24. Kapitel

Depuis le début
                                    

Ich nahm kaum wahr wie das blonde Mädchen nach kurzem Zögern mit einstieg und mich dabei mit gläsernen Augen von der Seite betrachtete.

Verstummt auch der letzte Hilfeschrei, bleibt unerhört
Erlischt Hoffnung, vergeht Liebe, stirbt dein Ich
Sind deine Flügel gestutzt, kannst dich nicht entfalten
Wie ein schweigender Schmetterling
Still, gebrochen
Schweig! Still!, hörst du sie rufen, so voller Hohn
Kannst dich nicht erheben, denn Flügel existieren nicht
Auf Erde zu Schweigen verdammt
Sei versichert, der Himmel wacht
Schweig bis dein Licht erlischt, strahlend und rein wird es sein
Gezeichnet deine Seele, im Inneren von verlorener Güte geplagt
Noch magst du still sein
Wie ein schweigender Schmetterling
Bald wirst du entfalten und dich erheben
Denn aus Asche wächst Leben

Eine Träne löste sich und floss ungehindert über meine Wange.
Langsam, immer noch im Rausch des Stückes gefangen, öffnete ich die Augen, die ich die ganze Zeit über geschlossen gehabt hatte. Bedächtig zog ich die Finger von den Tasten zurück. Ein trauriges, wehmütiges Lächeln umspielte meine Lippen. Reina hatte mir den Liedtext damals beigebracht, wir hatten es leise in besonders schrecklichen Nächten gesungen. Es war nur ein kleiner Anker gewesen, aber es war wenigstens etwas gewesen, was wir tun konnten. Unsere Stimmen waren das einzige, was uns von Geburt an geblieben war. Auch wenn wir sie nie hatten erheben können. Wir schwiegen unser Leben lang, blieben vom Königshaus unerhört, hatten keine Entfaltungsmöglichkeiten, wurden verachtet und verspottet- dieses Stück spiegelte auf gewisse Weise mein damaliges und das Leben vieler anderer Straßenkinder wieder. Vielleicht berührte es mich deshalb so.
Ein unterdrücktes Schluchzen lenkte meine Aufmerksamkeit zu dem Mädchen neben mir, das am ganzen Körper bebte. In Strömen flossen ihr die Tränen über das Gesicht. Das warme Braun ihrer Augen war durch die ganze salzige Flüssigkeit getrübt. Doch der tiefe Schmerz, die Bitterkeit, die in ihnen lag, kam mir nur zu gut bekannt vor. Ich sah sie jeden Tag im Spiegel, auch wenn ich gelernt hatte sie zu verstecken.
Eine weitere Täuschung.
,,Woher kennst du dieses Stück? Und dann auch noch den Text dazu? Den höre ich zum ersten Mal, auf den Notenblättern ist er durchgestrichen.'', brach es aus ihr heraus. ,,Wer bist du und wie bist du hier überhaupt reingekommen?'', fiel ihr es ihr plötzlich ein und sie sah kurz zur Tür, bevor ihre Augen wieder mich fixierten. Sie war aufgestanden. Ich blieb sitzen, drehte mich aber in ihre Richtung.
Ihre Augen musterten meine Erscheinung, registrierten die aufwendige Frisur, das ausladende Kleid in den Verlobungsfarben. Erkenntnis spiegelte sich in ihrem Blick wieder. ,,Die Verlobte mei- des Prinzen?''
Ihr Sprachfehler blieb mir nicht unentdeckt, doch ich tat so als hätte ich ihn nicht bemerkt. Trotzdem wurde mir in dem Moment klar, mit wem ich es hier überhaupt zu tun hatte.
Meines Bruders. Das wollte sie sagen.
Das Mädchen vor mir war eines der streng gehütetsten Geheimnisse des Königshauses- die kleine Prinzessin, die seit ihrer Geburt krank war und aufgrund dessen vor der Öffentlichkeit versteckt wurde. Kleà.
,,Lady Lyana Dorados, ganz recht.'', bestätigte ich und legte lauernd den Kopf schief. ,,Und du bist?'' Jetzt war ich gespannt.
,,Kleà.'', gab sie zögernd preis.
Es überraschte mich nur kurz, dass sie ihren wahren Namen sagte. Dann fiel mir ein das ja ihre gesamte Existenz eigentlich unbekannt sein sollte. Also auch ihr Name.
,,Nur Kleà?'', bohrte ich nach.
Ich konnte förmlich dabei zu sehen, wie sie dicht machte. ,,Ja.''
Ich lehnte mich etwas am Klavier an und deutete auf die Tür. ,,Warum hast du abgeschlossen? Wolltest du nicht gestört werden?''
,,Das habe ich nicht.'' Kleà betonte das Ich und sagte mir somit alles, was ich wissen wollte. Das war ja noch schlimmer, als gedacht. Sperrten ihre eigene Tochter weg, nur weil sie keinen Repräsentant von Gesundheit, Wohlstand, Schönheit und Macht darstellte.
Ich fragte nicht weiter nach, nickte nur schlicht. ,,Hätte nicht gedacht, dass jemand ausgerechnet im Palast dieses Lied spielen würde.''
,,Und ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet die zukünftige Königin es kennen würde.'', feuerte die junge Prinzessin zurück. Neugierde lag in ihrem Blick.
Ich lächelte leicht, während ich mit den Fingerspitzen über die Tasten des Instruments strich. Es war solange her...
,,Schweigender Schmetterling- von Francis Weran. Ein interessantes Stück, nicht wahr?'' Ich beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie machte auf mich einen unsicheren Eindruck. ,,Verrätst du mir, wie du dazu kommst es zu spielen?''
Kleà wirkte hin und her gerissen, schien nicht zu wissen, was das Richtige war- mich rauswerfen oder mit mir reden?
Ich konnte förmlich mitansehen wie sie ihre Entscheidung traf. ,,Wenn du mir verrätst, woher du den Text kennst!''
Ich dachte einen Moment lang über ihre Forderung nach, wog die Risiken ab.
War es vielleicht an der Zeit mich jemandem anzuvertrauen? Konnte ich das überhaupt?
Nachdenklich betrachtete ich sie, wägte ab.
,,Na schön. Ich verrate dir, woher ich den Text kenne. Im Gegenzug erzählst du mir, warum du ausgerechnet dieses Stück gespielt hast und'' Ich erhob mich, strich über die Röcke meines Kleides und sah ihr direkt in die Augen. ,,Sagst mir, wer du wirklich bist, Kleà.''
Ihre Augen weiteten sich, Misstrauen tauchte in ihnen auf.
,,Also?'', fragte ich abwartend nach.
Ich kannte ihre Antwort bereits, bevor sie sie aussprach. Die unbändige Neugierde in ihrem Blick verriet sie.
Kleà wies auf die Couch in einer Ecke. ,,Setz dich. Möchtest du Tee?''
,,Gerne.'' Ich ließ mich in den weichen Stoff sinken, wobei ich darauf achtete, dass keine Falten in meinem Kleid entstanden, und rückte die rosa Kissen in meinem Rücken zurecht.
,,Irgendeine bestimmte Sorte?'', erkundigte sich Kleà, während sie in einer Art Küchennische verschwand. Dieses Zimmer war darauf ausgelegt, dass es so wenig wie möglich verlassen werden musste. Kleà tat mir Leid, es musste auf eine andere Art als die, die ich kannte, einsam sein. Vielleicht waren wir uns ähnlicher als gedacht.
,,Nimm einfach irgendeinen.'' Ich griff nach den Notenblättern, die auf dem Tisch lagen, doch abgesehen von dem des Stückes Schweigender Schmetterling, waren sie mir unbekannt.
Wenige Minuten später stellte Kleà eine Tasse Tee vor mir ab und ließ sich auf den Sessel mir gegenüber sinken.
,,Na dann'', gab ich möglichst gelassen von mir. ,,Leg mal los, Prinzessin.''
Sie zuckte zusammen als hätte ich sie gerade geschlagen, versuchte ihre heftige Reaktion auf dieses Wort jedoch schnell zu verbergen.
Meine Mundwinkel hoben sich amüsiert. ,,Tu uns beiden einen Gefallen und erspar uns sinnlose Leugnereien und Lügen, Prinzessin Kleá von Crowen.''

Lyana- The Story of a QueenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant