🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*

Von Kanonen und Schwarzpulver I

Typisch Sjard, dachte Lorena. Er achtet auf jede Kleinigkeit, als führt er im Kopf eine Liste, die er nach und nach abhakt.

Gerrits Augen verengten sich zu Schlitzen. „Also hab ich von Kanonen keine Ahnung, meinst du? Ich versteh' nichts vom Schießen, glaubst du? – Falsch! Ich brauchte nicht dabei zu sein, weil ich den Befehl hatte, hier unten das Benötigte bereitzustellen ..." Sein Gesicht lief dunkelrot an.

Lorena beobachtete ihn scharf. Was, wenn er wieder in Rage geriet?

Doch dann reckte er nur stolz den Kopf und meinte betont ruhig: „Ich war – und bin es noch – Konstabler-Maat, also die rechte Hand des Kanoniermeisters oder Konstablers, wie das richtig heißt. Da staunt ihr, was?"

Er zeigte ihnen seine Hand. Deutlich war in seiner Handfläche eine ringförmige, wulstige Narbe zu erkennen. „Sapperlot, das war kein guter Tag für mich ... seitdem gehorcht mir die Hand nicht mehr richtig, manchmal krieg' ich 'nen Krampf darin oder sie ist wie taub. Der Shipdoctor meint, dass beim Durchstich wohl ein Nerv durchtrennt worden ist. Der Gute hat mir noch eingeschärft, ich soll die immer schön einsalben; wenn ich Glück hab', heilt das wieder zusammen, aber das kann dauern ... na, wenn nicht, lass' ich mich eben kielholen, haha!" Er nahm die Hand wieder herunter, massierte sie. Dabei fiel sein Blick auf die Kanone. Seine trotzige Miene veränderte sich, wurde weich. „Ach, was soll's, für meinen Posten bin ich noch voll tauglich, ich kenne mich bestens mit unseren eisernen Kameraden aus." Beinahe zärtlich streichelte er über das Rohr. „Die hier heißt Willem, nach unserem glorreichen Führer im Freiheitskrieg, Wilhelm von Oranien. Ihr werdet seinem Andenken alle Ehre machen, kapiert?" Auffordernd blickte er in die Runde –

... doch niemand reagierte.

„Kapiert??", hakte er noch einmal nach.

„Joh", sagte Janko schließlich spröde; die anderen nickten stumm.

Lorena hingegen hielt sich ganz zurück. Ehre machen? Wem oder was? Das will ich aber genauer wissen! Gerne will ich die Freiheit verteidigen, aber nicht zur Ehre für irgendjemanden.

Gerrit lächelte schief. „Na gut, Stockfisch, Bär und ihr anderen, vergesst das nie, und auch du nicht, Langer, und wenn du noch so störrisch guckst! – Und nun sperrt die Lauscher auf ... ich erkläre euch jetzt, wie ihr Willem zum Feuerspucken bringt. Also: Mit diesem Zeug da, was neben der Kanone liegt, müsst ihr umgehen können wie im Schlaf, da muss jeder Handgriff sitzen! Macht ihr Fehler, reißt euch Willem den Arsch auf. Abgerissene Arme oder Beine sind kein schöner Anblick. Und wenn der Kopf ... na, lassen wir das."

Er zupfte nachdenklich an seinem Kinnbart. „Fangen wir an ..." Er deutete auf den ersten Gegenstand, einen langen Stab. „Der Stecken da ist der Ladestock, er hat einen Schwamm an dem einen Ende, damit wird nach jedem Schuss der Lauf ausgewaschen. Daneben liegt der Luntenstock, der deshalb so heißt, weil eben eine Lunte drumherum gewickelt ist; dazu hat er am Kopf zwei gebogene Spitzen, das ist sehr praktisch, wie ihr gleich sehen werdet. Außerdem sind da noch das Pulverhorn, der Stopfen, der aus zusammengedrehten Seilfasern gemacht ist sowie die Nadel. Ganz wichtig ist die Kartusche, eine Hülse, die das Schießpulver enthält. Zuletzt die Geschosse; je nach Gewicht sind es acht,- zwölf- und vierundzwanzigpfündige Kugeln. Die mit dem kleineren Kaliber feuern besonders weit und treffen genau."

„Zwischen den Kugeln liegt ein Brett, es hat verschieden großen Löcher, wozu ist das gut?", verlangte Sjard zu wissen.

„Ach ja, das hab ich fast übersehen. Dabei ist es so wichtig ..." Gerrit bückte sich, langte danach und hielt es hoch. „Das ist eine Kugellehre, damit müsst ihr das Geschoss überprüfen, ob es glatt in den Lauf passt. Manchmal sind die Kugeln nicht sauber gegossen; schlimmstenfalls sprengen sie das Rohr. Das gehört alles zur Vorbereitung." Er zeigte wieder auf die Kugeln. „Schaut einmal genau hin – was fällt euch auf?"