Kapitel 05

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Gwen begann sich allmählich von ganzem Herzen zu wünschen, dass es produktiver wäre sich weinend in ihrem Zimmer zu verstecken. Wenn jede Träne eine Idee für einen Ausweg aus dieser Situation wäre, hätte sie inzwischen etwa eine Million. 

Doch derzeit hatte sie keine.

Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, sich plötzlich nicht mehr ausdrücken zu können. Die Tatsache, dass ihr ihre eigenen Worte genommen worden waren, ersetzt durch die eines höflichen, aber hirnlosen Kindes.

Wegen der Meistersphäre konnte sie nicht einmal ihre Stimme erheben, geschweige denn schreien oder irgendetwas sagen, das sie nicht wie ein flatterhaftes, einfältiges, kleines Mädchen klingen ließ. Sie hatte auf hunderte verschiedene Arten und Weisen versucht, den Zwang des Zaubers zu umgehen, aber es hatte nie funktioniert. Entweder stand sie einfach sprachlos da oder sie sagte etwas ganz anderes als sie eigentlich wollte, etwas vollkommen Sinn- und Belangloses.

Schon nach ein paar Tagen des Experimentierens mit der magischen Wirkung des Zwangs, den Anifail auf sie gelegt hatte, kam sie zu dem Schluss, dass es keinen Sinn hatte.Die einzigen Dinge über die sie eigentlich laut sprechen konnte waren höfliche Nichtigkeiten oder Geschichten und Märchen für Kinder.

Und natürlich das Wetter. Oh, wie sie es hasste sich selbst über das verfluchte Wetter, oder gar über dessen Auswirkung auf die lokalen Ernten reden zu hören! 

Wie hatte sie jemals hoffen können die Pläne ihres Vaters erfolgreich zu durchkreuzen? Sie konnte nicht einmal verhindern, dass sie sinnlos über Flachs, Gerste oder Weizen vor sich hin plapperte. Sogar mit Stummheit geschlagen zu sein war besser als sich selbst über dieses nervtötende Zeug reden zu hören.

Sie schnaubte leise. Vielleicht würde sie den Prinzen mit ihrem Geplapper so sehr langweilen, dass er von allein wieder gehen würde...

Nein, das würde nicht funktionieren. Wenn ihr Verehrer glaubte, dass sie kein Hirn im Kopf hatte, würde er vielleicht noch eher die Ehe mit ihr eingehen, in der Hoffnung, dass sie leicht zu steuern wäre. Das einzige was garantiert wirken würde war die Wahrheit. Wenn er die jemals erfahren würde, dann würder er sicher so schnell er konnte nach Bespir, oder wo auch immer er herkam, zurückrennen

Anstatt über das Wetter zu reden, wäre es vielleicht besser, in vollkommenem Schweigen zu verbleiben. Vielleicht würde es ihm den Eindruck vermitteln, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte, dass sie distanziert und arrogant war. Die arrogante Adelige zu spielen war wohl die beste Herangehensweise, da  die meisten Diener sowieso schon so von ihr dachten - eine Tatsache, die sie Annifals Bemühungen zu verdanken hatte.

Dies erklärte, warum all die neuen Bediensteten so viel Angst vor ihr hatten als sie neulich zum Abendessen hinuntergekommen war. Anifail war damit beschäftigt gewesen, unter dem Küchenpersonal, Kammerdienern und dem Rest der Dienerschaft die vor kurzem angeheuert worden war, Gerüchte über sie zu verbreiten.

Gwen erfuhr dies dank zweier Zimmermädchen, die sie, als sie eines Abends gerade zur Küche ging um ihren Wasserkrug zu füllen, diskutieren hörte. Sie erhaschte schon ein paar Worte vom Gespräch der beiden als sie die Treppe herunter schlich, und was sie hörte, veranlasste sie dazu sich in einer Nische zu verstecken und weiter zu lauschen.

"-schreit herum und wirft Sachen an die Wand. Ein verzogenes Gör, das ist es, was sie ist."

"Ja, aber es ist dieses schiefe Lächeln von ihr, das mich am meisten stört ... als wäre sie besser, als der Rest von uns. Wenn wir uns in der Halle begegnen sagt sie nie etwas, hat immer nur dieses schiefe Lächeln auf den Lippen, ohne mich auch nur anzuschauen. 'Sieh mich an... Ich bin eine Prinzessin und du bist es nicht,' - ich wette, das ist es, was sie denkt. Und dann geht sie weg, wenn ich auf sie zugehe, als hätte sie Angst schmutzig zu werden, wenn sie mich berühren würde! Eine Schande, selbst für eine Prinzessin!"

Tödliche Berührung (2012 WATTY-AWARDS-GEWINNER, Übersetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt