Langsam, fast als hätte ich angst ihn zu verschrecken, krieche ich aus dem Bett und setzte mich neben ihn auf den Boden. Meine Arme schlingen sich um seinen Oberarm, mein Gesicht platziert sich an seine Schulter. "Ich flehe dich an, Lionel. Gib uns nicht auf. Nicht, wenn es noch nicht einmal richtig begonnen hat." Seine Hand gleitet durch mein Haar, seine Lippen streifen meinen Scheitel und lassen mich inständig meine Augen schließen, damit die Tränen mir nicht entwischen. Ich versuche alles damit es sich nicht wie ein Abschied anfühlt, aber er lässt keine andere Gefühlsregung gelten. Für ihn ist jeder Tag ein Abschied.

"Du wirst mir danken."

"Ich werde dich hassen." Mein Widerspruch ist so plötzlich wie das Zucken meines Körpers, als er ehrlich der Meinung ist, dass ich ihm danken werde, wenn er geht. Wenn er mich zurücklässt. Wenn er mich vergisst. Wie kann er so etwas überhaupt nur denken?

"Gott verdammt, dann wirst du mich eben hassen!" Ein erneutes Zucken gleitet durch meinen Körper, als er aufspringt und seine Haare rauft. "Verstehst du es nicht? Es gibt kein wir. Es gibt keine Zukunft mit uns! Und du solltest mich besser hassen, als irgendwas anderes." Wut rauscht durch mich hindurch und lässt meine Adern pulsieren, als ich ebenso aufstehe. "Du müsstest mich umbringen, wenn du willst, dass ich dich irgendwie vergesse, Lionel." Meine Stimme ist nichts als ein Raunen, das von den ersten Tränen gedämpft wird. "Ich müsste mich ja selbst umbringen, wenn ich dieses beschissene Leben wähle! Ich hatte vor, einen geraden Schnitt zu machen, ich hatte vor einfach nicht zu denken. Ich möchte doch genau deswegen darüber reden, doch dann–" Es tut so verdammt weh zu hören, dass er einfach aus meinem Leben gehen wollte, als sei er nie ein Teil davon gewesen. Als sei ich ihm so egal, dass er nicht einmal Schmerz empfinden möchte.

"Und dann..." Er wird leiser, fast leidend, während ich meine Hand auf mein Dekolleté lege und versuche meinen Atem zu beruhigen. Aber so wie er mich ansieht, scheint es als würde ich gar nicht mehr Atmen. So intensiv, so absolut verzweifelt, hungrig, quälend und ... verloren, so unfassbar gebrochen, dass er seinen Satz nicht einmal zu Ende sprechen muss.

Und dann habe ich ihn geküsst.

Der Gedanke treibt mir derartig die Tränen in die Augen, dass ich das Schluchzen nicht einmal unterdrücken kann. Wir sind halt- und rastlos. Wir sind unbeständig und wir sind so wackelig, dass jede Windböe uns davon jagen könnte. Wie Pusteblumen auf einer Wiese oder Blätter in einem Herbststurm. Ich habe ja nicht einmal eine Ahnung ob der Kuss uns näher zusammen gebracht oder nun komplett auseinandergerissen hat. Wir haben so wenig halt, dass ich meine Arme um ihn schlinge und mich an ihn klammere, damit wir nicht fallen. Damit wir zusammen fallen. Damit wir zusammen bleiben. Ein Leben ohne Lionel ist für mich nicht einmal zu denkenswert, so sehr fällt es in sich zusammen. So sehr falle ich in mir zusammen. Ungewollt gleiten meine Fingernägel in seine Haut, weil der Schmerz mich derartig übermannt, während er mich hält und an sich presst. Während wir einfach nur die Zeit zum Stillstand bringen und es doch nicht für ein ganzes Leben ausreicht.

«❃»

"Elise, verdammt! Gib mir meinen Pullover!"

Unschlüssig bleibe ich in unserem Foyer stehen und wäge es ab, nicht nach oben zu gehen, um den streitenden Schwestern aus dem Weg zu gehen. Ich habe keinen Nerv für Cathlyns giftigen Blicke und Elises hohe Stimme. Allerdings bezweifle ich es auch, dass ich geduldig mit Helen reden könnte. Sie würde sofort wissen, dass Lionel und ich uns gestritten haben und mich so lange ausfragen, bis ich endgültig in Tränen ausbreche. Etwas das ich eigentlich all die Zeit versucht habe zu umgehen. Wenn ich weine, werde ich sicherlich nicht mehr aufhören können. Zudem wirkt es mit den Tränen einfach zu real. Zu wirklich.

Meine Augen schweifen durch die helle Empfangshalle. Trotz der vielen kleinen Verzierungen, der weißen, leichten Gardinen oder dem kleinen Tisch der auf den glänzenden, beigen Fliesen steht, wirkt es kühl. Ich habe nie verstanden was meine Mutter an der französischen Einrichtung so interessant fand – was sie so sehr daran geliebt hat, aber mit ihr, habe ich sie irgendwie auch immer verbunden. Mit all diesen kleinen Details, den hohen Fenstern, dem fast prunkvollen und doch zurückhaltenden Elementen. Aber bei ihr wirkte es nie so einsam und verloren.

Trotz des Personals lagen immer irgendwo, irgendwelche Dinge rum, die meine Mom vergessen oder mit Absicht dort liegen ließ. Sie war alles andere als ordentlich, vor allem wenn sie inspiriert war und gemalt hatte. Das ganze Haus – jedes Zimmer – hat nach Acryl und Öl gerochen, während sie sich irgendeinen Fleck aussuchte und meinen Vater liebevoll um den Verstand brachte, weil die meiste Farbe auf dem Boden landete. Sie selbst hat sich zwar nie als Künstlerin gesehen, aber sie hat es geliebt. Oh und wie sie es tat! Doch selbst als mein Vater ihr dann ein Atelier einrichten ließ, nutze sie es bloß als Abstellkammer oder um Geschenke dort zu verstecken. Sie hat mir immer zugeflüstert, dass man den Geist nicht in einem Raum festhalten kann und das damalige Künstler immer umher gezogen sind, um ihren Horizont zu erweitern. Wie Van Gogh zum Beispiel. Für mich klang sie immer nach einer Künstlerin und mit ihren chaotischen Zöpfen und den ganzen Farben an Finger, Kleidung und Gesicht sah sie auch wie eine aus.

Mein Herz wird schwer bei all den Erinnerungen, bei all den Gefühlen die mein Herz zusammenziehen lässt, dass ich auch erst jetzt bemerke, dass das Gebrüll meiner Stiefschwestern aufgehört hat.

Ich könnte in mein Bett, unter die Dusche, zu Helen oder in Moms Atelier, dass ich seit Jahren nicht betreten habe. Aber stattdessen gehe ich in das Büro meines Vaters, um seinen Blick aufzufangen. Er lässt seinen Stift nieder, schiebt seine Arbeit von sich, als würde er wirklich die Zeit dafür haben und streckt seine Arme nach mir aus. Ich fühle mich um zehn Jahre jünger, als ich auf den Schoß meines Vaters sinke und er mich einfach in seine Arme schließt. Als er mir ein Stück meiner Mutter und ein Stück von Lionel zu geben versucht.

«❃»

Mir fällt irgendwie auf, dass ich nie intakte Familien habe und ich hoffe das es okay ist, da ich es durch einzelne Familienmitglieder irgendwie rauszureißen versuche

Aber ich mag ihren Dad wirklich gerne – auch wenn er seine Macken haben wird.

Nur mag ich Lionel gerade nicht so gerne, weil er seine Macke sehr deutlich zeigt und nicht auf Dalia zugehen kann.

Ich versuche das Kapitel für morgen vorzuschreiben, kann aber noch nichts versprechen.

Shattered HeartsWhere stories live. Discover now