ZWEI

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Ich stakse neben Beth aus dem Aufzug im Alice, wo mein Stiefbruder Daniel seine Freunde zu Steak und Männergesprächen eingeladen hat, bevor er mit ihnen zum Clubben ins Suspence weiterziehen will.

Lous Schuhe lassen mich schwanken. Pfennigabsätze werden nicht meine Freunde. Sie sind ein bisschen so wie Daniels furchtbare Freunde, die sich über die Jahre in seinem Dunstkreis abgesetzt haben. Aufgebaut hat er diesen elitären Jungsclub während seiner Internatszeit und seinem Studium. Sie alle sind Teil einer elitären Blase aus Geld und Bildung, die keine Zeit dafür hat, sich längerfristig mit Leuten abzugeben, die ihnen nicht bei ihrem persönlichen Weiterkommen helfen, oder aber zumindest hübsch genug sind, um niedere Instinkte anzusprechen.

Das Abendlicht fällt strähnig ins Kuppeldach des Nobelrestaurants und taucht die gut gekleidete Abendgesellschaft in dramatisches Licht. Obwohl ich lange vor dem Spiegel stand komme ich mir nun underdressed vor. Ganz so wie der amerikanische Vorstadttrampel, den mir Daniel immer vorwirft zu sein. Der Boden ist so glatt, dass ich fürchte bei jedem Schritt wegzurutschen. Trotzdem schaffe ich es an der Bar vorbei, die den offenen Raum in zwei Hälften teilt.

Mein Stiefbruder hockt unter einem schrecklichen Ölgemälde, das eine zerlaufene Uhr über dem Zylinder eines piekfeinen englischen Gentleman zeigt. Ein bisschen sehen er und seine Freunde aus, als wären sie Teil einer sehr teuren Neuinterpretation des letzten Abendmahls.

„Hey Yardley!" Andrew Searson ist der erste, der mich entdeckt. Er ist der beste Freund meines Bruders und der Schöpfer diverser Spitznamen. Vor allem aber meines Spitznamens. „Du bist spät wie immer! Hallo Beth."

„Drew", kommt es Beth und mir fast gleichzeitig über die Lippen. Bei mir klingt es genervt, bei Beth erfreut. Schon jetzt fühlt sich dieser Abend an wie immer.

„Charlotte." Mein Bruder nickt mir zu, ganz so, als sei er mit meinem Aufzug zwar nicht unbedingt zufrieden, aber immerhin nicht vollkommen entnervt, womit ich meinen Soll wohl erfüllt habe. Ich gebe ihm einen höflichen Wangenkuss, ehe ich mich auf einen der letzten freien Stühle am Tisch sinken lasse. Wenn Daniel erst einmal in Boston ist, dann muss ich ihn nur noch zu Weihnachten und vielleicht zu den Geburtstagen unserer Eltern ertragen.

„Ist Marcus noch gar nicht da?" Ich recke verdutzt den Kopf auf der Suche nach dem einzigen Menschen, über dessen Erscheinen ich mich heute freuen würde, obwohl Marcus Humberstone streng genommen auch Teil meiner Familie ist.

„Daniels Bruder ist noch im Flieger von Shanghai hierher." Laura, Drews Freundin des Monats fixiert mich ganz so, als ob sie den totalen Durchblick hätte, was das Leben des Stiefbruders meines Stiefbruders angeht.

„Jedenfalls wissen wir noch nicht, ob Marcus kommt. Noah kommt aber wohl noch. Den müssen wir dann nur ein bisschen aufpäppeln, nachdem seine WG aufgelöst wird."

Noah kommt nach, wiederholt mein Hirn in einem Anfall von Selbstgeißelung. Natürlich kommt Noah auch noch. Wie könnte er nicht. Immerhin ist er fester Bestandteil dieses feinen Haufens voller selbstverliebter Möchtegerngötter. Aber einen von der Sorte mehr oder weniger dabei zu haben ist eigentlich egal, solange Daniel heute Abend nur die Rechnung meines, durch sie verursachten Suffs und späteren Katers zahlt. Allerdings finde ich den zweiten Teil der Neuigkeiten durchaus interessant.

„Noahs WG löst sich auf?", hakt Beth da auch schon nach.

„Die Dame, der die Wohnung gehört, hat Eigenbedarf angemeldet", weiß Laura.

„Och nö", entweicht es Beth bestürzt. „Das ist ja mal Kacke."

„Wollt ihr etwas trinken?", fragt uns eine der aktuellen Anhängsel der Jungs am Tischende, ohne dass ich sie einem der Anwesenden zuordnen könnte.

Sincerely yoursWhere stories live. Discover now