Zufrieden grinsend tippelt Killian neben seinem Freund her, der ebenfalls ein überaus gelassenes Lächeln auf den Lippen trägt.
„Und die bringen das wirklich zu uns, nach dem das zugeschnitten wurde und so?", erkundigt sich Killian erneut neugierig, worauf Nicoals schmunzelnd nickt. „Genau. Das Modell, was du gewählt hast, wird auf deine Maße angepasst und dann versendet. Freitag ist es da und dann kannst du ihn Samstag bei der Hochzeit anziehen."
Fröhlich nickt Killian. Er hatte bei weitem noch nie so einen schönen Anzug. Er kam aus dem Staunen kaum raus, als er ihn im Geschäft gesehen hat. Doch bei dem Preis hatte das Staunen ein Ende.
Hier muss er zugeben, dass es doch ganz praktisch ist, dass Nicolas aus einer wohlhabenden Familie kommt. Wobei er dennoch überrascht war, als er erfuhr, dass dessen Mutter das Familiengeschäft aufgebaut hatte und nicht Valentin, sein Vater, wie er es eigentlich klischeehaft erwartet hätte.
Händchen haltend mit seinem Freund, der dabei zu Beginn der Beziehung übrigens immer rot geworden ist -zum Anbeißen niedlich-, schlendern die Beiden aus dem Einkaufszentrum nach draußen. Killians Blick gleitet zu seinem Handy.
„Mh, schon so spät", murmelt er, was Nicolas' Aufmerksamkeit auf sich zieht.
„Hast du denn noch etwas vor?", erkundigt er sich verwundert, da er eigentlich gehofft hatte, heute mit seinem verdammt hübschen Freund den Tag verbringen zu dürfen. Doch entgegen seiner Hoffnung nickt Killian langsam. „Was denn?" Ein Seufzen folgt, ehe er leise murmelt: „Ich hab meiner... Mutter geschrieben. Wir treffen uns dann auf ein Eis."
Überrascht hebt Nicolas die Augen. Mit der Antwort hat er nicht gerechnet. „Du hast ihr also geschrieben... Ist doch gut. Und bei so einem kurzen Treffen kann doch nicht viel schiefgehen. Oder?"
Nur zögernd nickt Killian. Er hat heute Morgen eine Ewigkeit gebraucht, um die Nummer einzuspeichern. Der Kontakt hat es lediglich zu 'Coralie T' geschafft eingegeben zu werden. Die Zeit, die er für das Schreiben der Nachricht benötigt hatte, war noch einmal um einiges länger.
„Deswegen... Wollte ich dich noch fragen, ob du in der Nähe bleiben könntest. Naja, falls ich unerwartet fliehen muss. Weißt du...", offenbart der Kleinere schließlich sein Anliegen, was dem Größeren ein leichtes Schmunzeln aufgrund der Wortwahl auf die Lippen zaubert.
Sanft zieht er Killian zu sich etwas an den Rand des Fußweges, um nicht im Weg zu stehen. Sein gesunder Arm legt sich um die Taille des Jüngeren, der leicht verwundert zu Nicolas aufblickt, der ihn liebevoll anblickt.
„Mach nicht so ein besorgtes Gesicht. Ich bin, wenn es nötig ist sogar dein persönlicher Spion und seile mich von der Decke ab, um dich daraus zu holen."
Ungewollt muss Killian leise auflachen. „Du Spinner." - „Habe ich von dir."
Zärtlich streiche er ihm eine Strähne hinters Ohr, um darauf sein Kinn zu heben und ganz vorsichtig einen Kuss auf Killians Lippen zu hauchen. „Aber wirklich. Bei dem ganzen geht es um deine Mutter. Und ich habe gesehen, was das alles mit dir angestellt hat."
Liebevoll zieht er ihn noch etwas näher zu sich, was Killian sichtlich zu genießen scheint.
„Und deswegen hast du auch das Recht zu sagen, wie lang du dich wohlfühlst und ab wann es zu viel ist. Nimm dich da bitte keinesfalls zurück. Denn hier geht es hauptsächlich um dich."
Killian hat es schon früh gemerkt. Nicolas scheint irgendwie immer die richtigen Worte zu finden, dass er es fast schon als Superkraft bezeichnen würde. Dankbar lächelt er und legt den Kopf auf der Brust des Älteren ab, wobei er die Arme um Nicolas Hüfte schlingt.
Genießend empfängt er die angenehme Wärme, die Nicolas ausstrahlt und lässt den Augenblick auf sie wirken. Die Nähe ist wunderbar, selbst, wenn sie hier in der Öffentlichkeit sind. Einfach schön.
Doch diese ist zu schnell vorbei, als er schließlich zappelnd vor Nervosität auf einem Stuhl in dem besprochenen Eiscafé sitzt. Sein Puls rast nicht, aber er ist schneller als für gewöhnlich. Die Hände leicht schwitzig.
Verdammt, wo bleibt sie nur.
Erneut gleitet Killians Blick zu der Uhr, auf der es schon fünf nach der abgemachten Zeit ist. Hat sie ihn versetzt? Erneut Schiss vor ihrem eigenen Kind bekommen?
Nicht mal den Katzenanstecker, den eine der Angestellten an ihrer Brust trägt, kann Killian ein Schmunzeln entlocken, während er stetig unruhiger und unsicherer auf dem Stuhl hin und her rutscht.
Was hatte er sich auch erhofft...?
„H-Hallo! Ich-Ich bin da!"
Eine ihm nur zu gut bekannte Stimme lässt ihn herumfahren, direkt blickend in das Gesicht seiner Mutter, die gehetzt nach Luft ringt und wirkt, als sei sie gerannt.
Ihr Blick spricht vor Erleichterung, als sie Killian sieht, der nach fünfzehn Minuten immer noch ohne bestellt zu haben gewartet hat.
Diesem sieht man jedoch seine Unschlüssigkeit an. Soll er sich nun freuen, dass sie da ist, oder sehen, dass er ihr wohl nicht mal Pünktlichkeit wert ist.
„Es tut mir so leid." Atemlos lässt sie sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen, wobei sie Mantel und Jacke ablegt. „Aber Gracie ist die Treppe runtergefallen, dass ich mit ihr sofort zum Arzt bin. Es ist nichts Schlimmes, nur hat diese Schwester im Wartezimmer so ewig gebraucht für alle Patienten, dass es sich so verzögert hat und..."
Außer Puste bricht sie ab, wobei ihre Augen vorsichtig zu dem bisher schweigsamen Killian wandern, der sie mustert und langsam nickt.
Das ist wenigstens eine Erklärung. Wenn Sie für ihn selbst nicht da sein konnte -oder wollte-, dann wenigstens für ihre jetzigen Kinder.
Missgunst breitet sich in dem Eisengel aus, der jedoch eifrig innerlich den Kopf schüttelt. Er hatte sich doch vorgenommen positiv an die Sache ranzugehen. Und das ist dies nun wirklich nicht.
„Verstehe... Klar. Zum Arzt gehen ist wichtig... Du hättest mir aber auch von deiner Verspätung schreiben können." Den Rest bringt er nur murmelnd über die Lippen, da sich dies doch nicht zurückhalten wollte, wodurch auch Coralie ihr Fehler vor Augen geführt wird und sie sich seufzend die Hand vor die Stirn schlägt.
„So ein Mist! Ja Klar! Wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen?" - „Naja, wenn es um jemanden geht, der einem sehr wichtig ist, dann kommt man in so einem Moment nicht auf solche Ideen." Schwach lächelt Killian, was sie ein wenig beruhigter nicken lässt.
Es scheint, als realisiere die junge Frau jetzt erst, dass sie vor ihrem Sohn sitzt, sodass sie sich automatisch etwas nervöser gerade hinsetzt.
„Vielen Dank, dass du hergekommen bist... E-Eis mochtest du ja schon früher sehr", geht sie zögernd auf die zwischen ihnen stehende Thematik ein. Killian scheint jedoch nicht ganz so begeistert, nickt aber und auf den kurz angebundenen Smalltalk ob es einem gut ginge, herrscht Schweigen, verborgen hinter dem angeblich so interessantem Stöbern in der Karte.
Ganze weitere zehn Minuten benötigt es zum Bestellen, ehe Killian verunsichert den Blick hebt. Er selbst sollte sich doch in der Machtposition fühlen. Sie verließ ihn. Sie bettelt um seine Gnade.
Doch dennoch kommt das Gefühl nicht auf. Wie könnte er versuchen anzufangen...?
„Du und Nicolas seid also zusammen", ergreift Coralie nun zögernd lächelnd das Wort, während sie ihre Beine überschlägt. Killian nickt. „Ich habe auf der Weihnachtsfeier mit ihm sprechen dürfen. Er scheint wirklich nach einem netten jungen Mann."
Killian nickt.
Schweigen.
„Ja-Ja! Das ist er auf jeden Fall", bestätigt Killian eilig, als ihm auffällt, dass er ja auch eine Zunge zum Reden besitzt.
Erleichtert nickt Coralie. „Ist er jemand aus deinem Freundeskreis gewesen?" - „N-Nein. Nicolas habe ich... auf anderen Wegen kennengelernt. Aber mir war schnell klar, dass dieser eingebildete Schnösel echt toll ist."
Wie automatisch legt sich ein leichtes Lächeln bei dem Gedanken an Nicolas auf Killian Lippen. Über Nicolas könnte er Stunden schwärmen. Angefangen bei seiner wundervollen aufmerksamen Art, endend bei seinem göttlichem...
„I-Ich hab aber auch keinen wirklichen Freundeskreis", versucht Killian sich dabei das Gespräch aufrechtzuerhalten. Leicht irritiert runzelt Coralie die Stirn, worauf Killian verlegen die Hände knetet.
„Meine besten Freunde sind Elain und Charlie. D-Die beiden sind Zwillinge und mit mir zusammen aufgewachsen." Langsam entspannt sich sein Körper ein wenig. Von ihm bekannten Dingen erzählen, beruhigt den Eisengel ungemein. „Sie sind etwas älter als ich, aber ich durfte bei ihnen einziehen, als ich, naja, ausgezogen bin."
Nur ungern möchte er das Thema Waisenhaus ansprechen, wo er sich doch vorgenommen hat, offen aufzutreten und nicht auf der Vergangenheit herumzutrampeln.
Aufmerksam lauscht Coralie seiner Erzählung. „Zwei richtige Freunde sind ja auch vollkommen genug", lächelt sie leicht, wobei ihr Blick über Killian wandert. Noch immer ist es ihr unklar, wie aus ihrem kleinen Jungen von damals, mit den großen blauen Augen und dem frechen Lächeln ein so erwachsener junger Mann werden konnte, größer als sie selbst und mit beiden Beinen im Leben.
Bestätigend nickt Killian und gerät wie von allein ins Schwärmen über seine nahezu als Geschwister gesehene Familie. Stolz berichtet er, dass Elain mit ihm zusammen Medienmanagement und Charlie Grundschullehramt studiert. Vielleicht auch einer der Gründe, warum Charlie für Killian manchmal einer Vaterfigur glich. Aber das wird natürlich nicht erwähnt.
Coralie muss lächeln, als sie bemerkt, wie langsam die kalte Mauer um Kilian herum sich in annehmbares Glas verwandelt und er ihr offener gegenüber wird.
„Wenn das nicht ein Zufall ist, aber ich habe genau das Gleiche studiert", bemerkt sie amüsiert, was Killian ins Gedächtnis ruft, dass sie ja Professorin ist. Hat sie auch einen Dr? Bestimmt. Heißt es dann Dr. Coralie Thompson?
Diese Gemeinsamkeit ist wohl großer Zufall. Denn als Coralie geschickt zu Killians Hobbys überleitet, bemerkt sie, wie ähnlich er doch seinem Vater eigentlich ist.
„Achja und seit einer Weile gehe ich laufen. Beziehungsweise verzichte auf Aufzüge und nehme generell immer die Treppe. Nicolas färbt mit seinem doofen Sport Lifestyle echt ab. Aber dadurch hab ich auch Muskeln bekommen. Und mh, ich bin eine Niete im Kochen, es macht mir aber trotzdem Spaß.
Oh äh, aber eines meiner eigentlichen Hobbys ist es zu Lesen. Ich habe leider nicht viel Zeit dafür, aber ich tue es gern. Nicht unbedingt solche Romanschmöker. Sondern klassische alte Literatur. Aber kein Schrott wie das alte Zeugs. Die Drei Musketiere. Mh. Ah! Oder die Weihnachtsgeschichte. Das sind meine liebsten Bücher. Oder die unendliche Geschichte"
Dies lässt Coralie sofort aufhorchen. Letzteres war ein Buch, was sie Killian damals immer vorgelesen hatte. Ob er sich daran erinnert? Klug darauf einzugehen wäre es sicher nicht.
Killian selbst fühlt sich jedoch langsam wohler und scheint richtig begeistert ihr etwas über sich erzählen zu dürfen. Das Lesen ist ihm besonders wichtig. Oft tat er es nicht, aber wenn, dann genoss er ein Buch in vollen Zügen, in jedem Wort, jeder Zeile und jeder vielleicht ergänzenden Zeichnung.
Als schließlich ihr Eis kommt, kann es Coralie sich nicht mehr verkneifen. Bevor Killian sich auf seinen riesigen Schokoladen Becher stürzen kann, muss sie leise auflachen.
„Ich weiß noch, du hattest damals Eis genauso geliebt." Ihr Sohn stockt und blickt zu ihr. „Ich kann mich noch genau erinnern, wie du immer Eis durch die Gegend geworfen hattet. Einmal diente es sogar als Munition für ein Katapult, bestehend aus einem Löffel und... Öh, naja, Eis."
Deutlich erkennbar an Coralies Blick, die Erinnerung, die vor ihrem inneren Auge erscheint und ganze fünfzehn, bald schon sechzehn Jahre her ist.
Wirklich wissend, was er antworten soll, ist Killian nicht. Doch zuckt Coralie zusammen. „Oh Gott! Du hast ja bald Geburtstag!", fällt es ihr Schlagartig ein.
Kurz runzelt Killian irritiert die Stirn, ehe er nickt. „Ja, dann werde ich zweiundzwanzig."
Langsam bläst sie die Wangen auf und nickt. „Wow."
Killian ist es nun, der nickt, wobei er den Blick senkt. Der Appetit auf Eis hat sich deutlich gesenkt. Die Stimmung ist gekippt und Fragen schießen auf einmal in seinen Kopf.
Vorsichtig hebt er den Blick und sieht zu seiner Mutter, die sich kaum von ihm abwenden, fähig ist. „W-Wieso tatest du es nur...?"
Leise kommen die Worte über Killians Lippen. Wie eine sanfte Brise gehaucht. Seine Stimme wirkt auf einmal so gebrochen und tot traurig, dass es Coralie das Herz bricht.
„N-Nicolas hat es mir erzählt. A-Aber warum", fährt er leise fort, wobei er vom Eis ablässt. Schluckend quittiert die Professorin, wie Killians Augen langsam glasig werden, so sehr er sich auch bemüht sich zusammenzureißen.
„I-Ich wollte das nicht ansprechen. Aber... Jetzt wo ich hier bin. D-Dir von mir erzähle. Frage ich mich w-warum ich dir nicht genug war. Nicht Grund genug, zu bleiben. O-Oder mich mitzunehmen."
Killian versucht stark zu bleiben, doch von ganz allein nässen sanft Tränen seine Wangen, die er kaum bemerkt. Seine Unterlippe zittert und nahezu verzweifelt hebt er den Blick, sehend in die identischen Augen seiner Mutter, die hilflos ihm entgegenblicken.
„Klar. Du warst jung und unerfahren und und und. Aber ich..." EIn Schluchzen entweicht dem Eisengel, dessen Flügel scheinen schon früh genommen worden zu sein.
„Ich wollte doch nur meiner Mama wieder haben", hickst er leise, die Tränen nicht mehr halten könnend. Sanft tropfen sie auf das Eis vor ihm.
Ein paar der umgebenden Leute blicken kurz verwirrt zu dem Tisch der beiden, an dem ein erwachsener Mann sitzt, wirkend, als habe man ihn sehr weh getan. Wenn dies nicht sogar so ist.
Coralie sitzt wie versteinert vor ihm. Auswegslos kommt ihr nichts in den Sinn, was sie tun könnte, um diese tiefen Wunden nur ansatzweise zu heilen.
Ein unwohnliches Stechen der Verzweiflung breitet sich in ihr aus. Ihre zierlichen Hände zittern leicht, als sie Killian vor sich erblickt, dessen Selbstbeherrschung vergeblich ihm entglitten ist.
„Ich..." Sie bricht ab. „Nichts in der Welt könnte ich sagen oder tun, damit du mir dies verzeihen könntest... N-Nichts, um diesen Fehler zu rechtfertigen..."
Hiflos sieht sie in Ihre absolut gespiegelten Augen, die von einer sanften Tränenschicht überzogen sind. Spürend, wie ihr eigenes Fundament bröckelt, streckt sie vorsichtig die Hand aus, um nach der Killians zu greifen. Seine Augen verfangen sich in den ihren, sodass etwas, nahezu eines Stromschlages ihn durchfährt, sobald sie seine Hand berührt.
Doch er zuckt nicht zurück.
Dabei wird ihm klar, was er all die Jahre unterdrückt hatte.
Er vermisst seine Mutter mehr als alles andere.