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Thomas erwachte schweißgebadet. Er wusste nicht, was real war oder was Traum. Sich umblickend,  konnte er nur mühsam in die wirkliche Welt zurückfinden. Um auf den Wecker zu schauen, schaltete er seine Nachttischlampe ein. Es war fast 03:00 Uhr. Um die Fragmente des Traumes festzuhalten setzte er sich auf die Bettkante.  Es war so realistisch gewesen, so furchtbar klar. Nichts kam dem gleich. Meistens erinnerte er sich kaum oder gar nicht an seine Träume, schenkt ihnen auch keinerlei Beachtung. Doch diesmal war es anders.
Um in der Küche ein Glas Milch zu trinken stand er auf. Als er den Kühlschrank öffnete und die Milchtüte rausnehmen wollte, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz in der linken Hand. Er ließ die gerade angehobene Milchtüte wieder los und hielt sich den Arm. Ein eigenartig taubes Gefühl und ein leichtes Kribbeln am Unterarm waren jedoch die einzigen Nachwirkungen des Schmerzes. Als er sich den Unterarm genauer betrachtete, sah er eine leichte Rötung etwa in der Mitte des Unterarms. Mehr konnte er nicht erkennen. Auch waren der Schmerz, die Taubheit und das Kribbeln verschwunden. Nachdenklich nahm er die Milch noch einmal aus dem Kühlschrank. Dieses mal ohne irgendwelche Zwischenfälle. Er schenkte sich ein volles Glas ein und stellte den Behälter wieder zurück. Dann trank er den Glasinhalt aus und betrachtete noch eine Zeitlang das Glas und den Arm, den es hielt. Er kam ihn wie ein Teil eines anderen vor. Um weiterzuschlafen ging er zurück in das Schlafzimmer und legte sich in sein Bett. Wieder fiel er fast Augenblicklich in den Schlaf.

*

Das erst was er wahrnahm war Schwere. Nach den Monaten in Raum, von den kurzen Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen des Schiffes abgesehen, war es das erste was ihm auffiel, dass Fehlen der Schwerelosigkeit. Dann erst bemerkte er, dass er in einem Bett lag. Vorsichtig öffnete er seine Augen. Mit dem Licht kam auch das Empfinden für die Geräusche zurück. Geschäftigkeit und Licht erfüllte seine Umgebung. Viel Licht und viele Geräusche. Stimmen, menschliche Stimmen schälten sich langsam aus den vielfältigen Geräuschen. Dann kam die Erinnerung zurück. Das Andockmanöver, das Schiff und die Orbitalstation.
Das musste die Med-Station sein. Er versuchte sich aufzusetzen. Kein Problem. Nächster Versuch, Aufstehen. Wieder kein Problem. Ein Arzt eilte auf ihn zu.
"Wie geht es ihnen?"
"Ich glaube soweit gut. Mir ist wahrscheinlich einfach nur schwindelig geworden. Ich denke ich habe nicht ausreichend Übungen gemacht. Als dann die Bremsmanöver einsetzten und ich aufstand, war mein Kreislauf überlastet. Das war alles."
"Hm, wir haben nichts Schwerwiegendes bei ihnen gefunden. Soweit scheint es also mit ihrer Erklärung übereinzustimmen.
Der Arzt schaute mit einem prüfenden Blick auf seine Diagnoseanzeige. Dann wieder zu seinem Patienten.
"Ok, ich sage ihnen was, ich gebe ihnen eine Passiergenehmigung und sie schauen nach dem Orbitaltransfer zur Erde bei einer Med-Station rein und lassen sich noch mal checken. Was meinen sie?"
"Klingt gut, würde ich sagen."
"Gut, sie haben noch etwa 2,5 Stunden bis die Fähre zur Erde ablegt. Zeit genug, um die Formalitäten zu erledigen und mit ihrem Firmenkonsortium Kontakt aufzunehmen."
"In Ordnung, besten Dank Doktor"
"Ich gebe ihnen noch ein kreislaufstabilisierendes Mittel und dann können sie gehen. Netter Anhänger übrigens, den sie da tragen."
Einen Augenblick überlegte er was der Arzt meinte, dann griff er an seinen Hals.
"Altes Familienerbstück, von irgendeinem Urgroßonkel. Ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, glaube ich."
Er warf einen kurzen Blick auf den abgewetzten Messinganhänger. Als er ihn von seiner Mutter bekam, wurde der Anhänger von einer silbernen Kette gehalten. Im Lauf der Zeit hatte er sie jedoch gegen eine Lederkordel ersetzt. Damals fand er, dass es besser zu so einen alten Amulett passte.

Er saß in dem Passagierraum des Shuttles. Alles war ohne weitere Schwierigkeiten abgelaufen. Die Startsequenz war fast abgeschlossen und er beinahe wieder auf der Erde. Er freute sich auf ein ausgiebiges Bad und ein wenig Small Talk, bei dem man sein Gegenüber von Angesicht zu Angesicht und ohne Bildübertragung sprechen konnte.
"Meine Damen und Herren, wir werden in etwa 4 Stunden in den Niederlande zur Landung ansetzen. Bis dahin werden sie in ihren Sitzen von der Automatik festgezurrt bleiben. Weiterhin ist es untersagt irgendwelche Gegenstände, gleich welcher Art aus ihren Taschen oder Verriegelungen, wie zum Beispiel Rettungswesten, zu lösen. Bitte entspannen sie sich und genießen sie den Flug."
Er hatte den Orbitaltransfer schon unzählige Male gemacht, aber es gab immer wieder Leute, die unverbesserlich waren und mit Gegenständen hantieren. Bei dem Wiedereintritt in die Atmosphäre wurden sie zu Geschossen, die ein unkalkulierbares Risiko darstellten. Meistens waren es Wissenschaftler oder Privatpersonen, die sich nicht an die Sicherheitsbestimmungen hielten. Sie unterschätzten einfach die Gefahr, weil man in einen Personenpendler kaum etwas von der mehrfachen Schallgeschwindigkeit mitbekam. Anders als bei den Frachtern, die nur Güter transportierten. Eine leichte Turbulenz verriet ihm den Wiedereintritt in die Atmosphäre. Man hatte mit Absicht keine Sichtfenster in der Außenzelle des Pendlers vorgesehen, um den Passagieren das Aufglühen des Rumpfes zu ersparen. Allzu leicht entstand dabei Unruhe oder Panik. Die Turbulenz verstärkte sich zu einem Rumpeln. Das war ungewöhnlich, er bedauerte vorher nicht einen Blick auf das Wetterbild des Satelliten geworfen zu haben. Solche Schwingungen wie im Augenblick entstanden nur bei größeren Tiefdruckgebieten, wobei dann eher auf einen Transfer verzichtet wurde, als den Verlust eines Passagierschuttels zu riskieren. Mittlerweile wurde die Schwerelosigkeit von einem leichten Ziehen abgelöst. Ein Blick in die Runde verkündete ihm, dass die Passagiere hauptsächlich aus Personen mit wenig Erfahrung in solchen Unternehmungen bestanden. Unruhe kam auf. Er blieb weiterhin gelassen. Die Piloten im Orbitaltranfer gehörten zu den Besten. Nur mehrjährige Erfahrungen auf unterschiedlichen Schiffen erlaubten eine Bewerbung für den Dienst in einem Orbitalpendler. Und die Liste der Bewerbungen war lang, im Vergleich zu den angebotenen Posten.
Mittlerweile drangen die ersten Geräusche der beanspruchten Außenhülle in den Passagierraum. Ein Knacken und Krachen verkündete die Belastung, die durch die stark erhitzte ausgedehnte Außenzelle erzeugt wurde. In den Gesichtern konnte man die Anspannung und entstehende Panik sehen. Dann, mit einem letzten Ruck, ging der Pendler in seine Gleitphase über. Die Geräuschkulisse nahm ab und lediglich ein leichter Ozongeruch verriet die überstandenen Strapazen des Shuttles. Die Gespanntheit aus den Gesichtern der Menschen wich langsam wieder einer gesunden Gesichtsfarbe. Mittlerweile hatte sich auch die normale Erdschwere eingestellt und bei einigen war sogar ein schwaches Lächeln sichtbar. Er schaute auf seine Armbanduhr. Etwa 10 Minuten bis das Landemanöver begann. Ein leichtes Schlingern ließ ihn aufmerken. Sie mussten in eine weitere Unwetterzone eingetreten sein. Ein rascher Blick in die Runde verriet ihm, dass er bisher der einzige war, dem dies auffiel. Er griff mit beiden Händen zu seinen Armlehnen und wappnet sich vor den weiteren Unannehmlichkeiten. Die Maschine sackte mehrere 100 Meter durch. Mit einem heftigen Ruck fassten die Tragflächen wieder in der Atmosphäre. Einige der Passagiere schrien oder stöhnten auf. Ein heftiges Schütteln ging durch die Maschine und ein erneutes Durchsacken. Diesmal begleitet von einem Krachen. 'Das ist nicht mehr normal', dachte er noch. Dann mit einem Schütteln, sackte der Pendler erneut durch und prallte auf! Etwas schlug mit entsetzlicher Kraft auf seinem linken Arm ein. Er spürte wie sein Unterarm brach. Das letzte was er wahrnahm, war das Kreischen und Bersten von Metall. Dann wurde es still und dunkel um ihn.

*


Interferenz - ÜberlagerungDonde viven las historias. Descúbrelo ahora