METROPOLA - Band 1 - Der Jahr...

By The_Crowstorm

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Auf dem Wüstenplaneten Carth erbauen die Reste der Menschheit die Millionenstadt Metropola. Knapp vierhundert... More

METROPOLA - Band 1 - Der Jahrhundertsturm
Prolog: Schatten im Untergrund
Kapitel 1: Waffengeschäfte
Kapitel 2: Sektoren
Kapitel 3: Panic at the Disco
Kapitel 4: Vanilleschnaps
Kapitel 5: Prinzipien
Kapitel 6: Die Tischtennisplatte
Kapitel 7: Der Soldat
Kapitel 8: Unsere Familie
Kapitel 9: Dave
Kapitel 10: Die Hackerin
Kapitel 11: Um dir zu helfen
Kapitel 13: Die Einbrecherin
Kapitel 14: Gute-Nacht-Geschichten
Kapitel 15: Der Sensenmann
Kapitel 16: Elaine
Kapitel 17: Undercover
Kapitel 18: Sicherheitsrat
Kapitel 19: Monster
Kapitel 20: Gesetze
Kapitel 21: Der Deal
Kapitel 22: Kalpa
Kapitel 23: Carths Wut
Kapitel 24: Der Coup
Kapitel 25: Wäschetrockner
Kapitel 26: Die schlimmste Droge
Kapitel 27: Impulse
Kapitel 28: Haftstrafe
Kapitel 29: Sektkorken
Kapitel 30: Bruderliebe
Kapitel 31: Krisen
Epilog: Rock Lobster
Schlussworte & Danksagungen

Kapitel 12: Ende des Theaters

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By The_Crowstorm

 „Der Treffpunkt steht also", beeilte sich Elaine zu sagen, noch bevor Curtis überhaupt antworten konnte.

„Valentins Leute werden in der Tiefgarage auf Parkdeck Sechs warten." Der Zigarrenrauch von Sharifs Zigarre trieb Curtis wieder mal die Tränen in die Augen. Elaine und Yagira bemühten sich allem Anschein nach ebenso, die Augen nicht zuzukneifen. Nur Shawn stand tapfer und vor allem offenen Auges vor seinem Boss. Kein Wunder, rauchte er doch selbst wie eine Dampflok.

„Das ist Feindgebiet, in das wir uns da begeben", gab Curtis zu bedenken. Eine einzelne schwarze Strähne fiel ihm übers Gesicht, während er sich über die Karte beugte. „Wo sind Fox und Aaron? Vier Leute sind zu wenig." Curtis konnte es nach wie vor kaum fassen. Noch vor kurzem hatte sein Bruder ein Geschäft mit Don Valentin abgelehnt. Jetzt, ganz urplötzlich, schienen sie sich auf einen Deal geeinigt zu haben. „Wir verkaufen ihnen Waffen, ganz simpel", hatte Sharif gesagt. „Damit bewaffnen wir unseren Feind", war Curtis Antwort darauf gewesen. „Mit unseren Waffen könnte er uns fertig machen." Doch Sharif wollte nicht hören. Die Differenzen seien beigelegt, ein neues Zeitalter der Zusammenarbeit sei angebrochen und zwar nicht nur zwischen der Davut-Familie und dem Valentin-Syndikat, sondern zwischen allen Big Five.

„Fox und Aaron werden am Treffpunkt zu euch stoßen", erklärte Sharif mit rauer Stimme. „Sie observieren die Anlage schon seit heute Morgen. Oder glaubst du, ich schicke euch in Valentins Wirkungsbereich, ohne euch abzusichern?"

Auch wenn Curtis anders dachte, antwortete er stattdessen: „Nein, natürlich nicht."

„Yagira wird euch von einem gegenüberliegenden Gebäude absichern." Curtis' Bruder zeigte auf die Karte und tippte mit dem Finger auf eines der gezeichneten Häuser. „Yagira kann dir aus zweihundert Metern Entfernung nen' Pickel von der Nase schießen." Er blickte zu ihm rüber. „Ich habe vollstes Vertrauen in dich."

„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Sir", antwortete Yagira ergeben.

„Dann mach dich auf den Weg", befahl Sir Davut ihm prompt. Nickend machte Yagira auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro.

Curtis wandte sich an seinen Bruder. „Du bist dir sicher, dass Fox und Aaron dort sein werden?" Dafür erntete er fragende Blicke von Yagira und Shawn, und strafende von Elaine und Sharif.

„Was lässt dich daran zweifeln?"

„Ich möchte nur sichergehen, dass wir den Deal überleben. Ist das zu viel verlangt?"

„Du sorgst dich um Elaine", stellte Sharif fest.

„Selbstverständlich tue ich das." Curtis sah seiner Frau in die Augen. „Du solltest nicht mitkommen."

Wütend verzog sie das Gesicht. Ihre Sommersprossen legten sich in Falten. „Du bist so ein ... eben noch waren wir zu wenige. Das war deine eigene Aussage."

„Hör zu, du weißt genau, wie ich das meine. Du hast bisher keinerlei Erfahrung mit solcher Art Deals machen dürfen. Mit Valentin ist nicht zu spaßen."

„Denkst du, für mich ist das alles nur ein Spaß?", fauchte Elaine ihn an. „Du bist wirklich das Allerletzte."

„Schluss jetzt, alle beide!", donnerte Sharif, gefolgt von einem heftigen Hustenanfall.

Er ist heute ungehaltener als sonst. Schon vorhin, als er und Elaine in Sharifs Büro gekommen waren, wirkte sein Bruder gedankenverloren und gereizt. Nicht nur der Zigarrenqualm sorgte für dicke Luft hier unten. „Ich halte es für das beste, Elaine eine organisatorische Aufgabe zu geben", meinte Curtis und versuchte so ruhig und wohlwollend wie möglich zu klingend. Leider ohne Erfolg.

„Elaine wird diesen Deal mit euch durchziehen", sagte Sharif bestimmt. „Stimmt doch, Elaine?"

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich werde keinen Rückzieher machen. Du kannst auf mich zählen."

Ihr Schwager schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Anschließend blickte er zu Curtis. „Da hörst du es, Bruderherz. Sie ist fest entschlossen, genau wie ich. Und du solltest es auch sein."

Am liebsten hätte Curtis ihm die Stadtkarte ins Gesicht geschleudert, Elaine am Arm gepackt und sie in sein Auto verfrachtet. Sie würde sich wehren, mit Händen und Füßen, Bissen und harten Worten. Er konnte ihr nicht weh tun, niemals. Er wusste daher, er würde nichts tun können, um sie daran zu hindern, den irren Plänen seines Bruders zu folgen. Wäre sie nicht hier gewesen, gar nicht in den Deal involviert und Zuhause, Curtis hätte Sharifs Büro verlassen. Sollen sie ihren Deal alleine durchziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Don Valentin ihnen eine Falle stellt. Sie haben sich ausgesöhnt und die alten Geschichten ad acta gelegt. Das war Schwachsinn und Curtis wusste es. Doch leider war Elaine, die Liebe seines Lebens, die Mutter seiner Kinder und seine bessere Hälfte, nun mit in den kriminellen Sumpf gestiegen, aus dem er sie immer herausgehalten hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dem riskanten Deal beizuwohnen, um Elaine zu beschützen. Warum, um alles in der Welt, muss ausgerechnet sie bei dieser Scheiße mitmachen? „Ein Lehrling lernt am besten, wenn man ihn ins kalte Wasser wirft", hatte Sharif ihm noch vor einer Stunde erklärt. Curtis entgegnete daraufhin, dass der Lehrling nichts dabei lernen würde, sollte er dabei ertrinken. Schon da war seinem Bruder die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Er war nervös, das war ihm klar. Das zeigt mir nur, dass er sich, was Don Valentin betrifft, nicht so sicher ist, wie er uns gern weismachen möchte.

„Genug geredet", meinte Sharif und streckte die Brust heraus. „Ihr müsst jetzt gehen." Er starrte Curtis regelrecht an. „Viel Glück." Noch beim Hinausgehen spürte Curtis den scharfen Blick seines Bruders in seinem Nacken.

Nachdem Curtis als erster das muffige Büro verlassen hatte, folgten ihm Shawn und mit einem gewissen Abstand Elaine. Wortlos stieg Curtis' bessere Hälfte in den Lieferwagen zu Roland, einem übergewichtigen Handlanger, der die Waffen an den Übergabeort fahren würde. Dumm und unbeholfen wie er war, machte er nicht mal einen bedrohlichen Eindruck, sodass er am Übergabeort völlig Fehl am Platze wäre. Sharif hatte ihn angewiesen, den Lieferwagen in die Tiefgarage zu fahren und sich gleich wieder zu verpissen, sehr zu Curtis' Ärger. Wir bräuchten jede Unterstützung, die wir kriegen können.

Curtis schaute Elaine nach, als sie und Roland an ihm vorbeifuhren. Sie würdigte ihn keines Blickes. Seufzend stieg Curtis in Shawns Wagen, ein alter Fünfhunderter Jarvin. „Glaubst du, das wird alles so funktionieren, wie Sharif sich das gedacht hat?", fragte Shawn, als er auf dem Fahrersitz Platz nahm und sich anschnallte. Mit seinem rotfarbenen Afro kratzte er bereits an der Decke des Wagens. Er war ohnehin schon ein Kerl, der Dank seiner Körpergröße mit niedrigen Türrahmen und tiefhängenden Decken zu kämpfen hatte. Curtis wollte nicht wissen, was er jeden Tag aus seinem Afro herausklamüsern musste.

„So viel Glück wie mein Bruder bei seinen schwachsinnigen Entscheidungen jedes Mal hat, könnte ich mir sogar vorstellen, dass der Deal einigermaßen glimpflich über die Bühne geht", meinte Curtis und blickte aus dem Fenster. „Dann heißt es wieder, ich sei der paranoide von uns beiden."

Als sie endlich auf der Straße waren, bemühte sich Shawn, die Stimmung zu erheitern. „Sieh es doch mal so: Du kannst mehr Zeit mit deiner Frau verbringen. Das klingt vielleicht etwas dämlich, aber ..."

„Es ist dämlich", brummte Curtis angespannt. „Wir dealen nicht mit kleinen Straßengangstern, sondern treffen uns mit den Leuten, die uns bereits seit Jahren versuchen, aus dem Geschäft zu drängen. Was würdest du denn sagen, wenn Mala plötzlich entscheidet, mit zu deinen Aufträgen zu gehen?"

Shawn schmunzelte. „Solange ich nur deine Tochter beschatten muss, nehme ich meine Frau gerne mit. Mit Teenagern werden wir allemal fertig." Mit einer Hand am Lenkrad friemelte Shawn in seiner Jackentasche nach einer Packung Zigaretten.

„Vivien war verdammt sauer auf dich ... und mich", erzählte Curtis ihm und reichte ihm das Feuerzeug aus dem Handschuhfach. Es war nicht das erste Mal, dass sie gemeinsam unterwegs waren.

Shawn zündete sich den Glimmstängel an. „Tut mir leid, mein Freund", gab er nuschelnd von sich. „Ich war mir nicht sicher, wie weit dieser Kerl gehen würde. So heftig wie die beiden rumgemacht haben ..."

„Ich will das nicht hören."

„Tschuldige. Vielleicht solltest du deine Tochter in Ruhe lassen. Du kannst sie nicht ewig beschützen. Herrgott, sie ist jetzt wie alt? Sechzehn?"

„Sie ist dreizehn."

„Das macht heutzutage kaum noch einen Unterschied."

„Für mich tut es das sehr wohl", sagte Curtis bestimmt.

„Wenn dein Kleiner mal in dem Alter ist und mit einem Mädchen knutscht, machst du dir dann auch solche Sorgen um ihn wie um Vivien?"

„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist."

Shawn schnaubte und schnipste die Asche aus dem halbgeöffneten Fenster. „Du behandelst sie wie ein kleines Kind, nur weil sie ein Mädchen ist. Lass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen."

„Sie ist noch ein Kind. Und du weißt ganz genau, dass es in dieser Stadt niemals sicher ist."

„Sie sollte ihre eigenen Fehler machen dürfen, damit sie daraus lernt."

„In Metropola darf man sich nicht besonders viele Fehler erlauben, vor allem nicht als junges, unerfahrenes Kind."

„Und Elaine?"

Curtis blickte ihn stirnrunzelnd an. „Was ist mit ihr?"

„Na, sie ist doch erwachsen. Warum also wehrst du dich so, sie mit auf diesen Deal zu nehmen? Wir alle haben mal angefangen und dabei gewisse Risiken auf uns nehmen müssen."

„Du willst allen Ernstes behaupten, dass ich sie für unfähig halte, diesem Deal beizuwohnen, nur weil sie eine Frau ist?"

„Das waren jetzt deine Worte. Ich stelle nur Fragen."

„Wenn Elaine und ich sterben, wer kümmert sich dann um Vivien und Tommy? Du willst mir vorwerfen, dass ich sie anders behandele wegen ihres Geschlechts? Fein, tu das. Ich habe meine Gründe und bin niemandem eine Rechenschaft schuldig, weder dir noch sonst wem."

