Kapitel 1

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Vier Jahre später, saß ich in derselben Schule, nach wie vor in Greenville, Michigan, und folgte gelangweilt dem Geschichtsunterricht von Mr. McCoby. Aufregender Unterricht war noch nie wirklich seine Stärke, genauso wenig wie Stil oder, wenn man mich fragt, Intelligenz.

Matt sah sich nämlich unterm Tisch Instagram Posts an, meine beste Freundin Chloe lackierte sich die Nägel, Joe schlief allem Anschein nach und Angie sah verträumt Julien an, der ebenfalls auf Instagram war. Keiner passte wirklich auf, doch Mr. McCoby schien zufrieden zu sein, solange wenigstens Charlotte mitarbeitete, was diese begeistert tat. Auch jetzt reckte sie wieder mal den Arm in die Luft, um die Frage zu beantworten.

Ich musste zugeben, dass es tatsächlich ziemlich schwierig war, Geschichte interessant klingen zu lassen, aber dass die gesamte Klasse in eine Art Koma fiel, sobald er anfing zu reden, war dann doch ein Kunststück. Kein Wunder eigentlich, dass er Single war und so vermutlich auch sterben wird, auch wenn dabei wohl noch andere Faktoren im Spiel sein mussten. Sein mangelnder Sinn für Mode hatte sicherlich ebenfalls großen Einfluss auf sein Single-Leben.

Mich interessierte Geschichte einfach nicht, die meisten waren eh schon lange tot. Meiner Meinung nach, zählte vor allem die Gegenwart. Etwas anderes blieb mir allerdings auch nicht übrig. Meine eigene, doch eher unerfreuliche Vergangenheit ignorierte ich lieber, obwohl sie mich immer wieder einholte.

Es war doch ziemlich schwierig keine Eltern mehr zu haben, so sehr ich auch versuchte diesen Fakt zu übergehen.

Theoretisch hatte ich einen Vater, aber ich kannte ihn nicht wirklich, das letzte Mal hatte ich ihn gesehen, als ich vier war, aber um ehrlich zu sein, wollte ich ihn auch gar nicht kennenlernen. Meine Grandma hat auch in diesem Sinne dafür gesorgt, dass ich weder Name noch Adresse kannte, damit ich nicht versuchte mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber warum sollte ich. Schließlich war er derjenige, der mich und meine Mum vor 12 Jahren zurückgelassen hat.

Wir konnten die Vergangenheit nun mal nicht ändern, nur daraus lernen, doch wir redeten eigentlich nur über Größenwahnsinnige, also war Geschichte im Endeffekt genauso realitätsfern wie jedes andere Schulfach und wenn man ehrlich war, sonderlich alltagstauglich war es auch nicht.

Genervt sah ich auf die Uhr. Nur noch zwanzig Minuten.
Ich war schon kurz davor, zur Schulkrankenschwester zu gehen und Bauchschmerzen vorzutäuschen, um früher nach Hause gehen zu können, als mein Handy vibrierte. Es war Julien.

Hey, kommst du morgen zum Spiel? Ich kannte Julien, seit ich hierhergezogen bin. Er war mein bester Freund und Partner in Crime. Letztes Jahr hatte er es endlich in das -wenn wir ehrlich sind- miserable Footballteam geschafft. Seitdem war ich Juliens mentale Unterstützung bei jedem Spiel unserer Schule, sonderlich viel Spaß machte es allerdings nicht, denn sie gewannen nur selten. Chloe zog spöttisch eine Augenbraue hoch, als sie sah, mit wem ich schrieb. Sie war fest davon überzeugt, dass wir irgendwann zusammenkommen würden, und konnte einfach nicht akzeptieren, dass wir beste Freunde waren. Ich könnte mir nicht vorstellen mit Julien zusammen zu sein, allein, weil wir uns schon so lange kennen.

Wann beginnt das Spiel?

Julien lächelte mir durchs Klassenzimmer hinweg zu und ich sah, wie er schnell die Antwort tippt. 15:00

Komme. Ich packte das Handy für die letzten paar Minuten weg und fing bereits an die ersten Hefte im Rucksack verschwinden zu lassen.

Als die Glocke läutete, verließ ich den Raum als einer der Ersten. Man sollte sich wirklich über den Idioten beschweren, der Geschichte in die letzte Stunde der Woche gelegt hatte.

Ich legte die Bücher und Mitschriften, die ich für das Wochenende nicht brauchen würde, in meinen Spind und gerade dann, als ich dachte, ich hätte das Schlimmste des Tages überlebt, stand Patricia vor mir.

Chicago DreamsWhere stories live. Discover now