METROPOLA - Band 1 - Der Jahr...

By The_Crowstorm

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Auf dem Wüstenplaneten Carth erbauen die Reste der Menschheit die Millionenstadt Metropola. Knapp vierhundert... More

METROPOLA - Band 1 - Der Jahrhundertsturm
Prolog: Schatten im Untergrund
Kapitel 1: Waffengeschäfte
Kapitel 2: Sektoren
Kapitel 3: Panic at the Disco
Kapitel 4: Vanilleschnaps
Kapitel 5: Prinzipien
Kapitel 7: Der Soldat
Kapitel 8: Unsere Familie
Kapitel 9: Dave
Kapitel 10: Die Hackerin
Kapitel 11: Um dir zu helfen
Kapitel 12: Ende des Theaters
Kapitel 13: Die Einbrecherin
Kapitel 14: Gute-Nacht-Geschichten
Kapitel 15: Der Sensenmann
Kapitel 16: Elaine
Kapitel 17: Undercover
Kapitel 18: Sicherheitsrat
Kapitel 19: Monster
Kapitel 20: Gesetze
Kapitel 21: Der Deal
Kapitel 22: Kalpa
Kapitel 23: Carths Wut
Kapitel 24: Der Coup
Kapitel 25: Wäschetrockner
Kapitel 26: Die schlimmste Droge
Kapitel 27: Impulse
Kapitel 28: Haftstrafe
Kapitel 29: Sektkorken
Kapitel 30: Bruderliebe
Kapitel 31: Krisen
Epilog: Rock Lobster
Schlussworte & Danksagungen

Kapitel 6: Die Tischtennisplatte

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By The_Crowstorm

„Der ist einfach rein und hat die Scheiße mitgehen lassen?"

„Ich habe mich auch gewundert, aber so war's."

„Und das findet ihr jetzt cool oder wie?", fragte Vivien die beiden anderen.

„Nein", entgegnete Mick beschämt zu Boden blickend. „Ich dachte nur ..."

„Du hast dich so angehört, als ob du ihn dafür abfeierst."

„Er hat sich doch nur gewundert", meinte Candra. Sie war Viviens beste Freundin, bereits seit längerer Zeit. Candra hatte lange schwarze Haare und war gertenschlank. Ihre Unterlippe war vernarbt seit dem Tag, an dem ihr ein Wildfremder ins Gesicht geschlagen hatte. Vivien hatte sich zwar an den Anblick gewöhnt, jedoch fühlte sie auch gewisses Mitleid mit ihr. Candra hingegen ging vollkommen souverän mit ihrem Aussehen um. Sie versprühte eine kühne Gelassenheit, die gerne mal auf andere abfärbte, so auch auf Vivien. Auf ihre Lippen hatte sie schwarzen Lippenstift aufgetragen. Wie immer trug sie tiefschwarze Klamotten, wie ein Netzoberteil, zusammen mit einer Corsage, die ihre schlanke Taille deutlich hervorhob und ihre üppige Oberweite betonte, einen matten Rock, der ihr bis zu den Knöcheln reichte und außerdem eine blutrote Handtasche, die wie ein Fass ohne Boden wirklich alles schluckte, was man in sie steckte. Sie kann ihren halben Hausstand darin mitführen. Der Gothicstyle stand ihr ausgesprochen hervorragend. Zugegeben, sie hatte Candra nie in normalen, geschweige denn farbigen Klamotten gesehen, weshalb sie ohnehin keine Vergleiche ziehen konnte.

„Ich würde auch niemals stehlen", sagte Mick laut genug, damit die anderen Schüler auf ihn und die beiden Mädchen aufmerksam wurden. Mick war kleiner als die beiden Mädels. Er trug eine Brille auf der viel zu kleinen Nase, sodass er sie immer wieder zurechtrücken musste. Der geschmacklose Bobschnitt konnte wirklich nur seiner Mutter gefallen. Er trug eine kurze Hose und ein zitronengelbes T-Shirt, das so gar nicht zu ihm passte. Bestimmt hat er das auch von seiner Mutter bekommen. Schüchtern war der Junge, doch zwischen seinen beiden Freundinnen blühte er regelrecht auf.

