"Oh, du möchtest sie nicht berühren, Liv. Ich habe neulich den Hauptmann etwas erzählen hören...   Erinnerst du dich an Heidi?"

"Ja, was ist mit ihr?"

"Wir haben nie herausbemkommen, warum sie weggeschickt wurde, richtig? Nach dem was ich gehört habe war es so: Die liebe kleine Gwenwyn hatte einen Wutanfall in der Bibliothek, und Heidi hat versucht sie zu beruhigen und sie am Arm berührt. Und was denkst du passiert als nächstes?  Die Prinzessin rief die Wachen, um Heidi einzusperren! Weil sie es wagte sie zu berühren!"

"Nein!"

"Es wird noch schlimmer! Sie war offenbar nicht zufrieden damit die arme Heidi einzusperren, also rief sie einen Wächter um Heidis Hand zu packen . . . und sie sagte ihm, er solle sie über eine brennende Fackel halten!"

"Was?!"

"Es ist wahr. Verbrennungen, wie du sie nie zu Gesicht bekommen hast! Ich habe sie gesehen! Der Wächter wollte nicht, aber sie hat ihm gedroht ihn zu enthaupten wenn er es nicht tut."

"Sicher nicht!"

"Es ist die reine Wahrheit! Genau so hat es mir der Hauptmann erzählt, das schwöre ich bei allem was mir heilig ist."

"Meine Güte! Ich hatte ja keine Ahnung! Und ich dachte, das was ich gehört hatte, wäre schon schlimm! Warum hat sie am nächsten Tag dann-"

Gwen war lieber davongeschlichen als noch mehr von dem zu hören, was die beiden Frauen sich erzählten. Die Dinge die sie gehört hatte machten sie krank - aber sie ergaben schrecklicherweise Sinn: Neue Diener anzuheuern, all diese Lügen über sie zu verbreiten, Rhosyn wegzuschicken... All das war Teil eines Plans. ihr Vater und Anifail wollten sicherstellen, dass niemand hier war an den sie sich in diesen Stunden der Not wenden konnte.

Es hatte funktioniert. Sie hatte keine Freunde, keine Ideen, fühlte sich hilflos und-

Gwen erkannte, dass sie sich immer weiter in einen Weinkrampf hineinsteigerte.

Sie schüttelte den Kopf in dem Versuch ihre Gedanken zu ordnen, atmete mit einem tiefen Seufzer ein strich ihr Kleid glatt. Sie tadelte sich selbst dafür so auszurasten. Weinen würde ihr nicht weiterhelfen - sie hatte das schon oft genug probiert. Was sie tun musste, war nachzudenken und das schnell, weil nämlich. . .

Nun, weil der Prinz aus Bespir schon angekommen war und irgendwo unten im Schloss auf sie wartete.

Von ihrem kleinen Fenster im Turm aus hatte sie heute Morgen beobachten können wie die Ehrengarde des Prinzen, stolz in den Farben seines Königreichs gewandet, durch die geschmückten und frisch geölten Tore der Burg geritten waren. Obwohl es bereits etwa vier Stunden her war, dass der Prinz angekommen war, und ihr Vater noch niemanden geschickt hatte um sie zu holen, wusste sie, dass es nur eine Frage der Zeit war.

Deshalb saß Gwen da und marterte ihr Gehirn bei dem Versuch endlich eine Idee für einen Ausweg aus ihrer auswegslosen Situation zu bekommen. Und obwohl sie stundenlang so da saß kam das zögernde Klopfen an ihrer Tür viel zu früh.

"Prinzessin Gwenwyn?" fragte eine weibliche Stimme vorsichtig durch die Tür. Einen Augenblick später drehte sich der Messingknauf, die massive Türe des Schlafzimmers wurde geöffnet und ein verängstigt aussehendes Mädchen, das Gwenwyn noch nie zuvor gesehen hatte, kam zum Vorschein.

Gwen stand von ihrem Bett auf. Ihre Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit der Dienerin auf sich, die immer noch in der Türe stand und immer mehr Angst zu kriegen schien.

"P-Prinzessin? Euer... Vater will, dass, äh," stammelte das Mädchen mit nervöser, weicher Stimme. "Er will das Ihr nach unten kommt. Damit Ihr unsere Gäste kennenlernen könnt."

Tödliche Berührung (2012 WATTY-AWARDS-GEWINNER, Übersetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt