„Es tut mir leid, Tante Jill", platzte es auf einmal aus mir heraus, „Dass ich damals einfach gegangen bin, ohne ein Wort zu sagen. Ich dachte, es wäre das beste für uns beide und wusste nicht, wie du darauf reagieren würdest, dass ich zum Orden gehe."

Sie sah mich an und ihre Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Schon gut. Du hattest recht. Damit, dass es für uns beide das beste war."

Ich lächelte ebenfalls, auch wenn ich bei ihrem letzten Satz nicht ganz sicher war, was er zu bedeuten hatte.

„Du hast geheiratet", stellte ich fest.

Sie fuhr sich durch die Haare. „Ja. Ich habe George vor zwei Jahren kennengelernt und vor ein paar Monaten haben wir geheiratet."

„Das freut mich." Ich konnte nicht verhindern, dass Enttäuschung in mir aufstieg, dass sie mich nicht eingeladen hatte.

Ihr Blick fiel auf meine Flügel. Dieses Mal konnte ich ihn aber genau deuten. Abscheu lag darin.

„Wie ich sehe, kommst du ganz nach deinem Vater." Aus ihrem Mund klang das wie eine Beleidigung.

Bevor ich darauf jedoch etwas erwidern konnte oder überhaupt nachgedacht hatte, wie ich reagieren sollte, seufzte sie. „Warum bist du hier?"

Verdutzt runzelte ich die Stirn. Sie war meine Tante. Brauchte ich wirklich einen Grund, um sie zu besuchen?

„Was?"

„Was willst du haben?"

Ich starrte sie an. Nur langsam begriff ich, was sie gerade andeutete. „Wollen?", hakte ich wenig geistreich nach, aber ich war zu überrumpelt, um anders zu reagieren. Ihre majestätische Haltung kam mir auf einmal kalt und distanziert vor.

„Ich verstehe nicht", stammelte ich.

Sie legte den Kopf schief und versuchte sich an einem Lächeln, doch es war berechnend und kühl. „Du verstehst das sicher, Aria, aber George ist Stadtrat und wir haben ein gewisses Image zu wahren."

„Image...", murmelte ich. Ich musste wirklich aufhören, mich zu wiederholen, und löste mich endlich aus der Starre. Ich hatte endlich verstanden. Sie versuchte, mich loszuwerden.

Ich riss mich zusammen. „Image, sicher. Ihr dürft euch nicht mit Limbs sehen lassen. Schon gar nicht mit Ailés. Das wäre... unvorteilhaft."

Sie nickte. „Ich wusste, du würdest das verstehen. George ist mein Mann und ich will ihm oder seiner Karriere keinesfalls schaden."

„Nein, natürlich nicht."

Sie öffnete die Tür etwas weiter und ich sah, dass sie einen kleinen Lederbeutel in der Hand hielt. „George sorgt gut für mich und ich bin dir wirklich dankbar für das Geld, das du mir geschickt hast, aber ich brauche es jetzt nicht mehr. Ich möchte es dir zurückgeben. Alles. Mit Zinsen. Schließlich möchte ich meine Nichte finanziell in Sicherheit wissen."

Wieder lächelte sie, während sie mir den Beutel gab. Er war schwer, aber ich beachtete ihn kaum. Ich verwendete meine ganze Konzentration darauf, mein zwanghaftes Lächeln aufrecht zu erhalten. Meine Tante bestach mich gerade tatsächlich, damit ich mich niemals wieder bei ihr blicken ließ. Vielleicht hatte sie gehofft, dass ich tot war. So wäre der Fehler ihrer Schwester, sich mit einem Ailé einzulassen und noch zwei Kinder zu bekommen, niemals passiert. Sie schämte sich für mich.

Jill trat schließlich aus dem Rahmen heraus, legte ihre dürren, langen Finger auf meinen Rücken und zwang mich sanft aber bestimmt mich umzudrehen. „Wirklich, Aria, ich bin froh, dass du das verstehst." Sie schob mich ein Stück weit durch ihren Vorgarten, um mir zu zeigen, dass ich hier nicht länger erwünscht war.

Einige Meter weiter blieb sie stehen und ich drehte mich zu ihr um. Noch immer lächelte sie mich an, während sie die Hand, mit der sie mich am Rücken berührt hatte, so unauffällig wie möglich an ihrem Rock abputzte. „Also dann. Ich wünsche dir von ganzem Herzen noch ein schönes Leben. Und Aria - bitte schreibe mir nicht mehr." Dann ging sie zurück in ihr Haus und knallte die Tür hinter sich zu.

Ich stand wie angewurzelt da. Hatte meine eigene Tante mir gerade gesagt, dass sie mich nie wieder sehen wollte? Der Beutel in meiner Hand ließ daran keine Zweifel. Dachte sie wirklich, dass etwas so unwichtiges wie Geld mich interessieren würde?

Ich schnappte nach Luft und konnte nicht verhindern, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Sie hasste mich. Sie hatte es immer getan. Und jetzt hatte ich auch noch den letzten Rest, der von meiner Familie übrig geblieben war, verloren. Jetzt war ich ganz allein.

Ich hörte Jules Stimme erst, als er mir eine Hand auf die Schulter legte. Er war die wenigen Meter von der Straße zu mir herüber gekommen. Ich zuckte zurück und wischte mir schnell über die Augen, bevor ich mich umdrehte.

„Alles in Ordnung?"

„Was? Ja, nein. Sicher. Alles bestens." Ich zog meine Nase hoch und atmete tief durch.

„Sicher?"

Tapfer nickte ich, obwohl mir schon wieder die Tränen in die Augen stiegen. Wieso tat das nur so verdammt weh? Ich hatte immer gewusst, dass sie meine limb'sche Seite verabscheute. Nein, dass sie mich verabscheute.

Ich ging zurück auf die Straße. Ich wollte so schnell wie möglich hier weg.

„Was ist passiert?", wollte jetzt auch Benson wissen.

Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, zog ich meinen Sattel nach, was Leil mit einem unzufriedenen Schnauben kommentierte. Eigentlich brauchte ich nur einen Grund, um den Jungs den Rücken zuzudrehen. Doch bei seiner Frage hielt ich inne und drehte mich wieder um. Ich biss mir auf die Lippe, um zu verbergen wie sehr sie zitterte. Dann zwang ich mich zu einem Lächeln.

„Sie hat mich darum gebeten, nie wieder zu kommen. Ich ruiniere ihr Image und das ihres Mannes. Sie hat mir das hier gegeben." Schwach hob ich den Lederbeutel an.

„Was ist das?"

„Geld. Sie hat mir das zurückgezahlt, was ich ihr von meinem Sold geschickt habe. Wahrscheinlich wollte sie sichergehen, dass ich keinen Grund habe, je wieder zu ihr zurückzukommen."

Die Ailés sahen mich schockiert an. Sogar Caden stand das Mitleid ins Gesicht geschrieben.

„Du hast ihr deinen Sold geschickt?", hakte Benson nach.

Ich nickte. „Die ganzen drei Jahre lang. Ich habe ihn nicht gebraucht. Kleidung und Essen habe ich vom Orden bekommen. Nur für meinen Bogen habe ich ein wenig behalten."

Ich zuckte mit den Schultern. Ailés waren extrem minimalistisch, aber anscheinend sprengte ich die Skala. Tatsächlich besaß ich nichts, außer das, was in den Satteltaschen war, was ich am Körper trug, Lex Schwert und Leil. Mehr hatte ich nie gebraucht.

Er blickte auf den Lederbeutel und ich streckte ihn ihm hin. „Nimm. Ihr könnt es haben. Ich will es nicht." Es bedeutete mir nichts und das schlimmste an der Sache war, dass Jill dachte, dass mir Geld wichtiger wäre als meine Familie.

Benson rührte sich nicht, stattdessen stellte sich Caden vor mich. „Du behältst das Geld", meinte er ruhig, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ich will es nicht. Ich will ihr schmutziges Bestechungsgeld nicht."

Sanft legte er seine Hände um die meinen und den Beutel und drückte ihn ein wenig in meine Richtung. „Das ist sehr viel Geld, Aria. Es ist kein Bestechungsgeld von ihr. Es gehört dir. Du hast es dir hart erarbeitet und außerdem ist es deine Versicherung, dass du diese widerliche, grausame Frau niemals wieder sehen musst. Hast du das verstanden?"

Ich spürte die Wärme seiner Hände auf meiner Haut und das hatte etwas verdammt tröstliches.

„Sie ist meine Familie, Caden."

Er sah mich eindringlich an und aus seinem Ausdruck war jegliche Härte verschwunden. „Nein, ist sie nicht. Wenn sie dich so behandelt, hat sie dich nicht verdient, Aria Lennox. Du brauchst sie nicht und du bist nicht alleine auf dieser Welt."

Obwohl er das nicht weiter ausführte, glaubte ich ihm.

„Okay?"

Ich sah ihm in die Augen und nickte zaghaft. „Ja", brachte ich hervor.

„Gut. Und jetzt lass uns aus dieser verfluchten Gegend verschwinden." Er lächelte mich aufmunternd an, dann ließ er meine Hände los und drehte sich um.

Wie ferngesteuert warf ich den Lederbeutel in eine meiner Satteltaschen und schwang mich in den Sattel.

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now