Ich möchte sterben. Oder?

By charlottevers11

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Dies ist eine Kurzgeschichte über ein Mädchen, das sich entscheidet, ihr Leben durch ein Zugunglück zu beende... More

Prolog
1. Der Anfang
2. Timur

3. Lügen

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By charlottevers11




Ich war nun einige Wochen Teil der 11. Klasse. Die Oktoberferien waren fast vorbei.

In dieser Zeit dachte ich oft an ihn und ich freute mich, ihn endlich in der Schule wiederzusehen. Ich fragte mich am Abend vor Schulbeginn, wie ich ihm begegnen sollte. Wir hatten im ersten Block Biologie und saßen seit kurzem nebeneinander. Sollte ich ihn im Raum mit einem einfachen „Hallo, wie geht's dir?" begrüßen, oder war das zu einfallslos? Oder wie wäre es mit einem „Hey, wie waren deine Ferien?"? Nein, definitiv zu gezwungen, ich brauchte eine coole, gelassene Frage. Und sollte ich mich wirklich neben Timur setzen? Es könnte ja sein, dass er es sich in den Ferien anders überlegt hatte und nun allein sitzen wollte. Wahrscheinlich bin ich ihm in den letzten Wochen nur auf die Nerven gegangen und er war zu höflich, um mir zu sagen, dass ich mir eine andere Bank suchen sollte. Bestimmt konnte er mich überhaupt nicht mehr leiden! Und ich Nervensäge habe es überhaupt nicht bemerkt! Vielleicht sollte ich auch einfach die Stunde ausfallen lassen. Was wäre schon dabei. Dann stünde ich morgen nicht vor der Entscheidung, Timur „Hallo" zu sagen, mich zu ihm zu setzen oder mir eine andere Bank zu suchen. Aber andererseits konnte ich doch nicht die erste Stunde nach den Ferien schwänzen, das wäre doch inakzeptabel.

Mit diesen Gedanken im Kopf wälzte ich mich noch stundenlang im Bett herum. Ich glaube, ich bin erst spät nach Mitternacht eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte ich wie gerädert auf. Es war sechs Uhr früh und ich war daran gewöhnt, erst nach Zehn aufzustehen. Ich spielte mit dem Gedanken, wieder ins Bett zu gehen und für den Tag auf die Schule zu pfeifen. Ich drehte mich gerade auf die andere Seite, als mir einfiel, dass ich heute Timur wiedersah.

Stöhnend zwang ich mich aus dem Bett zu steigen und der Tatsache ins Auge zu blicken, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Durch die Ferien hatte ich völlig vergessen, wie ich mit ihm umgehen sollte. Das Gute war jedoch, dass mein Bus so früh kam, dass ich einer der ersten im Raum sein und mich innerlich darauf vorbereiten konnte, mit Timur zu sprechen. Ohne mich vor allen lächerlich zu machen, die sich ohnehin schon darüber lustig machten, dass ich mit ihm befreundet war.

Innerlich beflügelt ging ich zur Bushaltestelle. Es war ein regnerischer Tag, das weiß ich noch. An der Bushaltestelle angekommen, registrierte ich, dass mehr Menschen als sonst dort standen. Sie blickten alle mit aufgebrachten Gesichtsausdrücken auf die Anzeigetafel. Mit blinkenden Worten teilte der Bildschirm uns mit, dass die nächsten Busse aufgrund eines Unfalls ausfallen würden. Das wars. Mein Bus fiel aus. Ich würde zu spät zur Schule kommen. Ich würde nicht allein mit Timur reden können. Ich würde wie ein Nervenbündel vor ihm stehen und jeder würde mich auslachen. Unsere Freundschaft würde zerbrechen. Ich würde nie wieder glücklich werden.

Mit diesen erhellenden Gedanken machte ich mich auf dem Weg zur Schule.

Mein Kopf war wie leergefegt, als ich den Biologie-Raum betrat. Natürlich waren fast alle Schüler schon da. Timur saß allein an seiner Bank. Das war ein gutes Zeichen. Vermutlich wollte er noch, dass ich neben ihm saß. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging zielstrebig auf ihn zu. Ich sah ihm durchdringend in seine Augen. Sein Blick war undurchschaubar. Würde er mich neben sich sitzen lassen? Würde er noch mit mir reden? War unsere neue und zerbrechliche Freundschaft durch die schier unendlichen Ferien gebrochen?

Timur schob den Stuhl für mich zurück und sagte: "Setzen Sie sich doch". Das Eis war gebrochen. Es war alles noch beim Alten. Ich seufzte erleichtert.

Wir redeten und flüsterten die ganze Stunde in unserer Ecke. Manchmal unterbrach ein lauter Lacher von Timur die Stille. Unsere Lehrerin Frau Ball war so ungehalten über unsere Ignoranz gegenüber dem Unterricht, dass sie uns scharf zurechtwies. Sie wusste ganz genau, dass ich eine Niete in Biologie war, sodass sie mich einmal spitz fragte: „Wenn du so gut aufgepasst hast, wie du es mir gerade beteuerst, dann erläutere mir doch einmal die Prozesse der Translation der Proteinbiosynthese." Natürlich hatte ich keine Ahnung und Timur schob mir bei diesen Fragen oft seine Aufzeichnungen hinüber, sodass ich es halbwegs erklären konnte.

Aber auch seine ungeteilte Aufmerksamkeit berührte mich. Als ich einmal kurz vor dem Klingeln atemlos in den Raum hetzte, mit meinem halboffenen Rucksack über der Schulter und ihm dann zurief: „Omg ich muss dir etwas erzählen!", ließ er alles stehen und liegen und sagte: „Schieß los". Das „Schieß los" war sein Markenzeichen. Er sagte es jedes einzelne mal, wenn ich ihm etwas mitteilen wollte, egal wie wichtig es auch erscheinen mochte:

„Hey, Lena wurde von dem Direktor ins Büro geholt, soll ich dir sagen, worum es ging?"

„Schieß los"                                           

„Gestern sind zwei Motorräder vor unserer Schule zusammengestoßen. Einer aus unserer Stufe ist fast daran gestorben! Ich weiß sogar, wer!"

„Schieß los"

„Kay Kaleschky hat sich als Weihnachtsmann verkleidet, ist jodelnd durch das Sekretariat gerannt, hat Bonbons auf die Schüler geworfen und weißt du was die Reaktion von dem Schulleiter war?"

„Nein, schieß los!"

Andererseits schämte ich mich auch oft für ihn. Er war laut und sprach so schnell, dass ihn kaum einer verstand. Wegen seines aggressiven Ganges sah man ihn schon von Weitem. Er diskutierte häufig mit den Lehrern, stellte komplizierte Fragen und lachte im Unterricht ohne Grund laut los. Das war mir manchmal so unangenehm, dass ich wegschauen musste. Die anderen verurteilten mich wahrscheinlich im Stillen, dass ich mit so jemandem meine Zeit verbrachte. Ich dachte, er stand auf mich, aber ich war mir nicht sicher. Wenn die anderen nur wüssten, dass ich ihn toll fand. Ich hätte mich in Grund und Boden geschämt. Aber ich glaube, sie ahnten es bereits.

Denn an einem Tag in der ersten Pause gab es einen Vorfall. Ich bin zusammen mit Timur, Sophie und Hannah über den Schulhof gegangen. Ich habe die Blicke der anderen gespürt, sie hielten uns wahrscheinlich für verrückt, da wir mit dem Außenseiter Timur abhingen. Uns machte es eigentlich nichts aus und wir redeten und lachten die gesamte Zeit. Bis Detlev, mein alter Grundschulfreund, den ich überhaupt nicht mehr leiden konnte, und seine nervigen Freunde aufkreuzten. Sie sahen uns, blieben stehen und fingen auf einmal an, verhalten zu lachen. Sie schauten mich dabei an und boxten sich gegenseitig in die Seiten. Mir war es peinlich und ich wurde rot. Ich entschuldigte mich mit einer gemurmelten Ausrede und verließ mit gesenktem Kopf den Hof. Zum Glück klingelte es zum Unterricht.

Aber dieses Ereignis hielt mich nicht auf, weiter mit Timo zu sprechen.

Trotzdem war er für mich etwas Besonderes. Ich traute mich nicht einmal, ihn um seine Nummer zu fragen, so ehrfürchtig war ich. Um aber an sie heranzukommen, fragte ich meine Freundin Hannah, die mit ihm in einer Klasse war. Sie schickte mir seine Nummer und unter dem fadenscheinigen Vorwand, die Hausaufgaben in Biologie nicht mitbekommen zu haben, schrieb ich ihn an. Von da an schrieben wir fast jeden Tag. Eigentlich nur über Schule und Tests, aber nach einiger Zeit wurde es intimer. Wir schickten uns Nachrichten über persönliche Dinge, wie die Probleme, die wir aktuell hatten. Eines Tages rief ich ihn sogar an. Wir sprachen über dies und das.

Das Gespräch entpuppte sich als eine tiefgründige und philosophisch in sich gehende Konversation über das Leben. Wir redeten sieben Stunden miteinander. Ab dem Tag telefonierten wir regelmäßig nach der Schule. Meisten war ich diejenige, die anrief. Ich sprach mit ihm über meine Familie, meine Gedanken und sogar über meine Tagebucheinträge. Er quetschte mich förmlich aus. Er dachte, dass er genau wusste, wie er meine tiefsten Geheimnisse an die Oberfläche bringen konnte. Manchmal, wenn ich mir unsicher war, ob ich es ihm wirklich erzählen konnte, ermunterte er mich immer wieder. Na los rede schon, deine Geheimnisse sind bei mir sicher. Was soll ich auch damit anfangen.

Er dachte, er hätte mich so in der Hand. Manchmal sagte er scherzhaft lachend: „Mit den Dingen, die du mir so erzählst, könnte ich dich irgendwann erpressen!". Was er aber nicht wusste und auch nie wissen wird, ist, dass ich ihn an der Nase herumführte. Die Dinge, die ich ihm erzählte, sind alle nicht wahr. Ich belog ihn mehr als ein Jahr über mein Leben. Ich weiß immer noch nicht, warum ich das tat. Denn wenn ich ihn wirklich so gemocht hätte, wie ich es mir eingeredet habe, dann hätte ich es gar nicht über mich gebracht, ihm mein Leben vorzugaukeln.

Wahrscheinlich war es eine Art Schutzmechanismus. Ich wollte nicht, dass er viel über mich erfuhr, aber auf der anderen Seite liebte ich es, Menschen etwas über mich zu erzählen. Und um dieses Dilemma zu überwinden, fing ich an, Timur anzulügen. Aber nur Timur. Niemanden anderes. Meinen Freunden und meiner Familie sagte ich meistens die Wahrheit, aber nur, weil sie mich nicht mit massenweisen Fragen überhäuften. Timur zwang mich ja gerade dazu, ihm alles zu sagen, was gerade in mir vorging. Und ich konnte einfach nicht „nein" sagen. Stattdessen log ich ihn an.

Ich bin froh, dass er niemals davon erfahren wird. Ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und das ist auch gut so.

Ich erzählte ihm auch Geheimnisse. Zwar waren die meisten davon reine Unwahrheit und reinster Humbug, aber eines konnte ich ihm nicht enthalten. Es war meine größte Schwachstelle.                                                                                                                            In einer kalten Novembernacht knackten wir die Neun-Stunden-Marke unserer Telefonate. Bis zu dem Zeitpunkt war Inhalt unserer Gespräche unsere Schule, das neue Spiel „Among Us", auf dem der gesamte Erdball auf einmal abfuhr und unsere gemeinsamen Freunde.    Doch plötzlich, nachdem er mich eine halbe Stunde über meine Meinung zu meiner Freundin und Klassenbesten Lena ausfragte, sagte Timur einfach so aus dem Nichts: „Hast du Geheimnisse?". Ich war verdutzt: „Natürlich habe ich Geheimnisse, wer hat die denn nicht?". Er bohrte nach „Wie viele hast du denn?" Ich verschloss mich: „Musst du das wissen, das geht dich eigentlich nichts an. Denn warum tragen sie sonst ihren Namen?" Die Leitung knackte. „Du hast anscheinend meine Frage nicht verstanden. Ich meinte wie viele Geheimnisse besitzt du? Eins? Zwei? Zehn? Hundert? Kleine Geheimnisse? Große Geheimnisse? Oder etwa doch nur Nichtigkeiten, die für dich so bedenklich sind, dass sie für dich wie eine Belastung erscheinen?"

Timur klang ernst. So hatte ich ihn bis jetzt noch nicht erlebt.

Verwirrt antwortete ich: „Nein, so würde ich das nicht sehen. Es kann sein, dass ich wirklich Unmengen von mikroskopisch kleinen und so geringfügigen Geheimnissen habe, die nicht einmal nennenswert sind. Aber ich habe auch drei sehr große, die ich für mein Leben nicht erzählen werde." „Alles nur Geschwafel. Ich weiß, wie ich alles aus dir herauslocken kann, ob du es willst, oder nicht. Auch deine tiefsten und rätselhaftesten Verborgenheiten. Denn die Wahrheit kommt immer ans Licht, meine Liebe." (Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass er mich ständig „meine Liebe" nannte? Ich fand es damals so unheimlich gut und das erste Mal, als er es zu mir sagte, schmolz ich förmlich so dahin).

Ich weiß, es sollte scherzhaft klingen, doch ich hörte eine gewisse Geringschätzigkeit aus seiner Stimme heraus. Er unterschätzte mich, das spürte ich. Wenn er doch nur geahnt hätte, dass alles, was er aus mir herausbekam, reine Lügen waren. Er konnte mir nichts entlocken, und schon gar nicht die Wahrheit. Aber ich ließ mich auf das Spiel ein. „Denkst du das wirklich? Aber ja, bei deinem Überredungstalent würde es mich nicht wundern. Aber ich weiß, dass sie bei dir sicher wären."

Für mich war es ein interessantes Experiment. Ich erzählte ihm Dinge, die mich in seiner Gegenwart in eine ganz neue Person verwandelten. Sein Glaube an meine Erzählungen faszinierte mich. Und seine Treueschwüre, dass er mein größtes Geheimnis niemals und niemandem weitergeben würde, rührten mich. Also erzählte ich es ihm. Denn ich wusste, bei ihm war es sicher.

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