„Hör mal, ich verstehe dich ja. Ob Frau oder Mann, du möchtest deine Familie beschützen. Nur, Elaine und Vivien fühlen sich von dir bevormundet, falls du es noch nicht bemerkt hast. Mit deinem Verhalten zeigst du ihnen, für wie schutzbedürftig du sie hältst. Ist es wirklich das, was du möchtest?"

„Selbstverständlich nicht", keifte Curtis zähneknirschend zurück. „Ich will lediglich meine Familie beschützen. Ob du das verstehst oder nicht, ist mir egal. Es betrifft dich nicht."

„Wie du meinst", antwortete Shawn und schwieg.

Die Grenze zum Sputnik-Sektor passierten sie innerhalb der nächsten Stunde. Ein paar wenige bewaffnete Grenzschützer gingen auf den Mauern auf und ab und warfen selten mal einen genaueren Blick auf die Fahrzeuge, die die Grenze passierten. Man wolle die Wirtschaft nicht ins Wanken bringen, hieß es von höherer Stelle, wie Curtis sich erinnerte. Offene Grenzen und spärliche Kontrollen sorgten dafür, dass der Handel zwischen den Sektoren florierte. Wenn man die Straßen der Stadt betrachtete, fragte man sich, wo dieses Geld geblieben ist, dass die wachsende Konjunktur angeblich hervorbrachte. Zumindest landet es nicht in den Händen der Untersten.

Tatsächlich unterschieden sich Trans-Atlantik-Sektor und der Sputnik-Sektor kaum voneinander, so wie es bei den anderen Sektoren auch der Fall war. Natürlich war der Landwirtschafts-Sektor geprägt von Feldern und Ackern, Bäumen und Büschen, und der Regierungs-Sektor eingezäunt und gesichert wie ein Hochsicherheitsgefängnis, doch die anderen fünf, in denen der Pöbel hauste, glichen sich wie ein Ei dem anderen. Egal in welche Gesichter Curtis all die Jahre im Dienste seines Bruders blicken musste, immer schon hatte er diejenigen verachtet, die in Mülltonnen schliefen, sich sinnlos besoffen und um Geld bettelten. Doch nicht viel anders dachte er über die Menschen, die niemals in diese Situation kommen würden. Bonzen und Obdachlose waren zwei Extreme, auf die die Stadt gut und gerne verzichten würde, es aber nicht konnte. Nach oben treten und nicht nach unten, war Curtis' Devise, die er Vivien und Tommy beigebracht hatte, auch wenn er die drogenabhängigen Versager aus der Unterschied nicht ausstehen konnte. Ob eine pubertierende Dreizehnjährige und ein Grundschüler von acht Jahren bereit waren, sich die Worte ihres Vaters zu Herzen zu nehmen, blieb fraglich. An manchen einsamen Abenden, an denen Curtis allein durch die Kneipen streifte, erkannte er die Doppelmoral seiner eigenen Worte und Gedanken. Auch er zog seinen Nutzen aus der Armut der Menschen. All jene, die sich bewaffnen mussten, bezahlten ihm Essen, Kleidung und Obdach. Das waren alles Dinge, die den meisten seiner Kunden fehlten oder kaum zu beschaffen waren, mangels Geld.

Doch es gab auch die andere Art von Käufern, jene, die die Gesetze machten, die Wirtschaft als Heiligtum betrachteten und sich als vertrauensvolle Herrscher sahen. Offiziell kamen keine Deals zwischen den Big Five und der Union oder einer der Sektorführungen zustande. Doch mit genügend Zwischenhändlern wurde die Spur zwischen Verkäufer und Endverbraucher verwischt, sodass die heimlichen Geschäfte mit den ach so bösen Kriminellen niemals ans Tageslicht kamen. Curtis erinnerte sich an den schrägen Vogel Dr. Nakamatsu Akira und wie er und Großvater sich öfter getroffen haben. Als Sharif und Curtis noch kleine Jungen waren, hatten sie sich vor dem gruseligen Mann gefürchtet, der sie stets mit seinen kalten Augen ansah, als wären sie Ungeziefer in seinem Garten. Dennoch war es Sharif, der später an Großvaters Stelle mit ihm Geschäfte tätigte, von denen Curtis nichts wissen wollte. Von Experimenten sprach sein Bruder, technische Neuerungen, die ihnen viel Geld einbringen würden. Sogar ein eigenes Labor hatte Sharif diesem Irren mit den toten Augen eingerichtet. Niemand wusste so wirklich, was der Mann dort unten trieb. Fakt war, dass er mit seinen Mietzahlungen ordentlich Geld in die Kassen der Davut-Familie spülte. Irgendwann später fand Curtis heraus, dass jenes Labor bereits von Amir Jet eingerichtet worden war, in dem Akira schon seinen Tätigkeiten nachging, noch bevor Curtis' und Sharifs Großvater das Zeitliche gesegnet hatte. „Wir haben sozusagen angebaut", hatte Sharif gesagt, lachend, mit Cypherzeichen in den Augen. Solange die Einnahmen stimmten, war es Sharif herzlich egal, wer dabei zu Schaden kam. Meist waren dies Menschen, die ohnehin niemand vermissen würde.

Wie viele Obdachlose hatte Curtis bereits in jenes Labor marschieren sehen, ohne einen von ihnen je wieder zu sehen? Er wusste es nicht. Und er hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken, als Shawn in die dunkle Tiefgarage steuerte.

Einst war es ein prächtiges Theater gewesen. Die Menschen waren in Scharen gekommen, um großartige Theaterkunst zu sehen. Seit Jahren schon hatten die Freunde der Schauspielkunst keinen Fuß mehr in das geschichtsträchtige Gebäude gesetzt. Selbst die oberen Etagen waren verweist und wurden nur noch von Vögeln als Brutstätten genutzt. Natürlich bevölkerten daneben unzählige Obdachlose das abbruchreife fünfzehnstöckige Haus. Und wenn man glaubte, dass hier keine zwielichtigen Geschäfte abgewickelt wurden, dem war nicht mehr zu helfen. Das wusste natürlich auch die sputnische Polizei. Curtis dachte daran, wie er selbst die

trans-atlantischen Cops des öfteren schmierte, sofern dies möglich war, und nur selten unproblematisch von statten ging, um bei Deals im eigenen Gebiet Ruhe zu haben. Er hoffte, dass Don Valentin das gleiche tat. Vielleicht würde aber genau dies ihm, Elaine und den anderen zum Verhängnis werden. Was, wenn er sie schmiert, eben damit sie aufzutauchen? Nein, so dreist würde auch ein Don Valentin nicht sein. Dies hatte nichts mit irgendeiner Art von Ehrencodex unter den Big Five zu tun. Häftlingen konnte man Geheimnisse entlocken, Toten nicht.

Der Lieferwagen stand bereits hinter einer von Spinnweben ummantelten Säule. Wenigstens diese Biester hätte man auf der Erde zurücklassen können. Das schummrige Licht flackerte über ihren Köpfen, als Shawn den Wagen daneben parkte und er und Curtis ausstiegen. Roland, der Fahrer des Trucks, spazierte an ihnen vorbei, wie es ihm aufgetragen wurde. Der Geruch von Öl und Kotze erschwerte das Atmen hier unten. Curtis war die Tiefen der Untergrundlager unter dem Casino gewohnt, und dennoch fühlte es sich hier unten beklemmend an.

Dicke Luft und ein beklemmendes Gefühl herrschten auch zwischen Curtis und Elaine. Letztere würdigte ihn keines Blickes, als sie auf einen tiefschwarzen Wagen auf der anderen Seite der Tiefgarage zuhielt.

„Wo bleiben Aaron und Fox?", wunderte sich Shawn und schluckte.

Er hatte ihm die Frage vorweggenommen. „Sie sollten bereits hier sein", sagte Curtis um sich blickend. Angespannt tastete er nach seiner Pistole, die er hinten in den Hosenbund gesteckt hatte. Ich hatte es geahnt.

Elaine deutete auf das schwarze Gefährt. „Da sind Valentins Leute."

Curtis erblickte drei Gestalten. Eine davon stützte sich gegen die Motorhaube, ein äußerst kleiner Mann mit Sonnenbrille, der in einem dunkelbraunen Anzug mit roter Krawatte steckte. Eine große blonde Frau in einem dunkelblauen Anzug stand vor der Fahrertür und schnipste soeben etwas von sich, dem Rauch nach zu urteilen eine Zigarette. Die letzte Gestalt war ein Mann Mitte Vierzig, mit kurzen braunen Stoppeln, schmalen Lippen und einem Ohrring im rechten Ohrläppchen. Zu seinen Füßen stand ein großer schwarzer Koffer. Curtis erkannte ihn wieder. Marco Gallego. Eine große Nummer des Syndikats.

„Gallego und seine Schergen", sagte Curtis, der sich immer wieder über die Schulter schaute, in der Hoffnung, Aaron und Fox würden noch auftauchen. „Von allen möglichen Kandidaten, warum muss es ausgerechnet Gallego sein?" Auch Yagiras Rolle war ihm weitestgehend ein Rätsel. Ein Scharfschütze auf dem Dach, während wir in dieser Tiefgarage stehen? Nichts stimmt hier, überhaupt nichts.

Marco Gallego kam mit dem Koffer in der Hand auf die drei Davuts zugeschlendert. Die anderen beiden Handlanger folgten ihm langsamen Schrittes.

„Gallego", rief Curtis ihm zu und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne. „Du bist früh dran. Sonst sind du und deine Leute die letzten, die auftauchen."

Stirnrunzelnd antwortete der gefährliche Gangster ihm: „Seit wann sind wir per Du?" Zwei Meter vor Curtis blieb er stehen, den Koffer stellte er ab.

Curtis wollte, nein, er musste selbstbewusst wirken. „Solange wie wir uns bereits kennen, wäre das doch langsam mal angebracht oder nicht? Und da unsere beiden Clans jetzt Freunde sind, halte ich das für gerechtfertigt."

„Ja ... Freunde", sagte Gallego und grinste schmal. „Den Afroschädel hab ich doch schon mal gesehen", meinte er und warf Shawn einen verhöhnenden Blick zu. Dann fixierten seine Augen Elaine. „Doch die reizende Dame ist mir gänzlich fremd. Ein neues Mitglied?"

Curtis' Miene verfinsterte sich. „Das tut nichts zur Sache. Du hast das Geld?"

„Ich heiße Elaine", antwortete sie brüsk und strafte Curtis mit einem verachtenden Blick ab.

Gallego schien den Disput zwischen den beiden zu bemerken. „Ach herrje. Als wolle sie dich umbringen", kicherte er. „Meine Frau hat mich auch immer so angesehen. Jetzt betrachtet sie den Wüstensand von unten." Seine Worte waren scharf wie Rasierklingen.

„Curtis hat dich etwas gefragt", erinnerte Shawn den Gangster des Syndikats. „Habt ihr nun das Geld oder nicht?"

„Was denkst du wohl, ist in diesem Koffer? Meine Unterwäsche?"

„Bleiben wir sachlich", versuchte Curtis die Stimmung zu stabilisieren. „Fünfzig Sturmgewehre, Kaliber Dreißig, fabrikneu. Dazu fünfundzwanzig Glocks, vierzig Schalldämpfer für Pistolen und fünf Handgranaten der Klasse F. Das macht Sechshundertundneunzigtausend Cypher. Vereinbart waren Siebenhunderttausend. Den Lieferwagen gibt es nicht gratis dazu."

Gallego rümpfte die Nase. „Wieso habt ihr den Truck so weit hinten geparkt? Was, wenn wir die Ware begutachten wollen?"

„Wenn du die Waffen sehen möchtest, tu dir keinen Zwang an."

„Aber dann müsste ich den ganzen Weg bis dort hinten gehen. Wer weiß, vielleicht verstecken sich ein Dutzend Leute da drin, die mich und meine Kollegen niederschießen möchten."

„Wenn wir euch umbringen wollten, hätten wir das schon längst getan."

„O, na das klingt doch selbstsicher." Er suchte die Bestätigung bei seinen Handlangerkollegen. „Nun, wir vertrauen euch. Eine fruchtbare Geschäftsbeziehung kann nur mit gegenseitigem Vertrauen ordentlich gedeihen. Hab ich nicht recht?"

Curtis wurde stutzig. Noch nie in meiner Laufbahn als Waffendealer wollte ein seriöser Käufer die Ware nicht sehen. Vor allem das Valentin-Syndikat bestand stets darauf, nur diesmal nicht. Ich muss wachsam sein. Sein Blick schweifte hinüber zu Elaine.

„Siebenhunderttausend ist ganz schön teuer, nicht?" Gallego zuckte schief lächelnd mit den Achseln. „Da wir ja jetzt alle Freunde sind, könnten wir doch einen Freundschaftspreis verhandeln."

„Da gibt es nichts mehr zu verhandeln", antwortete ihm Shawn die Hände in die Hüften stemmend. „Läuft der Deal?"

„Mit dir habe ich nicht gesprochen, Gingerlocke. Vielleicht hat ja die werte Dame etwas zu sagen." Er blickte ihr freudig entgegen.

Curtis hätte ihm nur zu gern eine gezimmert, doch das ungute Gefühl ließ ihn aufmerksam die Umgebung sondieren.

„Du nimmst dir ganz schön viel heraus, Gallego", zischte Shawn dem Mann entgegen. Dabei wanderte seine Hand langsam zum Hosenbund.

