Er wusste das. Er wusste, dass ich so reagiern würde wenn ich unser kleines Refugium wieder sehen würde. Zwei Monate ist es jetzt schon her. Das ich so glücklich war. Am liebsten hätte ich noch Stunden hier gesessen und geweint, doch ich hatte eine Aufgabe. Ich wischte mir mit meinen zerissenen Ärmeln die Tränen aus dem Gesicht und versuchte mich zusammenzunehmen. Zitternd richtete ich mich auf und wankte auf den gewaltigen Baum zu. Mit den Händen fuhr ich über die raue Rinde um zu finden was ich vor fast einem Jahr hier hinein geritzt hatte. Vergeblich versuchte ich im dunklen Schatten irgendetwas zu erkennen, doch es brachte nichts. Ich holte mein Handy heraus und schaltete die Taschenlampe an. Nun blieben mir vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten bevor der Akku leer wäre. Konzentriert suchte ich den Stamm ab bis ich es fand. Circa auf Augenhöhe war ein ein großes Herz in den Stamm geschnitzt. Darin stand: A + E. Wieder überkamen mich die Erinnerungen und ich fing fast wieder an zu weinen. Mühsam drängte ich meine Emotionen zurück und fokussierte mich auf die Wurzeln am Boden. Ich suchte ein paar Minuten, dann entdeckte ich das selbe Herz auf einer der dicksten. Ich kniete mich hin und fing fieberhaft an zu graben. Mit bloßen Händen versuchte ich so viel wie möglich des Waldbodens abzutragen. Meine Finger wurden schmutzig und meine Nägel zu bekamen schwarze Ränder, doch es war mir egal. Nach vielleicht fünf Minuten staß ich auf etwas harten. Mit neuer Zuversicht gestärkt grub ich weiter und siehe da, eine kleine Holzkiste kam zum Vorschein. Ich hob sie aus der Erde, lief von der Eiche weg , ins Mondlicht und lies mich nieder. Die Kiste war schmutzig und einfach gemacht, etwa 20 Zentimeter lang und 10 Zentimeter breit. Sie hatte ein silbernes Vorhängeschloss, aber das war kein Problem. Ich zog einen filigranen Schlüssel an einer Silberkette unter meinem Kragen hervor und steckte ihn ins Schloss. Er passte perfekt und ich lies es aufschnappen. Jetzt kam der Moment auf den ich schon seit einer Woche gewartet hatte. Gespannt richtete ich meine Handylampe auf den Inhalt der Kiste.
Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Ich wusste auch nicht was genau ich erwartet hatte. Es ist nicht so, dass in der Kiste gar nichts war. Allein schon der Gedanke irgendetwas von ihm zu haben, war mehr als ich mir vor einer Woche noch träumen hätte können. Doch ich wusste auch nicht was der Inhalt zu bedeuten hatte. Vor mir lag ein schwarzes, in Leder gebundenes Notizbuch und eine kleine Schmuckschachtel. Behutsam hob ich das Buch heraus und klappte es auf. Die erste Seite war leer. Die zweite auch. Und die dritte und die vierte und die fünfte.... Das konnte doch nicht sein. All die Mühe und ich bekam ein unbeschriebenes Notizbuch. Hastig blätterte ich duch die Seiten, auf der Suche nach einem weiteren Hinweis. Eine Adresse, eine Stadt, weitere Koordinaten, allein ein einzelner Bundesstaat hätte mir schon gereicht. Da, endlich! In der Mitte des Buches stand etwas in schwarzer Tinte auf dem reinweißen Blatt. Wenn ich dachte, dass mir der Besuch dieser Lichtung schon das Herz gebrochen hatte, dann fügten diese Zeilen es wieder zusammen um es abermals zu brechen.
Man hätt es nicht dürfen,
man hätt es nicht sollen,
und man hat es
dennoch gewollt ...
Und es war so schön,
wie's nie gewesen,
hätt man es dürfen,
hätt man's gesollt.
Ich las es immer wieder obwohl ich die Zeilen auswendig konnte. Ein Gedicht von CäsarFlaischlen. Es war sowas wie unser Leitspruch gewesen. Unsere Entschuldigung für all die Dinge die wir getan haben. Eins der ersten Gedichte die er mir je vorgelesen hat. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. War es ein Versprechen? Der endgültige Abschied? Was zum Teufel sollte das bedeuten? Er hatte sich die Mühe gemacht mir eine Serviette mit Koordinaten auf den Teller im Diner zulegen. Er hatte die Karte in meinem Zimmer versteckt. Er war trotz allem in die Stadt gekommen und hatte diese Kiste vergraben, an dem Platz den wir so geliebt hatten. Er hatte gewusst was ich auf mich nehmen würde, dass es mir unendlich weh tun würde an ihn zu denken und er hatte es trotzdem getan. Weil wir uns versprochen hatten niemals die Hoffnung aufzugeben. Die letzten Wochen waren die schwersten meines Lebens gewesen. Wir hatten uns gestritten, uns angeschrien, er hatte mir weh getan, mich beschimpft, ich hatte ihm gedroht und ihm in der selben Sekunde versprochen mich nie gegen ihn zu wenden. Ich war sein. Ich gehörte ihm ganz und gar. Mein Herz, meine Seele, mein ganzes Dasein konzentrierte sich seit einem Jahr nur auf ihn. Und nun bekam ich ein Gedicht. Ein Gedicht welches ich im Schlaf konnte. Es war mein Anker gewesen. Ich hatte gehofft ihn zu finden, aber das einzige das ich gefunden hatte war die Hoffnungslosigkeit vor der ich solche Angst gehabt hatte. Mein Adrenalin-Spiegel lies nach und die Müdigkeit und Erschöpfung von einer Woche überkam mich. Lustlos und ohne weitere Erwartungen legte ich das Notizbuch ins Gras. Nun lag nur noch die kleine Schachtel in der Kiste. Soweit ich erkennen konnte gab es auch keinen Doppelboden oder ein Geheimfach. Ich nahm die Schachtel heraus und betrachtete sie. Es war eine mit rotem Samt bezogene Ringschachtel. So eine wie sie für Verlobungsringe benutzt wird. Langsam klappte ich sie auf. Der Inhalt raubte mir den Atem. In der Schachtel lag ein zierlicher Ring aus Weißgold der mit kleinen Diamanten besetzt war und in der Mitte schimmerte mir ein größerer entgegen. Der Diamant war nicht groß und protzig und ich hatte keine Ahnung wie viel Karat er hatte. Ich wusste nur, dass dieser Ring perfekt zu mir passte. Andächtig zog ich ihn aus der Schachtel und sah ihn mir genauer an. Es war eine kleine Schrift eingraviert, fast nicht zu erkennen, doch ich wusste was da stand. "Unconditional" las ich. Wieder liefen mir Tränen übers Gesicht aber diesmal waren es Freudentränen. Jetzt gab auch das Gedicht wieder einen Sinn. Ich steckte mir den Verlobungsring auf den Finger und betrachtete ihn im Licht meines Handys. "Ich liebe dich..." flüsterte ich, komplett überwältigt von dem was gerade passiert war. Als kleines Mädchen hatte ich mir immer vorgestellt wie mein Heiratsantrag wohl werden würde. Ich hatte an ein schickes Restaurant oder eine Kutschfahrt im Park gedacht. Auch hatte ich geglaubt, dass mein Zukünftiger bei dem Antrag anwesend sein würde, doch das hier war besser als alles was ich mir je ausgemalt hatte. Der Ring glitzerte atemberaubend im silbernen Mondlicht. Langsam klappte ich die Schachtel zu und steckte sie mir in die Hosentasche. Dann hob ich das Buch aus dem feuchten Gras und stand auf. Die Kiste lies ich auf der Lichtung zurück.
YOU ARE READING
Unconditional
RomanceAva Garcia lebt mit ihrer Familie in Maine. Ihr Vater ist der Bürgermeister und ihre Mutter Lehrerin am örtlichen College. Aus diesem Grund veranstalten sie jedes Jahr einen großen Ball und ab und zu kleinere Abendessen bei ihnen zuhause. Ava liebt...
Prolog
Start from the beginning
