Einundvierzig

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Ich schwieg. Ich musste das alles erstmal verdauen. Wie konnte man nur so berechnend sein? Hatte sie mich die ganzen Jahre schon loshaben wollen? Hatte sie wirklich gedacht, dass ich ihr nur auf der Tasche lag? Die Antwort auf all diese Fragen war Ja. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, trotzdem tat diese Erkenntnis verdammt weh. Ich bedeutete ihr nichts. Im Gegenteil. Ich widerte sie an.
 
Ohne darüber nachzudenken war ich die ganze Zeit Caden hinterher geritten und erst jetzt sah ich wieder auf. Wir waren wieder in einem etwas ärmeren Teil der Stadt, aber das hier war kein Vergleich zu dem Viertel der Spotts. Es war durchschnittlich. Nicht gerade wohlhabend, aber auch nicht bettelarm.

Unser Sergent steuerte zielstrebig auf ein Haus zu, an den eine kleine Holzhütte angebaut war. Er stieg ab. „Die letzten Tage waren lang. Wir sollten uns und den Pferden eine Pause gönnen."

Ich begriff, dass das Haus vor uns einem Ausgestoßenen gehören musste und auf einmal sträubte ich mich dagegen, den ganzen restlichen Tag in einem Zimmer zu sitzen und mit meinen Gedanken alleine zu sein.

„Würde es euch etwas ausmachen, wenn ich noch ein wenig durch die Stadt streife? Ich... brauche ein wenig Zeit für mich."

Ich sah Caden an, wie wenig ihm die Idee gefiel. Warum konnte ich nicht sagen. Genauso wenig wie ich mir erklären konnte, warum er mich überhaupt hatte mitnehmen wollen. Schließlich gab er mir immer das Gefühl, mich so schnell wie möglich wieder loswerden zu wollen.

„Geh", sagte er trotzdem und nahm mir Leils Zügel aus der Hand.

„Danke", meinte ich und legte meinen Umhang und mein Schwert ab. Stattdessen nahm ich mir meine Lederjacke aus der Tasche und ging. Meine Flügel zog ich ein und streifte die Jacke darüber. Ich wusste nicht warum, aber so fühlte ich mich wohler. Nicht nur, weil ich glaubte, dass mir die Menschen so vielleicht etwas freundlicher begegnen würden, ich hatte auch gelernt, dass unsere Flügel außerhalb des Camps ziemlich einschüchternd wirkten. Vielleicht war das aber nur ein schwacher Versuch, mich in eine Zeit zurückzuversetzen, in der ich noch gedacht hatte, dass keinen Job zu finden, das schlimmste war, was mir passieren konnte.
 
Ich ging einfach drauf los. Ich lief bis meine Füße schmerzten. Ohne ein wirkliches Ziel streifte ich durch die Straßen und landete letztendlich in der falschen.

Die Dämmerung setzte ein und es hatte wieder angefangen zu schneien. Nachdem ich stundenlang im Kreis gelaufen war, war ich wieder dort gelandet, wo alles angefangen hatte. In der Innenstadt. Und wie üblich war ich zur falschen Zeit am falschen Ort.

Denn gerade als ich an dem großen Gebäude mit der verspiegelten Glasfront vorbeiging, kamen drei Männer heraus. Das Haus diente als Büro einer Firma, deren Erfolg man alleine an dem Stil ihres Hauptsitzes ablesen konnte. Es war ein Versuch, die moderne Architektur von früher wieder aufleben zu lassen, aber für mich wirkte es einfach fehl am Platz. In meinen Augen war es das verzweifelte Festhalten an einer Zeit, in der die Menschen noch davon überzeugt waren, die Spitze der Nahrungskette zu sein. Und dementsprechend verhielten sich auch die, die die Ehre hatten, dort zu arbeiten. Menschen wie Johnny Landon, der es in dem Moment verließ, in dem ich am Eingang vorbei kam.
 
Ich senkte den Kopf ein wenig und ging etwas schneller. Ich hatte keine Lust auf eine Konfrontation.

Doch er war bereits bei mir und hatte mich am Handgelenk gepackt. „Moment mal, wir kennen uns doch." Er grinste breit, aber es hatte nichts von Wiedersehensfreude. Es war die Art von Grinsen, die ein Peiniger im Gesicht hatte, wenn er einem seiner Opfer wieder begegnete.

„Aria Lennox. Ich werd verrückt. Wie lange ist es her? Zwei Jahre?"

„Drei", verbesserte ich ihn und riss mich los.

Er war in den Jahren erwachsener geworden, aber keinesfalls reifer. In seinen Augen funkelte Hohn als er sie von meinem Kopf zu meinen Füßen und wieder zurück wandern ließ.

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now