Gallegos Schergen zogen blitzschnell ihre Waffen, nur Gallego selbst blieb gelassen und hob die rechte Hand. „Kommt mal alle wieder runter, ja." Wieder fokussierte er Elaine. „Du auch, Süße. Wir wollen doch nicht, dass dir etwas passiert. Dann wäre Ärger ganz sicher vorprogrammiert."

Erst jetzt bemerkte Curtis, wie Elaine den Griff ihrer Pistole hielt, die in ihrem Hosenbund steckte. Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Ob sich da gerade jemand hinter ihn und die anderen geschlichen hatte? Bleib ruhig, da kann niemand sein. Der Eingang wurde von Yagira bewacht. Wäre jemand durch das Tor gegangen, Yagira hätte es ihnen per Anruf mitgeteilt oder ihn ausgeschaltet, was sie zweifelsfrei gehört hätten. Außerdem lagen die einzigen beiden Türen zur Tiefgarage in Curtis' Sichtfeld. Es konnte niemand sonst hier sein.

„Curtis, was ist los?", wollte Gallego von ihm wissen. „Du bist so ruhig geworden."

Curtis' Nasenflügel bebten. Dennoch ging er auf den schmierigen Gangster zu und streckte die Hand aus. „Übergib mir den Koffer und steigt in den Truck, damit dieses Theater ein Ende findet."

„O, dieses Theater hat schon lange sein Ende gefunden", antwortete er breit grinsend, so dreckig und heimtückisch wie noch nie zuvor und blickte dabei zur Decke.

Dieses Theater habe ich nicht gemeint. Doch Gallegos Antwort schien nicht auf das ehemalige Theatergebäude über ihnen anzuspielen. Curtis hörte das Klacken einer Maschinenpistole, ein Geräusch, das er gut kannte nach all den Jahren im Geschäft.

Als er herumwirbelte, hatte er bereits die Waffe gezogen. Gleichzeitig blickte er für den Bruchteil einer Sekunde in den Lauf des Maschinengewehrs. Einen Augenblick später und er wäre durchlöchert worden. Jedoch war es Curtis, der zuerst schoss. Er schaltete den Mann mit einem Treffer ins linke Auge aus. Curtis hörte Elaine etwas rufen. „Hurensöhne!", brüllte Shawn und schnappte sich Elaine, um sie in Sicherheit zu bringen. Nur, wo war diese vermeintliche Sicherheit?

Curtis wirbelte erneut um, sah den Rücken des Mannes, der sie gerade noch verspottet und belogen hatte. Seine beiden Begleiter eröffneten ebenso das Feuer. Das alles passierte innerhalb weniger Sekunden. Schüsse waren von allen Seiten zu hören. Die junge Frau des Valentin-Syndikats wurde ins Bein getroffen und kippte kreischend zu Boden. Im Augenwinkel sah Curtis Elaine mit der Waffe in der Hand und wie sie den anderen Gangster in den Hals traf, der anschließend röchelnd zu Boden ging. Curtis blieb keine Zeit zu überlegen. Er hastete in Elaines Richtung, während Shawn ihnen Feuerschutz gab. „Was ist hier los?", rief sie Curtis erschrocken zu.

„Zuerst müssen wir hier raus", knirschte er, die Augen hin und her wandernd. „Schnell, hinter den Truck!"

Hinter dem Lieferwagen wartete ein weiterer Gangster. Zunächst verfehlte er jeden Schuss, doch zu Curtis' Unglück traf er ihn in den rechten Oberarm. Blut spritzte ihm ins Gesicht. Curtis ließ die Waffe zu Boden fallen und verzog schmerzgeplagt das Gesicht.

Elaine war es, die ihn und sich selbst vor dem Tod bewahrte, in dem sie dem Schützen zuerst in den Bauch, dann in die Brust traf. „Baby, wo hat er dich erwischt?", fragte sie ihren Mann, der sich blutend gegen den Lieferwagen lehnte.

Ihre Worte zauberten ihm, selbst in dieser misslichen Lage, ein Lächeln ins Gesicht. „Es ist nur der Oberarm. Mach dir keine Sorgen."

„Du blutest", versuchte Elaine gegen die von den Wänden hallenden Schussgeräusche anzubrüllen.

Curtis hätte sie in diesem Moment am liebsten geküsst. Einen merkwürdigeren Zeitpunkt dafür gäbe es wohl kaum. Vorsichtig lugte Curtis um die Ecke. Niemand war zu sehen. „Verdammt, wo ist Shawn?" Die Schussgeräusche erstarben urplötzlich.

