"Scheiße." sage ich.
"Das kannst du laut sagen. Du hast es so richtig verbockt." antwortet Raphael und Andrew pflichtet ihm nickend bei.
"Ich muss zu ihm." sage ich und befreie mich aus der Umarmung von Raphael und dem Griff von Andrew. Ruckartig stehe ich auf und sofort beginnt die Welt um mich herum sich zu drehen. Ich hasse das Gefühl keine Kontrolle zu haben. Und wieder einmal verfluche ich meinen Körper dafür, den Alkohol so lange wie möglich speichern zu wollen.
"Was hast du vor?" fragt Andrew leicht panisch und greift nach meinem Arm. Gerade so kann er verhindern, dass ich rückwärts auf den Hintern falle.
"Ich muss zu Alec."
"Aber doch nicht in diesem Zustand. Du bist betrunken." entgegnet Andrew hastig.

"Ihr seid die besten Freunde die ich mir wünschen kann. Und ich liebe euch auch. Aber ich geh jetzt zu meinem Mann. Und sag ihm, dass er mich nicht verlassen soll."
"Warte bis morgen Magnus. Du könntest Dinge sagen, die du nicht wieder zurück nehmen kannst. Du fährst jetzt nach Hause und schläfst dich aus. Morgen kannst du mit Alec reden." Vehement schüttele ich den Kopf. Ich kann und will nicht warten.
"Nein. Ich fahr zu Alec." sage ich bestimmend. Das ich überhaupt noch einigermaßen klar sprechen kann wundert mich. In meinem Kopf befindet sich der Nebel eines ganzen Lebens und das Karussell dreht unaufhörlich seine Runden. Eigentlich geht es mir alles andere als gut.

Ohne auf eine Antwort zu warten torkele ich aus der Lounge und dränge mich durch die Massen der tanzenden und verschwitzten Körper. Die Musik ist hier um einiges lauter als in der Lounge und die reibenden Körper pressen auch die letzte Luft aus meinen Lungen. Ich habe das Gefühl jeden Moment zu ersticken und atme erleichtert auf, als ich nach gefühlt endlosen Stunden im Vorraum des Clubs stehe. Mit zittrigen Fingern und verschwommenem Blick stehe ich vor einem extrem jungen Kerl mit feuerroten kurzen Haaren und giftgrünen Augen. Er mustert mich eindringlich und klopft ungeduldig mit seinen langen Fingern auf die Platte welche uns trennt.
"Wirds bald?" fragt er mit gerunzelter Stirn und beobachtet mich dabei, wie ich in den Untiefen meiner Jeans nach einem winzig kleinen Plastikteil suche. Triumphierend halte ich ihm kurze Zeit später die Marke entgegen und er reicht mir meinen Mantel. Seufzend streife ich den schwarzen Wollstoff über meine Arme und die Schultern. Der Geruch von Alec umgibt mich und aus einem spontanen Impuls heraus ziehe ich mein Handy aus der Tasche meiner Jeans und wähle seine Nummer. Ich muss nicht lange auf eine Antwort warten und senke enttäuscht meinen Kopf.
"Wir besorgen dir erstmal ein Taxi." ertönt die warme Stimme von Raphael neben mir und ich nicke ergeben. Sanft legt er seinen Arm um meine Taille und zieht mich aus dem Club, hinaus in die kalte Dezembernacht.

"Sein Telefon ist aus." sage ich deprimiert. Was habe ich erwartet? Dass er den Rest seines Lebens damit verbringt wartend vor dem Telefon zu sitzen? Darauf, dass es klingelt und mein Name in leuchtend grünen Lettern auf dem schwarzen Display erscheint? Vielleicht.
Die eisige Kälte der Dezembernacht trifft mich hart. Wie der Aufprall gegen eine Wand fühlt es sich an und schon fast panisch atme ich mehrmals tief ein. Der Sauerstoff in meinen Lungen ist wohltuend und war dringend notwendig. Eine leidige Nebenerscheinung ist der Schwindel, welcher sich rasant ausbreitet. Raphael stützt meinen wodkagetränkten Körper und ich bin ihm so dankbar dafür, dass er mich vor Schlimmerem bewahrt.
Nur am Rande bekomme ich mit, wie Raphael mich in das Taxi verfrachtet, Andrew dem Fahrer meine Adresse nennt und die Fahrt bereits bezahlt. Scham überfällt mich. Sie kümmern sich um mich. Mal wieder. Ohne Widerspruch oder eine Gegenleistung zu erwarten. Sie sind immer für mich da. Egal wie scheiße gerade alles verläuft. Da hat Andrew genau das Richtige gesagt. Ich habe sie beide und ihre uneingeschränkte Freundschaft nicht verdient.

