Kapitel 1: Zuckerknollensaft

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Das Unwetter hatte sich nicht weiter ausgebreitet. Auf Quinnea, einer der sieben Inseln des Königreiches, verlief der Spätsommertag so wie immer.

Fast alle Menschen hier waren Farmer. Sie verbrachten die meiste Zeit auf den Feldern. Abends lieferten sie ihre Erzeugnisse in eines der zwei Dörfer oder – wenn sie den weiteren Weg auf sich nehmen wollten – nach Sanktus, der einzigen Stadt auf Quinnea.

Die Insel war nicht sehr groß; kein Vergleich zu der Hauptinsel Primea. Um auf Primea einmal von einer Küste bis zur Gegenüberliegenden zu laufen, benötigte man etwa einen Tag. Auf Quinnea hingegen nur sieben Stunden. Doch auch sieben Stunden genügten, um zu vergessen, auf einer Insel zu sein – ringsherum umgeben vom giftigen Graudohl.

Die Bauern auf Quinnea hatten immer etwas zu tun. Im Frühjahr säten sie aus; Schwarzweizen, Hafer und Zuckerknollen, auch Exotisches wie grüner Stangenwuchs oder gelbe Blütenwurzler. Im Sommer wurde geerntet, manches auch erst im Herbst. Robustes Frostkraut, das auch im Winter wuchs, war im ganzen Königreich als Delikatesse bekannt.

Im späten Sommer war es am anstrengendsten; die Tage lang, die Arbeit hart und ein Wagen voller Zuckerknollen konnte verdammt schwer sein, auch wenn er noch so verführerisch duftete. Hier war man froh, wenn man sich als Farmer einen Dampfkarren leisten konnte. Damit waren die Lasten viel einfacher zu befördern.

Die Familie Corell konnte sich keinen Dampfkarren leisten und auch keinen mechanischen Pflug oder ein automatisches Bewässerungssystem. Ihre Farm war die Einzige auf der ganzen Insel, wo jede Aufgabe noch von Hand erledigt werden musste. Es war nicht so, als wollten sie sich dem technischen Fortschritt verweigern – nein, sie konnten ihn einfach nicht bezahlen.

Die kleine Familie bestand aus vier Personen: Kathrine Corell, die Mutter, ihr Mann Timotheus und zwei Kindern – Collin und Akira.

Die beiden waren es, die gerade laut fluchend den Wagen voller Zuckerknollen den Weg entlang schoben.

»Denk nicht einmal daran«, mahnte Collin seine kleine Schwester, die schon zum zweiten Mal nach einer der süßen Knollen greifen wollte. »Wir müssen jede Einzelne davon verkaufen. Wenn wir nicht mindestens mit vierzig Lod nach Hause kommen, wirft Mama uns über die Kante.«

»Würde sie nicht tun«, gab Akira zurück und streckte ihm die Zunge heraus. Dann legte sie ihre rechte Hand betont langsam auf die Früchte zum Beweis, dass sie sie anfassen konnte, wann immer sie wollte.

»Hör auf mit dem Quatsch und hilf mir beim Schieben.«

Seit Collin nicht mehr zur Schule ging, musste er jeden Tag für seine Eltern arbeiten. Langsam reichte es ihm! Mit den paar Knollen und zwei Sack voll Schwarzweizen würden sie eh nicht viel verdienen.

»Warum müssen wir ausgerechnet heute bis nach Sanktus? Es ist sooo heiß«, stöhnte Akira, blieb stehen und stemmte sich die Arme in die Hüften.

»Weil Papa es gesagt hat. Die Grossmanns haben ihm den Hinweis gegeben, dass dort heute besonders viel gezahlt wird. Komm jetzt!«

»Ich mag die Grossmanns nicht ...«

Man sah Collin an, dass seine Familie arm war. Die Hosen, die er trug, waren braun und unten ausgetreten. Er konnte nicht sagen, welcher der vielen Brauntöne der ursprüngliche und welcher im Laufe der Zeit dazugekommen war. Darüber trug er ein Hemd, das große Flecken hatte, seit eine überreife Zuckerknolle darauf zerplatzte. Gegen den Saft kam kein Putzmittel an. Immerhin stank es nicht mehr. Die gerissenen Hosenträger, die sein Erscheinungsbild abrundeten, knotete er an den Gürtelschnallen fest.

Collin wurde bald fünfzehn, in nicht einmal drei Monaten. Spätestens dann musste er sich entscheiden, ob er dauerhaft auf der Farm seiner Eltern schuften wollte oder ob er eine Möglichkeit fand woanders Geld zu verdienen. Doch die Chancen standen schlecht. In der Schule hatte er nur durchschnittliche Noten, eine Ausbildung auf der Akademie konnten sich seine Eltern nicht leisten und generell glaubte er nicht, dass irgendjemand einen dünnen Jungen von den Randgebieten der fünften Insel anstellen würde.

Die Avinauten - Im Namen des Königs (Collins Weg an Bord)Where stories live. Discover now