Die Legende der Nachtigall 1...

By CaptainPaperShip

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Eine Prinzessin, die vor eine Entscheidung gestellt wird. Ein kompromissloser Rebell mit einer Mission. Ein t... More

Widmung
Mavie - Windenbach
Prinzessin Dilara - Die fünf goldenen Türme
Mavie - Der Rabe
Prinzessin Dilara - Die Prophezeiung
Mavie - Der Ruf des Waldes
Prinzessin Dilara - Der Rebell
Mavie - Etwas Seltsames geschieht
Prinzessin Dilara - Nagende Fragen
Prinzessin Dilara - Der Ball
Mavie - Das Zischeln der Flammen
Prinzessin Dilara - Eine schwierige Flucht
Dilara - Die Spiralstraßen
Mavie - Die Augen des Waldes
Dilara - Die Krieger der Gassen
Mavie - Der Junge in der Höhle
Dilara - Die Brücke
Mavie - Die mit dem Wolf kämpft
Dilara - Die Dächer der Stadt
Mavie - Ein Freund ist der Mensch, mit dem man das Abendrot teilt
Dilara - Verfaulte Eier
Mavie - Aufbruch ins Abenteuer
Dilara - Die Fabrik
Charaktäre Teil 1

Mavie - Die Reiter der Königin

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By CaptainPaperShip

Man wusste nie, was manbei einem Überfall zu erwarten hatte. Manche verliefen ein wenig friedlicher.Manche endeten in einem riesigen Chaos und in Zerstörung. Aber man konnte sichdarauf verlassen, dass sie alle grauenhaft waren. 


Mavie hatte an diesem Morgen keine Zeit, nachzudenken über das, was gestern geschehen war.

Als sie sich zur frühen Stunde aus ihrem Lager wälzte, kam sofort ein Schatten auf sie zugeschossen. Die alte Öllampe schaukelte an ihrer Schnur hin und her. Sie konnte sich gerade noch den Umhang über die Schultern werfen, bevor der Rabe darauf landete. Sie war gestern zu müde gewesen, um zu bemerken, dass er sie verlassen hatte, als sie sich hingelegt hatte.

Mit einer kurzen Handbewegung griff sie in die Blätter hinein. Fast war sie ein wenig erleichtert, als sie das glatte Holz der Armbrust spürte. Sie war noch da. Niemand hatte sie bemerkt.

Während sie sich den Krug schnappte und die knarzende Tür der Hütte hinter sich schloss, bedachte sie den Vogel mit einem wütenden Blick.

"Willst du mir nicht wenigstens sagen, was du von mir willst?"

Doch der Rabe blickte aus seinen gelben Augen geheimnisvoll zurück. Als wolle er ihr sagen: "Das wirst du schon noch sehen."

Sie machte sich auf den Weg zum Brunnen. Ihr Plan war aufgegangen. Der einzige Mensch, der im kühlen Nebel des Morgengrauens zu sehen war, war ein alter Holzfäller, der vor seiner Hütte seine Axt schliff. Mavie wusste, dass er keine besonders guten Augen hatte. Er würde weder sie noch den Raben bemerken, wenn sie Glück hatte. Lange würde die Ruhe allerdings nicht mehr anhalten.

Als Mavie mit dem gefüllten Krug zurückkehrte, öffneten sich tatsächlich schon die ersten  Hüttentüren. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie sich plötzlich wieder schlossen, wenn sie vorbeikam. Hin und weder entdeckte sie in den Fenstern ein Gesicht, dass nach draußen blickte. Der große Bauer zog mit mürrischer Miene seine Leinenvorhänge zu, als er sie entdeckte. Mavies Gesicht brannte. Mit gesenktem Kopf ging sie weiter, so schnell es ging, ohne das Wasser zu verschütten.

Plötzlich kam eine Gestalt aus dem Wald geschossen. Sie kam direkt auf sie zugerannt. Es war Unz. Er schien ziemlich außer Atem zu sein. Besorgt blieb Mavie stehen.

„Die Reiter kommen!"Unz war blass im ganzen Gesicht. Laut keuchend hastete er auf die Hütten zu. „Sie kommen!", brüllte er.

Das Dorf, das eben noch verschlafen, fast wie ausgestorben gewirkt hatte, wachte mit einem Schlag auf. Aus allen Richtungen ertönten laute Rufe. "Sie kommen! Sie kommen!" Es gab keine Hütte, in der nicht jemand herumgerannt wäre. Geheime Vorräte wurden versteckt, die Kinder geweckt, die Türen verschlossen und die Fensterläden verriegelt, als würden sie nicht wenig später gewaltsam wieder aufgerissen werden, so schnell, als stellten sie nicht das geringste Hinderniss dar.

Mavie glitt ihr Krug aus den Händen. Der Ton zerschellte am Boden in tausende Scherben. Der Rabe auf ihrer Schulter krähte laut und flatterte mit den Flügeln.Doch sie beachtete ihn nicht. Ohne eine Sekunde zu warten, sprintete sie zur Hütte zurück.

"Kenja, wach auf! Grab dich ein, schnell! Warna, versteck die Knollen! Job, du die Äxte!"

Es gab nur einen Ort in der kleinen Hütte, in der sie etwas verstecken konnten: Das Loch unter Jobs Lager. Sie hatten es im Frühling notdürftig ausgehoben und mit Brettern zugedeckt. Mavie und Tanjo schaufelten Kenja mit Blättern zu, bis nur noch sein kleiner Finger aus dem Lager herausragte. Sie vergruben ihn nicht, weil es wahrscheinlich wäre, dass die Reiter gerade ihn mitnähmen. Sondern weil sie alle um ihn am meisten Angst hatten.

Das Versteck unter den Brettern war kaum mit Blättern zugedeckt, da hörte Mavie die Klänge der Hufe. Sie drängte sich zum Fenster hinüber. Job, Warna und Arx standen so nahe wie möglich an der hinteren Wand der Hütte. Sie waren so blass wie Gespenster. Aber Mavie konnte nicht anders. Sie musste sehen, was da draußen geschah. Neben sich spürte sie Tanjos muskulöse Schulter. Seine Hand umfasste ihre. Sie klammerte sich an sie, als wolle sie sie zerquetschen.

Mavie zuckte zusammen bei dem ersten Splittern von Holz, das draußen zu hören war. Überall brachen die Reiter in die Hütten hinein. Rüstungen schepperten ohrenbetäubend laut. Aber nicht so laut wie ihre Rufe und die Schreie aus den Hütten. Mavie sah, wie sie zu dritt einen Jungen aus einer Hütte herauszerrten. Es war Lasso, der Bruder von Kenjas Freund Winz. Ihr Herz sank. Einen Jungen. Warum einen Jungen? Es gab nur eine Erklärung.

Bitte nicht Krieg. Lass es nicht Krieg sein. Mavie biss sich fest auf die Zunge. Großer Adler, wenn es dich wirklich gibt, dann lass es nicht Krieg sein. Lass nicht zu, dass sie sie mitnehmen.

Da fiel Mavie siedend heiß etwas ein. Die Armbrust. Wenn sie sie fanden... In diesem Moment knarzte die Tür. Einer plötzlichen Eingebung folgend, schnappte sie sich ihren Umhang und warf ihn sich über die Schultern. Sie stellte sich in das dunkelste Eck der Hütte. Krächz hielt sich still unter dem Umhang. Als wisse er, dass er jetzt keinen Laut von sich geben durfte.

Drei rote Rüstungen schimmerten im düsteren Licht, das durch den Türspalt hereindrang. Zwei der Männer klappten ihre Visire hoch, als sie eintraten. Aber es war zu dunkel, als dass sie ihre Gesichter hätten sehen können.

Die Männer standen einen Augenblick lang da und musterten die Geschwister, die sich stumm in die Ecke drängten. Mavie spähte kurz zu Kenjas kleinem Finger hinunter. Neben ihm lag ihre Armbrust. Es war ihr, als würde sie gleich zu leuchten beginnen und sie verraten.

Doch die Männer durchwühlten nicht wie sonst die Hütte. Ihr Blick galt den fünf Kindern.

„Sie sind zu groß", stellte der Linke fest. "Sie sind alle mindestens ein dutzend Steinreihen hoch."

Der mittlere machte einen Schritt nach vorne und packte Mavies Arm. Sie keuchte.

„Der hier nicht. Auf ihn könnte die Beschreibung passen."

 Mavie war starr wie eine Statue. Sieversuchte zu atmen. Aber es ging nicht.

Der linke Reiter lachte. „Das ist ein Mädchen, du Idiot. Sie hat nur kurze Haare."

Der andere Mann warf Mavie einen misstrauischen Blick zu. Aber dann ließ er sie los. „Stimmt."

Noch nie in ihremganzen Leben war Mavie so erleichtert gewesen.

"Glück gehabt!", sagte der Reiter. Als er grinste, konnte sie seine gelblichen Zähne sie. Sie schauderte. "Kommt, weiter!"

Als die Tür hinter den Dreien wieder zuflog, standen die Fünf noch eine Minute lang starr in der Ecke. Tanjo hielt Mavie fest, an dem Arm, den eben noch der Reiter unklammert hatte. Als wolle er ihn beschützen. Und Mavie hielt Warna fest. Und Warna hielt Job fest. Fest umklammert mit all ihrer Kraft hielten sieeinander, als würden sie sonst umfallen. Schmerzhafter als ein Schwerthieb durchzuckte sie die  Erinnerung an ihre Eltern. An die Schreie ihrer Mutter, als sie auf ein braunes Pferd gezerrt wurde. An das Lachen des Reiters. An ihren Vater, mit seiner Axt in der Hand -

Mavie hielt es nicht mehr aus. Sie trat zurück zum Fenster und spähte hinaus. Bei den meisten der Hütten liefen Reiter hinein oder hinaus. Mavie spähte zu dem großen Haus, das zum Bauernhof gehörte. Zwei Reiter klopften eben mit den Griffen ihrer Schwerter an die Tür. Einer von ihnen trug eine silberne Rüstung und saß auf einem stolzen, schwarzen Pferd. Der Anführer.

Der Bauer öffnete die Tür einen Spalt weit. Mavie konnte die Stimme des Reiters aus dem Lärm herausfiltern. "Mach auf!", sagte er ungeduldig. "Wo ist deine Familie?"

Zögernd trat die Bäuerin neben ihn. Und dann auch Unz. Nein!, dachte Mavie. Renn weg! Versteck dich! Unz war kleiner als ihre Brüder. Er war so groß wie sie.

„Wir suchen einenJungen, so groß wie dein Bengel hier." Der Reiter bestätigte Mavies Befürchtungen. Er sah sich Unz genau an. Der Bauer legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie zitterte.

„Davon gibt es einige hier im Dorf", sagte er schnell. „Dort hinten wohnen zwei und hier in dieser Hütte..."

„Wir suchen nach einemJungen in dieser Größe, der oft in den Wald geht", unterbrach ihn der Reiter, noch ungeduldiger.

Der Bauer wurde weißer als die Milch seiner Kühe bei Mondschein.

„Dort drüben wohnt so ein Junge", sagte er eilig. Und er deutete zu der Hütte hinüber, in der Laris' Familie lebte. "Er geht ständig in den Wald!"

Der Reiter gab seinem Pferdeinen Schlag. Unz regte sich nicht. Er starrte nur entsetzt zu der Hütte vonLaris. Genau wie Mavie sah er dabei zu, wie sie ihn aus der Hütte zerrten, anseiner geschockten Mutter vorbei.

Sie hatten Laris.

Die Reiter zogen ihn aufein Pferd hinauf. Laris sagte nichts. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinemLeben schrie er nicht. Er brüllte auch nicht. Mavie konnte sein Gesicht durchdas Fenster hindurch sehen. Er starrte nur mit weit aufgerissenen Augen zuseiner Hütte zurück. Seine Mutter sah ihn stumm an. Warum tut sie nichts?,dachte Mavie. Warum holt sie ihn nicht wieder runter? Warum steht sie nur daund schaut?

Warum standen sie allenur da und schauten? Warum stand Unz nur da und starrte seinem Freundhinterher? Sein Vater hatte ihn in diese Situation gebracht! Warum stand sieselbst nur da und sah zu? Er war ihr Freund!
‚Beweg dich! Geh dazwischen!', brüllte eine Stimme in Mavie. ‚Halt sie auf,verdammt!' Sie hatte die Armbrust. Sie konnte sich einen Pfeil schnappen und abschießen.Die Reiter ablenken. In dem Chaos würde wahrscheinlich nicht mal jemand wissen,wo er herkam. Doch Angst fesselte ihre Glieder wie ein fester Strick. Sie hattenicht den Mut für auch nur eine einzige Bewegung.

Genauso starr vor Angstsah das Dorf zu, wie sie noch einen und noch einen und noch einen Jungen aufdie Pferde zogen. Sie waren alle etwa so groß wie Mavie. Juorn war erst 12Jahre alt. Hanim schon 17. Aber sie waren alle etwa gleich groß. Und diegleiche Angst stand in ihren Augen, als man sie auf die Pferde zerrte. MaviesGedanken rasten. Was wollten sie von ihnen?

Die Reiter durchsuchtenjede einzelne Hütte bis in den hintesten Winkel. Doch bis auf die Jungen – achtinsgesamt – nahmen sie nichts mit. Und dann galoppierten sie davon, mitrasendem Tempo und wehenden Mähnen in den Wald hinein. So schnell wie siegekommen waren. Das Dorf lag genauso still und verlassen da wie vorher. Alswäre nichts gewesen. Nur der Boden war zertrampelt und aufgeweicht von denHufen. Und sie waren wieder ein paar weniger Menschen in Windenbach.

Arx wartete noch fasteine gute Stunde, bis er Kenja erlaubte, wieder aus seinem Versteckherauszukriechen. Blätter klebten überall an seiner Kleidung. Sein Gesicht sahdreckig und verweint aus, während er seinen Umhang abklopfte. Mavie versuchtenicht, ihm zu helfen. Sie saß in der Ecke und sagte nichts. Sie sah niemandenan und sprach mit niemandem. Nach einer Weile mussten die Männer sich aufmachenund zu den Fallplätzen ziehen. Sie durften keinen Tag verschwenden. Auch nichteinen wie diesen. Mavie sah Laris' Vater mit mürrischen Gesicht und der Axtüber der Schulter zum Zaun hinunter ziehen.

Was war das nur füreine Welt, in der sie lebte?

Auf einmal bewegte sichetwas auf ihrer Schulter. Der Rabe! Mavie hatte ihn ganz vergessen.Gedankenverloren zog sie ihren Umhang von ihm herunter. Warna zuckte zusammen,als er laut krächzte und sich geräuschvoll flatternd einen neuen Platz aufMavies Schulter sucht. Dabei legte er eine Zwischenlandung auf ihrem Kopf ein.Mavie versuchte, ihn genauso durchdringend anzublicken wie er sie. „Was willstdu von mir?", flüsterte sie leise. Und der Rabe sah sie an, als wollte ersagen: „He! Das alles ist nicht meine Schuld!"

Mavie war sich nichtganz sicher, ob sie ihm das glauben sollte.

An diesem Tag erledigteMavies Körper die Arbeiten wie von selbst. Als müsse Mavie ihm gar nicht sagen,was er zu tun hatte. Er tat es einfach ohne sie. Doch als alles erledigt war,sogar der übliche Streit mit ihrer Schwester, sackte sie in sich zusammen wieein leerer Sack.

Sie rannte nicht zu Unzhinüber, um wie üblich in den Wald zu gehen. Und auch Unz kam nicht vorbei. Obes daran lag, dass sie beide sich zu zweit noch einsamer gefühlt hätten, weilLaris dann noch mehr abgegangen wäre, oder daran, dass sie beide in ihreeigenen Schuldgefühle hätten blicken müssen, hätten sie dem Anderen in dieAugen gesehen, konnte Mavie nicht sagen. Aber der Wind trug an diesemNachmittag ein paar Fetzen eines Streits von Unz' Hütte herauf. Mavie hörte dengroßen Bauern „Ich habe immer gesagt..." und „...nicht so oft in den Wald...!"brüllen. Und zwischendrin die Bäuerin schluchzen.

Sie bemerkte kaum, wiesich Kenja auf ihren Schoß setzte und auf ihren Knien mit einer kleinen Figurspielte. Und das war gut, denn die Figur hatte einst ihr Vater geschnitzt, umsie dem winzigen Baby Kenja zu schenken.

Doch am Abend mussteMavie sich aufraffen und die Hütte verlassen. Sie konnte nicht bis in alleEwigkeit herum sitzen und mit niemandem reden. Sie musste wieder unter dieLeute gehen. Deshalb stand sie auf und ging zum Feuer hinunter. Der kleine Teilvon ihr, dem es noch wichtig war, hoffte, dass die Menschen nach dem Überfallzumindest den Raben vergessen hatten. Sie hatte ihn schließlich selbst fastvergessen, obwohl er auf ihrer Schulter saß und ständig Lärm machte.

Als sie am Feuer ankamsagte niemand etwas. Maidl saß da und strickte stumm vor sich hin. Sie wirkteblässer und zittriger als sonst. Und um sie herum saßen ein paar weitereFrauen. Die Holzfäller würden noch eine Weile lang arbeiten müssen, um dieverpassten Morgenstunden aufzuholen.

Mit einem Stirnrunzelnbemerkte Mavie den Blick von Laris' Mutter. Sie zuckte zusammen, als Mavie sichsetzte. Und ruckte ein wenig von ihr weg.

Was war los? Mavieblickte in die Gesichter der anderen Frauen hinein. Die taten angestrengt so,als würden sie ihren Blick nicht bemerken. Die beiden Frauen neben ihrversuchten, sich möglichst unauffällig weiter weg zu setzen.

Am liebsten wäre Maviewieder umgekehrt und nach Hause gegangen. Doch sie zwang sich, sitzen zubleiben.

Eine ganze Weile langhielten die Frauen durch, ohne etwas zu sagen. Dann begann die Bäuerin einGespräch mit ihrer Nachbarin. In ihrer allerschrillsten Stimme sprach sie überdas Wetter, ein Kleid und die besten Plätze zum Holzsammeln. Doch obwohl siesonst Meisterin darin war, in jeglicher Lage belanglose Konversationen zubetreiben, gelang das heute noch nicht einmal ihr. Dann schwiegen alle wieder,bis die Männer auftauchten. Nur Maidl sah einmal kurz von ihrer Arbeit auf undblickte Mavie direkt ins Gesicht. „Pass auf dich auf, mein Mädchen", murmeltesie besorgt. „Pass ja auf dich auf, Kind."

„Was macht sie dennhier!"

Laris Vater bliebapprupt stehen, als er Mavie am Feuer entdeckte.

Und die anderen Männerhinter ihm blieben auch stehen. Leises Getuschel machte sich breit.

Mavie zuckte zusammen,als sie seine grimmige Miene sah. Hasserfüllt sah er zu ihr hinüber. EinenMoment lang wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Einen Moment lang kam esihr so vor, als hätte er sie durchschaut. Als wüsste er, dass sie sich nichtgetraut hatte, die Armbrust zu benutzen und Laris zu befreien. Und es kam ihrso vor, als sei sein anschuldigender Blick völlig gerechtfertigt. Dann fiel ihrwieder ein, dass niemand wusste, dass sie diese Armbrust besaß. Der Rabe. Siealle gaben ihr und ihrem Raben die Schuld an diesem Überfall. Sie meinten, dassei das Unglück gewesen, das der Rabe über das Dorf gebracht hatte. Und dass esdirekt einen Tag geschehen war, nachdem der Rabe aufgetaucht war, sahen sie alsBeweis für ihre Vermutung an. Und auf einmal war sich Mavie sicher, dass siedem Raben glaubte. Es war nicht seine Schuld. Und es war auch nicht ihreSchuld. Mit einem Schlag verblassten all ihre Schuldgefühle. Stattdessen wurdesie unheimlich wütend. Sie stand auf.

Das alles wurde ihreinfach zu viel.

„Es war der Bauer undnicht ich, der Laris verraten hat", schrie sie.

Einen Augenblick langstarrten alle sie an. Die Augen des Bauern verengten sich dabei zu schmalenSchlitzen.

„Eine Lüge! Sie isteine Hexe! Sie hat den Raben in unser Dorf gebracht und jetzt versucht sie, dieSchuld von ihr abzuwenden! Ihr wisst, dass euer Sohn mit meinem Sohn befreundetwar! Es schmerzt niemanden mehr als mich, was mit ihm..."

Mavie warf einen Blickzu Unz hinüber. Aber er kam ihr nicht zu Hilfe. Er sah sie nicht einmal an. Erblickte nur zu Boden, blass wie der Mond.

Mavie drehte sich umund rannte davon. Sie spürte den kühlen Wind in ihren kurzen Haaren, währendsie rannte. Er war so kalt, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Und alsdie Tränen einmal in den Augen angekommen waren, ließen sie sich nicht mehrabwimmeln. Sie liefen und liefen. Auch dann noch, als sich Mavie zu Kenja indas Lager legte, ihren Umhang über sie beide ausbreitete und sich an ihnschmiegte. Sie tropften leise in die Blätter hinein, bis sie einschlief.


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