Neunundvierzig

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Die nächsten drei Tage verliefen ruhig. Wie Caden gesagt hatte, nahm uns seine Mutter gerne auf und auch sein Vater freute sich über die Gesellschaft seines Sohnes. Auch mich schienen sie gerne um sich zu haben. Caden war das komplette Gegenteil seiner Eltern. Beide waren offen und herzlich und brachten sogar ihren Sohn dazu, öfter zu lächeln.

Tatsächlich hielt sich er an meinen Rat und ruhte sich aus. Die Pause tat ihm gut und jeden Tag schien es ihm ein wenig besser zu gehen. Ich machte mich unterdessen nützlich. Ich kümmerte mich um die Pferde und die anderen Tiere im Stall. Und während Caden seiner Mutter die leichte Hausarbeit abnahm, wenn sie im Dorf arbeitete, half ich seinem Vater. Im Sommer bestellte er die Felder, aber im Winter kümmerte er sich um das Haus und erledigte einige Reparaturen und Arbeiten auf dem Grundstück.

Heute hackten wir Holz und ich war froh über ein wenig körperliche Betätigung.

„Wie ist das Leben als Ailée so?", wollte André nach einer Weile wissen.

Ich runzelte die Stirn. „Erzählt Caden nichts, wenn er zu Besuch ist?"

„Nicht wirklich. Außerdem kommt er nicht oft zu Besuch."

„Warum nicht?", hakte ich nach. Lex war so oft es ging bei Jill vorbeigekommen und wenn ich noch eine Familie hätte, würde ich sie auch so oft es ging sehen wollen. Deshalb konnte ich mir beim besten Willen keinen guten Grund ausmalen, warum er nur so selten bei seinen Eltern vorbeischaute.

„Es ist zu seinem besten. Deshalb hat er auch seinen Nachnamen abgeändert. Man soll ihn nicht mit uns in Verbindung bringen. Als wir merkten, was er ist, haben wir ihn zum nächsten Lager geschickt, damit er die bestmögliche Ausbildung erhält. Er war damals erst dreizehn, aber wir wollten, dass er ein besseres Leben führen kann als wir. Deshalb achten wir darauf, dass niemand erfährt, dass seine Eltern Menschen sind."

Das war... ziemlich selbstlos. Sie hatten ihren Sohn weggeben, um ihm bessere Chancen zu ermöglichen. Plötzlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich anfangs gedacht hatte, dass er sich für seine Eltern schämte. Gleichzeitig wurde mir wieder einmal bewusst, wie grausam und einfältig unsere Gesellschaft doch war. Die Limbs würden niemals einen Menschensohn akzeptieren und die Menschen keinen Ailé als den ihren ansehen. Ich war der beste Beweis dafür. Vielleicht verstand Caden meine Situation doch besser als ich angenommen hatte und mir wurde klar, dass er mich von Anfang an nie wegen meiner Herkunft benachteiligt hatte. Ihm war es schlicht egal gewesen, dass in meinen Adern menschliches Blut floss. Durch seine Venen floss schließlich das gleiche.

„Das Leben als Ailée ist nicht einfach", antwortete ich schließlich auf seine Frage, „Die Ausbildung ist hart und wenn man einem Trupp angehört, ist man ständig unterwegs. Aber ich liebe es. Man sieht die Welt und das nicht nur von einem Standpunkt aus. Man lernt verschiedene Menschen und Limbs kennen, hört ihre Gesichten. Man blickt hinter die Fassade und selbst wenn einem das nicht gefällt, was man dort vorfindet, macht es einem zu einem besseren Menschen. Oder zu einem besseren Limb."

Er lächelte. „Hört sind an als wärst du sehr tolerant. Das sieht man heutzutage nicht oft."

„Meine Mutter ist ein Mensch, mein Vater war ein Ailé. Ich bin sozusagen zwischen den Fronten aufgewachsen und der Meinung, dass der Hass zwischen den beiden Parteien für niemanden gut ist."

Er nickte. „Er bringt nur Leid hervor."

Für eine Weile schwiegen wir und zerteilten einfach nur die Holzscheite, dann sah er mich wieder an. „Und wie macht sich Caden so?"

„Ziemlich gut", meinte ich und rammte die Axt so heftig in den Baumstumpf, den ich als Unterlage benutzte, dass sie stecken ließ. Dann wischte ich mir mit dem Handrücken über die Stirn. Während André eine Lammfelljacke trug, hatte ich nur ein langärmliges Shirt an, dessen Ärmel ich hochgekrempelt hatte. Erst im direkten Vergleich mit einem Menschen fiel mir auf wie kälteempfindlich sie doch waren; wie kälteempfindlich ich damals gewesen war. „Er war damals Jahrgangsbester und hat als jüngster Ailé überhaupt einen eigenen Trupp zugeteilt bekommen."

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now