Kapitel 5

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„Martin, ich habe nicht viel Zeit, deshalb fasse ich mich kurz. Du weißt, dass Schwester Theresa bald die Charité verlassen wird?", fragte Sauerbruch und Martins Herzschlag beschleunigte sich noch einmal rasant.

Natürlich wusste er, dass die rüstige ältere Dame ihrer Arbeit schon länger nicht mehr gerecht wurde. Sie war in den letzten Monaten immer vergesslicher und schusseliger geworden und Sauerbruch hatte daraufhin mit weiteren Ärzten beschlossen, sie möglichst bald in den Ruhestand zu versetzen, das war kein Geheimnis. Wollte Sauerbruch jetzt erklären, dass auch Martin nicht mehr zuverlässig genug war? Auf einer Vernunftebene wusste der junge Pfleger zwar, dass seine eigenen Fehler verglichen mit Schwester Theresas eine Lappalie waren, aber sein nervöses Hirn hielt gerade einfach alles für möglich.

Martin war flau im Magen, als er zögerlich nickte. „Ich möchte, dass du mehr Verantwortung auf Station übernimmst. Ich brauche einen neuen stellvertretenden Ausbilder für die jungen Schwestern. Lene übernimmt die Stelle der Ausbilderin."

Verblüfft schwieg Martin einfach. Sein Gehirn brauchte noch einige Augenblicke, um zu verstehen, was Sauerbruch ihm gerade mitgeteilt hatte. Doch immer noch realisierte er kaum, dass ihm gerade anstatt der befürchteten Kündigung eine Beförderung angeboten wurde.

„Deine neue Aufgabe beginnt morgen, Schwester Lene wird dich einarbeiten, damit Theresa auf der Stelle entlastet wird." Morgen? Dabei war Martin sich ja noch nicht einmal sicher, ob er den neuen Job überhaupt machen wollte. Immerhin bedeutete die Arbeit mit den Auszubildenden unweigerlich mehr Kommunikation und er war sich sicher, dass es dafür weitaus qualifiziertere Schwestern auf Station gäbe...

„Ich fühle mich geehrt, Professor, aber... ich..." Martin wusste nicht so recht, wie er seinen Satz fortführen sollte und verstummte.

„Sehr gut. Ich erwarte dich morgen um sieben Uhr vor meinem Büro. Pünktlich." Und mit diesen Worten hatte Sauerbruch bereits die Tür geöffnet und war hindurchgetreten.

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Der Rest von Martins Schicht verlief nahezu ereignislos. Die Reinigung des OP-Bestecks beschäftigte ihn die meiste Zeit und Martin war sogar recht glücklich damit. Es war zwar keine besonders spannende Aufgabe, aber er genoss die angenehme Stille und die Gelegenheit sich völlig auf die stupide Arbeit zu konzentrieren. Dennoch ließ ihn der Gedanke an die Beförderung nicht los, war er doch eine willkommene Ablenkung von seinen schweren Gedanken Wilhelm betreffend. Martin verstand immer noch nicht so ganz, weshalb Sauerbruch ausgerechnet ihn für die Aufgabe wollte...

Martin war schon auf dem Weg nach Hause, besser gesagt hatte er schon die halbe Strecke auf der Treppe hinauf zu den Wohnungen im Obergeschoss zurückgelegt, als ihn eine harsche Stimme zurückrief.

„Martin, niemand hat dir erlaubt jetzt schon Feierabend zu machen. Meier, Schulte und Bucher brauchen neue Wundverbände und anschließend kontrollierst du, wie viele Wundkompressen noch im Vorratsschrank sind.", fuhr Schwester Helga ihn an und machte keinen Hehl daraus, dass sie sauer auf ihn war.

Mit vor Wut blitzenden Augen drehte Martin sich zu ihr um. „Schwester Helga, meine Schicht ist längst vorbei und es haben genug Andere Dienst, um die notwenigen Aufgaben zu erledigen.", erwiderte Martin bissig. Er war einfach zu müde und hungrig, um höflich zu bleiben. Das schlimmste an Überstunden war an sich gar nicht die zusätzliche Arbeit, sondern dass er dadurch etwas von den wenigen kostbaren Stunden verlor, die er mit Otto alleine verbringen konnte.

„Diese Entscheidung steht dir nicht zu, also mach deine Arbeit!"

Schwester Helgas Verhalten irritierte Martin immer mehr. Sie war schon immer streng gewesen, keine Frage, aber noch nie hatte er erlebt, dass sie unfair wurde.

Catch up with the past, before it catches up with youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt