „Selbstverständlich befreie ich dich auch von dem Problem! Und du kannst endlich wieder in deinem eigenen Bett schlafen." Er grinst mich süffisant an.

Es nervt mich, wie präzise dieser Sadist an meinem wunden Punkt herumkratzt, obwohl ich mich darum bemühe, möglichst gleichmütig zu wirken. Denn wenn es etwas gibt, das man einem Mann wie Simon Peters niemals zeigen darf, dann ist es Schwäche. „Was hast du mit ihr vor?"

Simon macht diesen einstudierten Unschuldslammblick, der seine ganze Falschheit offenbart. „Dasselbe, was du mit ihr vorhast: Sie als Druckmittel gegen Liam zu verwenden. Bei allen Vergnügungen, die uns diese Pokerrunde gebracht hat, geht es doch immer noch ums Geschäft! Oder nicht?"

„Und was springt für dich bei diesem Geschäft raus, wenn du mir 20 Prozent mehr gibst?"

„Ich komm schon auf meine Kosten, mein Bester!", sagt er mit einem breiten Grinsen und nippt an seinem ungesüßten Espresso - diesmal ohne auch nur ein winziges Bisschen das Gesicht zu verziehen.

Ich sehe wieder zu meinem Bett, in dem du immer noch schläfst. Es ist wie bei einem verzogenen Kind, solang es schläft, sieht es so selig aus, dass es einem das Herz in der Brust zerspringen lassen könnte. Aber wehe, der Drachen erwacht.

„Ich weiß nicht, Simon. Das war ein Deal zwischen Liam und mir. Ich kann dir Kyra nicht einfach mitgeben wie einen überschriebenen Schuldschein."

„Wieso nicht?", gibt sich Simon begriffsstutzig.

„Lukas hatte schon recht, dass dieser Deal grenzwertig ist."

„Lukas ist ein scheinheiliger Moralapostel ohne Rückgrat!"

Wir müssen beide lachen.

„Na schön, mein Bester, ich erhöhe auf 25 Prozent! Hier und sofort und cash!" Er klopft grinsend auf die Brusttasche seiner braunen Wildlederjacke und hält mir dann seine Hand hin. „Mein letztes Angebot!"

Es zuckt in mir. Ein Handschlag und ich habe mein Geld - sogar mit einer 25 prozentigen Verzinsung - und bin den giftigen Drachen los! Warum ich trotzdem zögere, kann ich mir selbst nicht erklären.

Schließlich ringe ich mich zu einer Entscheidung durch: „Na, schön."

Simon erwartet schon freudig, dass ich seine Hand ergreife.

„Aber vorher will ich Liam eine letzte Chance geben!"

Simon schnauft genervt. „Viktor, das ist doch Zeitverschwendung! Ich muss jetzt wirklich los! Also entweder wir machen den Deal jetzt - oder nicht."

Jetzt, wo ich mich dazu durchgerungen habe, würde es mich schon ärgern, wenn Simon einen Rückzieher macht. So unberechenbar, wie er ist, sollte ich bei ihm immer mit allem rechnen. Trotzdem ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und rufe mit dem Satz „So viel Zeit gibst du mir noch!" bei Liam an.

Bis der endlich rangeht, muss ich es einige Mal läuten lassen.

„Hey Vik, was geht?" Er klingt angestrengt fröhlich. Kein gutes Zeichen.

„Was ist? Hat er das Geld?", fragt Simon ungeduldig.

„Was?", fragt Liam.

„Simon ist gerade vorbeigekommen und hat frische Croissants vorbeigebracht."

„Oh, grüß ihn von mir!"

„Ich soll dir schöne Grüße von Liam sagen", wiederhole ich für Simon.

„Hör auf mit dem Gequatsche! Kann er seine Schulden begleichen oder will er dich weiter hinhalten?"

„Simon möchte wissen, ob du mir meine Schulden bezahlen kannst!"

„Natürlich kriegst du dein Geld. Bin gerade auf dem Weg in die Bank. Die Arbeit ruft, du weißt schon." Er lacht albern. Typisches Zeichen seiner Nervosität. „Aber gleich nach Feierabend kümmere ich mich darum. Du kannst dich auf mich verlassen, Vik!"

Ich sage nichts.

Simon sieht mich voller Ungeduld an.

„Wie geht es Kyra? Kann ich sie kurz sprechen?"

„Sie schläft noch in meinem Bett."

Stille am anderen Ende.

„Liam?" Ich horche. „Bist du noch dran?"

Er schnauft. „Kannst du ihr bitte ausrichten, dass ich sie wahnsinnig vermisse! Und dass ich mich in der Mittagspause nochmal bei ihr melden werde! Machst du das, Vik?"

„Klar doch", sag ich. Nach einer kurzen Verabschiedung von Liam beende ich das Telefonat.

„Ich hatte recht!", triumphiert Simon, „Er hält dich weiter hin!"

Ich stecke das Handy zurück in die Gesäßtasche meiner Anzughose und ohne noch einmal zum Bett zu sehen, reiche Simon die Hand. „Also abgemacht! 25 Prozent on top und ich bin fertig mit der Geschichte!"

„Ja, mein Bester!", triumphiert Simon, ergreift flugs meine Hand und lässt mir damit keine Chance für einen Rückzieher.

Als er nach ausgiebigem Händeschütteln wieder loslässt, kratze ich mir nachdenklich am Kopf und blicke ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Klar, da war doch noch was", sagt er und greift in die Innentasche seiner Wildlederjacke. Er zieht ein großes Bündel Banknoten hervor und fängt in aller Seelenruhe an, die Scheine abzuzählen. Und ich sehe ihm dabei aufmerksam zu.

Als wir ein Geräusch vom Bett hören, drehen wir uns gleichzeitig zu dir um. Du richtest dich auf, gähnst und reckst und streckst dich. Dir steht noch ein ganz besonderes Erwachen bevor, befürchte ich.

Aber das soll nicht mehr mein Problem sein. Vielleicht hat es sogar etwas Gutes und ist für Liam umso mehr Ansporn, seine Schulden zügig zu bezahlen. Ich an seiner Stelle würde mich jedenfalls mehr als ins Zeug legen. Soll er doch die Bank, in der er arbeitet, ausrauben. Näher als er kann man doch nicht an der Geldquelle sitzen.


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