Candra stöhnte und zupfte sich am Netz ihres Oberteils. „Es ist einfach immer noch zu heiß. Wieso bin ich so blöd und zieh mich so vielschichtig an? Hoffentlich stürmt es bald mal los."

Candra hatte sich schon die ganze Zeit über die Hitze beschwert, nicht zu unrecht, wie Vivien fand. „Gestern war's noch erträglich", meinte Vivien. „Heute würde ich mich am liebsten ins Gefrierfach legen."

„Und ich würde mich am liebsten ausziehen und in den nächstbesten Pool springen", scherzte Candra und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Vivien konnte im Augenwinkel erkennen, wie Mick sich nervös am T-Shirt zupfte. Es war mehr oder weniger ein offenes Geheimnis, dass er für Candra schwärmte, auch wenn er zwei Jahre jünger war als sie und Vivien. Auch wenn er noch ein Kind war, er schien klüger zu sein als die meisten Typen in Viviens und Candra Klasse.

Das Schulgelände war gefüllt mit jungen und älteren Schülern der Abschlussklassen, die aus den Gebäuden strömten und sich auf das Wochenende freuten. Es war Freitag, für Vivien der schönste Tag der Woche, da hier die Vorfreude auf die kommenden Tage am größten war. Zusätzlich war die letzte Unterrichtsstunde heute ausgefallen. Da die ausgefallene Stunde eine Mathematik-Stunde war, freute sich Vivien umso mehr darüber. Ein Fach, auf das ich wirklich verzichten könnte.

Viviens dunkelbraune Haare wehten im schwachen Frühjahrswind, der bald schon zu einem Sturm heranwachsen sollte, wenn man dem Wetterbericht Glauben schenkte. Ihr Gesicht war gesprenkelt mit Sommersprossen, die sie eindeutig von ihrer Mutter vererbt bekommen hatte. Es gab Tage, da fand sie die kleinen braunen Punkte schön, geradezu umwerfend. An anderen Tagen wiederum schämte sie sich für sie, auch wenn es dafür eigentlich keine nachvollziehbaren Gründe gab. Heute hatte sich Vivien eine luftige bunte Bluse und eine enge hellblaue Jeans angezogen. Hätte ich gewusst, dass es heute wieder so heiß wird, hätte ich diese verdammte Jeans im Kleiderschrank gelassen. Sie war schlank, sodass sie so gut wie alles tragen konnte, was sie in den Schaufenstern der Boutiquen sah. Auch Geld spielte keine Rolle, wobei sie sich schäbig vorkam, ungemein teure Klamotten zu kaufen, während hinter der nächsten Außenwand ein Mensch ums nackte Überleben kämpfte. Schon immer stellte sie sich gegen die Meinung ihres Vaters, der einen regelrechten Hass auf die Menschen, die auf der Straße lebten, entwickelt hatte. Diese Menschen haben es schwer genug, überhaupt zu überleben. Da müssen sie nicht noch den Hass anderer spüren.

Vivien besuchte die siebte Klasse der Farid-Bolson-Schule. Ihre Eltern hätten sie locker auf eine exklusive High Class Schule schicken können. Im Nachhinein war sie ihnen dankbar dafür, dass sie sich für eine zwar gehobene, aber dennoch normale Schule entschieden hatten. An den öffentlichen Schulen Metropolas herrschte das Chaos. Niemand mit ausreichend Geld und Verstand würde sein Kind auf eine dieser Schulen schicken. Eine Internat oder eine High Class Privatschule war aber ebenfalls keine Option für ihre Eltern gewesen. „Du lernst in beiden Schulen zu rechnen, zu schreiben, die Geschichte und Naturwissenschaft", hörte Vivien ihre Mutter heute noch sagen. „Auf einer gehobenen Privatschule der Mittelschicht bist du sicher und gefordert, aber ganz bestimmt nicht isoliert, wie die Bälger der feinen Leute."

