Dilara - Die Krieger der Gassen

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Dilara hielt den Kopf gesenkt, während sie durch die Gassen hasteten. Puh, wie viel Dreck hier herumlag! An den Gestank hatte sie sich beinahe schon gewöhnt. Oder ihre Nase war letzte Nacht gestorben.

Le hatte sie so schnell wie möglich von der Straße weggezerrt. Aber auch hier waren nicht weniger Wachen unterwegs. Und alle waren auf der Suche nach ihr. Sie fürchtete, jeden Moment am Arm gepackt zu werden. Unter all den beige gekleideten Menschen fiel sie mit ihrem purpurnen Morgenmantel mehr auf als je zuvor.

"Wir brauchen dringend ein Versteck!", murmelte Le. "Egal was, irgendein Loch oder einen Dachboden."

Ahh, wenn ihre Schuhe nur nicht so eng wären! Ihre Zehen schmerzten bei jedem Schritt.

"Duck dich!" Le zerrte sie hinter einen wackeligen Wagen mit Kohlköpfen. Dilara duckte sich und spähte über den Wagenrand. Wenn sie nicht gerade in Lebensgefahr schweben würde, würde sie diesem Rebellenjungen etwas erzählen, sie ständig herumzuzerren... wie diese Menschen dort drüben ihre Ziege! Sie war schließlich immer noch die Prinzessin.

Aber leider hatte Le die deutlich besseren Instinkte. Auf der anderen Seite der Gasse näherten sich tatsächlich zwei Wachmänner in silberner Rüstung. Die Kaufleute und Händler und Stadtbewohner wichen zur Seite und hielten die Köpfe gesenkt. Sie schienen ziemliche Angst vor den Wachen zu haben. Die Wachen drehten ihre Köpfe nach allen Seiten. Auf einmal blieb einer von ihnen stehen. Dilara hielt den Atem an. Er packte ein Mädchen in einem hässlichen Leinengewand am Kinn. "Sie ist blond", stellte er fest. Das Mädchen starrte ihn erschrocken an. "Das ist nicht die Prinzessin, du Idiot." Das Mädchen sah Dilara tatsächlich wenig ähnlich. Sie war viel zu jung, zu mager, ihre Augen zu groß und zu rund und ihre Haare waren zwar blond, aber eher dunkelblond und außerdem rollten sie sich zu wilden Locken zusammen, während Dilaras Haare nur dichte Wellen formten.

"Und woher willst du das wissen?"

"Das Mädchen ist höchstens elf Winter alt. Lass sie los. Wir haben Wichtigeres zu tun."

"Na gut." Die Wache ließ das Mädchen wieder loß. Sie stolperte einen Schritt zurück, die Augen weit aufgerissen.

Dilara schauderte. So ungehobeltes Verhalten von einer Schlosswache! Wäre sie noch im Schloss, hätte sie sich hingestellt und den Beiden die Meinung gesagt. Aber jetzt würden die Beiden in ihr wahrscheinlich nur noch eine Hochverräterin sehen. Sie zuckte zusammen bei dem Wort.

"Bleib unten, verdammt!", zischte Le. Er drückte ihren Kopf nach unten. Sie wollte sich zur Seite drehten, um ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen. Dabei stieß sie sich den Kopf am Wagen. Der dumpfe Aufprall war deutlich zu hören. Noch schlimmer aber war, dass der ganze Wagen davon wackelte. Lass es sie nicht sehen, dachte Dilara. Bitte lass es sie nicht seh...

In genau diesem Augenblick traf sich ihr Blick mit dem der Wache.

"Renn!" Le sprang auf, nur eine Millisekunde, bevor die Wache auf sie zukam. Er schnappte sich drei Kohlköpfe, drückte Dilara einen in die Hand und zerrte sie davon. Sie stolpererte ihm hinterher. Und wieder rannten sie. Dilara versuchte, den Schmerz in ihren Füßen zu ignorieren. Ihr Herz raste, schneller als die Pflastersteine unter ihnen. Sie schlug einen Haken um eine Frau mit Baby auf dem Arm und schob sich zwischen zwei Männern mit Turban hindurch. Die beiden stolperten, was die Wachen hinter ihnen eine Sekunde lang aufhielt. Sie erreichten das Ende der Gasse - nur, um auf der nächsten großen Straße zu landen. Verdammt!

"Haltet sie auf!", kreischte eine der Wachen. Gut, dass hier so viele Wägen herumfuhren. Sonst hätten die anderen Wachmänner hier sie längst entdeckt. Aber die Räder und Hufe machten auf den Pflastersteinen so einen Lärm, dass niemand die Schlosswachen rufen hörte.

Die Legende der Nachtigall 1 - Der Ruf des RabenWhere stories live. Discover now