Als seine Mutter gegangen war, hab ich mir von Chris in die Wanne helfen lassen. Er hatte mir erzählt, dass bei Marie alles unverändert lief. Ich hatte drei Tage geschlafen. Aber ich dürfte heute noch nicht ins Krankenhaus. Ich war zu zerstört, um irgendwas zu denken oder dagegen zu halten. Als ich kraftlos in der Wanne saß, wurde mir bewusst, wie hilflos ich war. Bärbel hatte ebenfalls Bescheid bekommen. Sie hatte Chris aber darin bestärkt, dass er mich bei sich behalten sollte. Sie hatte Bernd zuhause. Das war mir auch einleuchtend. Mir war alles so egal. Mühevoll versuchte ich meine Haare zu waschen und meine Haut sauberzuschrubben.

In frischen Sachen lag ich auf der Couch. Alles war friedlich. Irgendwas klimperte in der Küche. Dann sackte ich wieder in den Schlaf zurück. Zwischendurch wurde mir Suppe und Brot eingetrichtert. Er musste ebenfalls geduscht haben. Es roch so nach gewaschenem Mann im Raum. Der Fernseher lief und etwas unter mir bewegte sich. Ich drehte meinen kopf und erkannte, dass ich auf seinen Beinen lag. Ich musste mich wieder in einer Art Delirium befunden haben. Langsam richtete ich mich auf. Er stützte mich. Verwirrt sah ich mich um. Auf dem Tisch stand ein Bier und Chips. Ein Film lief. Dann setzte ich mich mehr auf und drehte mich um. "Alles okay?" Ich zuckte mit den Schultern. "Leg dich wieder hin. Du musst dich gesund schlafen. Du hattest definitiv eine Gehirnerschütterung. Leg dich hin. Ich bin da." Nein. Hinlegen wollte ich mich nicht. Mir war das alles nur peinlich. "Ich bin dir schon genug zur Last gefallen. Ich denke, ich kann auch nach Hause. Ich werde mich bei dir bedanken müssen für alles." "Was? Nein!" er schüttelte energisch den Kopf und griff nach meiner Hand, die sich an ihm abstützte. "Warum nicht?" "Du bleibst hier. Weil ich das so will. Und weil es für dich das beste ist." Kraftlos sank ich zusammen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. "Jetzt fang nicht auch noch an zu heulen!" Doch es war zu spät. Tränen rollten mein Gesicht herunter.  Dieser Mann saß völlig verzweifelt vor mir. Seine Augen flackerten hin und her. Seine Mimik sah zerknirscht aus. "Du sollst nicht weinen. Hör auf damit. Und mit Saskia war nix mehr. Wirklich. Du bist völlig umsonst abgehauen." "Ich...." Die Hitze stieg mir ins Gesicht. Mein dummes kindliches Benehmen hat dazu geführt. Wie konnte ich es nur je so weit kommen lassen. Unbeholfen wand ich mich aus seinem Griff. "Man verdammt. Wieso bist du so kompliziert?" zischte er ärgerlich und kam mir hinterher. Er griff nach meinem Arm, drehte mich zu ihm und starrte mich an. "Du.. also.. ich..." stammelte er. "Ein WIR wird es nicht geben. Das weiß ich. Und es ist okay. Diese Saskia ist doch sehr hübsch." Tapfer reckte ich mein Kinn in die Luft und blinzelte nur zweimal kurz. Mein Herz war bereits gebrochen. Es war nicht mehr da. Es war nur eine dumpfe Leere in mir. Ich wollte nach Hause. In mein kaltes Bett. Wo ich hingehörte. "Verdammt, es ist doch schon ein WIR zwischen uns. Glaubst du etwa, ich hab dich nur so zum Spaß geküsst?" Mit geschlossenen Augen hörte ich in mich hinein. Nichts. Dort war alles Leer. Leer und dumpf und still. "Ja. Ja, das glaube ich" antwortete ich mit fester Stimme. Es war mir alles so sehr egal. Ich wollte gerne lweg sein. Für immer. Alles war egal. "Was hast du nur erlebt, dass du so geworden bist?" Er zog mich an sich. Sein Herz klopfte stark in seiner Brust, seine großen Hände ruhten auf meinen Schulterblättern. Sein Geruch zog mir in die Nase. Doch ich spürte nichts mehr. "Rede doch mal mit mir. Du musst reden verdammt! Ich bin da. Hier, um dir zu helfen. Ich will, dass du lebst. Für mich." "Für dich?" "Ja, für Marie auch. Für dich selber!" "Mir ist alles so egal. Mein Herz schlägt nicht mehr. Und das von Marie nur noch wegen der Geräte. Wozu noch alles? Ich will gehen. Lass mich gehen! Bitte...." Chris schluckte schwer. Er zog mich fester an sich. "Lass dir doch helfen. Bedeutet dir denn niemand etwas?" Ich schloss die Augen. Da war nichts. "Nein. Es ist nichts mehr in mir. Lass mich gehen." Der Griff wurde lockerer. Wieder wand ich mich aus seinen Armen. Seine Augen starrten mich traurig an. Mein dummes Herz war fort. Mein dummer Kopf nicht. Ich redete es mir nur wieder schön. Doch mein dummer Kopf verweigerte es mir, mich fortzubewegen. Gezwungen von ihm sah ich Chris weiter an. Sein Blick war von Tränen getrübt. "Ich will nicht, dass du fortgehst" flüsterte er kaum hörbar. In einer Zeitlupe kamen wir uns wieder näher. Auch jetzt, wo das dumme Herz weg war, konnte ich nicht gegen meinen dummen Kopf angehen. Die letzten Millimeter kamen mir wie Kilometer vor. Meine Lippen prickelten und zitterten. Er sagt, er will nicht, das ich gehe. Er hat die Situation nicht ausgenutzt. Er war die ganze Zeit da. Als ich seine Lippen spürte, tat es so einen heftigen Schlag in meiner Brust, dass ich auch in eine Steckdose hätte fassen können. Mein Herz schlug. Es schlug. Nur unsere Lippen berührten sich. Vorsichtig griff ich nach seinen Händen. Die Aufregung ließ meine Bein schwach werden. Und schwach sank ich nun an seinen warmen Körper. Er stand vor mir und küsste mich einfach nur. Ganz zart. Mehr nicht. Etwas in mir zerbrach. Etwas anderes als mein Herz. Es war der kalte Panzer, der es schützte. Er bekam mit jeder Berührung seiner Lippen mehr Risse und fiel irgendwann in tausenden Teilen klirrend zu Boden. Meine Ohren rauschten von dem Klirren. Lächelnd standen wir voreinander. Ich hob seine Hand zu meiner Brust. "Es schlägt." Er küsste mich lächelnd auf die Stirn. "Darf ich denn wirklich bleiben? Pass ich denn hierher?" "Du passt zu mir. Das ist genug." Dann gingen wir schlafen. Mein Herz schlug wieder. Und ich lag das erste Mal in meinem Leben gerne mit jemanden in einem Bett. An ihn gekuschelt schlief ich wieder ein, die Erinnerung an den Kuss auf meinen Lippen.

VergessenWhere stories live. Discover now