„Hey, wenn du nichts persönliches von dir preisgeben willst, schön. Aber ich will dich nur daran erinnern, dass du mich mitgenommen hast. Benson und Jules hätten dich genauso gut begleiten können. Also hör gefälligst auf dich wie ein Arschloch aufzuführen. Sonst lade ich dich das nächste Mal im Wald ab und lasse dich dort verrecken."

Das brachte ich dann doch dazu, sich umzudrehen. „Das würdest du tun?"

„Du gibst mir auf jeden Fall Anlass dazu das in Betracht zu ziehen."

Er schnaubte amüsiert.
 
Ich wandte mich zur Tür, „Wenn ich verschwinden soll, musst du es nur sagen. Dann reite ich zurück zu Benson und Jules. Den Weg werde ich schon finden."

Tatsächlich war ich fest entschlossen, Leil zu satteln und mich auf den Weg zurück in die Stadt zu machen. Ich würde mich schon irgendwie alleine durchschlagen. Zur Not würde ich mich sogar noch einmal mit den Mutationen anlegen, solange ich nur Cadens Stimmungsschwankungen und seine Beleidigungen nicht mehr ertragen musste.
 
Doch gerade als ich in den Flur hinaus trat, hörte ich, wie er die Schranktüren schloss. „Aria. Warte."

Ich ärgerte mich selbst darüber, dass ich stehenblieb.

„Bleibe. Ich verspreche, ich reiße mich zusammen."

„Das hast du das letzte Mal auch gesagt. Ich lasse nicht ständig auf mir rumhacken, Caden. Wenn du mich nicht leiden kannst, warum hast du dann nicht Jules mitgenommen? Ich hätte euch schon nicht die Ermittlungen verpfuscht, wenn du mich mit Ben alleingelassen hättest."

„Du glaubst, deshalb habe ich dich mitgenommen? Weil ich dich im Auge behalten will, damit du nichts dummes tust?"

Ich war überrascht über seine Frage. „Ja", antwortete ich wahrheitsgemäß, „Weshalb sonst?"

Er schwieg und ich wandte mich nun doch wieder um. Er stand mitten im Zimmer und sah mich an. Doch als sich unsere Blicke trafen, drehte er sich weg.
 
„Ich zeichne seit ich einen Stift halten kann", meinte er dann und ich stöhnte innerlich auf. Dieser Mann machte mich noch wahnsinnig. Aber trotz allem war ich neugierig. Ich wusste so gut wie nichts von ihm und da Zeichnen anscheinend ein großer Teil seiner Persönlichkeit war, trat ich näher.

„Früher hatten wir kein Geld für eine Kamera, deshalb schlug mir meine Mutter vor, dass ich das, was ich in Erinnerung behalten wollte, zeichnen soll. Und das habe ich getan."

Und wie er das hatte. Jetzt erkannte ich das System hinter den scheinbar wahllos aufgehängten Zetteln. Es waren Erinnerungen. Neben dem Bild eines zotteligen Hundes hing die Zeichnung seiner lächelnden Mutter. Alles schienen Momente aus seiner Vergangenheit zu sein.
 
Ich schluckte. So persönlich hatte ich dann doch nicht werden wollen. Deshalb lenkte ich das Thema wieder auf etwas unbefangeneres. „Die Zeichnung von der Mutation, die hast du gemacht?"

Er nickte. „Ich habe sie aus der Erinnerung an den Angriff gezeichnet."

Na toll, das mit dem unbefangenen hatte ja super funktioniert. „Ist gut gelungen", meinte ich etwas kleinlaut.

Er lächelte schwach.

Dann sah er mich wieder an. „Ist das nicht unbequem?", fragte er und deutete auf mein Mieder.

Ich zuckte mit den Schultern. „Es geht. Mein T-Shirts sind über die Jahre alle kaputt gegangen."

Ich liebte es noch immer stinknormale Klamotten zu tragen, nur gab es so etwas im Lager der Ailés nicht, weshalb meine wenigen Mitbringsel von Zuhause irgendwann in ihre Einzelteile zerfallen waren. Sogar meine Jeans war inzwischen so abgetragen, dass der Stoff an einigen Stellen nur noch hauchdünn war. Ich hatte mir bereits vorgenommen ein paar neue zu kaufen, wenn wir zurück in der Stadt waren.
 
Caden ging wieder zu seinem Schrank, zog einen Kapuzenpullover heraus und warf ihn mir zu. „Hier. Kannst du behalten, wenn du willst. Ich habe genug davon."

Ich fing ihn auf und betrachtete ihn. Er war blau und sah verdammt bequem aus. Ich liebte Hoodies, trotzdem zögerte ich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ob ich ihn überhaupt annehmen sollte.

Doch Caden nahm mir diese Entscheidung ab, indem er über seine Großzügigkeit hinweg ging und auf den Flur deutete. „Die zweite Tür rechts ist das Badezimmer. Da drin ist eine Dusche, wenn du dich waschen willst." Dann wandte er sich seiner Satteltasche zu.

Ich stand noch einen Moment unschlüssig herum, dann ging ich zur Tür. „Danke", meinte ich und schloss sie hinter mir.
 
Erstaunlicherweise hatte das Badezimmer den Luxus von fließendem Wasser. Vermutlich führten einige Rohre an der Außenwand von einem beheizten Boiler nach oben und durch ein kompliziertes Pumpsystem kam das Wasser aus dem Duschkopf. Dafür musste man nur ein paar Mal pumpen und man bekam konnte duschen. Es war das erste Mal, dass ich mit warmen, beziehungsweise lauwarmen, Wasser duschte. Jill hatte sich das nicht leisten können und der einzige Grund, warum wir fließendes Wasser gehabt hatten, war der Umstand, dass wir in einer Stadt gelebt hatten. Für die Ausgestoßenen, bei denen wir unterkamen, galt das gleiche. Manchmal hatten wir sogar nur einen Eimer, den wir uns über den Kopf leeren konnten, schlimmstenfalls mussten wir in irgendeinem See baden. Im Winter nicht gerade erstrebenswert. Im Lager hatte es zwar ein Waschhaus gegeben, aber die Ailés schienen grundsätzlich der Annahme zu sein, dass jegliche Annehmlichkeiten schwach machten.
 
Nachdem ich mich endlich wieder wie ein Mensch fühlte und auch das letzte Blut aus meinen Haaren gewaschen hatte, zog ich mich wieder an. Der Hoodie war mir ein wenig zu groß, aber verflucht bequem. Auf dem Rücken waren zwei Schlitze in den Stoff geschnitten worden, durch die ich meine Flügel zwängte.

Als ich fertig war, ging ich zurück zu Cadens Zimmer. Die Tür stand wieder offen und ich klopfte an den Rahmen, damit er mich bemerkte. „Danke für den Pulli", meinte ich, aber er winkte ab.

Erst jetzt fiel mir auf, dass er noch immer blass aussah. Auch seine Bewegungen waren nicht so flüssig wie sonst und ich bemerkte, wie er leicht stockte, wenn er den rechten Arm hob. Es ging ihm nicht gut, aber das wollte er sich auf keinen Fall anmerken lassen. 
 
„Was ist der Plan?", fragte ich deshalb möglichst neutral, „Du sagtest zu den Farrows, dass wir uns erst in einer Woche treffen. Was willst du die restliche Zeit machen?"

„Ich wollte im Wald nach Spuren suchen, die die Mutationen dort hinterlassen haben. Vielleicht führen sie uns zu ihren Züchtern. Schließlich wissen wir noch immer nicht woher sie stammen."

„Das heißt, du willst bald weiter reiten?"

„Morgen", präzisierte er.

Jetzt musste ich doch auf seine Schulter eingehen. „Glaubst du, das ist eine gute Idee? Die Wunde ist noch frisch." Außerdem hatte ich keine Ahnung, ob sich der Heilungsvorgang bei Schusswunden genauso verhielt wie bei anderen Verletzungen.
 
Caden bedachte mich mit einem strengen Blick, der mich wohl daran erinnern sollte, dass er in der Rangfolge über mir stand.

Doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. „Du siehst aus wie eine wandelnde Leiche, Milani. Wenn deine Eltern nichts dagegen haben, würde ich vorschlagen, dass du noch eine Weile bleibst und dich ausruhst. Sogar die Wunden der Ailés brauchen Zeit, um zu heilen. Zur Not kann ich auch früher abreisen, wenn ich deinen Eltern zu große Umstände bereite."
 
„Du bleibst", knurrte er, aber als er seinen ruppigen Tonfall bemerkte, unterbrach er sich selbst und seufzte. „Meine Mutter würde sich freuen, wenn du noch eine Weile bleibst... und ich auch."

Ich runzelte die Stirn. Nicht nur, weil er einfach nachgab.

„Was?", wollte er wissen als er meinen Blick bemerkte.

„Hat das wehgetan? Aus Höflichkeit zu lügen?"

Seine Mundwinkel zuckten. Er erhob sich. „Das war nicht gelogen", entgegnete er und ging dann an mir vorbei.

Ich war so perplex, dass ich einfach stehen blieb. Verdammt, damit hatte ich nicht gerechnet. Aus diesem Ailé wurde ich einfach nicht schlau.

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now