»Sie hasst mich, weil sie eine Affäre mit dem Direktor hatte und er sie für meine Mom abserviert hat. Ich kann es ihr ja nicht einmal übelnehmen.«

»Das Beste, was du tun kannst, um gegen eine zutiefst verbitterte Person zu gewinnen, ist gar nicht mitzuspielen«, meint Silas.

Penelope legt den Kopf in den Nacken, lacht laut, ihre dunklen Haare werden vom kühlen Wind nach hinten gepustet. »Das ist das lustigste daran.«

Silas seufzt, gemeinsam betreten wir das Gebäude und schließlich auch das Klassenzimmer. Ich nehme nur am Rande wahr, wie Silas sich verabschiedet, weil er einen anderen Kurs besucht. Seth, der wie so oft wie ein Raubtier um mich herumschleicht, nehme ich auch nicht wahr. Sowie dem Unterricht, der wie jedes Mal an mir vorbeizieht, wie ein Zug mit Überschallgeschwindigkeit.

Kassian und Penelope turteln die ganze Zeit über miteinander, lächeln sich schüchtern zu. Ich frage mich echt, warum keiner der beiden nicht längst einen Schritt gewagt hat, den Mut aufbringt, nach einem Date zu fragen. So macht man das, oder? Einfach fragen, ob man ausgehen wollen würde?

Zum ersten Mal bereue ich es, dass ich so unerfahren bin und mit alldem nicht ein bisschen Erfahrung habe. Ich wurde schon ein oder zweimal gefragt, ob ich mit jemanden etwas unternehmen wollen würde. Um ehrlich zu sein hatte ich nie großes Interesse daran. Und von alleine wäre ich niemals auf die Idee gekommen, jemanden zu fragen. Oder generell jemals jemanden zu fragen.

Ich würde von mir nicht behaupten, dass ich früher eine schüchterne, graue Maus war, aber ich war auch nicht der Inbegriff von Selbstbewusstsein, sowas hätte ich mich nicht getraut. Violet schon. Violet hat früher oft etwas mit Jungs unternommen, war frei und wild und wunderschön zugleich. Das traurige ist nur, dass sie zwar sie so viele Jungs hätte haben können, doch sie schon seit Jahren auf den gleichen Idioten stand, der über sie hinwegsah.

Insgeheim habe ich immer gedacht, dass Violet sich manchmal nur etwas beweisen musste, weil sie sich manchmal genauso verloren gefühlt hat wie ich.

»Penelope, möchtest du dein Geflüster mit dem lieben Kassian mit der ganzen Klasse teilen?«, fragt Mrs Jackson herausfordernd, mit einem Blick, der einen gestandenen Mann in die Knie zwingen könnte. Penelope lässt sich von so etwas nur überhaupt nicht einschüchtern und antwortet deshalb: »Nein? Deswegen flüstere ich ja auch.«

Verständnislos sieht Penelope Mrs Jackson an und ein fesselndes Gefecht aus niederstreckenden Blicken entsteht.

»Ich werde jetzt die Tests austeilen«, sagt Mrs Jackson, die als erstes aufgegeben und den Blick abgewendet hat. Ihre Wut könnte ganze Dörfer unter sich begraben. »Sie meinen den, den sie schon seit fast einem Monat bei sich zu Hause bunkern?«, fragt Penelope spitz, weil ihre Zunge unkontrolliert Wörter formt, die andere nicht hören wollen. Mrs Jackson schon gar nicht. Der Schalk blitzt in ihren Augen auf.

Mrs Jackson erwidert nichts, was mich irgendwie sogar überrascht; lediglich an den weiß hervortretenden Fingerknöcheln, mit denen sie die Tischkante fest umklammert, wird ihre Wut verraten. Sie steht zähneknirschend auf und marschiert durch die Reihen. »Bob, das war einfach nur grausig.«

»Lara, freut mich, dass du das Thema anscheinend verstanden hast.«

Lara grinst breit und klopft sich auf die Schulter. »Ich verlange einen Orden dafür, dass ich diesen Rotz noch geblickt habe.« Mrs Jackson kneift die Augen wütend zusammen, schweigt. Sie wandert weiter zu einem Mädchen, deren Name mir gerade nichts sagt. »Cady, hm, ganz gut, beim nächsten Mal lässt du bitte die ganzen kleinen Bilder am Rand weg, ja? Den Rand brauche ich für die Anmerkungen.«

Cady nickt nur und dreht sich zu Lara um, die sich freudig abklatschen.

»Sami, war ganz gut... Ich bin mir sicher, dass du noch mehr erreichen könntest.«

LOVE LETTERS TO A STRANGERWhere stories live. Discover now