„Ist er nicht da?" Elaine war noch nie zuvor so besorgt gewesen. Sie arbeitete sich vorsichtig zum Führerhaus vor, um einen besseren Winkel zu ergattern. „Von hier aus sollte ich ihn sehen können", flüsterte sie ihrem Mann zu.

Curtis wollte sich rühren, ihr zurufen, sie solle sich vom Fenster wegducken, doch der Schmerz des Einschusses raubte ihm den Atem. Das Blut fühlte sich warm an auf seiner Haut.

Ein weiterer letzter Schuss war zu vernehmen. Glas zersplitterte. Curtis konnte die Scherben sehen, wie sie auf Elaine herabregneten. Stöhnend klatschte sie auf dem harten Betonboden auf. „Nein", hauchte er. „Nein ... nein ... NEIN!"

Er hechtete zu Boden, der Schmerz in seinem Arm war vergessen. Curtis merkte überhaupt nicht, wie er in den Scherbenhaufen kniete. Stattdessen drehte er seine Frau zu sich. Jener Anblick raubte im alles, Luft, Kraft, Fassung, Hoffnung ...

„Baby", röchelte Elaine mit blutverschmierten Lippen.

„Elaine, nein, es wird alles ..." Curtis wusste nicht wohin mit seinen Gedanken. Die weit aufgerissenen Augen, das Loch in der Kehle seiner besseren Hälfte ... und all das Blut, das von ihren Klamotten aufgesogen wurde wie von einem Schwamm. „Wir kriegen dich wieder hin, versprochen", sagte er mit bebender Stimme und zwang sich dabei zu einem Lächeln.

„Es ... tut mir ... leid", keuchte Elaine hustend. „Ich hätte nicht ..."

„Das ist jetzt völlig egal", versuchte Curtis sie zu beruhigen. „Es ist egal, hörst du?" Er sah den Schuh unter dem Lieferwagen hervorlugen. „Denke an Zuhause, an Vivien und Tommy, unsere beiden Schätze."

Fest umklammerte er die Pistole, stieg über Elaine hinweg und wartete. Sekunden verstrichen, doch für ihn fühlte es sich an wie Stunden. Du wirst hier nicht lebend rauskommen!

„So wie sich das eben anhörte, warst das nicht du, den ich da getroffen habe, Curtis", hörte er die Stimme Gallegos sagen. „Ärgerlich. Ich fürchte, wir haben hier einen Mexican Standoff. Du hast ne' Waffe, ich hab ne' Waffe. Meine Leute sind tot und dein Kumpel mit dem Afro ebenfalls. Das mit deiner Süßen tut mir leid. Wir wären ein tolles Paar geworden." Erheiterung schwang in seinen Worten mit, doch in Curtis' Ohren verschwammen die Worte miteinander zu einem sinnlosen Brei.

Die Zähne fest zusammenpressend huschte er um die Ecke des Lieferwagen und schoss, so oft er konnte. Sein Gegenüber schien es ihm gleich zu tun. Rotes Blut spritzte Curtis ins Gesicht. Erst einen Moment später bemerkte er, dass es sein eigenes war. Erneut rutschte ihm die Pistole aus der Hand, deren Zeigefinger nun zur Hälfte fehlte. Stechende Schmerzen durchzuckten seine Hand. Doch so heftig die Schmerzen auch waren, Gallego spürte überhaupt keine mehr. Der Gangster kippte leblos und blutüberströmt zu Boden.

Curtis konnte sich nicht erinnern, wie er zurück zu Elaine geeilt war und neben sie kniete. Sie atmet! Vorsichtig nahm er ihren Kopf in seine Hände und versuchte dabei, ihre Haare nicht mit dem Blut seines Zeigefingerstummels zu besudeln.

Röchelnd sagte sie: „Vivi ... Tommy ..."

„Wirst du beide wiedersehen", versprach ihr Curtis. Er bemerkte, wie sie zitterte. Ihre Atmung flachte ab und verwandelte sich von einem Röcheln zu einem leisen Pfeifen. „Elaine?" Das ist alles nicht wahr. Ich träume gerade. So alptraumhaft es sich auch anfühlte, im Innersten wusste Curtis, dass es schreckliche Realität war.

Unter dem Blut erkannte Curtis ein Lächeln, während das Leben in ihren Augen erlosch. Selbst jetzt war sie noch immer wunderschön, die schönste Frau, die er je kennenlernen durfte. „Ich liebe dich", wimmerte er, beugte sich über sie und gab ihr einen allerletzten Kuss auf die Stirn.

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