Für Vivien war es besonders schwierig, sich eine der existierenden Schichten einzuordnen. Zur Unterschicht, zu der zweifellos ein Großteil der Menschen der Stadt gehörte, zählten die Jets keinesfalls. Die Oberklasse wurde, genau wie die Unterschicht, sowohl von Mama als auch Papa regelrecht zum Feind gemacht. „Hochnäsige Schmarotzer", waren die Worte ihres Vaters gewesen. „Während die Obdachlosen um jeden Bin betteln, betteln die feinen Herren und Damen in ihrem Regierungs-Sektor um Milliarden Cypher." Womit genau Mama und Papa ihre Brötchen verdienten, war Vivien bis heute nicht ganz klar. Ihr war durchaus bewusst, dass sie keine regulären Berufe ausübten, sondern zu den großen Kriminellen der Stadt gehörten, auch wenn sie nach außen hin nicht so wirkten. Ihre Eltern taten ihr bestes, sie von ihren Aktivitäten fernzuhalten, auch wenn sie jedes mal eine Scheißwut auf ihre Eltern entwickelte. Natürlich wollte sie wissen, warum ihr Vater das Haus niemals ohne Waffe verließ, warum sich ihre Mutter so oft mit Aaron, einem Freund der Familie, traf, oder warum Onkel Sharif ein komplettes Hochhaus besaß, auch wenn man Letzteres mit dem prächtigen Casino erklären konnte, das ordentlich Gewinn abzuwerfen schien. Über Geld sprach man in der Familie wenig, und so blieb Vivien letztlich nur eine einzige Option übrig, welcher Gesellschaftsschicht sie angehörte; der Mittelschicht, winzig klein und vom Aussterben bedroht.

Vivien und ihre beiden Freunde kämpften sich durch eine Horde Erstklässler, die dem Wochenende freudiger und vor allem energiegeladener begegneten als die älteren Klassen. Zwischen den beiden Hauptgebäuden der Schule führte ein breiter Weg hinaus auf das große Pausengelände. Die jüngeren Schüler verbrachten ihre Pause hier auf der Schaukel, dem Klettergerüst oder den zahlreichen Rutschen, die bereits Rost angesetzt hatten. Für die Älteren gab es mehrere Tischtennisplatten, ein kleiner Bolzplatz, sowie einen großen und nahezu immer besetzten Baseballplatz. Nur das Footballfeld war nochmal eine ganze Nummer größer. Dort durften jedoch nur die Spieler der Schulliga trainieren. Vivien war das sehr recht. Mit Football und ihren Spielern konnte sie ohnehin herzlich wenig anfangen.

„Och nö", jammerte Candra und verdrehte die Augen. „Die schon wieder." Sie zeigte in eine Richtung.

Vivien folgte ihrem Finger und fand Maria Gabler. Angewidert streckte Vivien die Zunge heraus. „Die soll bloß die Fresse halten, sonst ..."

„Denk dran, du hast beim letzten Mal schon Ärger bekommen."

„Darf ich mich etwa nicht wehren?"

„Wehr dich mit Worten, und nicht wieder mit deinen Fäusten, auch wenn Letzteres deutlich lustiger ist."

Vivien legte die Stirn in Falten. „Soll ich sie eine hässliche Schnepfe nennen? Nicht, dass es mir keinen Spaß macht. Aber ich würde ihr viel lieber in die Pickelfresse boxen."

Mick meldete sich ebenfalls zu Wort. „Ich glaube, sie meint damit, dass du deine Eltern ins Spiel bringen solltest. Du könntest doch locker ..."

„Nein", sagte Vivien entschieden. „Ich kann mich selbst verteidigen. Ich drohe doch nicht mit meinen Eltern. Seid ihr bescheuert?"

„Mit meinen Eltern würde ich ganz bestimmt nicht drohen", meinte Candra kichernd. „Aber mit deinen hingegen, würde ich schon hier und da mal jemanden zum Schweigen bringen, wenn man mich nerven möchte."

„Wenn du willst, bringe ich dich gleich zum Schweigen", scherzte Vivien und blies die Backen dabei auf.

Der scharfe Blick von Maria Gabler stach deutlich aus der Menge heraus. Vivien erwiderte den Blick und dachte daran, was ihr Vater nach dem letzten Vorfall gesagt hatte. „Es ist manchmal besser, dem Gegner den ersten Zug zu lassen. Somit verrät er dir seine Taktik und du kannst entsprechend darauf reagieren." Ihre Mutter hatte ihm daraufhin böse Blicke zugeworfen, ähnlich wie Vivien und diese selbstgefällige Kuh, die ihr bei ihrem letzten Aufeinandertreffen ins Gesicht gespuckt hatte. Vivien war daraufhin auf sie losgegangen und hatte ihr zwei Schläge ins Gesicht verpasst, bevor ein Lehrer, der zu Marias Glück in der Nähe war, sie von ihr runterzog. Beide Elternpaare wurden zur Klärung des Streits in die Schule gerufen. Während ihre Mutter Vivien hart dafür bestrafen wollte, sah Papa die Sache etwas gelassener. „Sie muss sich verteidigen, sonst verlieren die anderen den Respekt vor ihr." Auf die Worte des Vaters folgte eine Schimpftirade ihrer Mutter, in welcher sie ihn einen verantwortungslosen Nichtsnutz und Säufer nannte, woraufhin er stillschweigend wieder einmal die Flucht antrat und bis spät in die Nacht verschwand. Diese Geschichte geht jetzt schon eine ganze Weile. Seit der Geburt ihres kleinen Bruders drohte jeder Streit im Hause Jet zu eskalieren. Vivien wusste nicht, wem von beiden sie dafür die Schuld geben sollte, oder ob sie überhaupt jemandem die Schuld dafür geben konnte. Fest stand, dass sie, sobald sie achtzehn Jahre alt geworden war, ausziehen würde. Dann bin ich die beiden Streithammel los. Auch wenn sie sowohl ihre Eltern als auch Tommy liebte, die Familie konnte verdammt anstrengend sein.

Die Schule war bereits seit Stunden vorüber, dennoch tummelten sich noch zahlreiche Schüler auf dem Pausenhof. Wie zu erwarten, waren sämtliche Sportgeräte und Plätze besetzt. Die einzige Sportart, die Vivien interessierte, war Tischtennis. Sie spielte regelmäßig gegen ihre Mitschüler, so oft es ging, während den Pausen, vor und nach der Schule. Sie hatte Talent mit dem Schläger und konnte sich sogar gegen ihre älteren Mitschüler behaupten. Außerdem hatte sie durch ihr sportliches Hobby Gabriel kennengelernt.

Unter Tausenden hätte sie ihn wiedererkannt. Er saß dort zwischen seinen Freunden und besetzte eine Tischtennisplatte, so, wie er es immer tat, wenn sie sich zum Spielen verabredet hatten. Erst vor einer Stunde, als Vivien und ihre beiden Freunde noch im Unterricht saßen und den trockenen Worten ihres Geschichtslehrers angestrengt folgten, hatte seine Nachricht sie erreicht. „Ich habe gehört, du hast heute früher aus. Wir treffen uns an der Tischtennisplatte", gefolgt von einem Kuss-Smiley. Zunächst verwundert schrieb sie ihm zurück, ob er ebenfalls eine Stunde früher Schluss hatte, woraufhin er ihr antwortete, dass er für sie früher gehen würde. So ein Blödmann ... ein unglaublich süßer Blödmann.

„Da ist dein Romeo", bemerkte Candra und deutete in Gabriels Richtung.

„Ich weiß", sagte Vivien mit piepsender Stimme.

„Nervös wie am ersten Tag. Wie süß." Candra schüttelte sich. „Ich muss gleich kotzen."

Vivien ignorierte die Stichelei ihrer Freundin und eilte Gabriel entgegen.

Gabriel war circa ein Meter achtzig groß, mit blonden mittellangen Haaren, die ihm bis zum Kinn reichten und einer schmalen Nase mit zwei rotfarbenen Piercings an ihrer Spitze. In seinem charmanten Lächeln verlor sich Vivien regelmäßig, genau wie in seinen blauen Augen, die sie anstrahlten und der Dreizehnjährigen den Verstand raubten. Heute trug er ein aufgeknöpftes beige-rot kariertes Hemd und darunter ein weißes T-Shirt, wodurch die Unterarme frei lagen und man seine kräftigen, jedoch einfühlsamen Hände sehen konnte. Die kurze schwarze Jeans saß locker unterhalb der Hüfte und seine Füße steckten in dunkelblauen Sneakers. Er gehört nur mir, ganz allein!

„Vivi", sagte er und winkte sie flüchtig heran.

„Hey, Schatz." Sie küssten sich. Wie immer war es eines der schönsten Gefühle in Viviens Leben. Sein Mund umklammerte der ihren fest, aber sanft. Für sie war er der perfekte Küsser.

Als sie fertig waren, begrüßte Gabriel Candra und Mick, die gerade dabei waren, Löcher in die Luft zu starren. „Was geht?" Lässig lehnte er gegen die Tischtennisplatte.

„Hey, Gabriel", sagten sie beinahe zeitgleich. Auch Gabriels Freunde, zwei dümmlich dreinblickende Typen mit kurz geschorenen Haaren und Farid, Gabriels bester Freund, grüßten eher unterkühlt zurück.

Farid war es jedoch, der es, wie immer, nicht lassen konnte. „Na, du laufender Zitronenkuchen", kicherte der dunkelhaarige Kerl mit dem ungeilen Flaum von Bart über seiner Oberlippe und zeigte dabei auf Mick. Niemand, bis auf Gabriel und seine Freunde, konnte Farid leiden. Er war ein Ekelpaket durch und durch. Vivien fragte sich stets, wieso sich Gabriel überhaupt mit ihm abgab.

Mick antwortete nicht. Stattdessen hüllte er sich in Schweigen und blickte eingeschüchtert zu Boden.

„Halt dein blödes Maul", knurrte Candra Farid entgegen und schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. „Du nervst, wie jeden Tag."

Farid hatte nichts als Lachen für sie übrig, doch Gabriel schob dem einen Riegel vor. „Bro, bleib mal cool, ja? Wir wollen nicht schon wieder Stress." Er richtete seinen Blick auf Candra. „Sorry dafür."

„Erstens solltest nicht du dich entschuldigen, sondern dein Kumpel mit der Hackfresse. Und Zweitens ist der Einzige, bei dem er sich entschuldigen sollte, Mick und nicht ich."

„Du hast Candra gehört", sagte Gabriel und schloss seine Arme fest um Vivien. „Entschuldige dich."

Erst lachte Farid und kicherte dabei wie eine Hyäne, doch dann realisierte er, dass Gabriel nicht scherzte. „Willst du mich verarschen?"

„Nein." Gabriel meinte es ernst.

Mit angewiderter Miene spuckte Farid zu Boden. „Da ist deine Entschuldigung." Grummelnd verließ er den Pausenhof, während Gabriel ihm nachstarrte.

„Manchmal verstehe ich den Kerl einfach nicht", meinte Gabriel und richtete sein Augenmerk auf Vivien. Sein Blick suchte den ihren. „Wahrscheinlich ist er eifersüchtig auf uns. Wusstet ihr, dass er noch keine Freundin hatte?"

Die beiden Holzköpfe, die sich Gabriels Freunde nannten, lachten, obwohl sie selbst nicht viel hübscher waren als ihr Kumpel. Candra meinte nur: „Mein Mitleid hält sich in Grenzen."

Sie alle setzten sich gemeinsam auf die Tischtennisplatte. Vivien bemerkte die genervten Blicke ihrer besten Freundin, die nicht so recht mit ihrem Freund warm werden wollte, nicht zuletzt, so vermutete Vivien, wegen der arroganten Art und Weise, wie Gabriel die jüngeren Mitschüler von der Tischtennisplatte verjagte, die immer wieder versuchten, die Besetzer zu verscheuchen. Ich hasse es wirklich, zwischen den Fronten zu stehen. Sie konnte Candra zumindest etwas verstehen. „Kommt, wir können uns doch auch woanders hinsetzen", meinte sie und lächelte beschwichtigend in die Runde.

„Wieso denn?", fragte Gabriel sie und betätschelte dabei ihr Bein, das locker von der Platte hing.

Es fühlte sich gut an, wie er sanft über ihr Knie streifte, doch wusste sie in diesem Moment sofort, dass er versuchte, sie von ihrem Gedanken abzulenken. „Komm schon, hör auf damit", sagte sie und ergriff die Hand, die langsam ihren Oberschenkel hinaufwanderte. „Lass uns einfach gehen."

„Es ist gerade so gemütlich", summte er förmlich, während er sich an sie schmiegte.

Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. Sie genoss das Gefühl, für einen Jungen im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich flüsterte er ihr etwas Unverständliches zu und küsste sie danach sanft auf die Wange. „Gabriel ...", hauchte sie und schloss die Augen. Plötzlich befand sich seine Hand an einer ganz besonderen Stelle.

„Weg von ihr!", brüllte eine Stimme über den Hof.

Vivien riss sofort die Augen auf. Sie bemerkte, wie alle anderen Schüler auf dem Pausenhof in die selbe Richtung starrten. Dann erkannte sie ihn. Der Mann war groß, schlank und er trug einen geschmacklosen rosafarbenen Anzug. Doch das Auffälligste an ihm, auch wenn der Anzug in Sachen Aufmerksamkeit schwer zu übertreffen war, war seine Afrofrisur. Er wirkte wie ein Tänzer aus den Siebzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts auf der Erde. Vivien kannte ihn nur zu gut. „Shawn?"

„Was bist du denn für einer?", rief Gabriel verwirrt.

„Das ist nur Shawn", erklärte Vivien ihrem Freund. „Ein Freund meines Vaters."

„Ich sagte, du sollst sie loslassen", verlangte Shawn lauthals und näherte sich mit großen Schritten der Tischtennisplatte auf der sie saßen.

Vivien spürte, wie sich der Griff Gabriels um sie festigte. „Und was, wenn nicht?"

Shawn kam mit deutliche zu sehender Zornesröte im Gesicht zu ihnen und zerrte den Fünfzehnjährigen von Vivien herunter. Vivien war fassungslos. „Shawn! Was soll das?"

Der Mann mit dem Afro packte den Jungen am Arm, drehte ihn auf den Rücken und stieß Gabriel zu Boden, sodass er mit dem Gesicht im Dreck landete. Gabriel wandte sich vor Schmerzen, doch gegen den eisernen Griff des erwachsenen Mannes hatte er keine Chance.

Vivien hämmerte mit ihren Fäusten auf Shawn ein. „HÖR AUF DAMIT!", kreischte sie mit Tränen in den Augen.

„Ich habe es genau gesehen", sagte Shawn, der von ihren Schlägen und Tritten nichts zu spüren schien. „Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Vivien."

„Angst?" Ist der bescheuert? „Wovor sollte ich denn Angst haben?"

„Dass er dich weiter bedrängt." Er näherte sich Gabriels Gesicht, ohne den Griff dabei zu lösen. „Hast du mich gehört? Du lässt Vivien und ihre Freunde in Frieden. Sag das auch deinen Freunden." Er schaute auf und suchte nach den beiden Holzköpfen, die hinter die Tischtennisplatte geflüchtet waren.

„Ich hab doch gar nichts ...", nuschelte Gabriel mit Erde im Mund, und noch immer wurde sein Gesicht auf den schmutzigen Steinboden gepresst.

„Du weißt genau, was du getan hast." Shawn warf den Kopf in die Höhe. Vivien folgte seinen Blicken. Sie hatten die gesamte Aufmerksamkeit des Schulhofes. Das ist so peinlich ...

„Mister, ich habe wirklich nicht ..."

„Halt's Maul!" Endlich löste Shawn den Griff und ließ gänzlich von Gabriel ab. Besorgt blickte er um sich. „Näherst du dich nochmal Vivien", sprach er mit warnendem Zeigefinger. „passiert dir ein Unglück." Und mit diesen Worten verließ er fluchtartig das Schulgelände.

Candra und Mick standen mit offenen Mündern da, während die beiden Kumpels von Gabriel die Biege machten. Vivien kniete sich zu ihrem Freund hinunter. Fast schon panisch, als fürchtete er einen Schlag ins Gesicht, zuckte Gabriel zusammen. „Nein", rief er und streckte die Hände in die Höhe. Keuchend kam er wieder auf die Beine. Doch statt sich den Staub von Gesicht und Kleidung zu klopfen, warf er Vivien einen wehleidigen Blick zu. „Wir sind fertig miteinander. W-wir ... sind fertig."

„Was?" Das muss ein Albtraum sein. Gleich wache ich auf, ganz sicher. „Gabriel, ich kann nichts dafür, ich ..." Sie ging auf ihn zu.

„Stopp!" Rückwärts prallte er mit der Tischtennisplatte zusammen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich den Rücken und folgte dann seinen Freunden, die ihm bereits vorausgeeilt waren.

Shawn, ich bringe dich um. Als sie allmählich realisierte, wer wirklich dahinter steckte, wurde sie nur noch wütender. Papa ...

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