Kapitel 15

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Als ich aufwache liegen unsere Hände nur noch nebeneinander. Irgendjemand hat wohl nachts losgelassen. Stumm schaue ich auf die Distanz dazwischen. Die Wirkung zu haben, dass irgendjemand ruhiger und friedlicher wird, wenn man die Hand der Person nimmt, macht mich glücklich. Dass das jetzt bei Tobias passiert, hätte ich aber nicht gedacht.

Möglichst leise setze ich mich auf und krame meine Sachen aus der Tasche, um ins Bad zu gehen. Vielleicht bringt eine Dusche meine Gedanken wieder an die richtigen Stellen. Gerade sind sie nämlich sehr chaotisch und kaum zu ordnen.

Vor dem Zelt bleibe ich erst einmal stehen und atme die kühle Luft in vollen Zügen ein. Mein Zittern versuche ich einfach zu ignorieren. Das leichte Rot am Horizont ist einfach zu schön, um die Augen davon zu nehmen und sich auf die Kälte zu konzentrieren.

Nichts ist schöner als ein Sonnenaufgang am Morgen. Doch, ein Sonnenuntergang am Abend. Dann kannst du nämlich schlafen gehen. Irgendwo hat die dämliche Stimme aus dem off recht. Ein sehr guter Einwand.

Ich reiße meine Augen von der Schönheit des Himmels los und trotte langsam Richtung Duschräume. Die anderen stehen zwar erst in eineinhalb Stunden auf, aber dann kann ich mir wenigstens ein bisschen Zeit lassen.

Bei dem kleinen Haus angekommen, öffne ich vorsichtig die Tür und gehe zu den Waschbecken, die gegenüber an der Wand angebracht sind. Geschlechtertrennung wird hier nicht sonderlich groß geschrieben. Es gibt eine Gemeinschaftsdusche, vier Toilettenkabinen und vier Waschbecken. Die Mädchen beschweren sich die ganze Zeit, weil sie so nicht alle gleichzeitig an die Spiegel kommen. Gott, teilt euch das doch einfach ein, denke ich da nur.

Schnell putze ich meine Zähne und reibe mir den Schlaf aus den Augen, der Rest des Körpers kommt erst gleich.

Ich lasse meine Klamotten auf den Boden fallen und gehe dann in eine von den großen Duschkabinen. Mein Handtuch nehme ich mit hinein. Schließlich vertraue ich meinem Jahrgang nicht wirklich. Falls sie mir meine Sachen klauen sollten, habe ich aber immer noch mein Handtuch. Besser als gar nichts.

Vorsichtig drehe ich an dem quietschenden Wasserhahn, mit der Einstellung gleich zwei Meter nach hinten zu springen. Die Duschen sind zwar modern, aber um warmes Wasser wurde sich hier scheinbar nie gekümmert.

Die ersten Tropfen von dem Wasser spritzen auf meine Haut und wie erwartet, weiche ich ein paar Zentimeter zurück. Die Bezeichnung Arschkalt trifft es hier ziemlich genau. Trotzdem stelle ich mich, mutig wie ich bin, unter den kleinen Wasserstrahl und beginne mir die Sorgen aus dem Kopf zu waschen.

Die Dusche hat mich wirklich gut abgelenkt. Jetzt mache ich mir nämlich keine Gedanken mehr um Tobias, sondern nur noch um meine fast abgestorbenen Gliedmaßen.

Zitternd greife ich nach dem Handtuch und ziehe es fest um meinen Körper, um mich vor dem Erfrieren zu retten. Mit klappernden Zähnen, versuche ich mir möglichst schnell meine Klamotten anzuziehen und meine Sachen zusammen zu packen. Ich will weg sein, bevor die anderen kommen. Ansonsten ist das hier gleich ein riesen Gedränge.

Gedankenverloren öffne ich die Tür und renne - wie sollte es auch anders sein - genau gegen Tobias, der mich mürrisch ansieht. Weg ist der verletzliche Junge von gestern. Ein kurzer Blickkontakt und er stößt mich mit einem verächtlichen Laut zur Seite, um die Waschräume zu betreten. Kein Wort zu gestern.

Verwirrt lässt er mich draußen stehen. Wie ist er denn jetzt drauf? Ich glaube immer noch an die Theorie mit der gespaltenen Persönlichkeit. Ich zucke mit den Schultern, dämlich, da es außer mir niemand sieht, verschiebe die Gedanken auf heute Abend und laufe langsam zu unserem Zelt zurück.
Ich bin mir sicher, dass er nicht mehr über das Thema von heute Nacht reden möchte, aber eins muss ich mir selbst eingestehen.

Es hat mir gefallen so einzuschlafen.

***


"Den restlichen Tag werden wir in der Stadt verbringen. Jetzt wo Aiden wieder besser laufen und deswegen mitkommen kann, werden wir bis Abends dort bleiben und den Tag mit einem schönen Strandspaziergang und Pizza ausklingen lassen." Ein Murren geht durch die Reihen der Schüler. Keiner hat wirklich Lust auf so einen langweiligen Tag. Die meisten haben die Stadt schon gesehen und fanden sie absolut uninteressant. Nur die Pizza klingt sehr gut.

"Natürlich bleibt ihr wieder größtenteils mit eurem Zeltpartner zusammen. Ihr sollt gegenseitig euer Verhalten analysieren. Das steigert auch eure Fähigkeit Menschen zu lesen." Ein weiteres Stöhnen ist zu hören. Falls es noch niemandem aufgefallen ist, nur wenige haben Lust auf ihre Partner und machen trotzdem etwas mit ihren Freunden. Nur ich wurde dazu verdammt durchgehend mit Tobias zusammen zu sein. Nur damit er nicht negativ auffällt. Wie es mir geht, ist da scheinbar egal.

Ich seufze und gehe mit den anderen in Richtung des Busses, darauf bedacht, mich nicht in die Ecke mit Henry zu setzen. Dafür habe ich jetzt absolut keinen Nerv. Ich habe zwar versucht meine Gedanken zu stoppen, aber sie kreisen die ganze Zeit um die heutige Nacht. Und nicht nur meine Gedanken beschäftigen sich damit. Meine Gefühle sind auch komplett überfordert, was mein inneres Gleichgewicht total durcheinander bringt. Der Tag in der Stadt kann ja nur großartig werden.

A * N I G H T * I N * A * T E N T - BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt