Prinzessin Dilara - Der Ball

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Als Dilarain Gedanken gefangen in ihre Gemächer zurückkehrte, hörte Dilara ein leisesSummen. Sie blieb stehen. Die Melodie klang ganz anders, als alles, was sie jegehört hatte. Traurig und langsam und irgendwie tiefer als die Lieder, die dieChöre zu großen Feiern immer sangen. Oder die leichter Kammermusik, die dieHarfenspieler bei den Kaffekränzchen zupften. Es klang nach dem tiefen Rauschendes Meeres und den verborgenen Dingen, die noch kein Ohr gehört hatte bisher.

Vorsichtigschob Dilara die schweren Vorhänge, die zu ihrem Schlafgemach führten, einenSpalt weit auseinander. Sie erblickte Anne mit einem Korb voller frischgewaschener Kleider.

Durch denSpalt beobachtete sie ihre Magd, heimlich und verstohlen, als würde sie etwasVerbotenem zusehen, das eigentlich niemand sehen hätte sollen. Annes Gesichtwirkte so traurig. War es immer so traurig? Oder nur, wenn sie alleine war? Wieselten sie ihr bisher ins Gesicht geblickt hatte! Warum fiel ihr erst jetztauf, wie gebeugt ihre Magd ging und wie viele Falten ihre Stirn trug? Und zumersten Mal fragte sie sich, woher sie eigentlich kam.

Dilara schobdie Vorhänge noch ein Stück weiter beiseite und räusperte sich leise.

Sofortblickte die Magd zu ihr herüber. Sie knickste eilig und setzte ein Lächeln auf."Verzeiht, Hoheit, ich habe Euch nicht kommen hören! Ich werde Eure Räumesofort Euch überlassen!"

Anne nahmden Korb unter ihren Arm. Dilara zögerte eine Sekunde lang.

"Warte!",befahl sie dann. Anne blieb stehen. "Was wünscht Ihr, Majestät?"

Dilarasuchte nach den richtigen Worten. "Ich hätte... eine Bitte an dich."

Überraschtsah Anne auf. "Was immer Ihr wollt, Hoheit?"

"Könntestdu mir... von dem Leben der Menschen erzählen?"

"Wasmeint Ihr, Hoheit?"

"Ichmöchte gerne wissen, wie die Menschen in diesem Land leben. Kommst du aus derStadt?"

Anneschüttelte langsam den Kopf. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf demSessel nieder. Dilara setzte sich ihr gegenüber auf ihr Bett.

"Ich stammeaus den Wiesen", erzählte Anne.

"Wiekommst du dann hierher?"

"Ichwurde... die Reiter Eurer Mutter haben mich hierhergebracht."

"Dannstimmt es also? Die Reiter verschleppen die Menschen vom Land, damit sie hierarbeiten?"

Anne nicktezögerlich. Sie schien sich nicht sicher, wie viel sie erzählen sollte. Aberdann fasste sie einen Entschluss.

„Ein Mannhat mich angeschwärzt für etwas, was ich nicht getan habe. Weil ich ihn nichtheiratenwollte und mich vor vielen Jahren für einen anderen entschieden hatte.Mein Ehemann, er... er war schwer krank und jetzt kümmert sich niemand umihn..."

Annes Stimmestockte. Sie klang sehr traurig. „Und meine Töchter...ich weiß nicht, was ausihnen geworden ist, nachdem ich verschwunden bin."

Dilara warnicht in derLage, etwas zu sagen. Sie konnte sich nun noch weniger vorstellen,wie das Leben auf dem Land war. Krankheit und Sorgen um das eigene Leben kanntesich nicht. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sich das allesanfühlen musste.

"Dukannst dir doch in der Stadt einen neuen Ehemann besorgen", schlug sieunsicher vor, als sie Annes traurige Miene sah. „Und dann eine neue Familiehaben."

Annestrauriger Blick verwandelte sich in einen ungläubigen. Und nun war es nicht nurdie Prinzessin, die ihre Magd zum ersten Mal wirklich ansah. Jetzt starrte auch Anne die Prinzessin an, als hätte sie sie noch nie wirklich wahrgenommen. Und Dilara sah in ihren Augen etwas,was sie völlig schockierte.

Die Legende der Nachtigall 1 - Der Ruf des RabenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu