04 - Fast überlebt

En başından başla
                                    

Atemzug für Atemzug.

Leise und auf Zehenspitzen betrete ich die Küche, Dad fängt erst später an und Mom muss gerade erst von ihrer Nachtschicht zurückgekommen sein, weswegen ich darauf achte, niemanden zu wecken. Mit eingeübten Handgriffen setze ich den Tee auf, gieße ihn in meine große Tasse und setze mich auf meinen Stuhl in der viel zu kleinen, beengten Küche in einer viel zu kleinen, beengten Wohnung.

Schlaftrunken gähne ich, während ich den Löffel mit Honig in meinem Tee umrühre, nebenbei schiele ich immer wieder auf die roten Zahlen, mit denen unser Herd die Uhrzeit ankündigt.

Theodosia kommt ebenfalls hineingeschlurft, erst als sie mich bemerkt, setzt sie ein strahlendes Lächeln auf, dass viel zu künstlich aussieht. Ganz zu schweigen davon, dass es so früh am Morgen keinen Grund zum Lächeln gibt.

Theo, hör auf, mir etwas vormachen zu wollen.

Du kannst jeden anlügen, Mom, Dad, deine Freundinnen. Aber nicht mich, ich kenne dich. Du bist nicht fröhlich, willst nur stark für all die sein, die nun schon zu lange zu schwach sind. Du lächelst durch den Schmerz, ja. Aber du lächelst ihn nicht weg. So sehr du es dir wünschst, so sehr du auch versuchst, diese kaputte Familie zu retten, so sehr du auch versuchst, mich zu retten; du kannst es nicht.

Nicht alleine.

Nicht mich.

Ich bin wie eine kaputte Porzellanpuppe, die nach jemanden sucht, der sie mit Kleber wieder sorgfältig zusammenlebt.

Aber die einzige Person, die es konnte, ist tot.

Durch meine Hände am Lenkrad.

Ich war es, allein ich. Du bist schuld, flüstert eine Stimme in mir leise.
Ich weiß. Schmerzerfüllt atme ich ein. Irgendwann übermannt er dich, holt dich ein, umfasst dein Herz und drückt zu; zerstört dich. Der Schmerz, die Schuld. Aber warum, warum kann ich nicht endlich vollends niedergestreckt werden? Warum muss immer ein kleiner Teil übrigbleiben, der mich auf der Welt hält?

»Guten Morgen«, sagt Theodosia leise, schaltet die Kaffeemaschine ein und öffnet wie gewöhnlich den Kühlschrank, um sich etwas zu frühstücken herauszuholen.

Heute schließt sie die Tür wieder und widmet sich erneut der Kaffeemaschine. Sie bemerkt meinen fragenden Blick und zuckt betont gleichmütig mit den Schultern. »Es ist so früh, da kann ich noch nichts essen«, lügt sie.

Du hast früher immer morgens etwas gegessen, Theo.

Doch ich nicke nur, genauso wie du.

Erschreckend, wie oft es einfacher ist, einfach zu schweigen, statt zu sprechen. Aber dennoch, es tut weh. So weh. Zu schweigen, zu fühlen, zu leben.

Zweifelsohne behalten wir den Schmerz für uns, um nicht auch die wenigen wichtigen Menschen in unserem Leben zu verletzen. Ich stehe langsam auf, lasse den Tee stehen und flüchte in mein Zimmer. Wie naiv zu glauben, ich könnte vor Dingen fliehen, nur um doppelt so schmerzhaft wieder an sie erinnert zu werden. Schnell greife ich nach meinem Rucksack, im Flur werfe ich mir meine warme Jacke über und öffne hastig die Tür.

Ehe ich mich versehe, bin ich schon die Treppe hinuntergeeilt und lasse meine Hände auf der Tür im Treppenhaus, die mich vor fünf Grad Minus und einer über Nacht erschienen, etwa sieben Zentimeter hohen Schneedecke, trennt. Ich stoße die Tür auf, ein von Eiseskälte besetzter Windhauch streift meinen Hals, erinnert mich daran, dass ich meinen Schal sowie meine Mütze vergessen habe, von Handschuhen ganz zu Schweigen.

Innerlich schalte ich mich dafür, ziehe den Reißverschluss meines Mantels bis ganz nach oben und die gefütterte Kapuze tief ins Gesicht. Zumindest hat es aufgehört zu schneien, lediglich der Gegenwind zerrt an meiner Kapuze, sodass ich es schon bald aufgebe, ständig meine Kapuze zurück zu ziehen, auch wenn ich schon im Vorfeld weiß, wie sehr meine Ohren in der Schule schmerzen werden.

LOVE LETTERS TO A STRANGERHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin