Kapitel 1

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Punkt 2 Uhr morgens.

Bis jetzt läuft alles wie am Schnürchen, dachte ich und verkniff mir ein Grinsen. Ich hatte lange genug auf diesen Abend gewartet, war jeden Teil des Plans so oft in meinem Kopf durchgegangen, hatte jedes noch so kleinste Detail bedacht.
Mit einigen geübten Handgriffen sicherte ich mich mit einem Karabinerhaken an dem Drahtseil, welches zwischen den beiden Häusern gespannt war. Prüfend zog ich an der Vorrichtung, die mich vor dem Sturz aus 30 Metern Höhe bewahren sollte, dann atmete ich tief durch und verbannte jegliche Nervosität aus meinem Kopf. Mum meinte immer, bei Operationen musste man einen kühlen Kopf bewahren, und genau den brauchte ich jetzt, sonst wäre die Arbeit von anderthalb Jahren in Sekunden zunichte gemacht.

,,Okay Ravina, los geht's", murmelte ich zu mir selbst und sprang mit etwas Anlauf über die Dachkante. Natürlich hielt das Drahtseil und so schwirrte ich nahezu geräuschlos über den Abgrund unter mir, an dessen Boden keine Menschenseele zu dieser Uhrzeit sich mehr befand. Ich landete etwas lauter als geplant auf dem Fenstersims meines Ziels. Angespannt verharrte ich einige Sekunden, obwohl sich in der riesigen Villa nichts rührte. Dann begann ich, mithilfe meiner Haarnadel, die ich von Mum geerbt hatte, das Schloss des großen Fensters zu öffnen.

Mit einem leisen Klick sprang das Fenster auf.

Diesmal konnte ich mir das Grinsen wirklich nicht verkneifen. Der Bewohner dieses Hauses, ein gewisser Mr. Marton, war so überzeugt von seiner Alarmanlage gewesen, dass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, richtige Schlösser an seine Fenster anzubringen. Vollidiot, dachte ich spöttisch und schob leise das Fenster auf. Ohne Bedenken setzte ich geräuschlos beide Füße auf den teuren Flokatiteppich, der den Raum fast komplett ausfüllte. Die Alarmanlage war ein Kinderspiel gewesen, nachdem ich Balendins Programm gekla-... ähm, geborgt hatte. So kam es, dass anstelle einer ohrenbetäubenden Sirene, die gleichzeitig einen Alarm auf dem zuständigen Polizeirevier ausgelöst hätte, nichts außer meinen fast geräuschlosen Schritten zu hören war, die sich nun der Tür zuwendeten.
Mr. Marton schlief bereits, seinen sehr geregelten Tagesablauf hatte ich durch mehrere Wochen intensiver Beschattung studiert. Er lebte außerdem allein, war Witwer, ein sehr reicher noch dazu.
Die Tür war zu meinem Glück nur angelehnt, also schlüpfte ich hindurch und stand in dem langen Flur der Villa, an dessen Ende der wahre Grund meines nächtlichen Besuchs lag: Ein Zimmer, in dem Mr. Marton seine wertvollsten Artefakte aufbewahrte. Das dunkle Holz der Tür war mit vielen Ornamenten verziert und ließ sich ebenfalls problemlos öffnen. Der Hausherr litt seit einigen Jahren an leichtem Parkinson, weswegen er keine Schlüssel mehr verwenden konnte. Er hatte also alle Türen stets offen stehen, wer sollte den auch an seiner tollen Alarmanlage überhaupt vorbeikommen?
Ein weiteres leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich die Tür öffnete.

Im Inneren schien der helle Wintermond durch die Fenster hinein und ich sah, dass es draußen begonnen hatte, zu schneien. Zügig schritt ich auf die Vitrine zu, in der das Objekt meiner Begierde lag: Eine filigrane Halskette, verziert mit den klarsten Saphiren, die ich je gesehen hatte. Meine Augen glitzernden vor Begeisterung, dann machte ich mich an der Vitrine zu schaffen. Das Schloss hier stellte sich als kniffliger heraus und meine Haarnadel wäre fast abgebrochen, als ich plötzlich etwas auf dem Flur hörte. Wie der Blitz zog ich die Nadel aus dem Schloss und duckte mich hinter die Vitrine, die auf einem kleinen Sockel aus Mahagoni stand.

Mein Herz pochte wie wild und blieb dann plötzlich stehen. Auf dem Gang war jemand! Ich hielt die Luft an, als die Schritte den Gang hörbar entlangschlurften.
Verdammt, dachte ich, dann tritt Szenario 45 wohl wirklich ein! Ich biss wütend die Zähne zusammen. Das da draußen war gewiss der Hausherr Marton, dem Geräusch der Schritte nach zu urteilen. Ich horchte weiter und stellte erleichtert fest, dass sich seine Schritte zu entfernen schienen. Womöglich hatte er nur etwas Durst und war auf dem Weg in die Küche.

Dann blieb mir das Herz ein weiteres Mal stehen.

Während ich mich auf Mr. Martons nächtlichen Spaziergang konzentriert hatte, saß nun wie aus dem Nichts eine orange getigerte Katze vor mir auf dem Boden! Entgeistert starrte ich die Katze an und ihre gelben Augen starrten zurück. Eine Katze hatte ich nicht eingeplant. Mein Kopf begann sich zu drehen, ich hatte so lange auf diesen Abend hingearbeitet und mir war nie aufgefallen, dass Mr. Marton eine Katze besaß?!
Immer noch völlig baff realisierte ich langsam, dass meine Nase kribbelte.

Oh verdammt, verdammt, VERDAMMT!

Schnell versuchte ich, meine Nase zuzuhalten, doch es war zu spät und der gewaltige Nieser schallte durch das ganze große Haus. Innerlich verfluchte ich meine starke Katzenhaarallergie und sprang auf. In der Küche hörte ich Mr. Marton aufschreien und nur wenige Sekunden später stand er im Morgenmantel in dem Artefaktenzimmer, doch da war ich schon aus dem nächstbesten Fenster geklettert. Mit einem Puls von 180 klammerte ich mich an die Steinmauer vor mir und zwang mich, nicht nach unten zu sehen und stattdessen Millimeter für Millimeter an die Hauswand gepresst vom Fenstersims wegzurücken. In der Villa schrillte nun die Alarmanlage und der Klang war so ohrenbetäubend, dass selbst in den umstehenden Häusern die Lichter angingen. Ich verfluchte erneut meine bescheuerte Allergie und kniff die Augen zu. Mir musste schnellstens etwas einfallen, denn in wenigen Minuten würde die Polizei hier sein und dann wars das. Ich presste meine glühende Stirn an die Wand und überlegte fieberhaft, doch da wurde ich aufeinmal von hinten gepackt und verlor den Halt. Ich schrie vor Schreck auf, doch eine behandschuhte Hand legte sich auf meinen Mund und die andere packte mich um die Hüfte. Ich verstummte und sah nach unten auf die unter meinen Füßen immer kleiner werdende Straße. Dann blickte ich hoch und sah in das Gesicht meines großen, sehr grimmig aussehenden Bruders. Sein Jetpack trug uns immer höher über die Dächer von Cremstone und ich wandte den Blick von ihm ab.

,,Sorry Lius...", murmelte ich und mied seinen strafenden Blick. 

RoverinaeWhere stories live. Discover now