P R O L O G

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„Ich hätte gerne die dort" Die Frau hinter der Theke deutete auf die weißen Chrysanthemen. „Diese ?" James nickte. „Genau" Sie nahm sich eine Schere. „Zu einem Strauß ?" „Ja, mittelgroß" Sie wandte sich den Blumen zu und begannn die Stiele zu kürzen. „Gehen Sie zu einer Beerdigung ?" „Soetwas ähnliches" Sie zuckte mit den Achseln und band die Blumen mit einem Gummiband zusammen um dann ein Papier dekorativ darum herum zu wickeln. „Ich dachte nur wegen ihm dunklen Anzug und den Chrysanthemen..."

„Er wird bald sterben. Mit den Blumen möchte ich ihm nocheinmal Gesicht zu Gesicht sagen das ich ihn über den Tod hinaus lieben werde. Ich war noch nie ein Mann vieler Worte" Die Frau lächelte traurig und reichte ihm den Strauß. „Das macht dann fünfzehn dreißig" Er legte das Geld passend in ihre Hand. „Darf ich Sie noch etwas fragen Sir ? Wer ist der über den Sie vorhin sprachen ?" James nahm den Strauß in dieselbe Hand in der schon die Pralinen lagen und sagte dann mit einem kleinen Lächeln: „Mein Verlobter"

- † -

Er sah ihn. Schön wie eh und je. Seine Haare hatte er zurück gekämmt und er trug den blauen Westwoodanzug und die Budapester. Ein Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen und ließ Sebastians Herz jedem Einspruch zuwider höher schlagen. Zitternd holte er Atem und blinzelte.

Nichts. Nur Staub.

Es war nur eine weitere Vision gewesen die sein paranoides Hirn heraufbeschworen hatte. Schnell hechtete er in das ausbaufähige Bad und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Unangenehm bohrte sich die Kälte in seine Poren und ließ ihn scharf die Luft einsaugen.

Er schluckte und schloss die Augen. James war nicht hier. Er würde ihn nicht finden, nicht hier. Er hatte James nie von diesem Grundstück erzählt. Es gab auch keine Aufzeichunungen von dieser alten Farm, weder im Dorf noch im Internet. Theoretisch war sie überhaupt nicht vorhanden.

James war zwar zu beinahe allem in der Lage aber er würde unmöglich einen Ort finden können der nicht existierte.

Er blinzelte. Ein wenig löste sich die Verspannung in seinen Knöcheln. Schwarze Punkte tanzten in seinem Sichtfeld. Er blinzelte nochmal.

Er starrte in den Spiegel. Er sah fertig aus. Seine Wangen waren eingefallen und das blaue Auge war mittlerweile ekelig gelb. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und ließen sie nicht mehr himmelblau sondern wolkengrau wirken. Er sah schäbig aus. Er fuhr sich mit einer kalten Hand über das stoppelige Kinn. Der Bart half nicht ihn weniger wie einen Landstreicher aussehen zu lassen. Sofort drifteten seine Gedanken wieder zu James. Würde es ihm gefallen wie er jetzt aussah? Würde er ihn wieder schön nennen? Würde er so genüsslich durch seine fettigen Haare streichen wie als wären sie frisch gewaschen?

Sebastian schüttelte den Kopf. Das konnte ihm doch egal sein! Scheißegal sogar! James war die Vergangenheit, er hatte ihn weit hinter sich gelassen. Dennoch kam er nicht umhin zu denken das James den Bart und die langen Haare Sebastians selbst abrasiert hätte er die hohlen Wangen jedoch gemocht hätte.

Wütend trat er gegen den Mülleimer. Er verließ das dimmlich beleuchtete Bad und stampfte wütend über sich selbst die Treppe herunter in die Küche. Die Gardinen waren geöffnet und helles Sonnenlicht beschien die Küchenschränke dessen blaue Farbe schon abblätterte. Während der Tee abkühlte schaute er hinaus. Die Äste des Apfelbaums wiegten sich in der frischen Frühlingsbrise. Leise wurde Staub von der Einfahrt aufgewirbelt.

Das Gefühl von unglaublicher Sicherheit durchflutete ihn. Dies war seine Zufluchtsstelle, sein sicherer Hafen. Hier war es friedlich, hier konnte er die restlichen, etwa sechzig Jahre seines Lebens genießen. Vielleicht kaufte er sich ein paar Rinder oder Schafe. Das Fleisch und die Wolle könnte er auf dem Markt im Dorf verkaufen und so seine Nahrung finanzieren, er könnte -

Es war ein leises Geräusch, so klein das einer der es jeden Tag hörte es stumpf überhört hätte. Doch Sebastian hörte nicht jeden Tag wie seine Haustür sich öffnete. Er schluckte und starrte auf den gänzlich erkalteten, roten Tee. Er hatte ihn also doch gefunden. Lautlos öffnete er die Schublade und zog das größte Messer heraus was er sah.

Dumpfe, näherkommende Schritte drangen an sein Ohr, dann das Knarzen einer Diele.

Schnell wirbelte er herum und warf. Mit einem Surren flog das Metall durch die Luft und traf schließlich auf Karton. „Oh Tiger. Du hast sie ruiniert" Eine Gänsehaut legte sich über seinen Körper als er plötzlich diese Stimme hörte. Diese Stimme vor der er schon so lange davon rannte. Und jetzt hatte er ihn in der Falle. Sebastian wusste das es diesmal kein Entkommen geben würde.

Sein Blick fiel auf das Messer. Es steckte in einer Packung Pralinen, den Pralinen die er James so oft wiedergegeben, entgegen und vor die Füße geworfen hatte. Nur fünf Zentimeter weiter oben und James hätte keinen Mittelfinger mehr.

„Hast du mich vermisst ?" Sebastian wandte den Blick von der Schokolade ab und richtete ihn auf James. Er sah beinahe so aus wie in seinen Halluzinationen. Die dunklen Haare elegant zurückgekämmt, einen ganz schwarzen Anzug am Körper, dunkle Budapester an den Füßen, eine Pistole in der linken, die durchbohrten Pralinen und weiße Blumen in der rechte Hand. Schön wie eh und je.

Mit einer fließenden Bewegung legte James die Pralinen und den Strauß auf die Arbeitsplatte. „Du weißt warum ich hier bin" Sebastian schwieg. James musterte ihn und trat einen Schritt näher woraufhin Sebastian einen zurück trat. Ganz automatisch.

James lächelte.

„Lauf nicht vor mir weg mein Liebster. Du hast nichts zu befürchten. Du weißt doch das ich dich liebe? Liebst du mich ?" Sebastian schwieg aber die Antwort war ihnen beiden bewusst.

Er lud die Pistole.

„Du bist alles was ich hab", sagte er und streckte den Arm aus.

Love You More [MorMor]Where stories live. Discover now