Ich murmele noch ein Danke und schließe meine Augen. Mit in den Nacken geneigtem Kopf lasse ich die Bilder des heutigen Tages an mir vorbei ziehen. In meinem Oberstübchen dreht sich alles und die Übelkeit nimmt stetig zu. In gleichmäßigem Rhythmus bewegt sich das Taxi durch die Straßen. Der Fahrer ist sehr umsichtig, bremst sachte und das sanfte Schaukeln macht mich schläfrig. Die Lichter der Stadt flackern hinter den geschlossenen Lidern meiner Augen. Gelb und rot, grün und blau mit weiß. Ein Regenbogen voller Farben verdrängt die Dunkelheit der Nacht. Auch mit geschlossenen Augen sehe ich sie deutlich vor mir. Ebenso das angespannte Gesicht meines Vaters und Alecs traurige Augen. Immer wieder Alec. Unsere gemeinsame Zeit war kraftvoll und intensiv. Voller Leidenschaft und prickelnder Erotik. Ich frage mich, wann es begonnen hat aus dem Ruder zu laufen. Oder waren wir von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Ich finde keine Antworten auf meine Fragen. Unaufhörlich steigert sich der dumpfe Schmerz in meinem Kopf. Das süßlich aufdringliche Aroma von Vanille kitzelt in meiner Nase. Mit jedem Atemzug wird es intensiver und auch die Übelkeit steigt. Vanille ist einer der Gerüche, die ich nicht leiden kann. Träge öffne ich ein Auge und sehe den verräterischen Übeltäter. Ein gelber "Wunderbaum" baumelt vom Spiegel hinab und verströmt mit jeder tanzenden Bewegung seinen Duft. Angewidert verziehe ich das Gesicht und schnaube abfällig. Auf dem Armaturenbrett steht eine dieser Wackelfiguren, die Freude und gute Laune verbreiten sollen. Aber bei mir ruft dieser Anblick nur noch mehr Übelkeit hervor. Statt einer vollbusigen Ukulele spielenden Hawaiianerin steht da Elvis und grinst mich höhnisch an. Ich fühle mich wie in einem schlechten Film und bin mir sicher, dass das Universum mich für etwas bestrafen möchte. Nur will mir gerade nicht einfallen wofür.

"Wir sind da." reißt mich die unfreundliche Stimme des Taxifahrers aus meinen Gedanken. Ich verdrehe genervt die Augen und blicke aus dem Fenster. Das Haus liegt im Dunkeln. Es ist bedrückend. Die Realität holt mich ein, der Schmerz in meiner Brust nimmt wieder an Intensität auf. Das Atmen fällt mir gerade wieder schwer und am liebsten würde ich laut schreien und weinen.
"Bringen sie mich nach Brooklyn." höre ich mich sagen.
"Das ist am anderen Ende der Stadt." antwortet der Taxifahrer.
"7. Straße Ecke East Drive. Es ist ein rotes Backsteinhaus mit einer grünen Tür." entgegne ich dem sichtlich genervten Fahrer.
"Ich kann auch ein anderes Taxi nehmen." sage ich. In Gedanken krame ich bereits die Nummer von Sam hervor. Ob er wohl noch wach ist? Sicher schläft er schon. Innerlich mache ich mir eine Notiz, mich bei ihm zu melden. Es wird Zeit. Ich habe es schon zu lange vor mich her geschoben.
Die Fahrt nach Brooklyn verbringe ich in einem Zustand zwischen Aufgeregtheit und dämmerigen Halbschlaf. Ich habe keine Ahnung welcher Teufel mich geritten hat. Und vorallem, was ich Alec sagen soll. Kopf aus, Herz an. Und mein Herz sehnt sich nach Alec.

"Sind wir jetzt endlich am Ziel?" fragt mich der Fahrer und ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass mein Herz nicht immer die richtigen Entscheidungen trifft. Der Anblick des roten Backsteinhauses mit der grünen Tür lässt meinen Puls in die Höhe schnellen und eine Welle Adrenalin direkt in mein Herz fließen. Diesmal wird die Übelkeit nicht vom Vanillebaum verursacht, sondern von der prickelnden Aufregung.
"Ja. Wir sind da." antworte ich, drücke dem Fahrer ein paar Scheine in die Hand und ignoriere sein Rufen nach dem Wechselgeld. Er soll es behalten. Seiner Frau davon einen Strauß Blumen kaufen oder den Kindern eine große Portion Eis.
Ich spüre das Schlagen meines Herzens im ganzen Körper. Ein stetiges Pulsieren in meiner Kehle und Angst überfallen mich. War ich mir im Pandemonium noch so sicher, dass das hier eine gute Idee ist, so lähmt mich jetzt der Gedanke, dass Alec mir ein Gespräch verweigert. Ich könnte es verstehen.

What happened in Vegas - Plötzlich verheiratetWhere stories live. Discover now