~ Prolog ~

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Der Brief

Paris 1873 - Sommer

Ein und halb Jahre waren vergangen seit dem dramatischen Vorfall an der Pariser Oper. Nach dem fürchterlichen Brand, welcher den Bühnensaal und auch einige weitere Räume so gut wie zerstört hatte, hatte es eine ganze Weile gedauert, bis alles wieder repariert und auf neuen Glanz gebracht war. Anfangs hatten die Operndirektoren Sorge wegen der Finanzierung, aber nicht nur Staatsgelder flossen sondern auch allerhand Spenden. Dennoch war die erste Zeit danach alles andere als einfach und schön. Die Menschen hatten Angst die Oper zu besuchen und somit vielen die Verkaufszahlen mehr als kümmerlich aus. Nachdem Carlotta für ungewisse Zeit die Oper verlassen hatte, gab es keine Prima Donna mehr und auch der Posten des Managers fehlte nun, da Raoul diesen aufgab. Und trotz all dem, waren die Direktoren noch relativ entspannt, denn sie glaubten nach einer Weile felsenfest, dass sie Erik, das Phantom, ein für alle Male los seien. Immerhin hatte man nichts mehr gehört oder gesehen. Und auch die Polizei hatte den Fall als teilweise gelöst geschlossen. Doch wie falsch lagen André und Firmin, denn Erik war alles andere als tot. Verlassen hatte er die Oper auch nicht. Er versteckte sich lediglich. Mehr als jemals zuvor. Zerbrochen und erfüllt von Schmerz. Sein Herz war in tausend Teile zerbrochen, wie die Glasscherben der zerschlagenen Spiegel um ihn. 

Nachdem der Tumult sich gelegt hatte, war Madame Giry alleine hinunter zu Eriks Versteck geeilt um sicher zu stellen, dass er ok war. Er musste es sein, denn sie liebte ihn. Sie liebte ihn wie einen Sohn und das war es auch was er für sie war. Sie hatte ganz genau gewusste, wo Erik sich versteckt hatte. Sie sprach mit ihm und es war alles andere als einfach gewesen. Doch letztendliche hatte Erik auf die Madame gehört und ihre Hilfe angenommen. Gemeinsam bauten sie sein Zuhause wieder auf. Besser als jemals zuvor doch es war hart, kompliziert und es dauerte lange. Am längsten hatte die Erneuerung des Labyrinths gedauert, welches kreuz und quer durch die Oper führt. Es war sowohl körperlich als auch geistlich anstrengend für Erik aber er musste es erneuern, sodass niemand außer Madame Giry es mehr finden würde.  

Doch selbst nachdem das Labyrinth und sein geheimes Zuhause wieder ganz und erneuert waren, war Erik es nicht. Natürlich war er es nicht. Es gab ohnehin schon genug, das er ertragen musste und der Herzbruch hatte seinen Teil dazu beigetragen. Es hatte Monate gedauert, bis Erik wieder aus seiner Schale kam. Madame Giry war anfangs die Einzige, die er sehen wollte aber nach einer Weile akzeptierte auch Meg, da sie Antoinettes Tochter war. Und Meg kannte Erik. Nicht so gut wie ihre Mutter, aber gut genug. Erik schwor sich niemals mehr jemand anderem außer den Beiden zu vertrauen. Er würde niemals mehr jemanden so nahe an sich ran lassen. An sein Herz. Er schwor Liebe ab, aber Liebe war nun mal ein Kraft, die niemals kontrolliert werden würde. 

In den ersten Wochen hatte Erik oft mit dem Gedanken gespielt sich umzubringen aber er tat es dann doch nie. Madame Giry war krank vor Sorge um ihm. Nach all den langen Monaten, litt Erik immer noch fürchterlich und manchmal, wenn seine Depression so schlimm waren, dass Erik nur noch apathisch und als Häufchen Elend in seinem Bett lag, fürchtete die Madame, dass es der seelische Zustand war, der ihn bald umbringen würde. In dieser Zeit kämpfte Antoinette mehr denn je um ihren Schützling bis es ihm wieder besser ging. Die Liebe zu Christiné verging schließlich aber sie hinterließ eine tiefe Wunde. Jedes Mal, wenn Madame Giry zu Erik runter kam, versuchte er seine Emotionen zu verstecken aber sie kannte ihn viel zu gut. Er hatte sich Hals über Kopf verliebt, Christiné aber verliebte sich in Raoul, ihren besten Freund aus Kindheitstagen. Erik konnte es nicht verstehen. Wie denn auch? Er hatte nie gelernt, wie sich wahre Liebe anfühlt und auch nicht, wie man mit Gefühlen umgeht. Und genau das war der Grund für seine Wutausbrüche in denen er völlig die Kontrolle über sich verlor und grausame Taten begann, die er später bereuen würde. Christiné hatte ihm unbewusst Hoffnungen gemacht und sie am Ende alle zerschlagen. Von allen schlechten Dingen, die zwischen ihm und ihr passiert waren, war Christiné auch teilweise schuldig. Aber natürlich gab Erik nur sich selbst die Schuld. Er war nun umso mehr verletzlich, schneller reizbar und distanziert. Selbst Madame Giry gegenüber. Er verprach ihr niemals wieder zu töten und er wollte es selber. Er selbst wollte besser werden. Er versuchte besser zu werden. 

Wandel des SchicksaalsWhere stories live. Discover now